Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung Einfamilienhaus/Zweifamilienhaus
Leitsatz (NV)
Zur Frage der gegenseitigen baulichen Abgeschlossenheit von zwei Wohnungen, insbesondere beim Vorhandensein gemeinsamer Zugangs- und Verkehrsflächen.
Normenkette
BewG 1965 § 75 Abs. 5-6
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) haben im November 1982 in H . . . ein Grundstück mit einem aufstehenden schlüsselfertigen Wohnhaus erworben. Das Gebäude ist in eineinhalbgeschossiger Bauweise errichtet und bildet mit dem Nachbargebäude ein Doppelhaus. Der einzige Zugang führt im Erdgeschoß in einen abgeschlossenen Windfang und von dort in einen Flur, an den zur linken Seite eine Garderobe sowie ein WC und zur rechten Seite eine Küche angrenzen. Der Flur geht offen in eine die gesamte Breite des Hauses einnehmende Diele über, von der zur linken Außenwand hin angeordnet die offene Treppe in das Untergeschoß und in das Obergeschoß führt. An die Diele schließt sich durch eine Tür abgeschlossen ein größerer Wohnraum an. Von der Treppe gelangt man im Obergeschoß ohne Türabschluß in einen Flur, an den nach links ein Arbeitszimmer angrenzt. Geradeaus trennt ein Vorhang einen kleinen Stichflur ab, der den Zugang zu einem Schlafzimmer und einem Badezimmer mit WC ermöglicht. Diese Räume im Obergeschoß und die Räume im Erdgeschoß rechnen die Kläger zu ihrer Wohnung. Rechts nach dem Treppenaufgang betritt man im Obergeschoß durch eine Tür einen kleinen Raum, der mit einer kompletten Küchenzeile ausgestattet ist und der zugleich als Durchgang zu einem Wohn-/Schlafraum dient. An diesen schließt sich unmittelbar ein Duschbad mit WC an. Diese Wohneinheit von rund 25 qm ist fremdvermietet und stellt nach Ansicht der Kläger eine selbständige zweite Wohnung dar.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) bewertete das Wohngrundstück auf den 1. Januar 1983 als Einfamilienhaus.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der die Kläger die Bewertung als Zweifamilienhaus begehrten, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt: Die Wohneinheit im Obergeschoß enthalte mit der Küche und dem Duschraum mit WC die für eine Wohnung notwendigen Räumlichkeiten und Ausstattungen. Sie sei mit rund 25 qm ausreichend groß und ermögliche, wie sich aus der Vermietung ergebe, die Führung eines selbständigen Haushalts. Zwar seien die beiden Wohnungen baulich nicht eindeutig voneinander getrennt und abgeschlossen, jedoch werde dieser Mangel durch die Zweckbestimmung und die entsprechende tatsächliche Nutzung ausgeglichen. Die Tatsache, daß der Zugang zu der Einliegerwohnung im Obergeschoß über Räume der Hauptwohnung führt, stehe der Annahme von zwei Wohnungen nicht entgegen, da sämtliche Räume gegenüber der Diele und dem Treppenbereich durch Türen abschließbar seien.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 75 Abs. 5 und Abs. 6 des Bewertungsgesetzes (BewG). Nach heutiger Verkehrsauffassung und modernem Wohnverständnis gehöre zu einer Wohnung, daß sie baulich gegenüber anderen Räumen abgeschlossen sei und daß sie einen eigenen Zugang habe. Beide Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Das Wohngrundstück der Kläger enthält zum Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1983 nur eine Wohnung und ist deshalb als Einfamilienhaus zu bewerten.
1. Nach § 75 Abs. 5 und Abs. 6 BewG ist für die Abgrenzung der Grundstücksarten Ein- und Zweifamilienhaus entscheidend, ob eine oder zwei Wohnungen in dem betreffenden Wohngrundstück enthalten sind. Zum Wohnungsbegriff hat der Senat in seinen Entscheidungen vom 5. Oktober 1984 III R 192/83 (BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151) und vom 8. Februar 1985 III R 62/84 (BFHE 142, 567, BStBl II 1985, 319) Stellung genommen. Nach diesen Urteilen ist - jedenfalls für Stichtage ab 1. Januar 1974 - für die Beurteilung der Frage, ob Räumlichkeiten den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff erfüllen, u. a. wesentlich, daß die Räume eine, von anderen Wohnungen und Wohnräumen eindeutig baulich getrennte, in sich abgeschlossene Einheit darstellen. Sie müssen einen eigenen Zugang aufweisen. Die Grundstücksart Zweifamilienhaus setzt voraus, daß beide Wohneinheiten diese Voraussetzungen erfüllen.
