Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Bewertung von bebauten Grundstücken im Sachwertverfahren bemißt sich die Wertminderung wegen Alters (§ 86 Abs. 1 BewG) nicht nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer, sondern nach der technischen Lebensdauer von Gebäuden gleicher Art und Nutzung. Dabei ist unter dem Begriff Art, die Bauart der Gebäude, nicht auch deren Verwendungszweck zu verstehen.
2. Eine von der technischen Lebensdauer abweichende, auf wirtschaftlichen Gründen beruhende kürzere Nutzungsdauer von Gebäuden ist nicht bei der Ermittlung des Gebäudesachwerts zu berücksichtigen. Sie kann jedoch in Sonderfällen eine Ermäßigung des Gebäudesachwerts gemäß § 88 BewG rechtfertigen.
Normenkette
BewG 1965 §§ 86, 88
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines Geschäftsgrundstücks. Dieses besteht aus einer größeren Anzahl von Gebäuden, in denen ein Walzwerk betrieben wird. Bei der Neufeststellung des Einheitswerts zum 1. Januar 1974 beantragte die Klägerin, die Wertminderung wegen des Alters der Gebäude nicht nur nach der technischen Lebensdauer, sondern unter Berücksichtigung der betriebsgewöhnlichen wirtschaftlichen Nutzungsdauer zu berechnen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -), bemaß die Wertminderung wegen Alters nach der technischen Lebensdauer der Gebäude. Dabei setzte das FA die Lebensdauer bei den massiven Fabrik-, Werkstatt- und Lagergebäuden im allgemeinen mit 80 Jahren, bei den übrigen massiven Gebäuden mit 100 Jahren an.
Der Einspruch hiergegen hatte keinen Erfolg.
Im finanzgerichtlichen Verfahren hielt die Klägerin an ihrem Begehren fest, daß die Wertminderung wegen Alters unter Beachtung der wirtschaftlichen Nutzungsdauer der Gebäude berechnet werden müsse. Dabei stützte sie sich auf ein Sachverständigengutachten.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision rügt die Klägerin, die Vorentscheidung verletze § 86 BewG. Nach dem Wortlaut des § 86 BewG bemesse sich die Wertminderung wegen Alters unter Berücksichtigung der technischen und der wirtschaftlichen Lebensdauer der Gebäude. Dies folge auch aus der Regelung des § 88 Abs. 2 BewG. Die Auffassung des FG, daß die wirtschaftliche Nutzungsdauer der technischen Lebensdauer entspreche, stehe in Widerspruch zu dem Erfahrungssatz, daß Gebäude oft wesentlich länger ständen, als sie wirtschaftlich genutzt würden. Dem Wortlaut des § 86 BewG entspreche dessen Sinn und Zweck.
Das FG habe nicht hinreichend untersucht, ob die grobe Einteilung in Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr der aus Erfahrungssätzen abzuleitenden Einzelermittlung entspreche, die in der Begründung zu dem von der Bundesregierung dem Bundestag vorgelegten Gesetzesentwurf zur Änderung des Bewertungsgesetzes für notwendig gehalten worden sei (Bundestags-Drucksache IV/1488 vom 1. Oktober 1963 S. 70 zu § 53 c; vgl. auch den schriftlichen Bericht des Finanzausschusses, zu Bundestags-Drucksache IV/3508 S. 15 bis 16 zu § 53 c). Die im Bewertungsrecht erforderliche Typisierung hindere nicht, daß weitergehende Unterscheidungen als in Abschn. 41 BewRGr getroffen würden. Ebensowenig wie den Typ eines Fabrikgebäudes gebe es den des Fabrikgebäudes aus Stahlfachwerk. Eine Typik für Fabrikgebäude lasse sich nur entwickeln, wenn zugleich der Verwendungszweck der Fabrikgebäude berücksichtigt werde.
