Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulagenbegünstigung unter Verwendung von Altteilen hergestellter Wirtschaftsgüter
Leitsatz (amtlich)
1. Ein unter Verwendung gebrauchter und neuer Teile hergestelltes bewegliches Wirtschaftsgut ist neu im Sinne des Investitionszulagenrechts, wenn der Teilwert der Altteile 10 v.H. des Teilwerts des hergestellten neuen Wirtschaftsguts nicht übersteigt und die neuen Teile dem Gesamtbild das Gepräge geben.
2. Werden Teile eines nicht mehr einsetzfähigen Wirtschaftsguts (hier 25 Jahre alte Straßenbahn) ausgebaut, aufgearbeitet und zusammen mit neuen Teilen zu einem gleichartigen Wirtschaftsgut zusammengebaut, sind die Kosten für Demontage, Aufarbeitung und Zusammenbau nicht in den Teilwert der Altteile einzubeziehen.
3. Eine Prägung durch die neuen Teile setzt voraus, dass im Unterschied zur Generalüberholung ein anderes, bisher nicht existentes Wirtschaftsgut hergestellt wird. Das Entstehen eines anders- oder neuartigen Wirtschaftsguts ist nicht erforderlich.
Normenkette
InvZulG 1991 § 2 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Aktiengesellschaft, deren Gesellschaftszweck die Durchführung des öffentlichen Personennahverkehrs in einer Stadt im Fördergebiet ist.
Für das Streitjahr 1995 beantragte sie unter anderem eine Investitionszulage in Höhe von 5 v.H. aus einem Investitionsvolumen von 20 592 223,17 DM für den Neuaufbau von 45 Straßenbahnwagen ihres Fahrzeugparks (drei Triebwagen, 32 Triebbeiwagen, zehn Beiwagen). Die rund 25 Jahre alten, abgeschriebenen und nicht mehr einsatzfähigen Wagen wurden bis auf die Stahlkarosserie entkernt und teilweise verschrottet. Die Teile, die vom technischen Fortschritt und Verschleiß weniger betroffen waren und nach grundlegender Aufarbeitung wiederverwendbar erschienen, wurden gesichert. Dies betraf im Wesentlichen das Grundgerüst der Karosse (sog. Wagenkasten) und einige Teile des Drehgestells. Anschließend beschaffte sich die Klägerin Neuteile, insbesondere die Innenausstattung einschließlich der Beleuchtung, der Heizung, des Bodens und der Sitze usw., außerdem die sog. TV-Steuerung, die Stromabnehmer, den Bordnetzumformer, die Sandstreuanlage, die Kabelbäume, die Kabelkupplungen, die Gerätetafeln, die NC-Batterie, Fenster und Türen sowie Teile des Drehgestells, des Getriebes und des Motors. Aus diesen Teilen und den wiederverwendbaren Altteilen stellte die Klägerin wiederum Straßenbahnwagen her.
Nach einer Überprüfung durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) vertrat das FA die Auffassung, bei dem Aufbau der Wagen handele es sich nicht um die Herstellung neuer Wirtschaftsgüter, da der Teilwert der bei der Herstellung verwendeten Altteile 10 v.H. des Teilwerts der aufgebauten Wagen überschreite. Der Teilwert der Altteile bemesse sich nicht lediglich nach dem Schrottwert, sondern ergebe sich aus dem Verkehrswert der instandgesetzten Fahrzeuge abzüglich der Endmontagekosten und abzüglich der Anschaffungskosten für die Neuteile. Der Wert der montagereif aufgearbeiteten Altteile umfasse daher außer dem Materialwert auch die Kosten der Demontage, der Aufarbeitung und des Zusammenbaus. Demnach entfielen allein 50 v.H. des Teilwerts eines Wagens auf den mechanischen Teil, der nahezu vollständig aus gebrauchten wesentlichen Baugruppen hergestellt worden sei. Das FA berücksichtigte dementsprechend die als Herstellungskosten geltend gemachten Aufwendungen nicht. Der Einspruch führte zu einer Herabsetzung der Investitionszulage aus anderen, hier nicht streitigen Gründen.
