Nichtanwendungserlass zu dieser Entscheidung
Entscheidungsstichwort (Thema)
Wechselkursgewinne bei Floating Rate Notes ohne von vornherein bezifferbare Emissionsrendite
Leitsatz (amtlich)
Variabel verzinsliche Wertpapiere, die keine von vornherein bezifferbare Emissionsrendite haben, werden nicht vom Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c oder d EStG erfasst.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 1 Buchst. c, d
Verfahrensgang
FG München (EFG 1999, 701; LEXinform-Nr. 0551090) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) kaufte am 8. Juni 1993 Wertpapiere zum Nennbetrag von 80 000 Australische Dollar (AD). Nach Mitteilung der Bank des Klägers handelt es sich bei den Wertpapieren um Floating Rate Notes (im Folgenden: Floater), die am 2. Juli 1992 emittiert wurden, eine Gesamtlaufzeit von fünf Jahren hatten und deren Zinssatzhöhe vom LIBOR (London Interbank Offered Rate) mit einem Abschlag von 0,05 v.H. und einem Anpassungszeitraum von 6 Monaten abhängig war. Der Emissionskurs betrug lt. Mitteilung der Bank des Klägers 99,61 v.H. Der Kläger versteuerte die halbjährlich zugeflossenen Zinsen. Streitig ist, ob der Kläger einen bei der Einlösung der Wertpapiere am 17. Juli 1997 erzielten Wechselkursgewinn in Höhe von 17 577,99 DM als Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c und d des Einkommensteuergesetzes (EStG) versteuern muss.
Die Kaufabrechnung der Bank vom 8. Juni 1993 lautet wie folgt: |
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Nennbetrag Kurs Kurswert Devisen-Kurs Kaufpreis (umgerechnet) |
80 000 AD 100,25 80 200 AD 1,09005 87 422,01 DM |
Laufzeit 17. Juli 1992 bis 17. Juli 1997 |
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Die Steuerbescheinigungen vom 12. September 1997 hatten folgenden Inhalt:
Rückzahlungskurs in % Bruttobetrag in AD Devisenkurs Bruttobetrag in DM Gutschrift am 17. Juli 1997 |
100,00 80 000 AD 1,3125 105 000,00 DM 75 680,85 AD (netto) |
Höhe der Kapitalerträge (Marktrendite) |
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per 17. Juli 1997 Anrechenbare Kapitalertragsteuer |
17 577,99 DM 5 273,39 DM |
Anrechenbarer Solidaritätszuschlag |
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zur Kapitalertragsteuer |
395,50 DM |
Zahlungstag 17. Juli 1997 |
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) erfasste in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1997 den Wechselkursgewinn von 17 577,99 DM bei den Einkünften aus Kapitalvermögen als "Marktrendite" i.S. von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG. Er berief sich dabei auf ein entsprechendes Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 24. Oktober 1995 IV B 4 -S 2252- 289/95 (Der Betrieb ―DB― 1995, 2293).
Die Kläger wandten dagegen ein, dass es nicht Sinn und Zweck des Gesetzes sei, Wechselkursgewinne auch außerhalb des § 23 EStG zu erfassen; vielmehr sollten lediglich versteckte Veräußerungszinserträge erfasst werden. Solche lägen im Streitfall nicht vor, da der Kläger die Wertpapiere zum Kurs von 100,25 v.H. erworben und zum Kurs von 100 v.H. eingelöst habe.
Mit der Klage machten die Kläger geltend, der Wechselkursgewinn sei zu Unrecht versteuert worden und außerdem sei der Kursverlust von 218,01 DM als negative Marktrendite steuermindernd zu berücksichtigen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, soweit die Kläger sich gegen die Erfassung des Wechselkursgewinns gewandt hatten. Das Begehren, den Kursverlust steuermindernd zu berücksichtigen, wies es ab. Es entschied, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG könne bei sog. Floatern nicht zum Zuge kommen, da bei dieser Form der Kapitalanlage keine "Emissionsrendite" angefallen sei, die vom Steuerpflichtigen nachgewiesen werden könne, um die Besteuerung der Marktrendite abzuwenden. In einem solchen Fall greife die Fiktion in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG ins Leere. Die Besteuerung einer Marktrendite, die allein durch währungsbedingte Kursschwankungen entstehe, widerspreche dem Gesetzeszweck. Für sog. Floater der "einfachsten Form", bei der die Verzinsung ausschließlich mit dem jeweiligen LIBOR oder FIBOR identisch sei, habe das BMF deshalb auch angeordnet, dass die Kapitalerträge ausschließlich nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG zu erfassen seien (Tz. 4 des Schreibens vom 20. Januar 1994 IV B 4 -S 1980- 5/94, Finanz-Rundschau ―FR― 1994, 206). Es sei nicht einzusehen, weshalb dies nicht auch dann gelten solle, wenn ―wie im Streitfall― eine Verzinsung nach LIBOR mit einem festen Abschlag (hier: 0,05 v.H.) erfolgen soll. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 701 veröffentlicht.