Es widerspreche allgemeinen Grundsätzen des Bewertungsrechts, die wirtschaftliche Überalterung nur im Einzelfall über den Sondertatbestand des § 88 Abs. 2 BewG zu berücksichtigen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Der gemeine Wert von Fabrikgrundstücken ist im Sachwertverfahren zu ermitteln, da für diese Gruppe von Geschäftsgrundstücken eine Jahresrohmiete nicht ermittelt und eine übliche Miete nicht geschätzt werden kann (§ 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG). Dabei wird der sich aus der Summe von - jeweils getrennt berechnetem - Bodenwert, Gebäudewert und Wert der Außenanlagen ergebende "Ausgangswert" durch Anwendung einer Wertzahl an den gemeinen Wert angeglichen (§§ 83, 90 BewG).
Bei dieser Bewertungsmethode ist der Grund und Boden mit dem Wert anzusetzen, der sich ergeben würde, wenn das Grundstück unbebaut wäre (§ 84 BewG). Zur Ermittlung des Gebäudewerts (§ 85 BewG) ist zunächst der sogenannte Gebäudenormalherstellungswert auf der Grundlage durchschnittlicher Herstellungskosten zu berechnen, wie sie nach den Baupreisverhältnissen des Jahres 1958 erfahrungsgemäß durchschnittlich für Gebäude bestimmter Nutzung und Bauart entsprechend der Konstruktion und der verwendeten Baustoffe sowie der Bauweise aufzuwenden waren. Der - nach den Baupreisverhältnissen im Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 umgerechnete -, Gebäudenormalherstellungswert ist wegen des Alters des Gebäudes im Hauptfeststellungszeitpunkt (§ 86 BewG) und wegen etwa vorhandener baulicher Mängel und Schäden (§ 87 BewG) zu mindern. Es ergibt sich der sogenannte Gebäudesachwert, der in besonderen Fällen ermäßigt oder erhöht werden kann (§ 85 Satz 4 BewG i. V. m. § 88 BewG).
2. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 BewG bestimmt sich die Wertminderung wegen Alters bei der Bewertung bebauter Grundstücke nach dem Alter des Gebäudes im Hauptfeststellungszeitpunkt und der gewöhnlichen Lebensdauer von Gebäuden gleicher Art und Nutzung. Die Auffassung des FG, daß sich die Wertminderung gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 BewG nach der technischen Lebensdauer des Gebäudes bemißt, entspricht der schon seither vom Senat vertretenen Rechtsansicht (vgl. die Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Mai 1970 III R 80/67, BFHE 99, 225, 229, BStBl II 1970, 610; vom 11. März 1977 III R 11/75, BFHE 123, 360, BStBl II 1978, 3; und vom 27. April 1978 III R 6/77, BFHE 125, 290, 294, BStBl II 1978, 523). Eine von der technischen Lebensdauer abweichende, auf wirtschaftlichen Gründen beruhende kürzere Nutzungsdauer eines Gebäudes ist nicht bei der Ermittlung des Gebäudesachwerts zu berücksichtigen; sie kann jedoch in Sonderfällen eine Ermäßigung des Gebäudesachwerts gemäß § 88 BewG bewirken.
