Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Betriebsaufgabe bei Vermächtnisnießbrauch an einem Betrieb
Leitsatz (NV)
Die Einräumung eines Vermächtnisnießbrauchs an einem Betrieb führt weder mit dem Erbfall noch mit der Nießbrauchsbestellung zur Betriebsaufgabe. Die Betriebsaufgabe kann jedoch vom Zeitpunkt der Nutzungsüberlassung jederzeit dem FA gegenüber erklärt werden. Eine Betriebsaufgabe kann nicht rückwirkend erklärt werden.
Normenkette
EStG §§ 14, 16 Abs. 3; BGB §§ 1089, 1085; EStR R 139 Abs. 5 S. 13
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) leben seit 14. August 1984 im Güterstand der Gütergemeinschaft. Durch Testament vom 12. Juni 1981 setzte P den Kläger zum Alleinerben ihres land- und forstwirtschaftlichen Betriebs in X ein. Im Testament war u. a. bestimmt, daß der Kläger dem E einen unentgeltlichen lebenslänglichen Nießbrauch am land- und forstwirtschaftlichen Betrieb einräumen müsse. Dem Kläger war das Recht eingeräumt, die Aufhebung des Nießbrauchs für den Fall zu verlangen, daß der Hof nicht mehr ordentlich bewirtschaftet werden könne; dem Nießbraucher war dann ein unentgeltlicher Austrag zu gewähren, der u. a. aus einem Wohnrecht im Haus in X bestand.
Am 25. August 1981 verpachtete P den Hof an E auf die Dauer von neun Jahren gegen einen jährlichen Pachtzins von ... DM. Dieser verpachtete den Betrieb unter. Nachdem am ... November 1984 der Erbfall eingetreten war, bestellten die Kläger in Erfüllung des Vermächtnisses durch notariellen Vertrag vom 30. Januar 1985 den unentgeltlichen Nießbrauch am land- und forstwirtschaftlichen Betrieb bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres des Vermächtnisnehmers. Mit Schreiben vom 4. Juli 1985 erklärte der Kläger die Aufgabe des Betriebs zum 2. November 1984.
Am 11. Oktober 1993 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) einen Feststellungsbescheid für das Streitjahr (1985) mit einem Aufgabegewinn von ... DM. Die dagegen gerichtete Sprungklage, der das FA zugestimmt hat, blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) schloß sich der Auffassung der Kläger, der unentgeltliche Nießbrauch mindere den Aufgabewert, nicht an und führte zur Begründung im wesentlichen aus:
Der Kläger sei als Erbe in vollem Umfang in die Rechtsposition der Erblasserin eingetreten. Da er dem Vermächtnisnehmer gegenüber verpflichtet gewesen sei, das Vermächtnis zu erfüllen, dies aber ertragsteuerlich kein Entgelt für die Überlassung des Betriebs sei, habe er den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nicht als durch den Nießbrauch belastetes Eigentum erworben. Mit Erfüllung der Nießbrauchsverpflichtung sei eine Betriebsaufgabe anzunehmen, weil anders als bei einer entgeltlichen Nutzungsüberlassung, bei unentgeltlicher Nießbrauchsbestellung an einem Grundstück, dieses entnommen werde (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. November 1987 IV R 171/85, BFHE 152, 95, BStBl II 1988, 490). Daraus aber sei zu schließen, daß der unentgeltliche Unternehmensnießbrauch zu einer Betriebsaufgabe führe, die keiner Erklärung bedürfe.
Die Kläger rügen mit ihrer vom FG zugelassenen Revision die Verletzung materiellen Rechts. Sie sind der Auffassung, die Betriebsaufgabe sei bereits mit dem Erbfall am 2. November 1984 eingetreten, so daß der Aufgabegewinn im Veranlagungszeitraum 1984 zu erfassen gewesen wäre. Dies folge daraus, daß dem Vermächtnisnehmer die Einkünfte schon vom Erbfall an zugerechnet würden, wenn der Nießbrauch -- wie im Streitfall -- bereits vor seiner Erfüllung tatsächlich durchgeführt werde (Hinweis auf Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -- BMF -- vom 11. Januar 1993, BStBl I 1993, 62 Tz. 68). Da sie, die Kläger, zu keinem Zeitpunkt Eigentümer eines unbelasteten Betriebs gewesen seien, müsse der gemeine Wert der Grundstücke um die Nießbrauchslast gemindert werden (Hinweis auf FG Hamburg vom 21. Oktober 1987, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1988, 227, rechtskräftig).
