Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält daran fest, daß der Unternehmer für die Pflicht zur Zahlung eines Ausgleichs nach § 89b HGB vor Beendigung des Vertragsverhältnisses keine Rückstellung bilden darf.
Normenkette
EStG §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 3; KStG § 6 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige), eine GmbH, bildete in der Jahresbilanz zum 31. Dezember 1965 Rückstellungen für die Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs nach § 89b HGB an ihre Handelsvertreter in Höhe von 211 120 DM. Der Revisionsbeklagte (FA) ließ diese Rückstellungen nicht zu.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.
Das FG hat unter Berufung auf die Rechtsprechung des BFH ausgeführt, Rückstellungen für die Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs nach § 89b HGB seien vor Beendigung des Vertragsverhältnisses zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter nicht zulässig. Selbst wenn handelsrechtlich und damit auch steuerrechtlich (§ 5 EStG) dem Grunde nach eine Rückstellung möglich wäre, sei diese nach § 6 EStG wegen der völligen Ungewißheit der Höhe des Ausgleichsanspruchs mit 0 DM zu bewerten.
Mit der Revision rügt die Steuerpflichtige die Verletzung der § 6 Abs. 1 KStG, § 15 Nr. 1 KStDV, §§ 5, 6 EStG.
Die Steuerpflichtige ist der Meinung, der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters habe seinen Ursprung in den während der Dauer des Vertragsverhältnisses vom Handelsvertreter geschaffenen Kundenbeziehungen, so daß bereits vor Beendigung des Vertragsverhältnisses der Tatbestand erfüllt sei, aus dem der Ausgleichsanspruch fließe. Nach dem Verursachungsprinzip seien daher die Geschäftsjahre, in denen der Handelsvertreter tätig sei, mit dem Aufwand zu belasten, der durch den Ausgleichsanspruch entstehe. Im übrigen seien vier Handelsvertreter seit dem 31. Dezember 1965 ausgeschieden. Zum mindesten hätten daher Rückstellungen in Höhe des an diese Handelsvertreter gezahlten Ausgleichs von zusammen 96 640 DM anerkannt werden müssen. Das FG habe in dieser Hinsicht keine Sachaufklärung vorgenommen, die aber bei Abweisung des Antrags auf Anerkennung der vollen Rückstellungen notwendig gewesen wäre.
Die Steuerpflichtige beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Rückstellungen in Höhe von 211 120 DM auch steuerrechtlich anzuerkennen und die Körperschaftsteuer 1965 um 91 199 DM herabzusetzen. Hilfsweise beantragt sie, eine Teilrückstellung von 96 640 DM anzuerkennen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
I. Der Senat hält an der Auffassung fest, daß der Unternehmer für die Pflicht zur Zahlung eines Ausgleichs an den Handelsvertreter nach § 89b HGB vor Beendigung des Vertragsverhältnisses keine Rückstellung bilden darf (BFH-Urteile I 141/59 U vom 1. März 1960, BFH 70, 556, BStBl III 1960, 208; I 326/56 U vom 4. Februar 1958, BFH 66, 285, BStBl III 1958, 110). Der BGH hat zwar durch Urteil II ZR 134/65 vom 11. Juli 1966 (Der Betriebs-Berater 1966 S. 915 - BB 1966, 915 -) entschieden, daß eine Rückstellung für den künftigen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters handelsrechtlich zulässig sei. Diese Entscheidung gibt dem Senat jedoch keine Veranlassung, die bisherige Rechtsprechung aufzugeben.
1. Nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung können Rückstellungen für ungewisse Schulden, für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften und in beschränktem Umfang auch für Betriebslasten, die nicht Verbindlichkeiten im Rechtssinne sind, gebildet werden (§ 131 Abs. 1 B IV des Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien vom 30. Januar 1937 - AktG 1937 -; Wirtschaftsprüfer-Handbuch 1963 Bd. I S. 425 ff.; Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, Handkommentar, 3. Aufl., § 131 Tz. 158; § 152 Abs. 7 AktG 1965).
a) Die Rückstellungen für ungewisse Schulden, die hier in Betracht kommen, unterscheiden sich von den Verbindlichkeiten nur dadurch, daß ungewiß ist, ob die Verbindlichkeit besteht, oder daß ungewiß ist, in welcher Höhe sie besteht, oder daß in beiden Beziehungen Ungewißheit herrscht. Daher gilt für diese Rückstellungen ebenso wie für die Verbindlichkeiten und wie überhaupt für alle Posten in der Bilanz der Grundsatz der Bewertung zum Bilanzstichtag (§ 40 Abs. 2 HGB). Da dieser Grundsatz auf der allgemeinen Erwägung beruht, daß die Jahresbilanz ein Mittel ist, jeweils für das vergangene Geschäftsjahr Rechnung zu legen (§ 39 Abs. 2 Satz 1 HGB, § 41 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, § 125 Abs. 1 AktG 1937, § 148 AktG 1965), und daher zum Schluß dieses Geschäftsjahrs ein möglichst zutreffendes Bild von der Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens geben soll (§ 129 Abs. 1 Satz 2 AktG 1937, § 149 Abs. 1 Satz 2 AktG 1965), gilt er nicht nur für die Bewertung im engeren Sinne, sondern auch für die Frage, welche Posten in der Jahresbilanz anzusetzen sind. Das bedeutet für Forderungen und Verbindlichkeiten, daß sie grundsätzlich zu aktivieren und zu passivieren sind, soweit sie bis zum Bilanzstichtag rechtlich entstanden sind. Da aber das Bilanzrecht in besonderem Maße von dem Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise beherrscht wird, kommt es nicht nur auf die formalrechtliche Entstehung der Forderung oder der Verbindlichkeit an, sondern auch darauf, ob wirtschaftlich eine Vermögensmehrung oder Vermögensminderung eingetreten ist (Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, Handkommentar, 4. Aufl., § 149 Tz. 34; BFH-Urteile IV 187/64 vom 14. März 1968, BFH 92, 207, BStBl II 1968, 518; I 104/65 vom 27. November 1968, BFH 95, 37, BStBl II 1969, 296). Daher hat sich für Rückstellungen der Satz herausgebildet, daß sie auch zulässig sind für Verbindlichkeiten, die rechtlich erst nach dem Bilanzstichtag entstehen werden, wirtschaftlich aber im vergangenen Geschäftsjahr verursacht sind oder, wie es auch heißt, wirtschaftlich das vergangene Geschäftsjahr betreffen (Schlegelberger-Quassowski u. a. , Aktiengesetz, Kommentar, 3. Aufl., § 131 Anm. 35; Adler-Düring-Schmaltz, a. a. O., 4. Aufl., § 152 Tz. 110; BFH-Urteil I R 50/67 vom 24. April 1968, BFH 92, 224, BStBl II 1968, 544; Urteile des RFH I A 110/36 vom 23. November 1937, RStBl 1938, 85; I 147/43 vom 9. November 1943, RStBl 1944, 149; VI A 81/36 vom 29. Juli 1936, RStBl 1936, 986). Das ist aber keine Besonderheit der Rückstellungen für ungewisse Schulden und trifft auf sie nicht in stärkerem Maße zu als auf Verbindlichkeiten, die dem Grunde und der Höhe nach gewiß sind und die daher in der Jahresbilanz unter den Verbindlichkeiten auszuweisen sind. Denn es wäre ungereimt, für ungewisse Schulden eine frühere Passivierungsmöglichkeit anzunehmen als für gewisse Schulden.
Was die Voraussetzung, die Verbindlichkeit müsse im vergangenen Geschäftsjahr wirtschaftlich verursacht sein, im einzelnen bedeutet, insbesondere in welchem betrieblichen Bereich (Beschaffung, Herstellung, Vertrieb) die Ursache liegen muß (vgl. Albach, Neue Betriebswirtschaft 1966 S. 178, 189; Steuerberaterjahrbuch 1967/68 S. 305 ff.), läßt sich nicht allgemein sagen. Erforderlich ist in jedem Fall, daß die Verbindlichkeit, die rechtlich erst in der Zukunft entsteht, so eng mit dem betrieblichen Geschehen des vergangenen Geschäftsjahrs verknüpft ist, daß es gerechtfertigt erscheint, sie wirtschaftlich als eine bereits am Bilanzstichtag bestehende Last anzusehen. Das wird man im allgemeinen nur annehmen können, wenn der Tatbestand, dessen Rechtsfolge die Verbindlichkeit ist, im wesentlichen vor dem Bilanzstichtag verwirklicht wird.