Das FA rügt mit der Revision eine unrichtige Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c und d und Nr. 4 Satz 2 EStG.
Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, soweit sie der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das BMF ist dem Verfahren beigetreten. Es ist der Auffassung, dass bei einer Kapitalanlage in ausländischer Währung auch solche Einnahmen aus der Veräußerung oder Einlösung des Wertpapiers vom Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG erfasst werden, die ausschließlich auf einer Änderung des Wechselkurses beruhen. Es sei nicht möglich, die Vorschrift im Wege teleologischer Reduktion einschränkend dahin auszulegen, dass solche Gewinne, die ausschließlich auf Wechselkursänderungen zurückzuführen seien, bei der Ermittlung der sog. Marktrendite zu eliminieren seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der vom FA errechnete Überschuss aus der Einlösung der Floater nicht von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c oder d EStG erfasst wird.
1. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 1997 gültigen Fassung gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen u.a. auch die Einnahmen aus der Veräußerung oder Abtretung von sonstigen Kapitalforderungen, bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis abhängt (Buchst. c, 2. Alt.) oder bei denen die Kapitalerträge in unterschiedlicher Höhe gezahlt werden (Buchst. d, 1. Alt.), soweit sie der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite entsprechen.
a) Floater sind variabel verzinsliche Schuldverschreibungen, bei denen der Zinssatz viertel- oder halbjährlich im Voraus, unter Bezug auf einen Referenzzinssatz des Geldmarktes (im Streitfall: LIBOR), ggf. zuzüglich eines Aufschlags oder abzüglich eines Abschlags auf den Referenzzinssatz (im Streitfall: Abschlag von 0,05 v.H.), festgelegt wird (vgl. Dötsch in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnr. O 117, "Floater"; Gabler Bank-Lexikon, herausgegeben von Grill/ Gramlich/Eller, 11. Aufl., "Floating Rate Notes"). Der LIBOR (London Interbank Offered Rate) ist der Geldmarktsatz, zu dem Banken in London bereit sind, Gelder bei anderen Banken kurzfristig anzulegen (vgl. Dötsch in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 20 Rdnr. O 117, "Floater").
b) Floater erfüllen nach allgemeiner Meinung den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c und d EStG insoweit, als die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis, nämlich der Höhe des Referenzzinssatzes im Zeitpunkt der jeweiligen Zinssatzanpassung, abhängt (Buchst. c, 2. Alt.) und als ―daraus resultierend― Kapitalerträge in unterschiedlicher Höhe (Buchst. d, 1. Alt.) gezahlt werden (vgl. z.B. Dötsch in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 20 Rdnr. O 79).
Soweit der Kläger im Streitfall seine Wertpapiere nicht veräußert oder abgetreten, sondern bei Endfälligkeit eingelöst hat, gelten die Sätze 1 bis 3 gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 4 EStG für die Einlösung durch den zweiten und jeden weiteren Erwerber entsprechend. Da der Kläger unstreitig nicht der Ersterwerber war, sind die genannten Vorschriften entsprechend anwendbar.
Darüber, dass die vorstehenden Voraussetzungen erfüllt sind, besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.
2. Umstritten ist die Auslegung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG, wonach die "rechnerisch auf die Besitzzeit entfallende Emissionsrendite" als Einnahme zu erfassen ist; denn bei Floatern ist die Ermittlung einer von vornherein, d.h. zum Zeitpunkt der Ausgabe des Wertpapiers, bezifferbaren Emissionsrendite objektiv unmöglich (vgl. Harenberg in Herrmann/Heuer/ Raupach ―HHR―, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 20 EStG Anm. 1120).
a) Der Begriff der Emissionsrendite ist im Gesetz nicht definiert. Im Wirtschaftsleben wird unter Emissionsrendite die Rendite von festverzinslichen Wertpapieren bei erstmaliger Abgabe (= Emission) verstanden (vgl. Gabler Wirtschafts-Lexikon, 14. Aufl., "Emissionsrendite"). Eine solchermaßen definierte Emissionsrendite können Floater als variabel verzinsliche Anleihen nicht haben.