a) Daß unter der gewöhnlichen Lebensdauer im Sinn des § 86 Abs. 1 Satz 1 BewG die technische Lebensdauer zu verstehen ist, läßt sich bereits aus dem von der ertragsteuerrechtlichen Regelung der AfA gemäß § 7 EStG abweichenden Wortlaut sowie dem Zweck der Vorschrift begründen (so Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 86 BewG, Anm. 6.1; vgl. auch Ross/Brachmann, Ermittlung des Bauwerts von Gebäuden und des Verkehrswertes von Grundstücken, 23. Aufl., S. 137). Während sich die AfA gemäß § 7 EStG nach der "betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer" des Wirtschaftsguts bemißt, stellt § 86 Abs. 1 Satz 1 BewG auf die "gewöhnliche Lebensdauer" von Gebäuden gleicher Art und Nutzung ab. Der Begriff "betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer" in § 7 Abs. 1 EStG läßt erkennen, daß die AfA - soweit nicht gemäß § 7 Abs. 4 EStG typisierte AfA-Sätze anzuwenden sind - unter Berücksichtigung auch der wirtschaftlichen Nutzungsfähigkeit des Gebäudes für den jeweiligen Eigentümer festzusetzen sind. Demgegenüber knüpft § 86 Abs. 1 Satz 1 BewG an die gewöhnliche Lebensdauer von Gebäuden gleicher Art und Nutzung an und bringt damit zum Ausdruck, daß die Wertminderung wegen Alters nach der technischen Standdauer des Gebäudes zu bemessen ist. Dem entspricht der Zweck des Sachwertverfahrens, das in seinen Grundzügen auf die Bewertung von Gebäuden mit einem typisierten gemeinen Wert (§ 9 BewG) ausgerichtet ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 12. Juni 1974 III R 49/73, BFHE 112, 520, BStBl II 1974, 602).
Zum Zwecke einer möglichst zutreffenden Erfassung des gemeinen Werts stellt § 86 Abs. 1 BewG auf die "gewöhnliche Lebensdauer von Gebäuden gleicher Art und Nutzung" und zwar unabhängig von der Nutzungsdauer des Gebäudes, durch den einzelnen Eigentümer ab. Es ist hier - anders als nach § 7 EStG (vgl. Bundestags-Drucksache IV/2008 S. 5) - nicht die betriebsindividuelle Nutzungsdauer des Gebäudes, sondern - wie es den Erfordernissen eines Massenverfahrens entspricht - die gewöhnliche Lebensdauer von Gebäuden gleicher Art und Nutzung und damit eine typisierte Lebensdauer maßgebend. Dabei ist unter dem Begriff Art die Bauart des Gebäudes zu verstehen (vgl. die Begründung zu § 53 c des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes, Bundestags-Drucksache IV/1488 S. 70 rechte Spalte oben - im folgenden: Regierungsentwurf -, wo ausdrücklich auf die "Bauart" abgestellt wird). Dieser Begriff ist technisch orientiert und stellt vor allem ab auf die Statik, die Bauweise, die Art und Güte der Baustoffe sowie die Ausstattung der einzelnen Bauteile.
Außerdem ist für die gewöhnliche Lebensdauer die Art der Nutzung des Gebäudes etwa als Fabrik- oder Bürogebäude und hier vor allem der Grad seiner - nutzungsbedingten - Beanspruchung von Bedeutung. Dabei kann sich ein erhöhter Verschleiß z. B. bei Fabrikgrundstücken durch die produktionsbedingte zerstörende Einwirkung von Dämpfen, Chemikalien oder Erschütterungen ergeben und die technische Lebensdauer des Gebäudes verkürzen. Bauart und Art der Nutzung für die Bemessung der gewöhnlichen Lebensdauer berücksichtigen die Erfahrungssätze in Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr. Gemäß Abschn. 41 Abs. 3 BewRGr ist bei einer besonders starken nutzungsbedingten Inanspruchnahme der Gebäude eine gegenüber Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr verkürzte Lebensdauer zugrunde zu legen. Aus dem Erfordernis des § 86 Abs. 1 Satz 1 BewG, bei der Bemessung der Wertminderung wegen Alters auf die gewöhnliche Lebensdauer von Gebäuden gleicher Art und Nutzung abzustellen, läßt sich nicht schließen, daß hier auch eine etwaige Minderung der wirtschaftlichen Nutzungsdauer berücksichtigt werden müßte.
b) Die Auslegung nach Wortlaut und Zweck wird bestätigt durch den Systemzusammenhang, der sich schon rein äußerlich dadurch ergibt, daß der Gang der Ermittlung des Gebäudewertes in einer Vorschrift (§ 85 BewG) nach der Reihenfolge der vorzunehmenden Bewertungsschritte dargestellt ist: Durchschnittliche Herstellungskosten - Gebäudenormalherstellungswert - Gebäudesachwert - Ermäßigung oder Erhöhung des Gebäudesachwerts in besonderen Fällen.