Diese Voraussetzung ist nach Ansicht des Senats für die Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs nach § 89b HGB vor Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht erfüllt.
Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und damit auch die entsprechende Verbindlichkeit des Unternehmers entstehen, wie der Senat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil I R 141/66 vom 26. März 1969 näher dargelegt hat, rechtlich mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses. Vorher wird nur ein Teil des Tatbestands des Ausgleichsanspruchs, oder, wie der BGH im Urteil II ZR 134/65 (a. a. O.) gesagt hat, einer der Faktoren des Ausgleichsanspruchs verwirklicht, das ist die Tatsache, daß der Handelsvertreter neue Kunden geworben hat (§ 89b Abs. 1 Nr. 1 HGB). Das hat nun der BGH in dem Urteil II ZR 134/65 (a. a. O.) als ausreichend erachtet, um eine Rückstellung für den künftigen Ausgleichsanspruch zu rechtfertigen. Er hat erklärt, wenn auch der Ausgleichsanspruch erst nach Beendigung des Vertragsverhältnisses verlangt werden könne, so habe er doch seinen Grund in den während der Dauer des Vertragsverhältnisses geschaffenen Kundenbeziehungen.
Der Senat bezweifelt, ob damit die Rückstellung ausreichend begründet werden kann. Denn das Schwergewicht der Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs liegt nach Ansicht des Senats nicht in der vor Beendigung des Vertragsverhältnisses liegenden Werbung neuer Kunden, sondern darin, daß das Vertragsverhältnis beendet wird und der Unternehmer auch nachher erhebliche Vorteile hat und der Handelsvertreter Ansprüche auf Provision verliert (§ 89b Abs. 1 Nr. 1 und 2 HGB). Bei der Prüfung dieser Frage kann nicht außer Betracht bleiben, wie das Handelsrecht selbst die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Ausgleichsanspruchs wertet und wie ganz allgemein die Vergütung des Handelsvertreters rechtlich ausgestaltet ist. Der Handelsvertreter leistet dem Unternehmer Dienste; er hat sich um die Vermittlung oder den Abschluß von Geschäften zu bemühen (§§ 84, 86 HGB). Dafür allein erhält er aber keine Vergütung. Seine Bemühungen bleiben ohne Entgelt, wenn sie nicht zum Erfolg führen. Denn der Handelsvertreter erhält Provision nur für die während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte (§ 87 HGB) und nach näherer Bestimmung des § 87a HGB nur, wenn und soweit der Unternehmer das Geschäft ausführt und der Dritte leistet. Das Gesetz stellt somit entscheidend auf den Erfolg ab, den die Dienste des Handelsvertreters haben. Das kann nicht ohne Auswirkung auf das Bilanzrecht bleiben. Wenn daher der Handelsvertreter nach § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB Anspruch auf Provision für die Geschäfte hat, die mit Dritten abgeschlossen werden, die er als Kunden für Geschäfte der gleichen Art geworben hat (Provision für Nachbestellungen), so entstehen dieser Anspruch und damit auch die entsprechende Verbindlichkeit des Unternehmers rechtlich und wirtschaftlich jedenfalls nicht vor dem Abschluß des Geschäfts. Man mag darüber streiten können, ob die Verpflichtung des Unternehmers bereits in diesem Zeitpunkt oder wegen § 87a HGB erst nach Ausführung des Geschäfts passiviert werden kann (vgl. dazu Albach, Steuerberaterjahrbuch 1967/68, S. 315 mit weiteren Angaben). Soweit ersichtlich, hat aber noch niemand ernsthaft erwogen, die Verpflichtung bereits in der Bilanz für das Geschäftsjahr zu passivieren, in dem der Handelsvertreter die Kunden geworben hat, obwohl der Gedankengang des BGH im Urteil II ZR 134/65 (a. a. O.) folgerichtig dazu führen müßte. Denn auch hier könnte man mit dem BGH sagen, der Anspruch auf die Provision für Nachbestellungen habe seinen Grund in den geschaffenen Kundenbeziehungen, der Unternehmer müsse mit diesem Anspruch rechnen und könne daher eine Rückstellung bilden.
