Entscheidungsstichwort (Thema)
(Ehegatten-Veranlagungswahlrecht bei Erlaß eines Einkommensteueränderungsbescheids - mündliche Bekanntgabe eines Aufhebungsbescheids zu Protokoll des FG - Auslegung der Begriffe "Änderung" oder "Ersetzung" i.S. des § 68 FGO - Anwendbarkeit des § 68 FGO bei Verpflichtungsklage)
Leitsatz (amtlich)
1. Ehegatten können ihr Veranlagungswahlrecht bei Erlaß eines Einkommensteueränderungsbescheids erneut ausüben. Die erneute Wahl wird allerdings gegenstandslos, wenn der Änderungsbescheid wieder aufgehoben wird.
2. Ein Verwaltungsakt, der einen Einkommensteueränderungsbescheid aufhebt, kann auch durch Erklärung zu Protokoll des FG erlassen werden (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 11.Januar 1991 III R 104/87, BFHE 163, 295, BStBl II 1991, 501).
Orientierungssatz
1. Die Begriffe "Änderung" oder "Ersetzung" i.S. des § 68 FGO sind weit auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 24.7.1984 VII R 122/80). Sie sind daher insbesondere auch auf einen Aufhebungsbescheid nach § 172 AO 1977 anwendbar (vgl. Literatur).
2. Im Falle eines Verpflichtungsbegehrens in Gestalt einer Vornahmeklage, das notwendigerweise auch ein Anfechtungsbegehren beinhaltet, gebieten Normzweck und Interessenlage, die Vorschrift des § 68 FGO auf die lückenhafte Regelung der Verpflichtungsklage zu übertragen (vgl. BFH-Rechtsprechung; Literatur).
Normenkette
AO 1977 § 157 Abs. 1, § 172 Abs. 1; EStG § 26 Abs. 1 S. 1; FGO § 68
Verfahrensgang
FG Münster (Entscheidung vom 13.12.1988; Aktenzeichen VI 4092/85 E) |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihr im Jahre 1981 verstorbener Ehemann wurden für das Streitjahr 1973 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Nach bestandskräftiger Festsetzung der Einkommensteuer durch Bescheid vom 11.April 1984 wurde dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ―FA―) bekannt, daß der verstorbene Ehemann der Klägerin im Jahre 1973 eine Spende an die Staatsbürgerliche Vereinigung e.V. geleistet hatte, die nach den Feststellungen der Steuerfahndungsstelle Sankt Augustin die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 10b des Einkommensteuergesetzes ―EStG― (in der für das Streitjahr geltenden Fassung) nicht erfüllte. Das FA änderte deshalb den Einkommensteuerbescheid 1973 nach § 173 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977). Mit dem dagegen gerichteten Einspruch beantragte die Klägerin die Durchführung einer für sie zu einer Steuererstattung führenden getrennten Veranlagung. Diesem Antrag hatte der Sohn des Verstorbenen als dessen Alleinerbe zugestimmt.
Das FA wies den Einspruch mit der Begründung zurück, dem Antrag auf getrennte Veranlagung stehe § 351 AO 1977 entgegen.
Während des Klageverfahrens hob das FA den Einkommensteueränderungsbescheid in der mündlichen Verhandlung durch Erklärung zu Protokoll des Gerichts ersatzlos auf.
Die Klage hatte mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1989, 184 veröffentlichten Gründen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus: Die Klage sei als Verpflichtungsklage anzusehen, denn nicht die Berichtigung des Einkommensteuerbescheids wegen des Spendensachverhalts, sondern die Durchführung einer getrennten Veranlagung seien streitig. Die Klage sei zulässig. Das für eine Verpflichtungsklage nach § 44 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorgeschriebene Vorverfahren sei durchgeführt worden. Nach Aufhebung des Änderungsbescheides habe es keines erneuten Vorverfahrens bedurft, denn der Aufhebungsbescheid habe gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden können. Die Klage sei auch begründet. Das Gesetz sehe weder eine Frist für die Ausübung des Ehegattenwahlrechts nach § 26 Abs.1 Satz 1 EStG noch eine Bindung an eine einmal ausgeübte Wahl vor. Daher sei es zulässig, das Wahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit auch eines Änderungsbescheides auszuüben oder zu widerrufen. Dieses Wahlrecht werde weder durch § 173 Abs.1 Nr.1 bzw. § 175 Abs.1 Nr.2 AO 1977 noch durch § 351 AO 1977 eingeschränkt.
Dagegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision, mit der das FA die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO).