Es ergibt sich aber auch ein innerer Zusammenhang in der Weise, daß die Bewertungsvorgänge Ermittlung der durchschnittlichen Herstellungskosten und Gebäudenormalherstellungswert allein bautechnisch auf die Bausubstanz bezogene Werte sind. Nur dieser bautechnische Wert "ist" u. a. wegen Alters zu mindern. Die vom Gesetzgeber gewählte Bezeichnung "Gebäudesachwert" weist ebenfalls auf diesen Zusammenhang hin.
Im übrigen entspricht der zwangsläufig eintretenden Wertminderung der Bausubstanz wegen Alters das Gebot, diese Minderung zu berücksichtigen. Wirtschaftliche Faktoren können zwar eine von der gewöhnlichen Lebensdauer abweichende Nutzungsdauer des Gebäudes begründen und sich in Sonderfällen auf die Höhe des Gebäudewerts (§ 83 Satz 1, § 85 Satz 1 und Satz 4 i. V. m. § 88 BewG) auswirken, bleiben jedoch bei der Ermittlung des Gebäudesachwerts - eines rechnerischen Zwischenwerts - außer Ansatz (vgl. Gürsching/Stenger, a. a. O., § 88 BewG, Anm. 13; Rössler/Troll/Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 11. Aufl., § 88 BewG, Erläuterung 5).
§ 86 Abs. 4 BewG bestätigt diese Auffassung. Nach dieser Vorschrift ist der nach dem tatsächlichen Alter des Gebäudes errechnete Hundertsatz der Wertminderung entsprechend zu kürzen, wenn die restliche Lebensdauer des Gebäudes infolge baulicher Maßnahmen verlängert ist. Diese Regelung hat nur dann einen Sinn, wenn der Gesetzgeber in § 86 BewG allein auf die technische Lebensdauer des Gebäudes abgestellt hat. Für diese Beurteilung spricht auch § 86 Abs. 3 BewG, wonach der nach Abzug der Wertminderung wegen Alters verbleibende Restwert von 30 v. H. des Gebäudenormalherstellungswerts nicht unterschritten werden darf.
Diese dargestellte Auslegung des § 86 Abs. 1 BewG erfährt eine Bestätigung dadurch, daß wertbeeinflussende Umstände wirtschaftlicher Art wie z. B. die Verwendbarkeit von Grundstücken innerhalb bestimmter Wirtschaftszweige nach § 90 Abs. 2 BewG bei der Angleichung des sogenannten Ausgangswerts an den gemeinen Wert berücksichtigt werden. So wirkt sich z. B. eine völlige oder zeitweise Stillegung des Fabrikationsbetriebes gemäß § 3 der Verordnung zur Durchführung des § 90 BewG vom 2. September 1966 (BGBl I 1966, 553, BStBl I 1966, 885, geändert durch die Verordnung vom 25. Februar 1970, BGBl I 1970, 216, BStBl I 1970, 252) durch eine Ermäßigung der Wertzahl aus. Nach § 3 Nr. 1 der Verordnung verringert sich die Wertzahl z. B. um 10, wenn sich ein Fabrikgebäude nicht mehr für einen Fabrikationszweck, wohl aber für andere Zwecke verwenden läßt.
c) Die mit der Entstehungsgeschichte des § 86 Abs. 1 BewG begründeten Bedenken der Klägerin greifen nicht durch.
§ 53 c Abs. 1 Satz 1 des Regierungsentwurfs (Bundestags-Drucksache IV/1488 vom 1. Oktober 1963), aus dem der jetzige § 86 Abs. 1 Satz 1 BewG hervorgegangen ist, hatte folgenden Wortlaut: "Die Wertminderung wegen Alters bemißt sich nach dem Alter des Gebäudes im Hauptfeststellungszeitpunkt und nach seiner Lebensdauer."
