Leitsatz (amtlich)
Es führt zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung, wenn ein Arbeitgeber, der für seine auswärts beschäftigten Montagearbeiter die Kosten ihrer selbstgewählten Unterkunft von ihren Bezügen einbehält und an den Unterkunftgewährenden abführt, den Unterschied zwischen den niedrigeren Unterkunftskosten und dem in Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 2a LStR 1966 vorgesehenen Betrag von 5 DM, bis zu dem Übernachtungsgeld im allgemeinen steuerfrei gelassen werden kann, steuerfrei auszahlt.
Normenkette
EStG § 3 Nrn. 16, 50; LStDV § 4 Nrn. 3-4; LStR 1966 Abschn. 22 Abs. 3 Nr. 2a
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) unterhielt im Jahre 1966 bei verschiedenen größeren Betrieben im Bundesgebiet Montagebaustellen. Gemäß Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 2 LStR zahlte sie ihren dort beschäftigten Arbeitnehmern steuerfreie Auslösungen, und zwar einen Verpflegungszuschuß von 11 DM und ein Übernachtungsgeld von 5 DM. Die Arbeitnehmer konnten die von anderen auswärtigen Firmen ihren eigenen Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten Baracken und Notunterkünfte mitbenutzen. In diesen Fällen zeichnete die Verwaltung der Unterkünfte die Namen und die Anzahl der Übernachtungen auf und stellte der Klägerin die Übernachtungspreise, die sich zwischen 1 DM und 3 DM bewegten, in Rechnung. Die Klägerin zahlte den um die jeweiligen Übernachtungspreise gekürzten Betrag steuerfrei aus. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) sah hierin zusätzlichen Arbeitslohn und forderte die darauf entfallenden Lohnsteuerabzugsbeträge für die Zeit vom 1. Juli 1966 bis 31. Dezember 1966 durch Haftungsbescheid nach.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das FG war der Auffassung, daß sich offensichtlich eine unzutreffende Besteuerung (vgl. das Urteil des BFH vom 2. Februar 1968 VI 127/65, BFHE 91, 565, BStBl II 1968, 430) ergeben würde, da anhand der Buchungsunterlagen der Klägerin eindeutig nachgewiesen sei, daß die tatsächlichen Mehraufwendungen für die einzelne Übernachtung unter dem in den Richtlinien aus gewiesenen Pauschbetrag lägen.
Der Klägerin sei zwar zuzugeben, daß ohne ihre Mitwirkung in dem Abrechnungsverfahren über die Höhe der steuerfreien Auslösungen hätte anders entschieden werden können. Dieser Hinweis müsse indes unbeachtet bleiben. Das Gericht habe für seine Entscheidung den Sachverhalt zugrunde zu legen, wie ihn die Klägerin selbst gestaltet habe.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 3 Nr. 16 EStG. Das FG übersehe, daß im Streitfall die Arbeitnehmer nicht vom Arbeitgeber am Beschäftigungsort untergebracht worden seien. Die Unterkünfte seien nicht von der Klägerin angemietet worden. Der Vorgang sei nicht anders, als wenn ein Hotelgast die Hotelrechnung durch Scheck bezahle. Daraus könne auch nicht hergeleitet werden, daß die bezogene Bank Partei des Beherbergungsvertrages sei und daß die Bank das Hotelzimmer dem Bankkunden entgeltlich überlassen habe. Die bloße Mitwirkung der Klägerin im Abrechnungsverfahren gestatte nicht, den Sachverhalt dahin umzuformen, daß sie ihren Monteuren eine auswärtige Unterkunft entgeltlich zur Verfügung gestellt habe. Ein Fall, wie er in dem BFH-Urteil VI 127/65 behandelt worden sei, in dem zweifelhaft war, ob überhaupt ein Verpflegungsmehraufwand anfiel, liege hier nicht vor, weil die Notwendigkeit der Übernachtung feststehe. Außerdem handle es sich in dem genannten Fall um Verpflegungsmehraufwand des Steuerpflichtigen selber, während im Streitfall die Klägerin wegen Übernachtungskosten ihrer Arbeitnehmer, die auf von diesen selbst mit den Beherbergungsunternehmen abgeschlossenen Verträgen beruhen, in Anspruch genommen werde. Sie, die Klägerin, sei nicht verpflichtet gewesen zu prüfen, ob mit den geltend gemachten Kosten die gesamten Übernachtungskosten abgegolten waren.