Das BMF hat in einem Schreiben vom 30. April 1993 IV B 4 -S 2252- 480/93 (BStBl I 1993, 343, Nr. 1) als kennzeichnend für den Begriff der Emissionsrendite angesehen, "dass bei Ausgabe des Papiers von vornherein eine Rendite versprochen wird, die bei Einlösung mit Sicherheit erzielt werden kann (Emissionsrendite)". § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG in seiner für das Streitjahr 1997 gültigen Fassung ist durch Art. 1 Nr. 15 Buchst. b dd des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz ―StMBG―) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, 2313, BStBl I 1994, 50, 53) mit Wirkung ab dem 1. Januar 1994 in das Gesetz eingefügt worden. In den Gesetzesmaterialien zur Neuregelung dieser Vorschrift ist auf das Schreiben des BMF in BStBl I 1993, 343 Bezug genommen worden (BTDrucks 12/6078, S. 116 f.). Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff stillschweigend im Sinne des BMF-Schreibens verstanden hat und diese Definition dem Gesetz zugrunde liegt. Danach hat ein Floater keine Emissionsrendite i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG, weil angesichts des variablen Zinssatzes nicht von vornherein eine bezifferbare Rendite versprochen wird, die mit Sicherheit erzielt werden kann.
Dieses Ergebnis stimmt auch mit der in der Literatur vertretenen Auffassung überein. Danach ist unter Emissionsrendite die vom Emittenten bei der Begebung der Anleihe ―also von vornherein― zugesagte Rendite zu verstehen, die bis zur Einlösung des Papiers (Endfälligkeit der Kapitalforderung) mit Sicherheit ―also mindestens― erzielt werden kann (vgl. z.B. Dötsch in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 20 Rdnr. O 39 und O 83; HHR/Harenberg, a.a.O., § 20 EStG Anm. 1112; Riegler in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 20 EStG Rz. 270b; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 20 Rz. 184). Eine solchermaßen zu verstehende Emissionsrendite haben Floater nicht, weil bei ihnen die Höhe der Kapitalerträge von ungewissen zukünftigen Ereignissen abhängt und somit nicht im Zeitpunkt der Emission berechnet und zugesagt werden kann (vgl. Dötsch in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 20 Rdnr. O 83 i.V.m. O 39 ff.).
b) Die in Satz 1 der Nr. 4 des § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG getroffene Regelung, dass die Einnahmen aus der Veräußerung oder Abtretung zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören, soweit sie der "rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite" entsprechen, ist nach zutreffender Auffassung der Vorinstanz ihrem Wortlaut gemäß dahin zu verstehen, dass Wertpapiere ohne eine von vornherein bezifferbare Emissionsrendite ―und folglich Floater― nicht unter den gesetzlichen Tatbestand fallen. Denn die Ermittlung der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite setzt das Vorliegen einer Emissionsrendite im gesetzlichen Sinne voraus. Fehlt sie, ist ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands nicht erfüllt.
Zu einem anderen Gesetzesverständnis führt auch nicht der Satz 2, welcher die sog. Marktrendite für maßgeblich erklärt und wie folgt lautet:
"Weist der Steuerpflichtige die Emissionsrendite nicht nach, gilt der Unterschied zwischen dem Entgelt für den Erwerb und den Einnahmen aus der Veräußerung, Abtretung oder Einlösung der Wertpapiere und Kapitalforderungen als Kapitalertrag."
Es handelt sich um eine Beweislastregelung, die an den Tatbestand des vorangehenden Satzes 1 anknüpft. Ihr fehlt die Grundlage und sie ist nicht anwendbar, wenn der Tatbestand des Satzes 1 nicht erfüllt sein kann, weil die konkrete Kapitalanlage ihrer Art nach keine Emissionsrendite im Sinne des Gesetzes hat. Ein Gesetzgeber, der Rechtsfolgen an einen fehlenden Nachweis knüpft, setzt vernünftigerweise die objektive Möglichkeit des Nachweises voraus. Wenn ein Tatbestandsmerkmal bereits objektiv nicht vorliegen kann, ist an diesen Sachverhalt und nicht an einen fehlenden Nachweis anzuknüpfen.
3. Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass bei diesem Verständnis der Gesetzgeber eine Neuregelung getroffen hat, deren Tatbestandsmerkmale sich einander teilweise in so offensichtlicher Weise gegenseitig ausschließen, dass ihm dies schlechterdings nicht entgangen sein kann. Danach ist es zwar möglich, dass der Gesetzgeber angenommen hat, es sollten bereits immer dann, wenn der jeweils übrige Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. a bis d EStG erfüllt ist, die Einnahmen aus einer Veräußerung, Abtretung oder Einlösung zu einem Kapitalertrag führen: Entweder solle die rechnerisch auf die Besitzzeit entfallende Emissionsrendite oder es solle ―bei Fehlen einer Emissionsrendite im gesetzlichen Sinne ebenso wie beim fehlenden Nachweis der für die Berechnung erforderlichen Tatsachen― die Differenz zwischen Erwerbspreis und Erlös (sog. Marktrendite) erfasst werden. Aber die folgenden Überlegungen rechtfertigen die Auslegung, nach der Wertpapiere ohne eine von vornherein bezifferbare Emissionsrendite nicht unter den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG fallen:
a) Die Ermittlung des Kapitalertrags nach der sog. Marktrendite i.S. des Satzes 2 der Vorschrift durchbricht das System der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG). Die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen wird von dem Grundsatz beherrscht, dass zwischen dem Kapitalvermögen als solchem und dem Ertrag als Frucht des Kapitals zu unterscheiden ist; grundsätzlich wirken sich deshalb Wertänderungen der Kapitalanlage als solche auf die Besteuerung der erzielten Erträge im Rahmen des § 20 EStG nicht aus (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 9. Oktober 1979 VIII R 67/77, BFHE 129, 132, BStBl II 1980, 116, m.w.N.; vom 11. Februar 1981 I R 98/76, BFHE 133, 35, BStBl II 1981, 465; vom 15. Dezember 1987 VIII R 281/83, BFHE 154, 456, BStBl II 1989, 16; vom 27. Juni 1989 VIII R 30/88, BFHE 157, 541, BStBl II 1989, 934; vom 2. März 1993 VIII R 13/91, BFHE 171, 48, BStBl II 1993, 602). Ausnahmsweise können sich aus Wertsteigerungen Kapitalerträge i.S. des § 20 EStG insoweit ergeben, als in ihnen Nutzungen enthalten sind (vgl. BFH in BFHE 171, 48, BStBl II 1993, 602, 603, m.w.N.).
In § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG wird die Fiktion aufgestellt, dass bei fehlendem Nachweis der Emissionsrendite als Kapitalertrag "der Unterschied zwischen dem Entgelt für den Erwerb und den Einnahmen aus der Veräußerung, Abtretung oder Einlösung der Wertpapiere oder Kapitalforderungen" gilt. Dadurch werden sämtliche Wertänderungen der Kapitalanlage als Kapitalertrag berücksichtigt. Bei einer Kapitalanlage in ausländischer Währung werden auch solche Gewinne aus der Veräußerung einbezogen, die ausschließlich auf Wechselkursänderungen beruhen. Denn wie das BMF zutreffend dargelegt hat, ist die Umrechnung nach dem Wechselkurs vorzunehmen, der im Zeitpunkt des jeweiligen Vorgangs maßgebend ist (vgl. z.B. Wassermeyer in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 20 Rdnr. B 64). Bei der Ermittlung des Kapitalertrags nach der sog. Marktrendite ist die Umrechung also jeweils zum Zeitpunkt des Erwerbs und der Veräußerung oder Einlösung des Wertpapiers durchzuführen. Der allein aufgrund von Wechselkursänderungen erzielte Veräußerungsgewinn betrifft aber das Kapitalvermögen als solches, d.h. den Vermögensstamm, und ist auch bei einer wirtschaftlichen Betrachtung nicht als Frucht des Geldkapitals oder Entgelt für die Kapitalnutzung zu beurteilen (vgl. BFH in BFHE 129, 132, BStBl II 1980, 116).