Der Finanzausschuß des Bundestages billigte im Grundsatz diese Regelung, schlug jedoch vor, den Wortlaut des Gesetzes "an die Terminologie des Einkommensteuergesetzes (§ 7 Abs. 1) anzupassen" (Bundestags-Drucksache IV/3508 S. 15). Dieser Änderungsvorschlag führte zu dem jetzigen Wortlaut des § 86 Abs. 1 Satz 1 BewG, in dem das Wort "Lebensdauer" durch "gewöhnliche Lebensdauer von Gebäuden gleicher Art und Nutzung" ersetzt wurde. Auch nach dieser Änderung kann trotz des ausdrücklich betonten Strebens nach einer einheitlichen Terminologie - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht davon ausgegangen werden, daß der Regelungsinhalt des § 86 Abs. 1 Satz 1 BewG dem des § 7 EStG tatsächlich angeglichen worden wäre. Die Änderung des § 53 c des Regierungsentwurfs während des Gesetzgebungsverfahrens - die nachträgliche Einfügung des Hinweises auf die "gewöhnliche" Lebensdauer "von Gebäuden gleicher Art und Nutzung" - verdeutlicht lediglich, daß bei der Wertminderung wegen Alters nicht auf die individuelle Lebensdauer des einzelnen Gebäudes, sondern auf die nach allgemeinen Erfahrungssätzen zu bestimmende gewöhnliche Lebensdauer abzustellen ist. Der Einfügung läßt sich jedoch wegen des im Vergleich zu § 7 EStG abweichenden Wortlauts nicht entnehmen, daß bei der Bemessung der gewöhnlichen Lebensdauer i. S. von § 86 BewG auch die wirtschaftliche Nutzungsdauer berücksichtigt werden müßte. Deshalb greifen alle Einwendungen der Klägerin, die mit einem Vergleich der ertragsteuerrechtlichen Regelung aufgrund des Gesetzes zur Neuregelung zur AfA bei Gebäuden vom 16. Juni 1964 (BGBl I 1964, 353, BStBl I 1964, 384) begründet sind, nicht durch.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung läßt sich auch nicht auf die Begründung zum Regierungsentwurf stützen, daß die AfA den Wertverlust berücksichtigen soll, "den ein Gebäude insbesondere infolge Verschleißes und Alterns der Baustoffe und Bauteile seit seiner Erbauung erlitten hat" (Bundestags-Drucksache IV/1488 S. 70). Zu Unrecht folgert die Klägerin aus der Verwendung des Wörtchens "insbesondere", daß hier auch eine Wertminderung infolge verkürzter wirtschaftlicher Lebensdauer des Gebäudes berücksichtigt werden müsse. Die Klägerin übersieht, daß neben dem in der Begründung als Beispiele technischer Abnutzung angeführten Verschleißen und Altern der Baustoffe und Bauteile weitere bautechnische Umstände wie z. B. nichtbehebbare Baumängel und Bauschäden (vgl. § 87 Satz 1 BewG) die gewöhnliche Lebensdauer eines Gebäudes mindern können (vgl. Gürsching/Stenger, a. a. O. § 86 BewG, Anm. 14; Rössler/Troll/Langner, a. a. O., § 86 BewG, Erläuterung 4).
