Entscheidungsstichwort (Thema)
Investitionszulagengesetz 1991: Begriff der "Anschaffung" oder "Herstellung" eines Wirtschaftsguts, Auslegung im Sinne früherer investitionszulagenrechtlicher Vorschriften, wirtschaftliche Verfügungsmacht
Leitsatz (amtlich)
Ein Wirtschaftsgut ist in dem Zeitpunkt i.S. von § 3 Satz 3 InvZulG 1991 angeschafft, in dem der Erwerber nach dem Willen der Vertragsparteien darüber wirtschaftlich verfügen kann und in dem es betriebsbereit ist. Stehen am Stichtag nur noch unwesentliche Maßnahmen zur Herstellung der vollständigen Einsatzbereitschaft aus, die im allgemeinen innerhalb kurzer Zeit unschwer nachgeholt werden können (hier: Erteilung des amtlichen Kennzeichens bei einem LKW), ist die Betriebsbereitschaft zu bejahen, sofern von dem Wirtschaftsgut bereits Umsatzimpulse oder Beschäftigungsimpulse für den Betrieb des Investors ausgehen können.
Orientierungssatz
1. Die Betriebsbereitschaft eines Wirtschaftsguts, dessen tatsächliche Inbetriebnahme eine öffentlich-rechtliche Erlaubnis oder Genehmigung voraussetzt, kann bereits vor Erteilung der Erlaubnis oder Genehmigung bejaht werden, wenn diese bei entsprechender Antragstellung von der zuständigen Behörde sofort erlangt werden kann. Der Investor trägt die objektive Feststellungslast dafür, daß von einem Wirtschaftsgut schon vor vollständiger Herstellung der Einsatzbereitschaft Umsatz- oder Beschäftigungsimpulse ausgehen können.
2. Da das InvZulG 1991 von seiner Zielsetzung, seiner Systematik und seiner Diktion her den vorangegangenen investitionszulagenrechtlichen Regelungen weitgehend entspricht, kann bei Auslegungsfragen grundsätzlich auf die zu diesen Vorschriften ergangenen Gesetzesbegründungen und die dazu ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden.
3. Die für eine Anschaffung oder Herstellung erforderliche wirtschaftliche Verfügungsmacht über ein Wirtschaftsgut hat der Erwerber in der Regel, wenn Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten auf ihn übergegangen sind.
Normenkette
EStDV § 9a; InvZulG 1991 § 3 S. 3, § 5 Nr. 1
Verfahrensgang
FG des Landes Sachsen-Anhalt (Entscheidung vom 25.09.1996; Aktenzeichen 1 K 202/94) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) schloß am 10. Juni 1992 einen Kaufvertrag über einen fabrikneuen LKW zum Preis von netto 194 509 DM für sein Fuhrunternehmen in V (Sachsen). Er holte das Fahrzeug am 25./26. Juni 1992 beim Hersteller ab. Am 2. Juli 1992 wurde es zum Straßenverkehr zugelassen. Am 16. Juni 1992 hatte ein amtlich anerkannter Sachverständiger im Fahrzeugbrief bescheinigt, das Fahrzeug entspreche den geltenden Straßenverkehrszulassungsvoraussetzungen.
Mit Bescheid vom 23. Juli 1993 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) für den LKW eine Investitionszulage lediglich in Höhe von 8 v.H. der Bemessungsgrundlage fest. Der Kläger hatte die Gewährung einer Zulage in Höhe von 12 v.H. beantragt. Zur Begründung führte das FA an, der LKW sei erst nach dem 30. Juni 1992 zum Straßenverkehr zugelassen worden. Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 112 veröffentlichten Gerichtsbescheid statt und setzte die Investitionszulage antragsgemäß auf 23 340 DM fest. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Der Kläger habe den unmittelbaren Besitz an dem begünstigten Wirtschaftsgut unstreitig vor dem 1. Juli 1992 erlangt und es damit angeschafft. Soweit die Finanzverwaltung gemäß Tz.15 Satz 7 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 28. August 1991 (BStBl I 1991, 768) dagegen auf den Zeitpunkt der Kfz-Zulassung abstelle, gebe es dafür nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Grundlage. Auch Sinn und Zweck des Investitionszulagenrechts (Hinweis auf die Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. September 1988 III R 53/84, BFHE 154, 413, BStBl II 1988, 1009, und vom 7. Dezember 1990 III R 171/86, BFHE 163, 285, BStBl II 1991, 377) geböten und gestatteten es nicht, strikt auf den Zeitpunkt der Zulassung abzustellen. Soweit nach der Rechtsprechung des BFH die Betriebsbereitschaft des erworbenen Wirtschaftsgutes erforderlich sei, hätte es der Kläger in der Hand gehabt, diese jederzeit herbeizuführen. Das ergebe sich daraus, daß er fristgerecht die Sachherrschaft über das erworbene Wirtschaftsgut erlangt habe und der LKW nach der im Fahrzeugbrief enthaltenen Bescheinigung des Kfz-Sachverständigen zulassungsfertig gewesen sei. Die tatsächliche Zulassung am 2. Juli 1992 stelle sich demgegenüber als unbeachtlicher formaler Akt dar.
Dagegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Revision. Es rügt die Verletzung des § 3 Satz 3 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1991 und führt dazu insbesondere aus: Der Kläger habe das Fahrzeug erst ab dem 2. Juli 1992 im öffentlichen Straßenverkehr nutzen können. Erst ab diesem Zeitpunkt habe es dem Betrieb als Investition gedient. Das FG ziehe die Ausführungen des BFH im Urteil in BFHE 154, 413, BStBl II 1988, 1009 zu sog. Bagatellmontagen zu Unrecht heran. Danach könne die Betriebsbereitschaft in Fällen, in denen nur noch unwesentliche Montagearbeiten durchgeführt werden müßten (wie z.B. das Anschließen einer Waschmaschine) grundsätzlich bereits ab dem Zeitpunkt der Anlieferung des angeschafften Wirtschaftsguts angenommen werden. Eine behördliche Genehmigung sei damit aber nicht vergleichbar. Sie liege nicht im Einfluß- und Verantwortungsbereich des Investors. Von der Zulassung eines Kfz seien auch die Kfz-Steuer und Haftpflichtfragen betroffen.
Das FA beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Investitionszulage zu Recht bejaht.
1. Nach § 5 Nr.1 i.V.m. § 3 Satz 1 Nr.1 InvZulG 1991 wird die erhöhte Investitionszulage von 12 v.H. nur für Investitionen gewährt, die vor dem 1. Juli 1992 abgeschlossen wurden. § 3 Satz 3 InvZulG 1991 fordert hierfür die Anschaffung oder Herstellung der fraglichen Wirtschaftsgüter vor diesem Zeitpunkt. Nach den Senatsurteilen in BFHE 154, 413, BStBl II 1988, 1009, und in BFHE 163, 285, BStBl II 1991, 377 ist ein Wirtschaftsgut investitionszulagenrechtlich in dem Zeitpunkt geliefert oder angeschafft (die Begriffe haben gemäß § 9a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung --EStDV-- ertragsteuerlich die gleiche Bedeutung), in dem der Erwerber nach dem Willen der Vertragsparteien darüber wirtschaftlich verfügen kann und in dem das Wirtschaftsgut zusätzlich betriebsbereit ist.
Wirtschaftliche Verfügungsmacht hat der Erwerber in der Regel, wenn Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten auf ihn übergegangen sind (BFH-Urteil vom 28. April 1977 IV R 163/75, BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553, Abschn.1. b, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; so u.a. auch Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 15.Aufl., § 6 Rz.82). Im Streitfall ist der LKW dem Kläger vor dem Stichtag 1. Juli 1992 übergeben worden, so daß diese Voraussetzung für die erhöhte Investitionszulage erfüllt ist.
2. Das Erfordernis der Betriebsbereitschaft hat der erkennende Senat in den o.g. Entscheidungen unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien mit dem Sinn und Zweck des § 4b InvZulG 1975, der § 1 InvZulG 1991 gleicht, begründet. Neben einer Wirtschaftsförderung für die Unternehmen, in denen die betreffenden Wirtschaftsgüter hergestellt werden, wird mit der Regelung außerdem bezweckt, im Betrieb des Investors eine vermehrte Wirtschaftstätigkeit anzuregen und die Entstehung zusätzlicher Arbeitsplätze zu begünstigen. Solche Impulse im eigenen Betrieb vermögen jedoch Wirtschaftsgüter nicht zu geben, die (noch) nicht in betriebsbereitem Zustand sind. Von ihnen geht im eigenen Betrieb nicht eine vermehrte Wirtschaftstätigkeit aus und sie führen auch nicht zur Einstellung weiterer Arbeitskräfte. Bei der Anwendung des InvZulG 1991 ist von den gleichen Grundsätzen auszugehen. Auch mit diesem Gesetz sollten Investitionen angeregt, Arbeitsplätze gesichert und so die Wirtschaftskraft im Beitrittsgebiet allgemein gestärkt werden (s. BTDrucks 12/219, S.20, sowie Söffing, Finanz-Rundschau --FR-- 1991, 509). Da das InvZulG 1991 von seiner Zielsetzung, seiner Systematik und seiner Diktion her den vorangegangenen investitionszulagenrechtlichen Regelungen weitgehend entspricht, kann bei Auslegungsfragen grundsätzlich auf die zu diesen Vorschriften vorhandenen Gesetzesbegründungen und die dazu ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden (vgl. Söffing, FR 1991, 509).
