Leitsatz (amtlich)
Zur Weinart A II i. S. der VO Nr. 945/70 gehören auch Verschnitte aus Tafelweinen von Rebsorten der Arten Sylvaner oder Müller-Thurgau mit Weinen von anderen Rebsorten, wenn der Anteil der Beimischung 25 v. H. nicht übersteigt.
Normenkette
EWGV 945/70 Art. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führte in der Zeit vom 3. bis 15. Oktober 1975 Wein nach Kanada aus. Es handelte sich um Verschnitt aus Wein der Rebsorten Müller-Thurgau und Sylvaner aus Deutschland mit italienischen bzw. französischen Weinen. Die Klägerin beantragte Währungsausgleich aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 2021/75 (VO Nr. 2021/75) der Kommission vom 31. Juli 1975 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 205/1 vom 4. August 1975), in deren Anhang I Teil 6 für „Tafelwein der Art A II und A III im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 945/70” bei der Ausfuhr aus Deutschland Währungsausgleichsbeträge in Höhe von 15,07 DM/hl gewährt wurden. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt – HZA –) lehnte die Zahlung der Währungsausgleichsbeträge mit Bescheiden vom 28. November, 1. Dezember und 10. Dezember 1975 unter Hinweis auf die VO Nr. 2448/75 der Kommission vom 25. September 1975 (ABlEG Nr. L 250/29 vom 26. September 1975) ab; nach Art. 1 dieser Verordnung war die Anwendung der Währungsausgleichsbeträge im Weinsektor mit Wirkung vom 29. September 1975 in Deutschland ausgesetzt worden, wobei von dieser Aussetzung u. a. nicht betroffen war „Tafelwein der Weinart A II und A III gemäß Verordnung (EWG) Nr. 945/70”. Der Ablehnungsbescheid vom 28. November 1975 betraf Weinverschnitte aus ca. 70 v. H. deutschen Weins der Sorten Müller-Thurgau und Sylvaner und aus ca. 30 v. H. französischen Weins der Rebsorte Cépage Chenin; die beiden anderen Ablehnungsbescheide bezogen sich auf Weinverschnitte, die zwischen 98,7 und 99,9 v. H. deutschen Weins der Sorten Müller-Thurgau und Sylvaner und zwischen 0,1 und 1,3 v. H. italienischen bzw. französischen Weins enthielten.
Die Klage hatte im wesentlichen Erfolg. Das Finanzgericht Hamburg (FG) verurteilte in der angefochtenen Entscheidung des HZA, die von der Klägerin geforderten Währungsausgleichsbeträge zu zahlen; es versagte lediglich einen Teil des geltend gemachten Zinsanspruchs (Urteil vom 25. August 1977 (IV 55/76 H)/(IV 73/76 H), Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 29–30 – EFG 1978, 29–30 –).
Auf das Vorabentscheidungsersuchen des erkennenden Senats vom 28. Februar 1978 (BFHE 124, 407) entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EGH) mit Urteil vom 30. November 1978 Rs. 88/78 wie folgt:
„1. Art. 2 VO Nr. 945/70 des Rates ist für die Zwecke der Gewährung von Währungsausgleichsbeträgen gem. der VO Nr. 2448/75 der Kommission in dem Sinne auszulegen, daß die aus dem Verschnitt von Tafelweinen der Weinart A II und A I stammenden Weine wahrend des in Frage stehenden Zeitraums zur Weinart A II gehörten, soweit der Verschnitt nach den innerstaatlichen Bestimmungen zulässig war.
2. Art. 6 VO Nr. 1380/75 der Kommission und Art. 8 VO Nr. 192/75 der Kommission sind in dem Sinne auszulegen, daß für einen Verschnittwein, der nicht die Voraussetzungen dafür erfüllt, insgesamt als Tafelwein der Weinart A II angesehen zu werden, bei der Ausfuhr in ein Drittland keine anteiligen Währungsausgleichsbeträge für die in ihm enthaltene Menge Wein der Weinart A II gewährt werden können.