Die Besteuerung nach der sog. Marktrendite stellt danach einen Systembruch dar, weil auch Wertänderungen ohne den Charakter eines Nutzungsentgelts als Kapitalertrag gelten. Bei einem solchen Eingriff in ein bestehendes Besteuerungssystem sind die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen die systemwidrigen Rechtsfolgen eintreten sollen, eindeutig und unmissverständlich festzulegen. Ist dies nicht geschehen, liegt jedenfalls im Zweifel eine restriktive Auslegung näher als eine extensive, zumal nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Systemwidrigkeit einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz indizieren kann (vgl. Beschlüsse vom 7. November 1972 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, 103, 115; vom 22. Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, 224, m.w.N.).
b) Tatsächlich wäre eine Gesetzesauslegung, die zur Folge hätte, dass reine Wechselkursgewinne nicht nur hilfsweise, sondern unabwendbar als Kapitalertrag erfasst werden, aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht unbedenklich. Die bei der Besteuerung nach der sog. Marktrendite erfasste Wertänderung jedweder Art bei Kapitalanlagen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG einerseits und die Nichterfassung vergleichbarer Wertänderungen bei den übrigen Kapitalanlagen andererseits führt zu einer Ungleichbehandlung: Während bei den erstgenannten Kapitalanlagen in ausländischer Währung die auf einer Änderung des Wechselkurses beruhende Wertänderung als sog. Marktrendite versteuert werden muss, werden bei letzteren Wechselkursgewinne nicht erfasst. Die darin liegende Ungleichbehandlung hält nur dann einer Überprüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes stand, wenn sich für sie einleuchtende Gründe anführen lassen.
Eine Gesetzesauslegung, bei der Wertpapiere ohne eine von vornherein bezifferbare Emissionsrendite nicht unter den gesetzlichen Tatbestand fallen, hat zur Folge, dass die Besteuerung nach der sog. Marktrendite stets nur hilfsweise eingreift. Denn der Steuerpflichtige kann diese Besteuerung durch den Nachweis der Emissionsrendite abwenden. Dem Einwand der willkürlichen Ungleichbehandlung kann mit dem Hinweis begegnet werden, dass der Steuerpflichtige diese Art der Besteuerung durch einen Nachweis vermeiden kann. Dieses Argument entfiele, wenn auch Kapitalanlagen ohne eine von vornherein bezifferbare Emissionsrendite erfasst würden. Bei diesen wäre die Besteuerung nach der sog. Marktrendite zwingend.
Der Senat hat Bedenken, ob es hinreichend einleuchtende Gründe dafür gäbe, bei den in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG aufgeführten Kapitalanlagen reine Wechselkursgewinne zu erfassen, die ausschließlich die Kapitalvermögensebene betreffen, während bei den übrigen Kapitalanlagen darauf verzichtet wird. Es erscheint zweifelhaft, ob allein Gründe der Verwaltungsvereinfachung diese Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Jedenfalls ist nicht ohne weiteres erkennbar, dass der Verwaltungsmehraufwand unverhältnismäßig oder unzumutbar wäre, der entstünde, wenn für die Berechnung des zu berücksichtigenden Kapitalertrags eine Methode vorgeschrieben würde, bei der reine Wechselkursgewinne aus dem zu versteuernden Kapitalertrag ―zumindest annäherungsweise― zu eliminieren wären.
c) Schließlich wird durch eine Auslegung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG, bei der Wertpapiere ohne eine von vornherein bezifferbare Emissionsrendite nicht den Tatbestand erfüllen, auch vermieden, dass solche Kapitalanlagen nach der sog. Marktrendite zu besteuern sind, deren Erfassung ―auch nach Auffassung des BMF― nicht der gesetzgeberischen Intention entspricht.