Damit ist bereits angedeutet, daß die Sache beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters ganz ähnlich liegt. Dieser Anspruch setzt ebenso wie der Anspruch auf die Provision für Nachbestellungen voraus, daß der Handelsvertreter die Kunden geworben hat (§ 89b Abs. 1 Nr. 1 HGB). Auch hier sieht das Gesetz für die Tätigkeit des Handelsvertreters kein Entgelt vor, wenn sich nicht der Erfolg einstellt, d. h. wenn nicht dem Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit den vom Handelsvertreter geworbenen Kunden auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses noch erhebliche Vorteile zufließen (§ 89b Abs. 1 Nr. 1 HGB). Der Ausgleichsanspruch erweist sich damit ebenfalls als ein vom Erfolg abhängiger Anspruch. Er gleicht in diesem Punkt dem Anspruch auf Provision. Das ist nicht weiter verwunderlich, da er, wie aus § 89b Abs. 1 Nr. 2 HGB zu entnehmen ist, dem Handelsvertreter einen Ersatz für die Provisionen bieten soll, die er infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses verliert, die er aber bei Fortsetzung des Vertragsverhältnisses aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hatte. Wenn der Ausgleichsanspruch auch kein reiner Vergütungsanspruch ist, sondern auch durch den Gesichtspunkt der Billigkeit bestimmt wird (§ 89b Abs. 1 Nr. 3 HGB), so stellt er doch - ebenso wie der Anspruch auf Provision - ein Entgelt für erfolgreiche Dienste dar (BGH-Urteil VII ZR 268/64 vom 23. Mai 1966, BB 1966, 794).
Diese Ähnlichkeit der beiden Ansprüche - des Ausgleichsanspruchs und des Anspruchs auf Provision - führt zu folgender bilanzrechtlicher Überlegung: Ebensowenig wie die Werbung neuer Kunden ausreicht, um eine Verpflichtung zur Zahlung der Provision für Nachbestellungen nach § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB zu passivieren, reicht sie aus, um die Verpflichtung zur Zahlung des Ausgleichs nach § 89b HGB zu passivieren. Weder der Anspruch auf die Provision für Nachbestellungen noch der Ausgleichsanspruch ist wirtschaftlich im Jahr der Werbung neuer Kunden verursacht. Denn die wesentlichen Tatbestandsmerkmale beider Ansprüche sind, da diese vom Gesetz als erfolgsabhängige Ansprüche gestaltet sind, mit der Werbung der neuen Kunden noch nicht verwirklicht.
Darin liegt auch der Unterschied zwischen der Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs nach § 89b HGB und der Pensionsverpflichtung, für die Rückstellungen handelsrechtlich und steuerrechtlich zulässig, wenn nicht sogar geboten sind (BGH-Urteil II ZR 292/59 vom 27. Februar 1961, BB 1961, 426; Adler-Forster, Die Aktiengesellschaft 1961 S. 301; § 6a EStG). Die Pension ist eine Gegenleistung für die Dienste des Arbeitnehmers oder wird doch jedenfalls mit Rücksicht auf die Dauer und den Wert der geleisteten Dienste gewährt (BGH-Urteil VII ZR 268/64, a. a. O.), ohne daß weiter vorausgesetzt wäre, daß diese Dienste auch nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers dem Unternehmer Vorteile bringen werden. Auf diesen Unterschied zwischen Pension und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters haben bereits die BFH-Urteile I 326/56 U (a. a. O.), I 141/59 U (a. a. O.) hingewiesen. Vom Anspruch auf die Pension kann man mit Fug und Recht sagen, daß sich sein Tatbestand während der Dienstjahre des Arbeitnehmers verwirklicht, da er an keine weiteren, vom Zeitpunkt des Ausscheidens an in die Zukunft weisenden Voraussetzungen geknüpft ist. Anders der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, für den gerade die weiteren, in die Zukunft weisenden Voraussetzungen nach § 89b Abs. 1 Nr. 1 und 2 HGB wesentlich sind.