3. Die Prüfung der gestellten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der VO Nr. 2448/75 der Kommission beeinträchtigen könnte.”
Das HZA hat in Anwendung der Vorabentscheidung des EGH und unter Berücksichtigung der in § 8 Abs. 1 der Verordnung über Wein, Likörwein und weinhaltige Getränke (Wein-Verordnung) vom 15. Juli 1971 (BGBl I 1971, 926) i.d.F. der Änderungsverordnung (ÄndVO) vom 30. März 1973 (BGBl I 1973, 246) enthaltenen und für anwendbar erklärten Beimischungsgrenze von 25 v. H. der Verschnitts die angefochtenen Ablehnungsbescheide vom 1. und 10. Dezember 1975 aufgehoben und der Klägerin die begehrten Währungsausgleichsbeträge für Wein der Weinart A II nebst den von der Klägerin begehrten Zinsen gezahlt. Beide Parteien haben insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Bezüglich der Ausfuhren, die Gegenstand des Ablehnungsbescheides vom 28. November 1975 waren, beantragt das HZA jedoch nach wie vor, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt, soweit die Hauptsache nicht erledigt ist, zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Nach Anhang I Teil 6 VO Nr. 2021/75 hat das HZA den von der Klägerin geforderten Währungsausgleichsbetrag für die von dieser ausgeführten Weine zu zahlen, falls diese „Tafelwein der Art A II und A III i. S. der VO (EWG) 945/70” sind. Denn die Aussetzung der Gewährung von Währungsausgleichsbeträgen bei der Ausfuhr von Wein aus Deutschland gilt nach Art. 1 VO 2448/75 nicht für „Tafelwein der Weinart A II und A III gem. VO Nr. 945/70”. Nach Art. 2 Buchs. b VO Nr. 945/70 des Rates vom 26. Mai 1970 (ABLEG Nr. L 114/1 vom 27. Mai 1970) wird als Weinart A II „weißer Tafelwein von Rebsorten der Arten Sylvaner oder Müller-Thurgau” bezeichnet. Die Weinart A III ist „weißer Tafelwein von Rebsorten der Art Riesling” (Art. 2 Buchst. c VO 945/70). Zur Weinart A I gehört anderer weißer Tafelwein mit einem Alkoholgehalt von mindestens 10 Grad und höchstens 12 Grad (Art. 2 Buchst. a VO Nr. 945/70).
In dem noch streitigen Fall des Ablehnungsbescheides vom 28. November 1975 handelte es sich nach den Feststellungen des FG um die Ausfuhr von Verschnittwein, der zu ca. 70 v. H. aus deutschem Tafelwein der Rebsorten Müller-Thurgau und Sylvaner und zu ca. 30 v. H. aus französischem Tafelwein der Rebsorte Cépage Chenin bestand. Dieser Wein ist nach der Vorabentscheidung des EGH in dieser Sache nicht als ein solcher der Weinart A II oder A III anzusehen, so daß er unter die Weinart A I fällt und damit nach der VO Nr. 2448/75 für ihn bei der Ausfuhr aus Deutschland Währungsausgleichsbeträge nicht zu zahlen waren.
Das Urteil des EGH bedarf freilich der Auslegung. Der EGH hatte über die Frage zu entscheiden, wie bestimmte Begriffe der VO Nr. 945/70 auszulegen sind. Es handelte sich um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht. Dieses ist grundsätzlich aus sich selbst heraus auszulegen; seine Begriffe unterliegen nicht der Disposition des nationalen Gesetzgebers. Es ist aber möglich, gemeinschaftsrechtliche Begriffe im Wege der rechtsvergleichenden Auslegung unter Zuhilfenahme einzelstaatlichen Rechts auszulegen (vgl. Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aus der Sicht eines Richters, Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg 1976, S. 23 ff.). Aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe der Vorabentscheidung ergibt sich, daß der EGH das getan hat.