Im übrigen darf bei der Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des § 86 BewG nicht außer Betracht bleiben, daß das sogenannte Sachwertverfahren in den §§ 83 ff. BewG in Anlehnung an die schon früher in der Praxis angewendeten und von der Rechtsprechung gebilligten Grundsätze des sogenannten Weil'schen Verfahrens geregelt wurde (Bundestags-Drucksache IV/1488 S. 69 f.). Auch nach diesem Verfahren bemaß sich die Wertminderung wegen Alters nach der technischen Lebensdauer des Gebäudes (vgl. Runderlaß des Reichsministers der Finanzen - RdF - vom 23. Februar 1935 S 3231 A - 330 III, RStBl 1935, 350 f., 355 rechte Spalte). Daneben kannte das Weil'sche Verfahren (vgl. Runderlaß des RdF vom 23. Februar 1935 - a. a. O. - S. 356) - ähnlich wie § 88 Abs. 2 BewG auch - einen besonderen Abschlag u. a. wegen wirtschaftlicher Überalterung. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß der Gesetzgeber des Bewertungsgesetzes 1965 das Weil'sche Verfahren in diesem Punkt hätte ändern wollen.
d) Die Bemessung der gewöhnlichen Lebensdauer nach einer typisierten technischen Lebensdauer bei der Ermittlung des sogenannten Gebäudesachwerts und die Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte in besonderen Fällen erst bei der Berechnung des Gebäudewerts gemäß § 88 BewG entspricht dem Bedürfnis nach einer möglichst praktikablen Ausgestaltung des Sachwertverfahrens als eines Massenverfahrens. Der Senat hat in BFHE 112, 520, BStBl II 1974, 602, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - (Urteil vom 20. Dezember 1966 1 BvR 320/57, 70/63, BVerfGE 21, 12, 27) ausgeführt, daß Steuergesetze in der Regel an Massenvorgänge des Wirtschaftslebens anknüpfen und darum praktikabel sein müssen. Deshalb sei es gerechtfertigt, die Sachverhalte, an die Steuergesetze anknüpfen, zu typisieren und damit in weitem Umfang die Besonderheiten nicht nur des Einzelfalles, sondern ganzer Gruppen zu vernachlässigen. Die Typisierung dürfe sich allerdings nicht - wie der Senat weiter ausführte - dahin auswirken, daß ganze Gruppen von Steuerpflichtigen steuerlich wesentlich stärker belastet würden als andere und dadurch in eine empfindlich ungünstigere Wettbewerbslage gerieten. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist es nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber zur Bemessung der gewöhnlichen Lebensdauer von Gebäuden an allgemeine Erfahrungswerte angeknüpft hat. Ein Abstellen auf die individuelle Lebens- und Nutzungsdauer hätte die Steuerpflichtigen und die Finanzverwaltung vor kaum lösbare praktische Schwierigkeiten gestellt. Die Anwendung der Erfahrungswerte in Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr führt - wie auch die Klägerin einräumt - für die Mehrzahl der im Sachwertverfahren zu bewertenden Gebäude zu vertretbaren Ergebnissen. Dabei verkennt der Senat nicht, daß die Lebensdauer und der Umfang der jährlichen Wertminderung in Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr in einer sehr pauschalen Weise festgelegt sind. Der Senat hält dies jedoch insbesondere deshalb für vertretbar, weil Abschn. 41 Abs. 3 BewRGr in Fällen außerordentlicher nutzungsbedingter Beanspruchung eine von Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr abweichende Bemessung der gewöhnlichen Lebensdauer zuläßt und in besonderen Fällen die Möglichkeit einer zusätzlichen Wertminderung wegen Alters aus wirtschaftlichen Gründen besteht (§ 85 Satz 4 BewG).
e) Auch die sonstigen Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch. Es mag sein, daß es moderne Industriebauten gibt, bei deren Errichtung die Produktionsanlagen im Vordergrund stehen und das Gebäude nur die Funktion einer Umschließung der technischen Anlage hat. Gebäude dieser Art werden, wie die Klägerin selbst vorträgt, regelmäßig in leichter Bauweise (z. B. als Stahlfachwerkgebäude mit Plattenverkleidung) errichtet, so daß sich die kürzere Nutzungsdauer durch den Ansatz einer niedrigeren technischen Lebensdauer und damit einer höheren Wertminderung auswirkt. Handelt es sich jedoch, wie im Streitfall, bei derartigen Bauwerken um Massivgebäude oder Gebäude in Stahl- oder Stahlbetonskelettkonstruktion, so ist es nach dem System des Sachwertverfahrens nicht zulässig, eine möglicherweise kürzere betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer bei der Bemessung der technischen Lebensdauer (§ 86 BewG) zu berücksichtigen.
