Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen durch den BFH
Leitsatz (NV)
1. Bezüglich der Prüfung von Sachurteilsvoraussetzungen ist der BFH als Revisionsgericht nicht an die tatsächlichen Feststellungen des FG gebunden. § 118 Abs. 2 FGO findet insoweit keine Anwendung. Der BFH hat - soweit erforderlich - eigene Tatsachenfeststellungen zu treffen und ist in der Würdigung des Sachverhaltes frei. Gegebenenfalls ist er sogar zur Durchführung einer Beweisaufnahme berufen.
2. Ob im Einzelfall ein bei einer Finanzbehörde angebrachter Schriftsatz als Einspruch oder als Sprungklage aufzufassen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei sind die zur Auslegung von Willenserklärungen entwickelten Rechtsgrundsätze entsprechend anzuwenden.
3. Das FA kann seine Zustimmung zu einer Sprungklage auch vor deren Zustellung rechtswirksam erklären.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 2, § 348 Abs. 1, § 355 Abs. 1, § 357 Abs. 2; BGB § 133; FGO § 45 Abs. 1, §§ 47, 64 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob die Kläger mit dem am 3. August 1981 beim FA angebrachten Schriftsatz Sprungklage oder Einspruch eingelegt haben. Der Schriftsatz hatte folgenden Wortlaut:
,,Betr.: StNr. . . . Eheleute . . .
Einspruch gegen die Gewerbesteuerbescheide 1976-1978
Antrag auf Zulassung einer Sprungklage
Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
Sehr geehrte Herren!
Im Namen und Auftrag meiner o. g. Mandanten erhebe ich gegen die Gewerbesteuerbescheide 1976-1978 vom 2. Juli 1981 Einspruch.
Zwecks Begründung stelle ich den Antrag, diese im Wege einer Sprungklage vorbringen zu dürfen.
Gleichzeitig stelle ich den Antrag (auf Aussetzung der Vollziehung).
Grußformel
gez. Unterschrift"
Das FA leitete den Schriftsatz als Sprungklage an das Finanzgericht (FG) weiter und stimmte der Sprungklage schon vor deren Zustellung zu. Die Kläger begründeten die Sprungklage trotz verschiedener Aufforderungen nicht. Das FG wies sie deshalb als unzulässig zurück.
Die Revision, die im wesentlichen auf die Rechtsauffassung gestützt wurde, die Kläger hätten in Wirklichkeit nur einen Einspruch eingelegt, blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
1. Nach den Feststellungen des FG haben die Kläger (nur) gegen die Gewerbesteuerbescheide 1976 bis 1978 des FA vom 2. Juli 1981 durch ihren damaligen Prozeßbevollmächtigten Sprungklage erheben lassen. Das FA hat der Sprungklage zugestimmt. Die Erhebung einer Klage vor dem FG ist Sachurteilsvoraussetzung für jedes FG-Urteil und damit für den Rechtsstreit in seiner Gesamtheit erheblich. Bezüglich der Prüfung von Sachurteilsvoraussetzungen ist der Bundesfinanzhof (BFH) als Revisionsgericht nicht an die tatsächlichen Feststellungen des FG gebunden (vgl. BFH-Beschluß vom 11. Dezember 1985 I R 31/84, BFHE 146, 196, BStBl II 1986, 474). § 118 Abs. 2 FGO findet insoweit keine Anwendung. Der BFH hat - soweit erforderlich - eigene Tatsachenfeststellungen zu treffen und ist in der Würdigung des Sachverhaltes frei.
Gegebenenfalls ist der BFH sogar zur Durchführung einer Beweisaufnahme berufen. Die Beteiligten können deshalb insoweit auch im Revisionsverfahren noch neue Tatsachen vorbringen. Entsprechend ist von einer Klageerhebung durch die Kläger nicht schon deshalb auszugehen, weil das FG eine solche festgestellt hat.