3. Das Erfordernis der Betriebsbereitschaft soll sicherstellen, daß von dem Wirtschaftsgut bereits Umsatz- oder Beschäftigungsimpulse im Betrieb des Investors ausgehen können. Deshalb ist nicht entscheidend darauf abzustellen, ob das Wirtschaftsgut schon in jeder Hinsicht unmittelbar einsatzbereit ist. Wenn am Stichtag nur noch unwesentliche Maßnahmen zur Herstellung der vollständigen Einsatzbereitschaft ausstehen, die innerhalb kurzer Zeit nachgeholt werden können, können von diesem Wirtschaftsgut gleichwohl schon Umsatz- oder Beschäftigungsimpulse im Betrieb des Investors ausgehen. Damit ist aber bereits der Gesetzeszweck erreicht, sofern die notwendigen Ergänzungen nach kaufmännisch vernünftigem Verhalten zügig und in angemessener Zeit vorgenommen werden. Dementsprechend hat der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 154, 413, BStBl II 1988, 1009 (Abschn.2. b bb bbb der Entscheidungsgründe) darauf hingewiesen, die Betriebsbereitschaft dürfte in Fällen, in denen nur noch unwesentliche Montagearbeiten (sog. Bagatellmontagen, wie z.B. das Anschließen einer Waschmaschine) durchgeführt werden müssen, grundsätzlich schon ab dem Zeitpunkt der Anlieferung des angeschafften Wirtschaftsgutes anzunehmen sein. Die Betriebsbereitschaft eines Wirtschaftsgutes, dessen tatsächliche Inbetriebnahme eine öffentlich-rechtliche Erlaubnis oder Genehmigung voraussetzt, kann demnach bereits vor Erteilung der Erlaubnis oder Genehmigung bejaht werden, wenn diese bei entsprechender Antragstellung von der zuständigen Behörde sofort erlangt werden kann. Die objektive Feststellungslast dafür, daß von einem Wirtschaftsgut schon vor vollständiger Herstellung der Einsatzbereitschaft Umsatz- oder Beschäftigungsimpulse ausgehen können, liegt dabei beim Investor als dem durch die investitionszulagenrechtliche Regelung Begünstigten.
4. Im Streitfall fehlte für die Einsatzmöglichkeit des LKW im öffentlichen Straßenverkehr nur noch die behördliche Zulassung gemäß § 18 Abs.1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO), die aus der Erteilung einer Betriebserlaubnis und der Zuteilung eines amtlichen Kennzeichens besteht. Die rechtliche Bedeutung des Zulassungsverfahrens liegt darin, sicherzustellen, daß nur verkehrs- und betriebssichere Fahrzeuge mit Versicherungsschutz auf öffentlichen Straßen bewegt werden. Es hat dagegen --entgegen der Auffassung des FA-- keine Bedeutung für die Entstehung privatrechtlicher Haftungsverhältnisse, denn die sog. Halterhaftung nach § 7 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) besteht z.B. auch hinsichtlich der Schäden, die beim Betrieb des Kfz bereits vor dem Zeitpunkt der Zulassung eintreten (vgl. auch Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33.Aufl., § 7 StVG Rz.14). Liegt eine sog. Hersteller-Betriebserlaubnis gemäß § 20 StVZO oder --wie hier-- eine Bescheinigung des amtlichen Sachverständigen nach § 21 StVZO vor, daß das Kfz im Kfz-Brief richtig beschrieben ist und den geltenden Vorschriften entspricht, ist für die Zulassung außer einem Antrag des Verfügungsberechtigten nur noch der Nachweis ausreichenden Haftpflichtversicherungsschutzes erforderlich (§ 23 StVZO i.V.m. § 1 Nr.1 der Fahrzeugregisterverordnung).
Ausreichender Versicherungsschutz für ein zuzulassendes Kfz ist im allgemeinen unschwer und kurzfristig zu erlangen. Bei Vorliegen einer Hersteller-Betriebserlaubnis oder der Bescheinigung des amtlichen Sachverständigen nimmt die Zulassungsbehörde in der Regel keine eigene Fahrzeugprüfung mehr vor. Der Verfügungsberechtigte kann die Zulassung seines Fahrzeugs deshalb in einem solchen Fall an einem Werktag innerhalb weniger Stunden herbeiführen. Im Streitfall konnte der erworbene und noch nicht zugelassene LKW daher bereits ab dem 25./26. Juni 1992 bei der Annahme von Fuhraufträgen und dem Aufstellen der Einsatzpläne der Fahrer berücksichtigt werden, so daß von ihm schon umsatz- und beschäftigungsfördernde Impulse ausgehen konnten. Der Umstand, daß die Erteilung eines Kfz-Kennzeichens von der Entscheidung Dritter, nämlich der Zulassungsbehörde, abhängt, steht dem nicht entgegen. Denn bei der Kfz-Zulassung handelt es sich nicht um einen Ermessensakt der Verwaltung. Vielmehr geht es um gebundenes Verwaltungshandeln, d.h. die Behörde muß die Zulassung erteilen, wenn die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen, insbesondere in technischer Hinsicht, erfüllt sind. Im vorliegenden Fall waren die Zulassungsvoraussetzungen vor dem 1. Juli 1992 unstreitig gegeben.
Fundstellen
Haufe-Index 66144 |
BFH/NV 1997, 272 |
BStBl II 1998, 70 |
BFHE 182, 226 |
BFHE 1997, 226 |
BB 1997, 1088 (Leitsatz) |
DB 1997, 1063 (Leitsatz) |
DStR 1997, 864-866 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1997, 521 (Leitsatz) |
DStZ 1997, 652-653 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1997, 495-496 (Leitsatz) |
StE 1997, 302 (Kurzwiedergabe) |