1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die Klägerin ihr auf getrennte Veranlagung gerichtetes Begehren nur im Wege der Verpflichtungsklage geltend machen konnte. Entgegen der Auffassung des FA war diese Verpflichtungsklage auch zulässig.
a) Das FG hat aus dem Klageantrag zu Recht gefolgert, daß die Klägerin, ungeachtet der Bezeichnung ihres Begehrens als Anfechtungsklage, tatsächlich eine Verpflichtungsklage erhoben hatte. Zutreffend ist das FG auch davon ausgegangen, daß die Klägerin dieses Verpflichtungsbegehren bereits mit dem Einspruch gegen den Einkommensteuer-Änderungsbescheid erfolglos geltend gemacht und damit das nach § 44 Abs.1 FGO erforderliche Vorverfahren durchgeführt hatte. Ihr Anfechtungsbegehren war mit dem Antrag auf Durchführung einer getrennten Veranlagung verbunden. Dementsprechend hatte das FA diesen Antrag auch mit seiner Einspruchsentscheidung abgelehnt.
b) Entgegen der Auffassung des FA ist die Klage auch nicht deshalb unzulässig geworden, weil das FA den Änderungsbescheid durch Erklärung zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung vor dem FG aufgehoben hat. Der Senat pflichtet der Vorentscheidung im Ergebnis darin bei, daß dieser Aufhebungsbescheid jedenfalls nach § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden konnte.
Zwar hat das FA zutreffend darauf hingewiesen, daß § 68 FGO seinem Wortlaut nach ("wird der angefochtene Verwaltungsakt …") auf das Anfechtungsverfahren beschränkt ist. Doch hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Vorschrift des § 68 FGO bereits mehrfach auch im Rahmen von Verpflichtungsbegehren angewendet (vgl. etwa die Urteile vom 5.November 1971 IV R 242/70, BFHE 103, 546, BStBl II 1972, 218; vom 17.Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, BStBl II 1978, 579, und Senatsbeschluß vom 6.November 1987 III B 101/86, BFH/NV 1988, 312). Unter den Umständen des Streitfalles, in dem es um ein Verpflichtungsbegehren in Gestalt einer Vornahmeklage geht, das notwendigerweise auch ein Anfechtungsbegehren beinhaltet, gebieten Normzweck und Interessenlage, die Vorschrift des § 68 FGO auf die lückenhafte Regelung der Verpflichtungsklage zu übertragen (gl. A. Lohse in Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, D 2, Tz.7442/1). Die der Vereinfachung dienende Vorschrift des § 68 FGO soll dem Kläger nach Möglichkeit ein weiteres Rechtsbehelfsverfahren ersparen (BFH-Urteil vom 24.Juli 1984 VII R 122/80, BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791 unter II 2 c der Entscheidungsgründe, m.w.N.), aber auch verhindern, daß das FA den Steuerpflichtigen gegen seinen Willen aus einem Klageverfahren drängt (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 68 FGO Anm.1).
Der Einwand der Revision, nur ein Änderungs- oder Ersetzungsbescheid könne nach dem Wortlaut des § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden, greift nicht durch. Denn nach allgemeiner Ansicht sind die Begriffe der "Änderung" oder "Ersetzung" i.S. des § 68 FGO weit auszulegen (vgl. BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791, m.w.N.). Sie sind daher insbesondere auch auf einen Aufhebungsbescheid nach § 172 AO 1977 anwendbar (Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl. 1987, § 68 Anm.13).
2. In der Sache hat das FG die beklagte Behörde jedoch zu Unrecht verpflichtet, für die Klägerin eine getrennte Veranlagung durchzuführen.
a) Die Voraussetzungen für eine getrennte Veranlagung (§ 26 Abs.1 Satz 1 EStG) haben zwar im Streitjahr vorgelegen. Die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann waren im Jahre 1973 beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und lebten nicht dauernd getrennt. Die Ehegatten konnten daher zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) wählen. Da die Klägerin mit ihrem Einspruch gegen den Änderungsbescheid vom 12.November 1984 die getrennte Veranlagung gewählt hatte, waren nach § 26 Abs.2 Satz 1 EStG für die Ehegatten getrennte Veranlagungen durchzuführen, ohne daß es der ―im Streitfall allerdings vorliegenden― Zustimmung des Erben als Gesamtrechtsnachfolger des verstorbenen Ehegatten bedurft hätte (vgl. auch BFH-Urteil vom 13.November 1979 VIII R 193/77, BFHE 129, 262, BStBl II 1980, 188).
