Entscheidungsstichwort (Thema)

Kinderfreibetrag; Halbteilungsgrundsatz

 

Leitsatz (NV)

Sind Eltern wegen eigener ausreichender Einkünfte des Kindes nicht unterhaltspflichtig, bleibt es beim Halbteilungsgrundsatz auch dann, wenn das Kind im Haushalt des einen Elternteils lebt und der andere keinen Unterhalt zahlt.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 6 S. 4

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) beantragten, für einen 1971 geborenen Sohn der Klägerin aus erster Ehe mit dem Beigeladenen für die Streitjahre 1990 und 1991 jeweils einen (vollen) Kinderfreibetrag von 3 024 DM abzuziehen. Der Sohn befand sich in den Streitjahren in der Ausbildung. Er bezog 1990 Bruttoeinkünfte von 12 309 DM, nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungen verblieben ihm 9 707 DM (809 DM monatlich). Im Streitjahr 1991 waren seine Bezüge höher. Der Beigeladene zahlte keinen Unterhalt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) lehnte es bei der Einkommensteuerfestsetzung für die Streitjahre ab, den Kinderfreibetrag des Beigeladenen auf die Klägerin zu übertragen, weil der Beigeladene wegen der eigenen Bezüge des Sohnes nicht unterhaltspflichtig gewesen sei. Die dagegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 747 veröffentlichten Urteil ab. §32 Abs. 6 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) setze eine Unterhaltspflicht beider Elternteile gegenüber dem Kind voraus. Der Sohn habe -- nach Abzug einer Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen von 150 DM -- eigene Bezüge von 659 DM (809 DM ./. 150 DM) gehabt und sei deshalb nicht unterhaltsberechtigt gewesen.

Dagegen wenden sich die Kläger mit der Revision. Die Vorentscheidung verletze den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Der Sohn sei zwar gegenüber seinen leiblichen Eltern nicht unterhaltsberechtigt gewesen, gleichwohl habe ihm jedoch die Klägerin durch Aufnahme in ihren Haushalt Unterhalt in Form von Unterkunft, Verpflegung und sonst üblichen Leistungen gewährt, während der Beigeladene keinen Unterhalt gezahlt habe. Die Kläger würden durch den Abzug lediglich eines halben Kinderfreibetrages als Familie unangemessen sowohl gegenüber einer intakten Familie als auch gegenüber dem keinerlei Unterhalt leistenden anderen Elternteil benachteiligt. Auch die Halbfamilie stehe unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes.

Die Kläger beantragen die Übertragung des Kinderfreibetrages für den Sohn in den Veranlagungszeiträumen 1990 und 1991 auf die Klägerin.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat es zu Recht abgelehnt, den dem Beigeladenen zustehenden Kinderfreibetrag nach §32 Abs. 6 Satz 4 Alternative 1 EStG auf die Klägerin zu übertragen.

Nach §32 Abs. 6 Satz 4 EStG darf auf Antrag eines Elternteils der Kinderfreibetrag des anderen Elternteils nur dann auf ihn übertragen werden, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung im wesentlichen nachkommt. Der erkennende Senat legt dabei den Wortlaut des §32 Abs. 6 Satz 4 EStG zugrunde, den die Vorschrift durch Art. 1 Nr. 26 Buchst. a, bb des Gesetzes vom 25. Juli 1988 -- Steuerreformgesetz 1990 -- (BGBl I 1988, 1093, 2074, BStBl I 1988, 224) erhalten hat. Der hiervon abweichenden Verwendung des Wortes "Unterhaltspflicht" anstelle von "Unterhaltsverpflichtung" in §32 Abs. 6 Satz 4 EStG in der Bekanntmachung der Neufassung vom 7. September 1990 -- EStG 1990 -- (BGBl I, 1898, BStBl I 1990, 453) liegt weder ein späterer Gesetzesbeschluß zugrunde noch war diese Änderung erforderlich, um Unstimmigkeiten zu beseitigen (vgl. §52 Abs. 4 Nr. 2 EStG 1987), wie die Verwendung des Wortes "Unterhaltsverpflichtung" in §32 Abs. 1 Satz 2 EStG 1990 zeigt. Der Senat geht allerdings davon aus, daß sich aus der Verwendung des Wortes "Unterhaltspflicht" in der Bekanntmachung der Neufassung keine inhaltliche Änderung ergäbe, weil in Verbindung mit dem Verb "nachkommen" hinreichend deutlich wird, daß die konkrete Verpflichtung, Unterhalt zu leisten, entscheidend ist.