2. Unter Berücksichtigung des unstreitigen Vorbringens der Beteiligten und des Akteninhalts ist jedoch der Schriftsatz der Kläger vom 3. August 1981 als Sprungklage aufzufassen, ohne daß es insoweit einer Beweisaufnahme bedarf.
a) Gegen Steuerbescheide, die von einer Finanzbehörde i. S. des § 6 der Abgabenordnung (AO 1977) erlassen werden, ist gemäß § 348 Abs. 1 AO 1977 als Rechtsbehelf der Einspruch gegeben. Die Frist für die Einlegung des Einspruchs beträgt einen Monat (§ 355 Abs. 1 AO 1977). Der Einspruch muß bei der Finanzbehörde angebracht werden, deren Verwaltungsakt angefochten wird (§ 357 Abs. 2 AO 1977). Anstelle eines Einspruchs ist auch die Erhebung einer Anfechtungsklage ohne Vorverfahren (Sprungklage) gemäß § 45 Abs. 1 FGO zulässig, wenn die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, der Sprungklage innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift zustimmt. Auch die Erhebung der Sprungklage ist fristgebunden. Die Frist beträgt einen Monat (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Sprungklage ist gemäß § 64 Abs. 1 FGO bei dem zuständigen Gericht zu erheben. Gemäß § 47 Abs. 2 FGO gilt die Frist für die Erhebung der Klage als gewahrt, wenn sie bei der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, fristgerecht angebracht wird. Ob im Einzelfall ein bei einer Finanzbehörde angebrachter Schriftsatz als Einspruch oder als Sprungklage aufzufassen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei sind die zur Auslegung von Willenserklärungen entwickelten Rechtsgrundsätze entsprechend anzuwenden (vgl. BFH-Urteil vom 6. Februar 1979 VII R 82/78, BFHE 127, 135, BStBl II 1979, 374). Es ist daher analog § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks einer bestimmten Parteierklärung zu haften, sondern es ist der in der Erklärung verkörperte Wille anhand aller erkennbaren Umstände zu ermitteln (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 17. Oktober 1973 IV ZR 68/73, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1974, 268). Dabei muß ggf. auch auf Umstände zurückgegriffen werden, die außerhalb der auszulegenden Erklärung liegen, jedoch einen Rückschluß auf den erklärten Willen erlauben.
b) Im Streitfall läßt der bloße Wortlaut des Schriftsatzes vom 3. August 1981 für sich genommen keine abschließende Beurteilung über den in ihm bekundeten Willen zu, weil die Kläger einerseits ,,Einspruch" einlegten und andererseits den Antrag stellten, die Begründung im Wege der Sprungklage vorbringen zu dürfen. Beide Verfahren schließen sich wechselseitig aus. Eine Sprungklage kann nicht neben einem Einspruch erhoben werden und umgekehrt.
c) Jedoch spricht schon die Interessenlage der Kläger aus der Sicht des 3. August 1981 für die Annahme einer Sprungklage. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß die angefochtenen Bescheide vom 2. Juli 1981 datierten und gemäß § 122 Abs. 2 AO 1977 am 5. Juli 1981 als bekanntgegeben galten. Die Frist für die Einlegung des Einspruchs einerseits und die für die Erhebung der Sprungklage andererseits liefen jeweils am 5. August 1981 ab. Das maßgebliche Schreiben datierte jedoch schon vom 3. August 1981. Es wurde also kurz vor Ablauf der Rechtsbehelfsfristen abgefaßt und abgesandt. Bei dieser Sachlage konnte der Verfasser des Schreibens schon aus Zeitgründen nicht damit rechnen, daß ihm das FA die Zustimmung zur Sprungklage bis zum 5. August 1981 erteilen werde und er dann noch Gelegenheit haben werde, die in Aussicht genommene Sprungklage fristgerecht zu erheben. Der Zeitablauf und die sich daraus ergebende Interessenlage der Kläger sprechen vielmehr dafür, daß der Verfasser des Schreibens vom 3. August 1981 mit demselben alle zur Wahrung der Rechtsbehelfsfrist erforderlichen Erklärungen abgeben und eine Sprungklage gemäß §§ 45 und 47 Abs. 2 FGO beim FA anbringen wollte.