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es ist der Auffassung, die Betriebsaufgabe sei weder mit dem Erbfall noch der Nießbrauchsbestellung, sondern erst mit dem Zugang der Erklärung anzunehmen. Da aber die gemeinen Werte der in das Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens zum 4. Juli 1985 den Werten zum Zeitpunkt der Nießbrauchsbestellung entsprächen, sei der Streit über den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe nicht entscheidungserheblich. Im übrigen könne die Nießbrauchsverpflichtung als außer betriebliche Last den gemeinen Wert der Wirtschaftsgüter des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs nicht mindern.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Betrieb mit der Bestellung des Vermächtnisnießbrauchs zwangsläufig aufgegeben wurde. Entgegen der Revision hat aber auch der Erbfall nicht die Aufgabe des mit einem Nießbrauchsvermächtnis belasteten Betriebs bewirkt.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats führt die Bestellung eines Nießbrauchs an einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zur Entstehung zweier Betriebe, eines ruhenden Eigentümerbetriebs und eines wirtschaftenden Betriebs in der Hand des Nießbrauchers (Urteile vom 26. Februar 1987 IV R 325/84, BFHE 150, 321, BStBl II 1987, 772; vom 15. Oktober 1987 IV R 66/86, BFHE 152, 62, BStBl II 1988, 260). Wie beim Wirtschaftsüberlassungsvertrag oder der Betriebsverpachtung (s. auch § 22 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches -- HGB --) sind dem Eigentümer und Nießbrauchsverpflichteten daher etwaige Gewinne aus der Veräußerung oder Entnahme von Anlagegütern so lange als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft zuzurechnen, als er nicht die Betriebsaufgabe erklärt hat. Die von der Revision aufgeworfene Frage nach der Zurechnung der laufenden Einkünfte des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs beim Vermächtnisnießbrauch könnte in diesem Zusammenhang zwar von Bedeutung sein, weil sich danach der Zeitpunkt bestimmen ließe, in dem das sog. Verpächterwahlrecht entstanden ist. Die Frage, ob das Wahlrecht, die Betriebsaufgabe zu erklären, erst im Zeitpunkt der Bestellung des Nießbrauchs am 30. Januar 1985 oder bereits mit dem Erbfall am 2. November 1984 entstanden ist, bedarf im Streitfall jedoch keiner Entscheidung, weil der Kläger die Betriebsaufgabe dem FA gegenüber erst mit Schreiben vom 4. Juli 1985 erklärt hat.
b) Zu Unrecht hat das FG demgegenüber unter der Annahme, daß die Bestellung eines unentgeltlichen Nießbrauchs zur Entnahme eines Grundstücks zwinge, auf eine Betriebsaufgabe im Zeitpunkt der Nießbrauchsbestellung geschlossen und sich dazu auf das Urteil des Senats vom 26. November 1987 IV R 171/85 (BFHE 152, 95, BStBl II 1988, 490) berufen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Mit dem Urteil in BFHE 152, 95, BStBl II 1988, 490 hat der Senat zwar entschieden, daß die entgeltliche Bestellung eines Erbbaurechts an einem betrieblichen Grundstück und dessen anschließende private Bebauung durch den Berechtigten nicht zur Entnahme des Grundstücks führen, weil es sich dabei um eine Nutzungsänderung handelt, die jedenfalls nicht zur Annahme notwendigen Privatvermögens führt (s. auch Senatsurteil vom 10. Dezember 1992 IV R 115/91, BFHE 170, 141, BStBl II 1993, 342). Bei dieser Rechtsprechung ging es allein um die Frage, ob die Nutzungsänderung eines Grundstücks auch dessen Betriebsvermögenseigenschaft berührt. Dies ist bei der Bestellung eines Vermächtnisnießbrauchs an den wesentlichen Betriebsgrundlagen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs (§ 1089 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB -- i. V. m. § 1085 BGB) nicht der Fall, sei sie nun entgeltlich oder wie im Streitfall unentgeltlich erfolgt. Denn nach den von der Rechtsprechung auch auf den Nießbrauch für anwendbar erklärten Betriebsverpachtungsgrundsätzen (BFHE 150, 321, BStBl II 1987, 772, und BFHE 152, 62, BStBl II 1988, 260) bleiben die Wirtschaftsgüter, an denen der Nießbrauch begründet wird, notwendiges Betriebsvermögen des ruhenden Eigentümerbetriebs.