b) Dem FG ist auch darin beizupflichten, daß das Gesetz für die Ausübung des Wahlrechts weder eine Frist noch grundsätzlich eine Bindung an die einmal getroffene Wahl vorsieht. Dementsprechend hat es der BFH für zulässig erachtet, daß die Ehegatten ihr Wahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit sogar eines Änderungsbescheides ausüben oder bis zu diesem Zeitpunkt eine einmal getroffene Wahl widerrufen können (BFH-Urteile vom 28.August 1981 VI R 139/78, BFHE 134, 412, BStBl II 1982, 156, und vom 27.Juli 1988 VI R 43/85, BFH/NV 1989, 156). Der Antrag der Klägerin auf getrennte Veranlagung ist auch nicht willkürlich, denn die Klägerin hatte eigene Einkünfte und konnte nach den Feststellungen des FG bei Durchführung einer getrennten Veranlagung mit einer Erstattung von Einkommensteuer rechnen (Senatsurteil vom 30.November 1990 III R 195/86, BFHE 163, 341, BStBl II 1991, 451, m.w.N.).
c) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist die durch einen Änderungsbescheid erneut eröffnete Möglichkeit der Ausübung des Veranlagungswahlrechts jedoch davon abhängig, daß dieser Änderungsbescheid bestehen bleibt. Wird der die Wahl einer anderen Veranlagungsform ermöglichende Änderungsbescheid wieder aufgehoben, so wird damit die Ausübung des Wahlrechts gegenstandslos.
Für den Streitfall folgt daraus, daß die nach Bekanntgabe des Änderungsbescheids in zulässiger Weise von der Klägerin ausgeübte Wahl mit der Aufhebung dieses Bescheids ihre Wirkung verloren hat.
Der Wirksamkeit des Aufhebungsbescheides steht die mangelnde Schriftform (§ 157 Abs.1 Satz 1 AO 1977) nicht entgegen. Die Schriftform ist wegen der "besonderen Bedeutung" der Steuerbescheide vorgeschrieben worden (vgl. Regierungsbegründung BTDrucks VI/1982, S.145) und soll den Steuerpflichtigen zuverlässig über den Regelungsinhalt des Steuerverwaltungsaktes unterrichten (Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung, 16.Aufl., 1990, § 157 Anm.2). Diese Funktion erfüllt indessen auch die mündliche Bekanntgabe eines Bescheides zu Protokoll des Gerichts in der mündlichen Verhandlung. Für den Senat folgt dies aus dem in §§ 126 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) niedergelegten allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach die Schriftform durch notarielle Beurkundung und diese bei einem gerichtlichen Vergleich wiederum durch die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) errichtetes Protokoll ersetzt werden kann. Auch die Schriftform der Klage zum FG kann nach § 64 Abs.1 Satz 2 FGO durch Protokollierung ersetzt werden.
Die Protokollierung erfüllt die in § 157 Abs.1 Satz 2 AO 1977 vorgesehenen Mindestanforderungen an den Inhalt eines Steuerbescheids. Darin unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, über den der Senat mit Urteil vom 11.Januar 1991 III R 104/87 (BFHE 163, 295, BStBl II 1991, 501) entschieden hat. Während dort der Vertreter des FA in der mündlichen Verhandlung mündlich einen Änderungsbescheid bekanntgab, dabei aber auf eine noch nachzuholende Steuerberechnung verwies, erfüllt der Aufhebungsbescheid im Streitfall die Mindestvoraussetzungen des § 157 Abs.1 Satz 2 AO 1977 insofern, als er den Steuerschuldner angibt; einer Bezeichnung der festgesetzten Steuer nach Art und Betrag bedurfte es hier nicht, denn mit der Aufhebung des Einkommensteueränderungsbescheides trat der ursprüngliche, geänderte Einkommensteuerbescheid, der eine Steuerfestsetzung enthalten hatte, wieder in Kraft.
3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, die Klage war daher abzuweisen, ohne daß es einer Entscheidung der Frage bedarf, ob die Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs.1 AO 1977 auch auf die Ausübung des Wahlrechts nach § 26 Abs.1 Satz 1 EStG Anwendung findet.
Fundstellen
Haufe-Index 63571 |
BFH/NV 1992, 9 |
BStBl II 1992, 123 |
BFHE 165, 345 |
BFHE 1992, 345 |
BB 1992, 546 |
BB 1992, 546-547 (LT) |
DB 1992, 118-119 (LT) |
DStR 1992, 29 (KT) |
HFR 1992, 104 (LT) |
StE 1991, 440 (K) |