d) Für die Absicht des damaligen Bevollmächtigten der Kläger, mit dem Schreiben vom 3. August 1981 Sprungklage erheben zu wollen, sprechen ferner das vom Kläger persönlich verfaßte und an den ,,Leiter des Finanzamtes . . ." gerichtete Schreiben vom 14. September 1981 sowie der Aktenvermerk des Außenprüfers Schulze vom 17. September 1981. Danach war die Bitte der Kläger, die Zustimmung zur Sprungklage zu erteilen, schon Gegenstand der Schlußbesprechung. Dem Steuerberater und dem Kläger wurde mündlich mitgeteilt, daß das FA einer Sprungklage zustimmen werde. Bei dieser Sachlage bestand für den damaligen Bevollmächtigten der Kläger am 3. August 1981 keine Veranlassung, an das FA noch ein ,,Sondierungsschreiben" zu richten. Da die Zustimmung mündlich gegenüber den Klägern und deren Bevollmächtigten schon erklärt war, bedurfte es keiner wiederholenden Erklärung, zumal die Zustimmung rechtswirksam nur gegenüber dem FG erklärt werden kann. Damit spricht der Sachzusammenhang zwischen den bei und nach der Schlußbesprechung geführten Gesprächen und dem Schriftsatz vom 3. August 1981 dafür, letzteren als die Durchführung der bereits erklärten Absicht zu verstehen, Sprungklage erheben zu wollen.
e) Für eine entsprechende Auslegung des Schreibens vom 3. August 1981 spricht ferner das Verhalten des damaligen Bevollmächtigten der Kläger nach dem 3. August 1981. So hat das FA den Bevollmächtigten am 28. August 1981 von der gegenüber dem FG erklärten Zustimmung informiert. Außerdem hat das FG am 2. September 1981 dem Bevollmächtigten der Kläger den Eingang der ,,Klage" vom 3. August 1981 bestätigt und ihn aufgefordert, die zur Begründung dienenden Tatsachen und die bekannten Beweismittel anzugeben, einen bestimmten Klageantrag zu stellen und seine Prozeßvollmacht einzureichen. Der Bevollmächtigte hat dieses Schreiben des FG und dessen Erinnerung vom 10. November 1981 am 24. Dezember 1981 beantwortet und die angeforderte Vollmacht vorgelegt. Dabei beantragte er eine weitere Fristverlängerung für die Vorlage der Klagebegründung bis Ende Januar 1982. Ein solcher Antrag wäre überflüssig und widersinnig gewesen, wenn der Bevollmächtigte der Auffassung gewesen sein sollte, keine Sprungklage erhoben zu haben. Der Bevollmächtigte hat auch ein Empfangsbekenntnis über den Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung abgegeben und ist damit als eine Person aufgetreten, die gegen die Behandlung des Schriftsatzes vom 3. August 1981 keine Einwendungen zu erheben gedenkt.
f) Entsprechendes ergibt sich aus dem vom Kläger persönlich abgefaßten Schreiben vom 3. Dezember 1981 an den Senator für Finanzen. Dort heißt es, ,,das Amt habe dem Antrag auf Sprungklage stattgegeben". Damit gab der Kläger seine eigene Vorstellung wieder, daß das Schreiben seines Bevollmächtigten vom 3. August 1981, das allein als Klage in Betracht gezogen werden kann, eine Sprungklage beinhaltete. Der Senator für Finanzen wies den Kläger in seinem Antwortschreiben vom 19. April 1982 auf den bereits anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem FG und damit auf die zu erwartende gerichtliche Klärung hin. Dennoch ließen weder der Kläger noch dessen Berater bis zum Abschluß der mündlichen Verhandlung auch nur mit einem Wort erkennen, daß der Schriftsatz vom 3. August 1981 angeblich nicht als Sprungklage zu verstehen gewesen sein sollte. Dies kann nur dahin verstanden werden, daß die Behandlung des Schriftsatzes durch das FG den Vorstellungen des Klägers entsprach.
