Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterbringung von Aus- und Übersiedlern als steuerfreie kurzfristige Beherbergung von Fremden
Leitsatz (NV)
Entscheidend die Frage, ob eine kurzfristige oder eine auf Dauer angelegte Überlassung von Räumen vorliegt, ist die aus den gesamten äußeren Umständen ableitbare diesbezügliche Absicht des Vermieters. Die Gewichtung der jeweiligen Sachverhaltselemente (Abgrenzungskriterien) ist als Teil der tatsächlichen Würdigung Aufgabe des Finanzgerichts.
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a, S. 2, § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) brachte in ... möblierten Appartements auf einem ihm gehörenden Grundstück ab Ende 1990 Aus- und Übersiedler unter, die ihm von einem staatlichen Übergangswohnheim (ÜWH) zugewiesen worden waren.
Grundlage der Unterbringung in den Streitjahren (1990 und 1991) war ein mit dem Land ... ,vertreten durch das zuständige Landratsamt, geschlossener Vertrag. In diesem Vertrag verpflichtete sich der Kläger gegenüber dem Land, den von der Leitung des ÜWH benannten Aus- und Übersiedlern Unterkunft zu gewähren. Der Preis für die Unterbringung einschließlich aller Nebenkosten und Mehrwertsteuer wurde pro Person und Tag festgelegt. Die Verträge konnten täglich auf den Vormittag des folgenden Tages (außer Samstag, Sonntag und Feiertag) gekündigt werden.
Der Kläger war vom Landratsamt dazu angehalten worden, das Grundstück zu erwerben und an das Land für die Unterbringung von Aus- und Übersiedlern zu vermieten. Die Vertragsschließenden gingen hierbei davon aus, daß das Land die Räume für mehrere Jahre benötigen und nicht von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen werde.
Abweichend von den Umsatzsteuererklärungen des Klägers sah der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Beherbergung der Aus- und Übersiedler als steuerpflichtige Umsätze mit der Begründung an, der Kläger habe die vermieteten Räume i. S. von § 4 Nr. 12 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980/1991 nur "zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden" bereitgehalten.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) u. a. aus, der Kläger habe die streitigen Wohn- und Schlafräume nicht i. S. des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980/1991 zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereitgehalten, sondern die aus äußeren Umständen ableitbare Absicht gehabt, dem Land die Räumlichkeiten langfristig zu vermieten. Das FG stützte diese Auffassung u. a. auf eine von ihm eingeholte Stellungnahme des zuständigen Landratsamtes.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 4 Nr. 12 UStG 1980/1991). Es ist der Auffassung, das FG sei von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. Februar 1994 V R 74/92 (BFH/NV 1995, 365) abgewichen. Danach sei für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 entscheidend, ob der Unternehmer die Räume nach seiner aus den äußeren Umständen ableitbaren Absicht nur zur vorübergehenden Beherbergung bereitgehalten habe. Äußere Umstände im Sinne dieser Rechtsprechung seien in erster Linie die Regelungen im Mietvertrag. Die Tatsache, daß dieser Vertrag täglich vom Land ... habe gekündigt werden können, habe bei einer zutreffenden Auslegung des Vertragsinhalts durch das FG zur Steuerpflicht der Mietumsätze führen müssen. Das FG sei zudem in den Entscheidungsgründen nicht darauf eingegangen, daß der Mietpreis einschließlich Mehrwertsteuer vereinbart worden sei.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet. Die Vorentscheidung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat ohne Rechtsverstoß angenommen, daß der Kläger die Appartements dem Land ... im Wege der Vermietung überlassen hatte und daß die hierdurch erzielten Umsätze steuerfrei waren.
1. Der Senat hält das Ergebnis des FG, daß die Überlassung der Appartements an das Land durch Vermietung erfolgte, aufgrund der Feststellungen des FG für einwandfrei. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß zwischen dem Kläger und dem Land ein anderes Rechtsverhältnis vereinbart worden ist.
2. Die Vermietung der Appartements durch den Kläger war steuerfrei gemäß § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG 1980/1991. Der Kläger hielt die in den Appartements vorhandenen Wohn- und Schlafräume nicht zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereit, wodurch die Steuerfreiheit gemäß Satz 2 dieser Vorschrift ausgeschlossen gewesen wäre.
a) Entscheidend für die Frage, ob eine kurzfristige oder eine auf Dauer angelegte Überlassung von Räumen vorliegt, ist nicht die tatsächliche Dauer der Vermietung, sondern die aus den äußeren Umständen ableitbare diesbezügliche Absicht des Vermieters (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH- Urteile vom 21. September 1989 V R 170/84, BFH/NV 1990, 532, unter 1. b und c; vom 27. Oktober 1993 XI R 69/90, BFH/NV 1994, 744, unter 1.).