b) Die künftige Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs nach § 89b HGB kann auch nicht als Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften oder für Lasten, die nicht Verbindlichkeiten im Rechtssinne sind, passiviert werden.
Die Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften will den Betrag erfassen, um den die Verpflichtung des Kaufmanns aus dem schwebenden Vertrag seinen Anspruch übersteigt (vgl. Schindele, BB 1963, 947, 950). Ein solcher Sachverhalt wird für den Unternehmer durch den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters schon deshalb nicht geschaffen, weil der Ausgleich nur zu zahlen ist, wenn und soweit der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit dem vom Handelsvertreter geworbenen Kunden auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat (§ 89b Abs. 1 Nr. 1 HGB). Ob diese Vorteile ein aktivierungsfähiges Wirtschaftsgut darstellen, ist für diese Betrachtung unerheblich.
In welchem Umfang Rückstellungen für Lasten, die nicht Verbindlichkeiten im Rechtssinne sind, zulässig sind, braucht hier nicht näher untersucht zu werden. Denn der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bedeutet für den Unternehmer eine Verbindlichkeit, so daß es weder notwendig noch zulässig wäre, auf den Tatbestand einer Rückstellung für Lasten zurückzugreifen. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß es nicht erlaubt wäre, den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters in Anlehnung an Gedankengänge der dynamischen Bilanzlehre als Rückstellung für entstandenen Aufwand, der später zu Ausgaben führt, zu passivieren. Denn einmal ist eine derart allgemein umschriebene Rückstellung für künftige Ausgaben handelsrechtlich nicht zulässig. Der Gesetzgeber hat sie im Zuge der Aktienrechtsreform ausdrücklich abgelehnt (Ausschußbericht, abgedruckt bei Kropff, Aktiengesetz 1965 S. 236 f.). Außerdem würde, wie oben unter 1a näher ausgeführt ist, gerade die Voraussetzung fehlen, daß der Aufwand vor Beendigung des Vertragsverhältnisses "entstanden", d. h. wirtschaftlich verursacht ist. Der Senat kann sich auch nicht der von Albach (Steuerberaterjahrbuch 1967/68 S. 305, 326) vertretenen Ansicht anschließen, der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters sei bilanzrechtlich auf die Zeit vor Beendigung des Vertragsverhältnisses und ein weiteres Jahr nachher zu verteilen, weil er zusammen mit den übrigen Entgelten (Provisionen) den gesamten Leistungen des Handelsvertreters zuzurechnen sei. Der Grundsatz der Einzelbewertung, auf den Albach (a. a. O.) selbst in diesem Zusammenhang verweist, kann hier durchgeführt werden, weil das Gesetz selbst den Ausgleichsanspruch rechtlich mit den nach Beendigung des Vertragsverhältnisses eintretenden Vorteilen des Unternehmers und Nachteilen des Handelsvertreters verknüpft (§ 89b Abs. 1 Nr. 1 und 2 HGB).
c) Aus all diesen Gründen kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß eine Rückstellung für den künftigen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters handelsrechtlich jedenfalls nicht geboten ist. Diese Entscheidung kann der Senat treffen, ohne den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen (Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968, BGBl I 1968, 661). Denn der BGH hat durch Urteil II ZR 134/65 (a. a. O.) die Rückstellung für den künftigen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters lediglich für zulässig, nicht aber für geboten erklärt. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Rechtssatzes der Entscheidung und der die Rückstellung für den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters betreffenden Teile des Urteils, ferner auch aus den abschließenden, in BB 1966, 915 nicht veröffentlichten Bemerkungen des Urteils. Der Senat weicht somit nicht in einer Rechtsfrage von der Entscheidung des BGH ab, wenn er erklärt, daß eine Rückstellung für die künftige Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs an den Handelsvertreter nach § 89b HGB handelsrechtlich nicht geboten ist (§ 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes, a. a. O.).