Zu Unrecht wendet sich die Klägerin gegen das Zahlenwerk in Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr. Wie der Senat in BFHE 123, 360, BStBl II 1978, 3 ausgeführt hat, geben diese Bewertungsrichtlinien einen technischen Erfahrungssachverhalt wieder, der nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins ohne weitere Sachverhaltsaufklärung auch von den FG zugrunde gelegt werden darf. Gegen diese Grundsätze hat das FG im Streitfall nicht verstoßen, wenn es hier von einer weiteren Beweiserhebung abgesehen und die von der Finanzverwaltung aufgestellten Erfahrungssätze für noch vertretbar angesehen hat. Im übrigen weicht die in Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr zugrunde gelegte Lebensdauer nur für einzelne Bauarten (bei den mehrgeschossigen Stahlskelettgebäuden, Stahlfachwerkgebäuden - Hallen - in schwerer und leichter Bauart) in größerem Ausmaß von der technischen Lebensdauer ab, wie sie in dem von der Klägerin vorgelegten Sachverständigengutachten ermittelt worden ist. Weil diese Abweichungen weitgehend auf einer von Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr abweichenden Gliederung der Bauarten beruhen und außerdem im wesentlichen nur mit der im modernen Fachschrifttum vertretenen Auffassung begründet wurde, ist die Entscheidung des FG nicht zu beanstanden. Soweit sich das Sachverständigengutachten auf Beobachtungen bei der Klägerin selbst bezieht, ist das Tatsachenmaterial nicht ausreichend, um das Zahlenwerk des Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr zu widerlegen (vgl. auch BFH-Urteil vom 23. November 1979 III R 78/77, BFHE 129, 197, BStBl II 1980, 92).
Schließlich darf nicht außer Betracht bleiben, daß die Erfahrungswerte in Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr keinesfalls höher, sondern zum Teil sogar niedriger als die Erfahrungssätze in den Richtlinien des Bundesministers der Finanzen (BdF) für die Wertermittlung von Grundstücken im Verkehr mit Bundesbehörden vom 16. April 1955 (Erlaß des BdF II D/4 - 06085 Allgem. 1/55, Bundesanzeiger - BAnz - Nr. 91 vom 12. Mai 1955, ergänzt im BAnz Nr. 144 vom 29. Juli 1955, Nr. 223 vom 20. November 1959, Nr. 143 vom 28. Juli 1960) und den sonstigen im Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 bei der Schätzung von Grundstückswerten anerkannten Erfahrungssätzen (vgl. Rössler/Langner, Schätzung und Ermittlung von Grundstückswerten, 2. Aufl., Anhang 15 S. 341) liegen. Dabei verkennt der Senat nicht, daß das Zahlenwerk des Abschn. 41 Abs. 2 BewRGr dem insbesondere seit Beginn der 60er Jahre eingetretenen Wandel in der Beurteilung der Funktion von Fabrikgebäuden, dem Umbruch in der allgemeinen technischen Entwicklung und insbesondere der veränderten Bautechnik immer weniger gerecht wird und die Ermittlung richtiger Steuerwerte für Fabrikgrundstücke im Sachwertverfahren nach dem für den Hauptfeststellungszeitpunkt maßgebenden Wertgefüge zunehmend fraglich erscheinen läßt. Diese Veränderungen allgemeiner Art lassen sich indes nicht bei einer Neufeststellung, sondern nur im Rahmen einer Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundvermögens berücksichtigen. Die Entwicklung der Verhältnisse hinsichtlich der im Sachwertverfahren maßgebenden Bewertungsfaktoren zeigt, daß ein Hauptfeststellungszeitraum nicht wesentlich über die gesetzlich vorgesehene Dauer von sechs Jahren (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 BewG) hinaus verlängert werden darf, ohne daß Wertverzerrungen auftreten, die die Frage eines Verstoßes gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung aufwerfen (vgl. Beschluß des Senats vom 12. Mai 1978 III R 18/76, BFHE 125, 188, BStBl II 1978, 446).
