Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Scheidet ein Freiberufler aus einer der selbständigen Arbeit dienenden Gesellschaft gegen Entgelt aus, so ist der 10.000 DM nicht übersteigende Veräußerungsgewinn unabhängig von dem Anteil am Gesamtbetriebsvermögen und von der Höhe der in diesem Betriebsvermögen vorhandenen stillen Rücklagen steuerfrei.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 3

 

Tatbestand

Die Steuerbevollmächtigten A. und B. betrieben von 1955 ab in der Form der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (Gesellschaft) gemeinsam ihre Praxis. Als A. im Jahr 1959 aus der Praxis ausschied, erhielt er eine Entschädigung in Höhe von 9.000 DM. Daß es sich bei dieser Entschädigung um einen Veräußerungsgewinn im Sinne des § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG 1958 handelt, ist unstreitig. Streitig ist bei der einheitlichen Gewinnfeststellung der Bfin. für 1959 lediglich, ob der Veräußerungsgewinn deshalb steuerfrei sei, weil er 10.000 DM nicht übersteigt (§ 18 Abs. 3 Satz 4 EStG).

Das Finanzamt hielt den Veräußerungsgewinn in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 4 EStG für steuerpflichtig, weil A. an der Praxis zu weniger als 9/10 beteiligt war.

Das Finanzgericht schloß sich der Auffassung der Gesellschaft an und folgerte aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 EStG, daß der Freibetrag auch im Falle der Anteilsveräußerung 10.000 DM betrage.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.

Die Vorschriften des § 14 Abs. 2 und des § 16 Abs. 4 EStG 1958 stimmen darin überein, daß der Gewinn, der bei der Veräußerung des ganzen land- und forstwirtschaftlichen Betriebs oder Gewerbebetriebs, eines Teilbetriebs oder eines Anteils am Betriebsvermögen erzielt wird, nur dann steuerpflichtig ist, wenn er den Betrag von 10.000 RM/DM oder den dem veräußerten Betriebsvermögen entsprechenden Teil von 10.000 RM/DM übersteigt (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI 406/40 vom 15. Januar 1941, RStBl 1941 S. 410). Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (Steuerneuordnungsgesetz), BGBl 1954 I S. 373, bestimmte § 18 Abs. 3 EStG alter Fassung, daß zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit auch der Gewinn gehört, der bei der Veräußerung des Betriebsvermögens erzielt wird. Um auch bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit im Fall der Veräußerung eines Teilbetriebs die Tarifvergünstigung des § 34 EStG gewähren zu können, behandelte der Reichsfinanzhof im Urteil IV 25/42 vom 13. August 1942, Steuer und Wirtschaft 1942 Nr. 359, die Veräußerung eines Teilbetriebs wie die Veräußerung des gesamten, der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens.

Bei der Neufassung des § 18 Abs. 3 EStG alter Fassung durch Art. 1 Ziff. 23 des Neuordnungsgesetzes beließ es der Gesetzgeber bei der bisherigen Fassung insoweit, als er die Teilveräußerung und die Anteilsveräußerung nicht erwähnte. Um aber ebenso wie bei Land- und Forstwirten und bei Gewerbetreibenden auch im Rahmen der Einkünfte aus selbständiger Arbeit geringfügige Veräußerungsgewinne steuerfrei zu lassen, wurde bestimmt, daß die Steuerpflicht nur eintritt, wenn der Veräußerungsgewinn den Betrag von 10.000 DM übersteigt. Auch bei der Einführung dieser Freigrenze wurde also anders als in § 14 Abs. 2 und § 16 Abs. 4 EStG die Teilveräußerung (Anteilsveräußerung) nicht erwähnt. Nach der von der Bundesregierung zum Entwurf des Steuerneuordnungsgesetzes gegebenen Begründung bezweckte die änderung des § 18 Abs. 3 EStG alter Fassung die Gleichstellung der freien Berufe mit den Land- und Forstwirten und Gewerbetreibenden (Drucksache 481 des Deutschen Bundestags, 2. Wahlperiode, 1953 vom 29. April 1954 S. 85). Selbst wenn man unterstellt, daß die Bundesregierung lediglich eine Gleichstellung der freien Berufe und der Gewerbetreibenden hinsichtlich der Auswirkungen der Freigrenze von 10.000 DM, nicht aber eine weitergehende Begünstigung der freien Berufe schaffen wollte, so kann der Auffassung des Finanzamts nicht zugestimmt werden, daß zur Erreichung dieses Zweckes die bei Teilbetriebs- und Anteilsveräußerungen land- und forstwirtschaftlichen und gewerblichen Betriebsvermögen geltende anteilige Herabsetzung des Freibetrages entsprechend auch bei der Veräußerung von Betriebsvermögen, das der Erzielung von Einkünften aus selbständiger Arbeit dient, angewendet werden müsse.