Besteht aber handelsrechtlich nur ein Wahlrecht, diese Rückstellung zu bilden, so ist daran das Steuerrecht nach § 5 EStG, § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG nicht gebunden. Wie der Große Senat des BFH in dem Beschluß Gr. S. 2/68 vom 3. Februar 1969 (BFH 95, 31, BStBl II 1969, 291) ausgeführt hat, ist das Steuerrecht nach § 5 EStG allenfalls an handelsrechtliche Aktivierungsverbote und Passivierungsgebote gebunden, nicht dagegen an Bilanzierungswahlrechte. Was handelsrechtlich aktiviert werden kann, muß steuerrechtlich grundsätzlich aktiviert werden. Dem entspricht für die Passivseite der Bilanz, daß, was handelsrechtlich nicht passiviert werden muß, steuerrechtlich im allgemeinen nicht passiviert werden darf. Davon kann es, wie schon der Beschluß des Großen Senats erkennen läßt, Ausnahmen geben. Für ein Wahlrecht zur Bildung von Rückstellungen für den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters erscheint jedoch eine solche Ausnahme nicht gerechtfertigt. Auch hier trifft zu, was der Große Senat ausgeführt hat, daß es nach dem Sinn und Zweck der steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften und aus Gründen der Gleichheit vor dem Gesetz nicht im Belieben des Steuerpflichtigen stehen kann, ob er sich durch Bildung der Rückstellung ärmer machen will als er wirklich ist. Eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs an den Handelsvertreter nach § 89b HGB ist daher vor Beendigung des Vertragsverhältnisses bei Anwendung des § 5 EStG steuerrechtlich nicht zulässig.
2. Zum gleichen Ergebnis gelangte der Senat, wenn die Frage der steuerrechtlichen Zulässigkeit einer Rückstellung für den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters allein nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG zu prüfen wäre. Denn eine Verbindlichkeit des Unternehmers im Sinne dieser Vorschrift läge aus den unter I, 1 a) und b) angeführten Gründen vor Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht vor.
3. Da der IV. und der VI. Senat des BFH der hier getroffenen Entscheidung im Ergebnis zugestimmt haben, sieht der Senat keinen Anlaß, nach § 11 Abs. 4 FGO die Entscheidung des Großen Senats des BFH herbeizuführen.
II. Für den Streitfall bedeutet die Rechtsauffassung des Senats, daß die Rückstellungen für die Pflicht zur Zahlung eines Ausgleichs an die Handelsvertreter nicht zulässig sind, soweit das Vertragsverhältnis der Handelsvertreter nicht spätestens mit dem 31. Dezember 1965 beendet war. Das FG hat zu der Frage, ob alle Handelsvertreter, für deren Ausgleichsansprüche die streitigen Rückstellungen gebildet wurden, in diesem Zeitpunkt noch im Dienst der Steuerpflichtigen standen, keine Feststellungen getroffen und dadurch, wie die Steuerpflichtige mit Recht rügt, seine Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 76 FGO) verletzt. Die Sache geht daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Sollte sich der Vortrag der Steuerpflichtigen in der Revision, daß vier Handelsvertreter zum 31. Dezember 1965 ausgeschieden seien, als richtig erweisen, dann könnten Rückstellungen für die Ausgleichsansprüche dieser Handelsvertreter in der Bilanz zum 31. Dezember 1965 nicht versagt werden. Ihre Höhe richtet sich nach den Umständen, die bei der Aufstellung der Bilanz bekannt waren (BFH-Urteil I 324/62 S vom 27. April 1965, BFH 82, 445, BStBl III 1965, 409).
Fundstellen
Haufe-Index 68616 |
BStBl II 1969, 581 |
BFHE 1969, 101 |