c) Nach alledem konnte der Kläger als Nießbrauchsverpflichteter spätestens mit der Nießbrauchsbestellung jederzeit die Betriebsaufgabe erklären. Eine solche Erklärung könnte in dem Schreiben vom 4. Juli 1985 dem FA gegenüber enthalten sein. Allerdings konnte der Kläger eine rückwirkende Betriebsaufgabe zum 2. November 1984 nicht erklären. Abgesehen davon, daß der Kläger auf diesen Zeitpunkt keine Aufgabebilanz erstellt hatte, können steuerrechtliche Gestaltungserklärungen, zu denen die Betriebsaufgabeerklärung gehört, nicht mit rückwirkender Kraft abgegeben werden (vgl. Senatsurteile in BFHE 152, 62, 69, BStBl II 1988, 260, 263; vom 12. März 1992 IV R 29/91, BFHE 168, 405, 413, BStBl II 1993, 36, 40). Soweit die Finanzverwaltung (vgl. R 139 Abs. 5 Satz 13 der Einkommensteuer-Richtlinie -- EStR -- 1993) die Ermittlung des Betriebsaufgabegewinns auf einen längstens drei Monate zurückliegenden Zeitpunkt zuläßt, handelt es sich nicht um die steuerliche Anerkennung einer rückwirkend erklärten Betriebsaufgabe, sondern um eine Vereinfachungsregelung durch Übernahme früher ermittelter Werte, die auf dem Erfahrungssatz beruht, daß sich die Werte in einem Zeitraum von drei Monaten regelmäßig kaum verändern (BFH-Urteil vom 27. Februar 1985 I R 235/80, BFHE 143, 436, BStBl II 1985, 456).
Wie der Senat mehrfach entschieden hat, ist bei der Mitteilung eines Steuerpflichtigen, er habe seinen Betrieb zu einem früheren Zeitpunkt aufgegeben, im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob sich der Steuerpflichtige auf die Äußerung einer Rechtsansicht beschränken oder ob er zugleich eine rechtsgestaltende Erklärung für den Fall abgeben wollte, daß sich das FA seiner Rechtsansicht nicht anschließen würde (vgl. Urteile in BFHE 152, 62, BStBl II 1988, 260, und vom 13. September 1990 IV R 60/90, BFH/NV 1991, 297).
2. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Das FG hat von seinem Standpunkt zutreffend die in dem Schreiben des Klägers vom 4. Juli 1985 enthaltene Mitteilung an das FA nicht ausgelegt. Die Auslegung einer Willenserklärung aber obliegt dem FG als Tatsacheninstanz; der BFH kann nur die Würdigung einer Willenserklärung durch das FG daraufhin überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) beachtet hat (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa BFH-Urteile vom 16. Mai 1990 I R 16/88, BFHE 161, 495, BStBl II 1990, 1049, und vom 24. April 1991 XI R 9/87, BFHE 164, 279, BStBl II 1991, 723).
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG in entsprechender Anwendung des § 133 BGB den wirklichen Willen des Klägers zu erforschen haben und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften. Maßgebend ist, was bei objektiver Würdigung für denjenigen erkennbar geworden ist, für den die Erklärung bestimmt ist. Dabei ist nicht nur die Erklärung selbst, sondern die objektive Erklärungsbedeutung des Gesamtverhaltens des Erklärenden einschließlich der Nebenumstände in die Auslegung einzubeziehen (BFH-Urteil vom 7. Mai 1982 VI R 49/79, BFHE 136, 46, BStBl II 1982, 685 m. w. N.). Kommt das FG zu dem Ergebnis, daß die Mitteilung im Schreiben vom 4. Juli 1985 als rechtsgestaltende Erklärung einer Betriebsaufgabe zu verstehen sei, so ist der Betriebsaufgabegewinn gemäß §§ 14, 16 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes auf den Zeitpunkt des Zugangs der Betriebsaufgabeerklärung zu ermitteln (BFH in BFHE 143, 436, BStBl II 1985, 456). Der danach anzusetzende gemeine Wert der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens ist nicht um den Wert der Nießbrauchsverpflichtung zu mindern (BFH in BFHE 150, 321, BStBl II 1987, 772).
Fundstellen
Haufe-Index 65920 |
BFH/NV 1996, 600 |
BFH/NV 1996, 601 |