Der Hinweis der Klägerin auf die Änderung der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung des Verkehrswertes von Grundstücken (WertV) führt zu keiner anderen Beurteilung. Es trifft zwar zu, daß § 16 WertV i. d. F. vom 7. August 1961 (BGBl I 1961, 1183) lediglich eine technische Wertminderung des Herstellungswerts wegen Alters, Baumängel oder Bauschäden vorsah und sich die Wertminderung wegen Alters nach dem Alter und der "angenommenen Lebensdauer der baulichen Anlagen" bestimmte. Gemäß § 17 dieser WertV war jedoch bereits seinerzeit die Berücksichtigung sonstiger wertbeeinflussender Umstände vorgesehen. Demgegenüber regelt § 18 Wertv i. d. F. vom 15. August 1972 (BGBl I 1972, 1417) ausdrücklich die Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Wertminderung neben der technischen Wertminderung und setzt offenbar in § 17 Abs. 2 WertV die Begriffe Restlebensdauer und Restnutzungsdauer gleich. Aus der Änderung der Verordnung zu § 141 des Bundesbaugesetzes (BBauG) nach Inkrafttreten des Bewertungsgesetzes und nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 lassen sich jedoch für die Auslegung des § 86 BewG keine Schlüsse ziehen.
3. Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, daß im Streitfall die Voraussetzungen für eine Ermäßigung des Gebäudesachwerts gemäß § 88 BewG nicht vorliegen. Nach § 88 Abs. 2 BewG kann der Gebäudesachwert in besonderen Fällen u. a. ermäßigt werden, wenn ein Gebäude wegen wirtschaftlicher Überalterung in seinem Wert gemindert ist. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Senats in BFHE 123, 360, 362, BStBl II 1978, 3 und in BFHE 125, 290, 293, BStBl II 1978, 523 gegeben, wenn mit Rücksicht auf die bis zum Feststellungszeitpunkt eingetretene Entwicklung mit einiger Sicherheit angenommen werden kann, daß der Zeitraum der tatsächlichen Verwendung des gesamten Gebäudes gegenüber der gewöhnlichen Lebensdauer für jeden Eigentümer verkürzt ist und damit zu rechnen ist, daß das Gebäude aus wirtschaftlich zwingenden objektiven Gründen vorzeitig abgebrochen oder dem Verfall preisgegeben wird.
Im Streitfall hat die Klägerin bereits in ihrer Klageschrift geltend gemacht, daß einzelne Gebäude keinerlei wirtschaftlichen Wert mehr hätten und nur noch deshalb ständen, weil sie Versorgungsleitungen für andere Gebäude enthielten. Bei Anwendung der vorstehend dargelegten Rechtsprechung zu § 88 Abs. 2 BewG hätte das FG im einzelnen prüfen müssen, ob bei einzelnen Gebäuden eine Wertminderung wegen Überalterung zu gewähren ist. Dies dürfte jedenfalls bei denjenigen Gebäuden der Fall sein, die - wie die Klägerin allerdings erst im Revisionsverfahren behauptet hat - zwischenzeitlich abgebrochen worden sind oder die trotz Unbrauchbarkeit aus betriebstechnischen Gründen oder deshalb nicht abgebrochen sind, weil sie Versorgungsleitungen für andere Gebäude enthalten.
Die Vorentscheidung, die insoweit auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, ist aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 73572 |
BStBl II 1980, 561 |
BFHE 1980, 547 |