Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat tritt der Rechtsprechung des BFH (vgl. u. a. Entscheidung V R 56/67 vom 13. August 1970, BFH 99, 514, BStBl II 1970, 767) bei, daß einem Steuerpflichtigen ein Rechtsanspruch auf Durchführung einer Betriebsprüfung zur Aufdeckung ihm günstiger neuer Tatsachen grundsätzlich nicht zusteht.
2. Bei der Rüge mangelnder Sachaufklärung gehören zu den nach § 120 Abs. 2 FGO zu bezeichnenden Tatsachen auch die Beweismittel, deren sich die Vorinstanz nicht bedient haben soll.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 2; FGO § 120 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) einen Anspruch auf Durchführung einer Betriebsprüfung für die Jahre 1958 bis 1964 hat.
Die Steuerpflichtige gab von dem Jahr der Eröffnung ihres Schreibbüros an bis einschließlich 1962 Steuererklärungen ab, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) den Veranlagungen zugrunde legte. Für die Jahre 1963 und 1964 reichte die Steuerpflichtige keine Steuererklärungen ein. Das FA schätzte daher die Besteuerungsgrundlagen nach § 217 AO. Die Steuerfestsetzungen (Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer) bis einschließlich 1963 wurden nach Ablauf der Einspruchsfrist bestandskräftig. Gegen den Einkommensteuerbescheid für 1964 legte die Steuerpflichtige Einspruch ein. Sie wandte sich gegen den Ansatz eines Gewinns in Höhe von 50 000 DM. Während des Rechtsstreits legte sie Steuererklärungen mit Gewinnermittlungsunterlagen vor. Das FA erkannte die Höhe des darin ausgewiesenen Gewinns (14 315 DM) nicht an und schätzte in der Einspruchsentscheidung den Gewinn auf 20 000 DM. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos. Die Steuerfestsetzung für 1964 wurde bestandskräftig.
In ihrem Einspruchsschreiben vom 20. September 1966 beantragte die Steuerpflichtige die Durchführung einer Betriebsprüfung zur Klärung ihrer steuerlichen Verhältnisse. Sie wies dabei, wie auch später in dem Schreiben vom 14. Februar 1967, darauf hin, daß auch Beamte des FA die Absicht geäußert hätten, eine Betriebsprüfung durchführen zu lassen.
Das FA lehnte die Vornahme einer Betriebsprüfung mit Verfügung vom 24. Februar 1967 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos.
Im Klageverfahren gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD beantragte die Steuerpflichtige, das FA zur Durchführung einer Betriebsprüfung für die Jahre 1958 bis 1964 zu verurteilen. Zur Begründung trug sie vor, das FA habe ermessensfehlerhaft gehandelt. Es habe ihrem Antrag auf Durchführung einer Betriebsprüfung nur deshalb nicht stattgegeben, weil mit einer niedrigeren Steuerfestsetzung zu rechnen gewesen sei. Auch verstoße die Ablehnung ihres Antrages gegen Treu und Glauben, weil ihr die Durchführung einer Betriebsprüfung zugesagt worden sei.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte im wesentlichen aus: Ein Steuerpflichtiger habe keinen Rechtsanspruch auf Durchführung einer Betriebsprüfung. Er habe nur einen formellen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag. Diesen Anspruch habe das FA nicht verletzt, weil es die Vornahme einer Betriebsprüfung nicht aus unsachlichen Erwägungen abgelehnt habe. Das FA habe in vertretbarer Weise der Bestandskraft der Steuerbescheide im Interesse der Rechtssicherheit den Vorrang vor der Vornahme einer Betriebsprüfung gegeben. Wegen der angespannten Geschäftslage der Betriebsprüfungsdienste werde ein Betrieb in der Größenordnung der Steuerpflichtigen nur alle 25 Jahre einmal geprüft. Die Steuerpflichtige könne daher, da ihr Betrieb erst seit zehn Jahren bestehe, ihre Aufnahme in den Prüfungsgeschäftsplan nicht erzwingen. Da die Steuerpflichtige über ihre eigenen steuerlichen Verhältnisse am besten unterrichtet sei, hätte erwartet werden können, daß sie bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzungen die für sie günstigen, bisher unberücksichtigten Tatsachen vortragen würde. Soweit sie es unterlassen habe, gegen die Steuerveranlagungen Einspruch einzulegen, könne sie das Versäumnis nicht durch einseitige Dispositionen wieder aufheben.