Die Übertragung des Kinderfreibetrages setzt danach eine Unterhaltsverpflichtung des anderen Elternteils voraus. Einer Unterhaltsverpflichtung nachkommen kann nur, wer unterhaltspflichtig ist. Besteht keine Verpflichtung, Unterhalt zu leisten, z. B. weil der andere Elternteil mangels ausreichender eigener Mittel nicht leistungsfähig ist oder das Kind über eigene Einkünfte in ausreichender Höhe verfügt, ist eine Abweichung vom Halbteilungsgrundsatz nicht gerechtfertigt (ebenso: FG Düsseldorf, Urteil vom 20. Oktober 1994 14 K 207/90 E, EFG 1995, 218, bei fehlender Unterhaltsberechtigung; FG München, Urteil vom 28. Juni 1994 2 K 722/93, EFG 1997, 747; Friederike Grube, Deutsches Steuerrecht 1997, 810; a. A. FG Münster, Urteil vom 30. Januar 1990 XII 8737/88 E, EFG 1991, 127; FG Bremen, Urteil vom 20. September 1994 193073K 3, EFG 1995, 216; FG Köln, Urteil vom 12. August 1994 3 K 405/93, EFG 1995, 217; Hessisches FG, Urteil vom 22. März 1995 11 K 5447/92, EFG 1995, 887; Müller/Traxel, Betriebs-Berater 1997, 442; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, §32 EStG Anm. 185 a. E.; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., §32 Rz. 67; wohl auch Kubesch, Deutsche Steuer-Zeitung 1987, 532; vgl. auch Abschn. 181 a Abs. 2 Satz 4 der Einkommensteuer-Richtlinien -- EStR -- 1987 bzw. Satz 6 EStR 1990).

Eine vom Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Zwar soll der Kinderfreibetrag Eltern wegen der Aufwendungen, die ihnen durch die Pflege und Betreuung ihrer Kinder oder durch Barunterhalt entstehen, steuerrechtlich entlasten, so daß es unter dem Blickwinkel der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gerechtfertigt sein könnte, den Elternteil, der freiwillig kindbedingte Aufwendungen trägt, auch allein zu entlasten. Der Gesetzgeber hat jedoch den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten, wenn er sich für die andere Lösung entschieden hat, nämlich, es bei dem Halbteilungsgrundsatz zu belassen, wenn keiner der Eltern unterhaltspflichtig ist. Es ist zu bedenken, daß die Gewährung von Kinderfreibeträgen ohnehin nicht stets von einer Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern durch Unterhaltszahlungen abhängt. Auch Eltern, die unterhaltspflichtig sind, aber keinen Unterhalt leisten oder nicht unterhaltspflichtig sind und deshalb keine Aufwendungen haben, erhalten die Kinderfreibeträge.

Schließlich steht es den Eltern in Härtefällen frei, die Übertragung des Kinderfreibetrages durch Zustimmung zu erreichen (§32 Abs. 6 Satz 4 Alternative 2 EStG). Zu dieser Zustimmung kann der andere Elternteil in Fällen, in denen nur einer der Eltern den Unterhalt trägt, auf familienrechtlicher Grundlage verpflichtet sein (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. April 1996 XII ZR 86/95, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 1894).

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall ist der Revision der Erfolg zu versagen. Wie auch die Kläger nicht verkennen, waren beide Eltern gegenüber dem volljährigen Sohn wegen dessen eigener Einkünfte nicht unterhaltspflichtig. Weder die Klägerin noch der Beigeladene konnten daher, wie es §32 Abs. 6 Satz 4 EStG voraussetzt, eine Unterhaltsverpflichtung erfüllen oder nicht erfüllen. Es muß deshalb bei dem in §32 Abs. 6 Satz 1 EStG festgelegten Halbteilungsgrundsatz verbleiben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66581

BFH/NV 1998, 689

HFR 1998, 460

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