Mit der Klage trug die Klägerin im Wesentlichen vor: Der Anteil der Altteile am Teilwert liege weit unter 10 v.H. Er sei nur mit dem Materialwert von 1,67 v.H. anzusetzen. Außerdem werde das Gepräge der aufgebauten Wagen maßgeblich von den neuen Teilen bestimmt.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Entscheidung ist in juris veröffentlicht. Das FG ging für die Altteile --insoweit im Wesentlichen der Klägerin folgend-- vom Material- bzw. Schrottwert aus und setzte dafür beispielhaft für einen Wagen 8 946,73 DM an. Dem stellte es einen Teilwert des aufgebauten Wagens von 503 378,28 DM gegenüber, sodass sich für die Altteile ein Anteil von nur 1,78 v.H. ergab. Die Herstellung neuer Wirtschaftsgüter scheitere jedoch daran, dass die neuen Teile dem Gesamtbild nicht das Gepräge gäben. Die Klägerin habe die Wagen lediglich im Rahmen einer Generalüberholung erneuert. Sie seien zwar technisch verbessert worden, erreichten jedoch nicht den Standard neuzeitlicher Niederflurwagen. Allein die Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes rechtfertige nicht die Annahme eines neuartigen Wirtschaftsguts.
Mit der Revision rügt die Klägerin in erster Linie die Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt im Wesentlichen vor: Die aufgebauten Wagen seien neue Wirtschaftsgüter im Sinne des Investitionszulagenrechts. Denn es seien nur verschleißfreie Altteile eingebaut worden. Selbst wenn man die Altteile nicht als verschleißfrei ansähe, seien diese mit einem Anteil von unter 2 v.H. des Gesamtwerts der aufgebauten Wagen von völlig untergeordneter Bedeutung. Die Montagekosten seien nicht teilwerterhöhend den Altteilen zuzurechnen.
Entgegen der Auffassung des FG gäben die Neuteile dem Gesamtbild der neuen Wagen das Gepräge. Bis auf die Räder und Teile des Daches seien äußerlich keine Altteile sichtbar. Eine gewisse Ähnlichkeit mit den bisherigen Wagen stelle die prägende Wirkung der Neuteile nicht in Frage. Insbesondere die technische Ausstattung, die zumeist äußerlich nicht sichtbar sei, werde durch die Neuteile geprägt. Alle hier wesentlichen Teile seien Neuteile (Stromabnehmer, Kabelbäume, Steuerungsinstrumente, Thyristorsteuerung, Weichenansteuerung, Bremsanlage, Motore, Getriebe, Radkränze). Alt seien lediglich das überarbeitete Grundgerüst und Teile des Drehgestells. Von diesen Teilen könne eine prägende Wirkung nicht ausgehen. Die Technik der 25 Jahre alten Vorgängermodelle habe noch der Anfangszeit der Straßenbahnen entsprochen. Demgegenüber erfüllten die neuen Modelle die Anforderungen der neunziger Jahre und wiesen einen entscheidenden Qualitätssprung auf.
Im Übrigen liege in der ungewöhnlich langen Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens ein Verfahrensmangel, der sich auf sie, die Klägerin, nachteilig auswirke.
Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und unter Änderung des Investitionszulagenbescheids vom 17. Dezember 1996 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 1999 die Investitionszulage für das Jahr 1995 auf insgesamt 1 152 789 DM (589 413 €) festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage aus materiell-rechtlichen Gründen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Auf die Verfahrensrüge war daher nicht einzugehen.
Die Klägerin hat mit dem Aufbau der Straßenbahnwagen neue und damit investitionszulagenbegünstigte Wirtschaftsgüter hergestellt.
1. Nach § 2 Satz 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1991 ist neben weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen die Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens begünstigt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (z.B. Urteil vom 17. November 2005 III R 53/04, BFHE 212, 364, BStBl II 2006, 769, m.w.N.) setzt die Herstellung eines neuen Wirtschaftsguts im Regelfall die Verwendung ausschließlich neuer, d.h. ungebrauchter Teile voraus. Bei Verwendung gebrauchter Teile wird ein neues Wirtschaftsgut nur hergestellt, wenn die neuen Teile dem Gesamtbild das Gepräge geben und die verwendeten Altteile wertmäßig von untergeordneter Bedeutung sind. Eine wertmäßig untergeordnete Bedeutung ist anzunehmen, wenn der Teilwert der bei der Herstellung verwendeten gebrauchten Wirtschaftsgüter 10 v.H. des Teilwerts des hergestellten neuen Wirtschaftsguts nicht überschreitet. Wiederverwendete neuwertige Bauteile, die dem Standard neuer Teile entsprechen oder verschleißfrei sind und nach Fertigstellung des Wirtschaftsguts nicht von neuen Bauteilen unterschieden werden können, sind jedoch als neuwertig zu behandeln und nicht in die 10 v.H.-Regelung einzubeziehen. Bei Verwendung gebrauchter Teile von mehr als 10 v.H. des gesamten Werts wird nur dann ein neues Wirtschaftsgut im Sinne des Investitionszulagenrechts hergestellt, wenn der Anspruchsberechtigte unter Verwirklichung einer neuen Idee ein andersartiges Wirtschaftsgut schafft.