Der Gesetzgeber hat mit der durch das StMBG eingefügten Neuregelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG nur die Erfassung von verdeckten Zinserträgen angestrebt. Er hat die Gesetzesänderung mit der Begründung für geboten gehalten, dass ab dem Jahre 1993 nach der Neuregelung der Zinsbesteuerung ―durch das Zinsabschlaggesetz mit der Erhebung eines Zinsabschlags von 30 v.H.― zunehmend neue Kapitalanlageformen angeboten worden seien, mit denen der Zinsabschlag oder sogar die Einkommensbesteuerung vermieden werden könne (sog. Finanzinnovationen). Diese Kapitalanlagen seien so ausgestaltet worden, dass der aus ihnen erzielte wirtschaftliche Vorteil möglichst nicht als steuerpflichtiger Kapitalertrag, sondern als steuerfreier Kursgewinn anfalle. Deshalb sei es erforderlich gewesen, den Begriff der steuerpflichtigen Kapitalerträge zu erweitern und außerdem eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, dass im Falle der Veräußerung von Wertpapieren die im Kurs der Papiere und damit im Veräußerungspreis enthaltenen Erträge auch im Privatbereich der Einkommensteuer und dem Zinsabschlag unterlägen (vgl. BTDrucks 12/6078, S. 116 f.). Der Gesetzgeber wollte solche Kapitalanlagen einbeziehen, bei denen an sich steuerpflichtige Zinserträge als steuerfreier Wertzuwachs konstruiert werden (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59) und die sich den Umstand zunutze machen, dass nach bis dahin gültigem Recht im Privatvermögen zwischen steuerpflichtigen Kapitalerträgen (z.B. Zinsen) und steuerfreien Vermögensmehrungen (z.B. Kursgewinne) unterschieden worden war (vgl. BTDrucks 12/6078, S. 116). Er wollte sicherstellen, "dass Vorteile, die unabhängig von ihrer Bezeichnung und ihrer zivilrechtlichen Gestaltung bei wirtschaftlicher Betrachtung für die Überlassung von Kapitalvermögen zur Nutzung erzielt werden, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören" (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59).
Das BMF hat bereits kurz nach der gesetzlichen Neuregelung in einem Schreiben vom 20. Januar 1994 (in FR 1994, 206) erklärt, dass bei der einfachsten Form der Floater, bei der die Verzinsung ausschließlich mit dem jeweiligen LIBOR oder FIBOR identisch ist, keine Bedenken bestehen, wenn die Kapitalerträge aus der Veräußerung nicht nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG, sondern nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG steuerlich erfasst werden. Es hat dies damit gerechtfertigt, dass sich im Erwerbspreis für das Papier keine künftigen Ertragserwartungen niederschlagen. Tatsächlich wird bei einem Floater durch die regelmäßige Anpassung an den Marktzins gewährleistet, dass der Kurs des Wertpapiers etwa dem Nennbetrag bzw. dem Rückzahlungsbetrag der Anleihe entspricht. Deshalb wird auch in der Literatur die Auffassung vertreten, die Einnahmen aus der Veräußerung, Abtretung oder Einlösung von Floatern seien nicht nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG zu berücksichtigen (vgl. Dahm/Hamacher, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Sonderbeil. Nr. 3 zu Nr. 21/1994, S. 11; Scheurle, DB 1994, 445, 450; Schäfer/Zimmermann, DB 1994, 2207, 2209; Fleischmann, DB 1996, 2579, 2581 f.; Wellmann, Deutsche Steuer-Zeitung 1996, 329; Harenberg/Irmer, Besteuerung privater Kapitaleinkünfte, 2. Aufl. 1997, Rdnr. 894 ff.; Harenberg, Gestaltende Steuerberatung 1998, Nr. 11, 14 f.; Harenberg/Irmer, Neue Wirtschafts-Briefe Fach 3, S. 10731, 10734 ff.; Harenberg, Die Steuerberatung 1998, 343, 345; Lutz Schmidt in: Gestaltung und Analyse in der Rechts-, Wirtschafts- und Steuerberatung von Unternehmen, herausgegeben von Haarmann, Hemmelrath & Partner, 1998, S. 223, 229 ff.; zweifelnd Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 20 Rz. 184; ablehnend, weil zwar überzeugend, aber contra legem: Theisen/Wenz in: Tax Treatment of Financial Instruments 1996, S. 160 Fn. 289).
Diese Rechtsauffassung wäre aber schwerlich zu begründen, wenn auch Wertpapiere ohne eine von vornherein bezifferbare Emissionsrendite unter den gesetzlichen Tatbestand fielen.
Fundstellen
Haufe-Index 509047 |
BFH/NV 2001, 259 |
BStBl II 2001, 97 |
BFHE 193, 374 |
BFHE 2001, 374 |
BB 2000, 2619 |
BB 2001, 915 |
DStR 2000, 2179 |
DStRE 2001, 80 |
HFR 2001, 125 |
StE 2000, 771 |