Bei der Auslegung von Gesetzen ist dem objektivierten Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und Sinnzusammenhang ergibt, Rechnung zu tragen. Dabei darf der Wortlaut gleichartiger, denselben wirtschaftlichen Zwecken dienender Vorschriften nicht außer acht gelassen werden (Urteil des Bundesfinanzhofs I 99/57 U vom 13. Mai 1958, BStBl 1958 III S. 317, Slg. Bd. 67 S. 119). Der Wortlaut des § 18 Abs. 3 Satz 3 EStG, wonach die Steuerpflicht nur eintritt, wenn der Veräußerungsgewinn den Betrag von 10.000 DM übersteigt, spricht für die Auffassung des Finanzgerichts jedenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige seinen vollen Anteil am Betriebsvermögen veräußert. Denn dann bezieht sich die Veräußerung auf das gesamte seiner selbständigen Arbeit dienende Vermögen. Aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 EStG kann nicht entnommen werden, daß bei einer solchen Veräußerung die Freigrenze in gleicher Weise herabzusetzen sei, wie das bei der Veräußerung eines Anteils an land- und forstwirtschaftlichem und gewerblichem Betriebsvermögen vorgeschrieben ist. Wie die Fälle zu behandeln sind, in denen der Angehörige des freien Berufs unter Aufrechterhaltung seiner bisherigen Tätigkeit einen Teil seines Betriebsvermögens (Veräußerung eines Teilbetriebs oder eines Teils seines Anteils am Betrieb) veräußert, braucht hier nicht entschieden zu werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 24/55 U vom 24. Mai 1956, BStBl 1956 III S. 205, Slg. Bd. 63 S. 27).

Auch der sich aus dem Vergleich des § 18 Abs. 3 Satz 4 EStG mit den entsprechenden Vorschriften des § 14 Abs. 2 und des § 16 Abs. 4 EStG ergebende Sinnzusammenhang spricht für die Auffassung des Finanzgerichts. Aus der abweichenden Formulierung dieser Vorschriften, die bei einem Vergleich des Wortlauts ins Auge fällt, muß der Schluß gezogen werden, daß der Gesetzgeber keine völlige Gleichstellung der freien Berufe und der Gewerbetreibenden beabsichtigte. Denn sonst hätte nichts näher gelegen, als die Vorschrift des § 16 Abs. 4 EStG in § 18 Abs. 3 EStG zu übernehmen. Dieser sich aufdrängenden Auslegung des § 18 Abs. 3 Satz 4 EStG kann auch nicht mit der von der Bundesregierung zum Steuerneuordnungsgesetz gegebenen Begründung entgegengetreten werden, weil es bei der Eindeutigkeit der aus dem unterschiedlichen Wortlaut zu ziehenden Folgerungen dem Steuerpflichtigen nicht zugemutet werden kann, auf die Materialien des Gesetzes zurückzugreifen. Da die vom Finanzgericht für zutreffend gehaltene günstigere Behandlung der freien Berufe im Falle der Anteilsveräußerung auch zu keinem sinnwidrigen Ergebnis führt, sich vielmehr für eine solche Behandlung ausreichende Gründe denken lassen, muß es bei der wortgetreuen Auslegung des Gesetzes bleiben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410529

BStBl III 1962, 444

BFHE 1963, 484

BFHE 75, 484

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