2. Die Herstellung eines andersartigen Wirtschaftsguts unter Verwirklichung einer neuen Idee scheidet im Streitfall aus. Denn die Klägerin hat aus den gebrauchten Straßenbahnwagen wiederum im gewöhnlichen Einsatz verwendete und mit zwar moderner, aber gleichwohl allgemein verbreiteter Technik ausgestattete Straßenbahnwagen hergestellt (vgl. Senatsurteil vom 6. Dezember 1991 III R 108/90, BFHE 167, 257, BStBl II 1992, 452).
3. Die Klägerin beruft sich zu Recht darauf, ihr stehe die beantragte Investitionszulage zu, weil bei den Altteilen der Teilwert von 10 v.H. nicht überschritten sei und die Neuteile dem Gesamtbild der aufgebauten Wagen das Gepräge gäben.
a) Der Teilwert der im Betrieb der Klägerin vorhanden gewesenen Altteile bestimmt sich nach dem Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut unter der Annahme, dass er den Betrieb fortführt, ansetzen würde. Diese Definition des Teilwerts in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes gilt auch bei der Bemessung des Werts der in ein hergestelltes Wirtschaftsgut eingebauten Altteile für die Frage der Neuheit im Rahmen der Zulagenförderung (Senatsurteil vom 4. August 1983 III R 21/80, BFHE 141, 200, BStBl II 1984, 631).
Entgegen der Meinung des FA sind die Aufwendungen für die Demontage, die Aufarbeitung und den Zusammenbau (die Montage) der Altteile nicht in den Teilwert einzubeziehen. Die Investitionszulage bezweckt die Wirtschaftsförderung durch die Schaffung von Investitionsanreizen. Grundsätzlich werden daher sämtliche Aufwendungen, die der Investor tätigt, um eine beabsichtigte Investition zu verwirklichen, gefördert. Ausschlaggebend ist daher auf den Zeitpunkt der Investitionsentscheidung abzustellen. Aus der maßgeblichen Sicht des Investors im Zeitpunkt der Entscheidung, ein Vorhaben unter Einbeziehung von Altteilen durchzuführen, stellt sich der Wert der Altteile daher entsprechend dem Zustand dar, in dem sie sich zu diesem Zeitpunkt befinden. Im Streitfall sind das die Verhältnisse vor der Demontage bzw. der Aufarbeitung oder dem Einbau. Unstreitig lag der damalige Wert der Altteile weit unter der Grenze von 10 v.H.
Das FA beruft sich für seine gegenteilige Auffassung zu Unrecht auf das Urteil des Senats in BFHE 141, 200, BStBl II 1984, 631. Danach bemisst sich der Teilwert für die Herstellung verwendeter gebrauchter Teile nach dem Wert im Zeitpunkt des Einbaus. Das bedeutet indes nicht, dass Kosten, die nach der Investitionsentscheidung auf die Herrichtung von Altteilen aufgewandt werden, teilwerterhöhend wirken. Daraus, dass der Senat in der vorgenannten Entscheidung auf den Erwerb des gebrauchten Teils in dem ursprünglichen Zustand, d.h. einschließlich eines vom Investor nicht benötigten Aufbaus, abgestellt hat, ergibt sich vielmehr, dass die Sicht im Zeitpunkt des fiktiven Erwerbs entscheidend ist. Im Übrigen wäre es --ausgehend von der Rechtsauffassung des FA-- auch kaum möglich, die in den Teilwert demontierter und wieder aufgearbeiteter Altteile einzubeziehenden Kosten sachgerecht zuzuordnen. Denn es könnte im Einzelfall fraglich sein, ob auf das einzelne aufgearbeitete Teil oder eine größere Einheit, z.B. ein aus aufgearbeiteten Einzelteilen zusammengesetzter Motor, abgestellt werden müsste.