Auch das Vorbringen, das FA habe die Durchführung einer Betriebsprüfung zugesagt, könne der Klage keinen Erfolg verschaffen. Den Ausführungen der Steuerpflichtigen könne nicht entnommen werden, daß das FA die behauptete Zusage erteilt habe. Die Tatsache, daß es die Schreiben der Steuerpflichtigen vom 20. September 1966 und vom 14. Februar 1967 unwidersprochen ließ, soweit darin die von Beamten des FA geäußerte Absicht, eine Betriebsprüfung durchführen zu lassen, bestätigt wurde, könne nicht als Zusage gewertet werden. Aber selbst wenn das FA eine Zusage gegeben haben sollte, würde es daran nicht gebunden sein. Die Zusage allein führe nämlich nicht zu einer Bindung. Diese werde erst durch einen außerhalb der Zusage eingetretenen Vertrauenstatbestand begründet. Die Steuerpflichtige habe aber das Vorliegen eines derartigen Vertrauenstatbestandes, z. B. das Verstreichenlassen einer Rechtsmittelfrist im Vertrauen auf die zugesagte Vornahme einer Betriebsprüfung, nicht dargetan.
Mit ihrer Revision rügt die Steuerpflichtige die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie trägt vor: Der Gleichheitsgrundsatz erfordere, daß jeder Steuerpflichtige die Vor- und Nachteile einer Betriebsprüfung in Anspruch nehmen könne. Eine Betriebsprüfung habe unabhängig davon stattzufinden, ob sie für das FA günstig oder ungünstig ausfallen werde. Wenn das FA die Betriebsprüfung bewußt unterlasse, weil es sich keine Vorteile verspreche, dann handele es pflichtwidrig. Die Geschäftslage des Betriebsprüfungsdienstes könne dabei keine Rolle spielen, weil die beantragte Prüfung nur zwei bis drei Tage in Anspruch nehmen würde. Ein so geringer Zeitaufwand würde den Prüfungsdienst in keiner Weise belasten. Es treffe auch nicht zu, daß Betriebe der gleichen Größenordnung erst nach Ablauf von 10 oder 25 Jahren geprüft würden.
Über die Zusage der Betriebsprüfung habe das FG keinen Beweis erhoben. Es habe damit seine Aufklärungspflicht verletzt. Erst nach Prüfung der Zusage und des Schriftwechsels hätte entschieden werden können, inwieweit auch ein Vertrauenstatbestand entstanden sei.
Die Steuerpflichtige beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und nach dem Klageantrag zu entscheiden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG geht zutreffend davon aus, daß einem Steuerpflichtigen ein Rechtsanspruch auf Vornahme einer Betriebsprüfung zur Aufdeckung ihm günstiger neuer Tatsachen grundsätzlich nicht zusteht und daß die Entscheidung über den Antrag, eine Betriebsprüfung durchzuführen, eine Ermessensentscheidung ist (vgl. Urteile des BFH V R 56/67 vom 13. August 1970, BFHE 99, 514, BStBl II 1970, 767; V 125/65 vom 20. Juni 1968, BFHE 93, 206, BStBl II 1968, 756; I 229/60 vom 2. Oktober 1963, StRK, Reichsabgabenordnung, § 222, Rechtsspruch 173; I 243/60 vom 28. Februar 1961, HFR 1961 S. 134).
Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß das FA von seinem Ermessen nicht in fehlerhafter Weise Gebrauch gemacht hat.