Der EGH hat zunächst entschieden, daß die in Art. 2 VO Nr. 945/70 getroffene Begriffsbestimmung von Tafelweinen von den Eigenarten der Preisbildung auf den verschiedenen Märkten ausgeht und daher für die Abgrenzung der einzelnen Arten voneinander Bestimmungen des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) nicht herangezogen werden können (Abs. 4 der Urteilsgründe). Ferner hat er erkannt, daß es unter dem Gesichtspunkt der Preisbildung marktkonform ist, in gewissen Grenzen zuzulassen, daß die Weine der Weinart A II nicht ausschließlich von einer einzigen Rebsorte stammen (Abs. 5 der Urteilsgründe). Damit hat der EGH entschieden, daß auch Verschnitte zwischen Weinen der Weinart A II und anderen Weinen „in gewissen Grenzen” unter den gemeinschaftsrechtlichen Begriff der VO Nr. 945/70 „Weinart A II” fallen. Der EGH stand dabei jedoch vor der Situation, daß diese Grenzen zum damaligen Zeitpunkt gemeinschaftsrechtlich nicht festgelegt waren. Er hat daher im Wege der rechtsvergleichenden Auslegung den gemeinschaftsrechtlichen Maßstab für diese Abgrenzung aus dem Recht der deutschen Wein-Verordnung entnommen. Trotz der mißverständlichen Formulierung in Abs. 6 Satz 1 der Urteilsgründe ergibt sich dies deutlich aus Satz 2 a. a. O., wo es heißt: „Daher können hier die Bestimmungen der §§ 8 und 10 der deutschen Wein-Verordnung vom 15. Juli 1971, die eine Beimischung bis zu 25 v. H. des Verschnitts zulassen, berücksichtigt werden.” Auch Nr. 1 des Tenors der Vorabentscheidung deutet darauf hin, daß der EGH nicht schlicht einzelstaatliches Recht für anwendbar erklärt hat, sondern Art. 2 VO Nr. 945/70 ausgelegt und dabei hilfsweise die einzelstaatlichen Bestimmungen – gewissermaßen rechtsvergleichend – herangezogen hat.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die Rügen der Klägerin hinsichtlich der Anwendung der Vorabentscheidung nicht begründet sind. Es ist zwar richtig, daß die §§ 8, 10 der Wein-Verordnung nichts über die Zulässigkeit eines Verschnitts aussagen, sondern lediglich die Frage der Kennzeichnung des Weines betreffen, und daß der hier vorliegende Verschnitt nach § 3 WeinG (BGBl I 1971, 893) der dafür die Rechtsgrundlage bildet, nicht untersagt ist. Nach der Vorabentscheidung ist aber nicht zweifelhaft, daß der EGH Art. 2 VO Nr. 945/70 dahin ausgelegt hat, daß Weinverschnitte nur dann zur Weinart A II gehören, wenn der Anteil der Beimischung 25 v. H. der Verschnitte nicht übersteigt.
Die Heranziehung der Kennzeichnungsregelung der §§ 8, 10 der Wein-Verordnung im vorliegenden Zusammenhang erscheint auch sinnvoll. Diese Bestimmungen regeln die Frage, von welchem Beimischungsverhältnis ab der Wein einer gewissen Rebsorte gewissermaßen seine Identität verliert, d. h. zur Verhinderung einer Irreführung des Verbrauchers nicht mehr als solcher dieser Rebsorte bezeichnet werden darf. Das Abstellen auf dieses Kriterium entspricht dem Sinn und Zweck des Art. 2 VO Nr. 945/70. Denn die Eigenart der Weinarten A II und A III liegt gerade darin, daß sie Weine der Rebsorten der Arten Sylvaner, Müller-Thurgau oder Riesling sind. Es ist gerechtfertigt, einen Wein nicht mehr als einen solchen dieser Eigenart anzusehen, wenn ihm soviel Wein anderer Rebsorten beigemischt worden ist, daß sich seine ursprüngliche Eigenart wesentlich verändert und er daher nicht mehr als Wein der genannten Rebsorten bezeichnet werden darf.
Fundstellen
Haufe-Index 510622 |
BFHE 1979, 280 |