Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnungserklärung des FA kein Verwaltungsakt
Leitsatz (NV)
Die Aufrechnungserklärung des FA mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist die rechtsgeschäftliche Ausübung eines Gestaltungsrechts und stellt für sich allein keinen Verwaltungsakt dar (Anschluß an BFH, Urt. v. 2. April 1987 VII 148/83, BFHE 149, 482, BStBl II 1987, 536).
Normenkette
AO 1977 § 226 Abs. 1; BGB §§ 389, 388
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) teilte der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) am 26. September 1984 über die Finanzkasse formularmäßig mit, daß ihr Umsatzsteuerguthaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung für das zweite Kalendervierteljahr 1984 in Höhe von 5 577,70 DM mit Einkommensteuerrückständen aus 1974 verrechnet worden sei.
Nach einer als Beschwerde bezeichneten Eingabe der Klägerin, mit der sie die Verrechnung eines Teilbetrags des Guthabens mit Umsatzsteuer und Lohnsteuer III /1984 und Auszahlung des Restbetrags beantragte, erließ das FA am 23. Oktober 1984 einen mit Rechtsbehelfsbelehrung (Beschwerde) versehenen Bescheid, in dem der Klägerin nochmals die Verrechnung des Guthabens mit Einkommensteuerrückständen 1974 im Wege der Aufrechnung erklärt und rechtlich begründet wurde. Mit der dagegen eingelegten Beschwerde machte die Klägerin geltend, sie sei nicht Schuldnerin der Einkommensteuerrückstände. Das FA habe eine früher - am 10. März 1981 - beantragte Aufteilung der sich aus der Einkommensteuerzusammenveranlagung mit ihrem Ehemann für 1974 ergebenden Steuerschuld nicht beachtet. Wegen dieses Aufteilungsantrags sei die Aufrechnung unzulässig. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Danach erließ das FA am 11. März 1985 einen Aufteilungsbescheid, nach dem auf die Klägerin keine rückständige Einkommensteuer für 1974 mehr entfällt.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, die angefochtene Aufrechnungsverfügung des FA sei rechtmäßig. Das FA sei zur Aufrechnung befugt gewesen, weshalb in Höhe des Umsatzsteuerguthabens und der Einkommensteuerschuld der Klägerin die Tilgungswirkungen eingetreten seien.
Die Voraussetzungen des § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) seien erfüllt gewesen. Die Klägerin sei mit ihrem Ehemann Gesamtschuldner der Einkommensteuer 1974. Aus § 44 Abs. 1 i. V. m. §§ 421, 422 Abs. 1 BGB folge, daß auch einem Gesamtschuldner gegenüber aufgerechnet werden könne.
Der nach § 268 AO 1977 gestellte Aufteilungsantrag der Klägerin und der später ergangene Aufteilungsbescheid hätten das FA an einer Aufrechnung nicht gehindert. Die Aufteilung der steuerlichen Gesamtschuld der Eheleute habe nur vollstreckungsrechtliche Bedeutung, berühre die Gesamtschuld als solche aber nicht.
Die Aufrechnung sei auch nicht nach § 394 BGB ausgeschlossen gewesen, da die Erstattungsforderung der Klägerin pfändbar gewesen sei. Auch der Grundsatz von Treu und Glauben habe einer Aufrechnung durch das FA nicht entgegengestanden.
Mit ihrer vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Auffassung, die von ihr beantragte Aufteilung der Steuerschuld 1974 habe das FA an einer Aufrechnung gehindert. Auch in entsprechender Anwendung des § 394 BGB sei die Aufrechnung über die Steuerschuld der Klägerin hinaus unzulässig. Entgegen der Auffassung des FG sei die Erstattungsforderung nämlich nicht pfändbar.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Aufrechnungsverfügung des FA vom 23. Oktober 1984 in Gestalt der Beschwerdeentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte. Das FG hat in seiner Entscheidung verkannt, daß das FA seine Aufrechnungserklärung nicht in der Form eines Verwaltungsakts hätte abgeben dürfen.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 2. April 1987 VII R 148/83 (BFHE 149, 482, BStBl II 1987, 536) entschieden, daß die Aufrechnungserklärung des FA mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis die rechtsgeschäftliche Ausübung eines Gestaltungsrechts und für sich allein kein Verwaltungsakt ist. Hat das FA unzulässigerweise die Aufrechnungserklärung als Verwaltungsakt erlassen, so ist dieser auf Anfechtung hin aufzuheben. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweist der Senat auf die Begründung dieser Entscheidung.
Demnach gelangt der Senat auch im Streitfall zu dem Ergebnis, daß das FA die Aufrechnung mit seinem Anspruch auf Einkommensteuer 1974 gegenüber dem Umsatzsteuererstattungsanspruch der Klägerin nicht durch Verwaltungsakt erklären durfte, weil es hierbei nicht in Ausübung hoheitlicher Gewalt handelte.
Das FA hat sich bei seiner Aufrechnungserklärung vom 23. Oktober 1984 zweifelsfrei der Form des Verwaltungsakts bedient, wie insbesondere seine dem Bescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrung - Beschwerde - zeigt. Davon ist auch das FG in seiner Entscheidung stillschweigend ausgegangen. Dieser Annahme hat das FA nicht widersprochen. Auch die OFD hat die angefochtene Verfügung des FA als Verwaltungsakt angesehen und die dagegen eingelegte Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Das FG hätte daher den den Gegenstand der Anfechtungsklage bildenden Verwaltungsakt in Gestalt der Beschwerdeentscheidung (§ 44 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) aufheben müssen, da die Finanzbehörde die Aufrechnung nicht durch Verwaltungsakt hätte erklären dürfen (vgl. Senat in BFHE 149, 492, 489, BStBl II 1987, 536; Ehlers, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ - 1983, 446, 459) und die den Rechtsbehelf der Klägerin zurückweisende Beschwerdeentscheidung folglich rechtsfehlerhaft ergangen ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die rechtsfehlerhaft durch Verwaltungsakt erklärte Aufrechnung durch das FA eine wirksame Ausübung des rechtsgeschäftlichen Gestaltungsrechts gemäß § 226 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. §§ 388, 389 BGB beinhaltet. Über die Wirksamkeit der Aufrechnung ist bei Streit zwischen den Beteiligten durch einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO 1977 zu entscheiden (Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 226 AO 1977 Tz. 22, 25; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 226 Tz. 8; Ehlers, NVwZ 1983, 446, 450). Wegen der zwischen den Beteiligten bestehenden materiell-rechtlichen Streitfrage, ob das FA nach Erlaß des Aufteilungsbescheids über die Einkommensteuer 1974 an seiner Aufrechnungserklärung festhalten kann, verweist der Senat auf sein Urteil vom 12. Januar 1988 VII R 66/87 (BFHE 152, 206, BStBl II 1988, 406).
Da das FG von der früheren, vom Senat nicht mehr vertretenen Rechtsauffassung über die Rechtsnatur der Aufrechnungserklärung des FA ausgegangen ist, muß seine Entscheidung aufgehoben werden. Die Sache ist spruchreif, so daß der Senat nach § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO in der Sache selbst entscheiden kann. Die nur auf Aufhebung der Verwaltungsentscheidungen gerichtete Klage ist begründet. Die Aufrechungsverfügung des FA in Gestalt der Beschwerdeentscheidung ist daher aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 416405 |
BFH/NV 1990, 344 |