Leitsatz (amtlich)
Durch eine Betriebsprüfung bei einer GmbH wird die Verjährung der Einkommensteuer des Gesellschafters - auch des Alleingesellschafters - nicht gehemmt, auch soweit die Einkommensteuer auf einer verdeckten Gewinnausschüttung beruht.
Normenkette
AO § 146a Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war bis zum 31. Dezember 1972 Alleingesellschafter einer GmbH, bei der im November 1972 eine Betriebsprüfung stattfand. Laut Prüfungsanordnungen vom 18. Oktober 1972 und 13. November 1972 sollte sich die Betriebsprüfung auf die Körperschaftsteuer, Vermögensteuer, Gewerbesteuer und Kapitalertragsteuer der GmbH betreffend die Kalenderjahre 1967 bis 1971 erstrecken. Der Prüfer stellte fest, daß der Kläger im Jahr 1967 von der GmbH Darlehen erhalten hatte, die als verdeckte Gewinnausschüttungen an den Kläger angesehen und bei ihm als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfaßt werden müßten. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte dieser Auffassung und berichtigte mit Sammelbescheid vom 6. März 1974 die Einkommensteuer 1967 bis 1970.
Die gegen die berichtigten Einkommensteuerbescheide mit Zustimmung des FA erhobene Sprungklage wies das Finanzgericht (FG) hinsichtlich der Streitjahre 1968 bis 1970 als unbegründet ab. Hinsichtlich des Jahres 1967 hielt es dagegen die Klage für begründet, weil der Einkommensteueranspruch 1967 mit Ablauf des 31. Dezember 1973 verjährt sei. Entgegen der Auffassung des FA sei die Verjährung nicht durch die Betriebsprüfung bei der GmbH gemäß § 146 a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) gehemmt worden, weil der Kläger im Verhältnis zur GmbH eine dritte Person sei.
Mit seiner auf das Streitjahr 1967 beschränkten Revision rügt das FA die Verletzung des § 146 a Abs. 3 AO und macht im wesentlichen geltend: Die Verjährung sei gehemmt worden, weil sich die Betriebsprüfung auch auf die steuerlichen Verhältnisse des Klägers erstreckt habe, soweit diese mit der GmbH im Zusammenhang standen. Als Dritter könne der Kläger schon deshalb nicht angesehen werden, weil er während der Prüfung Auskünfte erteilt und an der Schlußbesprechung teilgenommen habe. Zudem sei die Betriebsprüfung auch beim Kläger selbst durchgeführt worden. Auch für seine Person hätten die Voraussetzungen für die Durchführung einer Betriebsprüfung nach § 193 Abs. 1 AO vorgelegen, weil er nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. Oktober 1975 VII R 131/73 (BFHE 117, 201, BStBl II 1976, 233) als Unternehmer anzusehen sei. Das Fehlen einer Prüfungsanordnung gegenüber dem Kläger schade nicht, da es nach dem Urteil des BFH vom 10. Dezember 1971 III R 35/71 (BFHE 104, 282, BStBl II 1972, 331) nicht darauf ankomme, was angeordnet sei, sondern worauf die Prüfung sich tatsächlich erstreckt habe.
Selbst wenn man aber davon ausgehe, daß beim Kläger keine Betriebsprüfung stattgefunden habe, sei die Verjährung gehemmt worden, weil dann im Rahmen der Betriebsprüfung bei der GmbH die Verhältnisse eines Arbeitnehmers des geprüften Betriebs aufgeklärt worden seien (§ 193 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Kläger sei als Geschäftsführer in einem Arbeitsverhältnis bei der GmbH tätig gewesen. Da er zudem Gesellschafter gewesen sei, habe das FA alle Einkünfte des Klägers prüfen dürfen, die mit der GmbH in Verbindung standen. Dem vom FA aus § 162 Abs. 10 AO abgeleiteten Umkehrschluß, daß bei Dritten die Überprüfung von Verhältnissen über ihre Arbeitnehmertätigkeit hinaus nicht zulässig sei, könne nicht gefolgt werden, weil er sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergebe.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben, soweit es den Veranlagungszeitraum 1967 betrifft, und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat zu Recht angenommen, daß der Einkommensteueranspruch für das Jahr 1967, soweit ihn das FA mit dem nach § 222 AO berichtigten Einkommensteuerscheid vom 6. März 1974 geltend gemacht hat, im Zeitpunkt der Berichtigungsveranlagung bereits verjährt war.
1. Da der Kläger die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1967 nach den Feststellungen des FG im Juni 1968 abgegeben hatte, begann die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 1968 (§ 145 Abs. 2 Satz 1 AO) und endete am 31. Dezember 1973 (§ 144 Abs. 1 Satz 1 AO).