b) Für die Frage, ob diese Absicht vorliegt, sind die Gesamtumstände maßgeblich (vgl. BFH-Beschluß vom 11. Januar 1990 V B 109/89, BFH/NV 1990, 607, unter 4.; BFH- Urteil in BFH/NV 1994, 744 unter 2.). Die Gewichtung der jeweiligen Sachverhaltselemente (Abgrenzungskriterien) ist als Teil der tatsächlichen Würdigung Aufgabe des FG. Der BFH als Revisionsgericht kann nicht eine eigene Tatsachenwürdigung an die Stelle der -- als möglich erachteten -- Würdigung durch das FG setzen, sondern hat nur zu prüfen, ob dem FG bei der Tatsachenwürdigung Rechtsverstöße unterlaufen sind (vgl. BFH-Urteile vom 14. Juni 1985 VI R 150--152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661 am Ende; vom 11. April 1990 I R 22/88, BFH/NV 1990, 768, unter 2.; vom 14. März 1991 V R 73/86, BFH/NV 1992, 204).
3. Das FG ist im Streitfall in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, daß die Absicht des Klägers darauf gerichtet gewesen ist, die vermieteten Räume langfristig an das Land zu vermieten und nicht lediglich zur kurzfristigen Beherbergung i. S. des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980/1991 bereitzuhalten.
a) Das FG hat -- von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgehend -- den Sachverhalt umfassend ermittelt und keine wesentlichen Umstände vernachlässigt. Es hat die festgestellten Tatsachen in nachvollziehbarer Weise vertretbar gewürdigt.
Das FG hat entscheidend darauf abgestellt, daß beide Vertragsparteien davon aus gingen, das Land ... werde die Räume langfristig, d. h. über mehrere Jahre, für die Unterbringung von Aus- und Übersiedlern benötigen und nicht von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen. Diese Feststellung hat das FG aufgrund einer Würdigung der von ihm eingeholten Auskunft des zuständigen Landratsamtes getroffen. Die kurzfristige Kündbarkeit des Mietvertrages und die Form der Berechnung des Mietentgelts hat das FG in seine Würdigung ein bezogen, gegenüber den vorgenannten Umständen aber nicht als durchschlagend bewertet.
b) Die Vorentscheidung ist revisionsrechtlich auch nicht deshalb zu beanstanden, weil das FG die kurzfristige Kündbarkeit -- wie das FA meint -- stärker, als geschehen, hätte beachten müssen. Die Würdigung des FG war möglich; sie verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Ob eine andere Würdigung ebenfalls möglich war, ist revisionsrechtlich nicht maßgebend (vgl. BFH in BFH/NV 1995, 365 unter 2. c).
4. Die vom FA mit der Revision gerügte Abweichung der Vorentscheidung vom BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 365 liegt nicht vor. In diesem Urteil hat der BFH zwar ausgeführt, entscheidend für die Anwendung des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG 1980 sei, ob der Unternehmer die Räume zur längerfristigen Vermietung bestimmt und er diese Absicht durch den Abschluß eines langfristigen Mietvertrages verwirklicht habe -- unter 2. a) der Urteilsgründe --. Dies bedeutet aber nicht, es sei für die Feststellung der maßgeblichen Absicht des Unternehmers allein entscheidend, daß sich die "langfristige" Geltung unmittelbar aus dem Mietvertrag ergibt. Es kommt vielmehr -- wie oben unter 2. b ausgeführt ist -- auf die Gesamtumstände an. Davon geht auch der BFH in seinem Urteil vom 20. April 1988 X R 5/82 (BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795) aus, wonach in die Würdigung nicht nur die vertragliche Regelung, sondern auch andere Umstände des Streitfalles einzubeziehen sind (vgl. unter 2. der Gründe des Urteils in BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795).
5. Ob die Vertragsparteien bei Abschluß des Mietvertrages davon ausgegangen sind, die Vermietung durch den Kläger sei umsatzsteuerpflichtig, ist für die im Streitfall entscheidende Frage, ob der Kläger die Absicht hatte, die Räume langfristig an das Land zu vermieten, angesichts der vom FG festgestellten übrigen Gesamtumstände ohne Bedeutung. Das FG ist daher zu Recht in den Entscheidungsgründen seines Urteils hierauf nicht eingegangen.
6. Zwar hat das FG München mit Beschluß vom 20. September 1995 3 K 4271/93 (Internationales Steuerrecht 1996, 35) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ein Verfahren zur Vorabentscheidung vorgelegt, in dem es ebenfalls um die Unterbringung von Aussiedlern geht. Die in der Vorlage aufgeworfene Fragestellung berührt indessen den vorliegenden Fall nicht.
Fundstellen