b) Für die Abgrenzung, ob ein bestehendes Wirtschaftsgut nur repariert und modernisiert worden oder ob ein neues Wirtschaftsgut entstanden ist, hat der Senat die Grundsätze der Rechtsprechung zu Gebäudeausbauten- und -erweiterungen herangezogen und ist (erstmals im Urteil vom 28. September 1990 III R 77/89, BFHE 164, 156, BStBl II 1991, 361) in entsprechender Anwendung dieser Grundsätze von der Herstellung eines neuen selbständigen beweglichen Wirtschaftsguts ausgegangen, wenn das vorhandene bewegliche Wirtschaftsgut unter Verwendung anderer, neu angeschaffter beweglicher Sachen so tiefgreifend umgestaltet oder in einem solchen Ausmaß erweitert wird, dass die neuen Teile der Gesamtssache das Gepräge geben und die Altteile bedeutungs- und wertmäßig untergeordnet erscheinen.
In späteren Entscheidungen hat der Senat ausgeführt, bei der Herstellung eines Wirtschaftsguts unter Verwendung gebrauchter Teile gäben die neuen Teile der Gesamtsache das Gepräge, wenn ein neuartiges Wirtschaftsgut (ein "aliud") entstehe (Senatsurteil in BFHE 167, 257, BStBl II 1992, 452; vgl. auch Senatsurteil in BFHE 212, 364, BStBl II 2006, 769). Der Senat hat dazu in dem Urteil in BFHE 167, 257, BStBl II 1992, 452 auf ein geändertes Verfahren, neue Einsatzmöglichkeiten und einen Qualitätssprung durch die an einer Maschine vorgenommenen Änderungen hingewiesen.
Diese Rechtsprechung ist --entgegen der Meinung des FG-- nicht in dem Sinne zu verstehen, dass eine Prägung durch die neuen Teile nur bei Entstehung eines andersartigen oder neuartigen Wirtschaftsguts angenommen werden kann und in anderen Fällen ausgeschlossen sein soll. Vielmehr ist die Herstellung eines Wirtschaftsguts, bei dem in geringem Umfang auch gebrauchte Teile verwendet werden, dann begünstigt, wenn durch den Zusammenbau der gebrauchten und neuen Teile ein anderes als das bisher vorhandene Wirtschaftsgut hergestellt wird (vgl. Senatsurteil in BFHE 164, 156, BStBl II 1991, 361: "Herstellung eines anderen, bisher noch nicht existenten Wirtschaftsgutes"). Es darf sich nicht um das nämliche, nur generalüberholte Wirtschaftsgut handeln.
Nach diesen Grundsätzen hat das FG die neu aufgebauten Straßenbahnwagen zu Unrecht nicht als neue und damit zulagenbegünstigte Wirtschaftsgüter anerkannt. Nach den Feststellungen des FG wurden die alten Wagen vollständig demontiert und nur die Wagenkästen sowie Teile des Drehgestells, des Getriebes und des Motors wiederverwendet. Wegen der Verwendung der alten Wagenkästen sind die neuen Wagen zwar in ihrer äußeren Form den alten Straßenbahnwagen ähnlich. Geprägt werden die neuen Wagen jedoch durch die neuen Teile. Das äußere Erscheinungsbild wird bestimmt durch die veränderten Außen- und Innenverkleidungen, die andersartigen Türen und Fenster sowie die geänderte Innenausstattung. Vor allem aber gibt den Wagen die neue, zeitgemäßen Anforderungen entsprechende technische Ausstattung (Steuerung, Stromabnehmer usw.) das Gepräge. Die Maßnahmen der Klägerin sind daher nicht als Reparatur und Modernisierung der alten Straßenbahnwagen zu beurteilen, die aufgrund ihrer veralteten technischen Ausstattung in den neunziger Jahren nicht mehr einsetzbar waren, sondern als Herstellung neuer, anderer Straßenbahnwagen. Der Umstand, dass infolge der Verwendung der alten Wagenkästen technisch die in den neunziger Jahren aufkommende Niederflurtechnik nicht möglich war, steht der Beurteilung der Straßenbahnwagen als neue Wirtschaftsgüter nicht entgegen.
Fundstellen
Haufe-Index 1708536 |
BFH/NV 2007, 1048 |
BStBl II 2007, 410 |
BFHE 2008, 454 |
BFHE 215, 454 |
BB 2007, 762 |
DStRE 2007, 617 |
DStZ 2007, 291 |
DStZ 2007, 327 |
HFR 2007, 570 |