2. Das Wohngrundstück der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Der Bewertung als Zweifamilienhaus steht entgegen, daß das Wohngrundstück nach seiner inneren baulichen Gestaltung keine zwei baulich voneinander getrennte, in sich abgeschlossene Wohneinheiten enthält. Eine solche bauliche Trennung kann nicht schon allein deshalb angenommen werden, weil - wie im Streitfall - sämtliche Räume durch Türen von den Zugangsflächen abgeschlossen werden können. Die bauliche Gestaltung des Zugangs zu der Wohneinheit im Obergeschoß beeinträchtigt vielmehr den baulichen und funktionalen Zusammenhang der Räumlichkeiten des Hauptwohnbereiches in einem solchen Maße, daß von einer zweiten, baulich abgeschlossenen Wohneinheit nicht mehr gesprochen werden kann. Überdies fehlt es der Wohneinheit im Obergeschoß an einem eigenen Zugang. Um zu diesen Räumen zu gelangen, muß ein Bewohner notwendig auch Räume des Hauptwohnbereichs betreten. Der sich im Erdgeschoß an den Windfang anschließende Flur sowie die Diele und der Treppenaufgang dienen, ebenso wie der Flur im Obergeschoß, nicht allein dem Zugang zu den Räumen der ,,Einliegerwohnung". Sie dienen ebenso dem Zugang zu den Räumen des Hauptwohnbereichs und deren räumlicher Verbindung untereinander. Zwar schließt das Vorhandensein von gemeinsamen Zugangs- und Verkehrsflächen die Annahme von zwei selbständigen Wohnungen nicht ohne weiteres aus. Sind jedoch, wie im Streitfall, solche gemeinsam genutzten Verkehrsflächen vorhanden, müssen sie nach ihrer baulichen Lage und Funktion von beiden Wohnbereichen vollständig getrennt sein. Ihrer baulichen Funktion nach dürfen solche Räume nur dem Zugang zu den einzelnen Wohneinheiten dienen. Der Zugang zu einem Wohnbereich darf nicht durch Räumlichkeiten des anderen Wohnbereichs führen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall jedoch nicht gegeben.
Da die Bewertung als Zweifamilienhaus damit bereits am fehlenden eigenen Zugang und der mangelnden baulichen Abgeschlossenheit scheitert, war die Tatsache, daß die fraglichen Obergeschoßräume beieinanderliegen und als Einheit vermietet waren, nicht mehr entscheidungserheblich.
3. Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Kläger kann aus der baurechtlichen Genehmigung der ,,Einliegerwohnung" und deren wohnungsbaurechtlicher Behandlung für den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff nichts hergeleitet werden. Die baurechtliche Genehmigung als bauordnungsrechtliche Überprüfung der architektonischen Zielsetzung enthält keine Prüfung, ob das bewertungsrechtliche Merkmal ,,abgeschlossene räumliche Einheit" erfüllt ist. Sie kann damit keine Bindungswirkung für die bewertungsrechtliche Beurteilung entfalten. Auch die Begriffsbestimmung der Einliegerwohnung im Wohnungsbaurecht (vgl. §§ 11, 40 Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes - II. WoBauG - i.d.F. vom 30. Juli 1980, BGBl I 1980, 1085, BStBl I 1980, 482, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 21. Juli 1982, BGBl I 1982, 969, BStBl I 1982, 638) kann der bewertungsrechtlichen Auslegung des Wohnungsbegriffs nicht zugrunde gelegt werden. Gemäß § 11 des II. WoBauG ist eine Einliegerwohnung eine abgeschlossene oder nichtabgeschlossene Wohnung, die gegenüber einer Hauptwohnung von untergeordneter Bedeutung ist. Zwar spricht auch § 75 Abs. 5 Satz 3 BewG von einer zweiten Wohnung, die auch dann dem Begriff ,,Einfamilienhaus" entgegensteht, wenn sie von untergeordneter Bedeutung ist. Der bewertungsrechtliche Begriff der ,,Wohnung von untergeordneter Bedeutung" ist jedoch nicht mit dem wohnungsbaurechtlichen Begriff der Einliegerwohnung gleichzusetzen, weil dieser umfassender ist. Eine Wohnung von untergeordneter Bedeutung kann bereits dann vorliegen, wenn nur eines von mehreren Merkmalen des Begriffs der Einliegerwohnung gemäß § 11 des II. WoBauG gegeben ist.
4. In der mündlichen Verhandlung haben sich die Kläger insbesondere auf das Urteil des erkennenden Senats vom 8. Februar 1985 III R 62/84 (BFHE 142, 567, BStBl II 1985, 319) berufen. In diesem Urteil habe der Senat entschieden, daß es ihm verwehrt sei, Billigkeitserwägungen zu berücksichtigen, sofern diese nicht Gegenstand des Klageverfahrens gewesen seien. Daran habe sich auch dadurch nichts geändert, daß die obersten Finanzbehörden der Länder durch gleichlautende Erlasse vom 15. Mai 1985 (BStBl I 1985, 201) zwischenzeitlich eine Regelung darüber getroffen hätten, ab welchem Zeitpunkt die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum Wohnungsbegriff anzuwenden sei. Der Senat verbleibt auch für den vorliegenden Fall bei dieser Auffassung. Einem neu von den Klägern nunmehr im Billigkeitsverfahren zu stellenden Antrag würde die Rechtskraft des vorliegenden Urteils allerdings nicht entgegenstehen.
5. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da das Grundstück als Einfamilienhaus zu bewerten ist, war die Klage als unbegründet abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Fundstellen
Haufe-Index 414540 |
BFH/NV 1986, 447 |