2. Der Ablauf der Verjährungsfrist wurde nicht gemäß § 146 a Abs. 3 AO gehemmt.
Nach § 146 a Abs. 3 AO verjähren die Ansprüche, auf die sich eine Betriebsprüfung erstreckt, nicht, bevor die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Bescheide unanfechtbar geworden sind. Betriebsprüfungen im Sinne des § 146 a Abs. 3 AO sind Maßnahmen der Finanzbehörden, die ihre Rechtsgrundlage in den §§ 162 Abs. 10 und 11, 193 bis 195 AO finden (vgl. BFH-Urteile vom 18. Mai 1977 I R 36/75, BFHE 122, 248 BStBl II 1977, 652, und vom 12. Juli 1978 II R 13/75, BFHE 126, 121) wobei der Begriff der Betriebsprüfung eine besondere Maßnahme der Verwaltung voraussetzt, die für den Steuerpflichtigen als Betriebsprüfung erkennbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juni 1975 VII R 46/72, BFHE 116, 95, BStBl II 1975, 786) oder die geeignet ist, sein Vertrauen in den Ablauf der Verjährungsfrist zu zerstören (vgl. BFH-Urteil vom 21. Februar 1978 VII R 117/74, BFHE 124, 416, BStBl II 1978, 360).
a) Bei Anwendung dieser Grundsätze kann im Streitfall von einer Betriebsprüfung beim Kläger selbst nicht gesprochen werden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger, wie das FA unter Hinweis auf das BFH-Urteil VII R 131/73 meint, als Unternehmer im Sinne des § 193 Abs. 1 AO anzusehen ist; denn das FA hat eine Prüfungsmaßnahme beim Kläger weder angekündigt noch durchgeführt. Die Prüfungsanordnungen vom 18. Oktober 1972 und 13. November 1972 waren eindeutig nur gegen die GmbH gerichtet. Daran ändert nichts daß sie sich auch auf die Kapitalertragsteuer erstreckten. Die Kapitalertragsteuer ist zwar eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer des Gläubigers der Kapitalerträge durch den Schuldner (vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 1970 I R 97/66, BFHE 98, 482, BStBl II 1970, 464). Mit der Prüfung der Kapitalertragsteuer beim Schuldner der Kapitalerträge hat das FA aber lediglich festzustellen, ob dieser die Kapitalertragsteuer ordnungsgemäß einbehalten und abgeführt hat (vgl. § 11 der Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung); nicht dagegen hat es die einkommensteuerlichen Verhältnisse des Gläubigers zu überprüfen. Tatsächlich hat der Prüfer auch nicht die Verhältnisse beim Kläger überprüft, sondern lediglich die Auswirkungen der bei der GmbH festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen auf die Einkommensteuer des Klägers im Betriebsprüfungsbericht dargestellt (vgl. zu der Frage, welche Steuern mitgeprüft sind, auch BFH-Urteil II R 13/75).
Aus diesem Grund kann sich das FA auch nicht auf das BFH-Urteil III R 35/71 berufen. Dort wurde entschieden, daß im Falle der Überschreitung des Prüfungsauftrags durch den Prüfer für den Umfang der Ablaufhemmung der Verjährung entscheidend sei, worauf sich die Betriebsprüfung tatsächlich erstreckt habe. Bei dieser Entscheidung stand aber außer Zweifel, daß gegen den dortigen Kläger eine Prüfung angeordnet und auch durchgeführt worden war.
b) Die bei der GmbH durchgeführte Betriebsprüfung hat auch nicht dazu geführt daß die Verjährung des Einkommensteueranspruchs gegen den Kläger gehemmt wurde.
Die GmbH war im Verhältnis zum Kläger eine dritte Person (§ 13 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). Nach dem Rechtsschutzgedanken der Verjährungsbestimmungen können Prüfungen, die bei Dritten durchgeführt werden, dem Steuerpflichtigen gegenüber den Ablauf der Verjährung nicht hemmen (vgl. BFH-Urteil I R 36/75 mit weiteren Nachweisen). Das gilt auch für Einkommensteueransprüche aus Kapitalvermögen gegenüber dem Alleingesellschafter einer GmbH, wenn die Betriebsprüfung bei der GmbH durchgeführt wird und der Gesellschafter von der Prüfung Kenntnis hat (vgl. rechtskräftigen Beschluß des FG Düsseldorf vom 14. Juni 1973 X 272/72 A, Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 84; Tipke-Kruse, Reichabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., 1965/75, § 146 a AO Anm. 4; im Ergebnis - jedoch mit anderer Begründung - auch BFH-Urteil vom 12. Dezember 1972 VIII R 65/68 BFHE 109, 100, BStBl II 1973, 570, zur Verjährungsunterbrechung gemäß § 147 AO a. F.).
c) Auch unter dem Gesichtspunkt, daß der Kläger als Geschäftsführer Arbeitnehmer der geprüften GmbH war, ist eine andere Beurteilung nicht geboten.
Zwar ist gemäß § 162 Abs. 10 Satz 2 AO die Prüfung und entsprechend gemäß § 193 Abs. 1 Satz 2 AO die Nachschau auch zum Zweck der Aufklärung der Verhältnisse der Arbeitnehmer des Unternehmers zulässig; das kann aber allenfalls zu einer Ablaufhemmung der aus dem Arbeitsverhältnis herrührenden Steueransprüche führen, nicht dagegen zur Hemmung der Verjährung des gesamten Einkommensteueranspruchs (vgl. BFH-Urteile VIII R 65/68 und I R 36/75). Da die Kapitaleinkünfte, die dem Kläger aufgrund der bei der GmbH festgestellten verdeckten Gewinnausschüttung zugerechnet werden sollten, ihren Ursprung im Gesellschaftsverhältnis nicht aber im Arbeitsverhältnis hatten, kann insoweit eine Verjährungshemmung nach § 146 a Abs. 3 AO nicht eingetreten sein.
Fundstellen
Haufe-Index 73261 |
BStBl II 1979, 744 |
BFHE 1979, 139 |