Nach dem BFH-Urteil V R 56/67 vom 13. August 1970 (a. a. O.), dem sich der erkennende Senat anschließt, kann ein Ermessensfehler nicht angenommen werden, wenn der Steuerpflichtige die Veranlagungen so, wie sie erfolgt sind, schuldhaft veranlaßt und weder im Betriebsprüfungsverfahren - wenn ein solches bereits stattgefunden hat - noch in einem Rechtsbehelfsverfahren dagegen angegangen ist. Das FA veranlagte die Steuerpflichtige bis einschließlich 1962 nach ihren eigenen Erklärungen. Für 1963 und 1964 hätte die Steuerpflichtige die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vermeiden können, wenn sie Steuererklärungen überhaupt bzw. rechtzeitig und mit brauchbaren Gewinnermittlungsunterlagen abgegeben hätte. Daß die Steuerfestsetzungen so ausfielen, wie sie erfolgt sind, ist deshalb der Steuerpflichtigen zuzurechnen. Für die Jahre bis einschließlich 1963 hat sie es unterlassen, einen Rechtsbehelf einzulegen, um die Tatsachen vortragen zu können, die eine niedrigere Veranlagung gerechtfertigt hätten. Für das Jahr 1964 hätte sie bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Tatsachen vortragen können, die sie durch eine Betriebsprüfung ermittelt haben will.
Da die Weigerung des FA, eine Betriebsprüfung durchzuführen, im Streitfall aus diesem Grunde gerechtfertigt war, braucht der Senat nicht mehr darüber zu entscheiden, ob eine Ablehnung allein wegen der angespannten Geschäftslage des Betriebsprüfungsdienstes oder nur wegen einer zu erwartenden niedrigeren Steuerfestsetzung ermessensfehlerfrei wäre.
Die Entscheidung des FG läßt auch insoweit keinen Rechtsirrtum erkennen, als sie es verneint, daß die Betriebsprüfung wegen der Bindungswirkung einer Zusage durchgeführt werden müsse. Eine Zusage ist der Steuerpflichtigen nicht erteilt worden. An diese Feststellung des FG ist der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden, weil sie keinen Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze enthält und zulässige und begründete Revisionsgründe gegen sie nicht vorgebracht sind. Die Rüge der Steuerpflichtigen, das FG habe über die Zusage der Betriebsprüfung keinen Beweis erhoben und daher auch nicht feststellen können, inwieweit ein Vertrauenstatbestand entstanden sei, ist unbeachtlich. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO. Nach dieser Vorschrift muß die Rüge eines Verfahrensfehlers neben der verletzten Rechtsnorm auch die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Zu diesen Tatsachen gehören bei der Rüge mangelnder Sachaufklärung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil VI C 52.65 vom 22. Januar 1969, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 31 S. 212 [217]) die Beweismittel, deren sich die Vorinstanz nicht bedient haben soll. Der erkennende Senat schließt sich bei der Auslegung des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO dieser Rechtsprechung an. Die Steuerpflichtige hat zwar das Beweisthema angegeben, die Beweismittel aber nicht bezeichnet. Da davon auszugehen ist, daß das FA eine Zusage nicht erteilt hat, kann es dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Durchführung einer Betriebsprüfung verbindlich zugesagt werden kann.
Auch der im Revisionsverfahren vorgetragene Einwand, die Weigerung des FA, eine Betriebsprüfung durchzuführen, verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, greift nicht durch. Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 106/63 vom 15. Mai 1963 (BVerfGE Bd. 16 S. 124 [128]) wird Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt, wenn das FA nach pflichtgemäßem Ermessen die Steuerpflichtigen auswählt, bei denen es eine außerordentliche Betriebsprüfung durchführen will. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz könnte danach nur angenommen werden, wenn die Ablehnung der Betriebsprüfung eine Pflichtverletzung enthielte. Davon kann nicht gesprochen werden, wenn, wie hier, die Entscheidung des FA, eine Betriebsprüfung nicht durchzuführen, ermessensfehlerfrei zustande kam.
Fundstellen
Haufe-Index 70334 |
BStBl II 1973, 275 |
BFHE 1973, 143 |