g) Soweit die Kläger demgegenüber erst mit Schriftsatz vom 27. Januar 1983 unter Beweisantritt vortragen lassen, sie hätten zunächst versuchen wollen, über den Senator für Finanzen Einfluß auf die Entscheidung des FA zu nehmen, um erst dann, wenn der Versuch fehlgeschlagen sei, Sprungklage zu erheben, sieht der erkennende Senat im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht keine Veranlassung, dem Vorbringen weiter nachzugehen, weil es in sich unschlüssig ist. Der Kläger wandte sich erst am 3. Dezember 1981 an den Senator für Finanzen. Die Frist für die Erhebung der Sprungklage wäre jedoch schon am 5. August 1981 abgelaufen. Der Zeitablauf belegt, daß die Kläger die Absicht, sich an den Senator für Finanzen zu wenden, erst längere Zeit nach dem 3. August 1981 faßten. Diese Absicht kann deshalb die Wahl des Rechtsbehelfs nicht beeinflußt haben.
h) Damit ist zusammenfassend festzustellen, daß alle objektiv erkennbaren Umstände für die Absicht der Kläger sprechen, mit dem Schriftsatz vom 3. August 1981 eine Sprungklage erheben zu wollen. Deshalb ist von einer solchen auszugehen.
3. a) Die am 3. August 1981 beim FA angebrachte Sprungklage ist nicht gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 FGO als Einspruch zu behandeln, weil das FA ihr nicht wirksam zugestimmt hätte. Vielmehr ist die am 27. August 1981 vom FA erklärte Zustimmung rechtswirksam. Dazu ist davon auszugehen, daß auch die wirksame Zustimmung zur Sprungklage Sachurteilsvoraussetzung ist, weil sie die Existenz einer wirksam erhobenen Klage berührt. Auch insoweit ist der erkennende Senat an die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht gebunden.
b) Nach dem unstreitigen Sachverhalt hat das FA seine Zustimmung zur Sprungklage zusammen mit derselben dem FG übersandt. Die Sprungklage wurde zwar später noch gegenüber dem FA zugestellt. Nach Zustellung gab das FA jedoch keine weitere Zustimmungserklärung mehr ab. Indes war auch die vor Zustellung der Sprungklage abgegebene Zustimmungserklärung rechtswirksam. Die Zeitbestimmung in § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO - Zustimmung innerhalb eines Monats ,,nach" Zustellung der Klageschrift - soll nur das Fristende festlegen, damit nach einer bestimmten Zeit feststeht, ob eine Klage oder ein Einspruch gegeben ist (vgl. BFH-Urteil vom 19. August 1969 VI R 261/67, BFHE 96, 458, BStBl II 1970, 11; BFH-Beschluß vom 28. August 1973 VII B 39/72, BFHE 110, 179, BStBl II 1973, 852). Für diese Auslegung spricht auch der Rechtsgedanke des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes, der es gebietet, den Rechtsweg nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1975 2 BvR 630/73, HFR 1976, 70, BStBl II 1976, 271). Soweit in der Vergangenheit einzelne FG (vgl. Beschluß des FG München vom 14. Mai 1969 I 210/67, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1969, 411; Beschluß des FG Nürnberg vom 24. September 1969 II 28/67, EFG 1969, 608) zu dieser Rechtsfrage eine andere Auffassung vertreten haben, folgt ihr der erkennende Senat nicht.
4. Das FG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Sie war gemäß § 40 Abs. 2 FGO nicht zulässig. Die Kläger haben bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht dargelegt, weshalb sie sich durch die angefochtenen Steuerbescheide in ihren Rechten verletzt fühlen. Damit fehlte es an einer Sachurteilsvoraussetzung. Das Fehlen einer Sachurteilsvoraussetzung führt zur Unzulässigkeit der Klage.
Fundstellen
Haufe-Index 414661 |
BFH/NV 1987, 178 |