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Auslösungen dürfen nur steuerfrei gezahlt werden, wenn sie Reisekosten- (§ 3 Nr. 16 EStG, § 4 Nr. 3 LStDV) oder Auslagenersatz (§ 3 Nr. 50 EStG § 4 Nr. 4 LStDV) sind. Welcher Steuerbefreiungstatbestand im einzelnen in Betracht kommt, ist vom FG nicht ausgesprochen worden. Indessen ist unter den Beteiligten nicht streitig, daß im Streitfall die im Abschn. 22 LStR 1966 für Auslösungen festgesetzten Pauschbeträge anwendbar sind. Auch für den Fall, daß keine Dienstreise vorliegt, wenn also nur Steuerfreiheit unter dem Gesichtspunkt des Auslagenersatzes in Betracht kommt, hat der Senat wiederholt anerkannt (z. B. Urteil vom 28. Januar 1972 VI R 11/ 69, BFHE 105, 340, BStBl II 1972, 677), daß den ständig auf auswärtigen Bau- und Montagestellen tätigen Arbeitnehmern steuerfreier Ersatz wegen ihrer Mehrverpflegungsaufwendungen gezahlt werden kann. Diese Grundsätze gelten entsprechend für den Ersatz von Übernachtungskosten.
In Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 2a LStR 1966 hat die Finanzverwaltung ihr Einverständnis damit erklärt, daß, wenn der Arbeitnehmer wegen der weiten Entfernung seines Wohnsitzes nicht täglich nach Hause zurückkehrt, eine unentgeltliche Unterbringung am Beschäftigungsort oder Übernachtungsgeld am Beschäftigungsort bis zu 5 DM täglich steuerfrei bleiben kann. Der Senat hat wiederholt betont, daß derartige Pauschregelungen auf Erfahrungen der Verwaltung beruhen und der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens dienen sollen. Die Anweisungen sind zwar keine Rechtsnormen, und es besteht deshalb kein vor den Steuergerichten verfolgbarer Rechtsanspruch auf ihre Anwendung in jedem Falle. Die Pauschsätze sind vielmehr Schätzungen im Sinne des § 217 AO. Der angestrebten Vereinfachung und Gleichbehandlung entspricht es aber nicht, Einzelfälle allzu intensiv zu prüfen; deshalb muß die Nichtanwendung der Pauschsätze in der Regel auf Ausnahmefälle beschränkt werden (vgl. z. B. Urteil des Senats vom 4. August 1967 VI R 309/66, BFHE 89, 532, BStBl III 1967, 728, mit weiteren Hinweisen).
Eine Anwendung der Pauschsätze ist allerdings dann nicht zulässig, wenn dies zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führt (vgl. Urteil des Senats vom 20. Dezember 1971 VI R 257/70, BFHE 104, 217, BStBl II 1972, 246). Die Pauschbeträge sollen zwar für den Regelfall Feststellungen im Einzelfalle vermeidbar machen, sie dürfen aber nicht dazu führen, daß die Besteuerung offensichtlich unrichtig wird. Die Beschränkung auf offensichtlich ungewöhnlich gelagerte Fälle stellt sicher, daß das Ziel derartiger Pauschbeträge, für ein Massenverfahren eine einfache und gleichmäßige Regelung zu schaffen, nicht in Frage gestellt wird.
Es ist sowohl bei der Geltendmachung von Werbungskosten durch den Arbeitnehmer als auch bei der Zahlung steuerfreien Werbungskostenersatzes durch den Arbeitgeber zu prüfen, ob die Anwendung von Pauschbeträgen zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führt. Dieser Auffassung steht die Bemerkung im Urteil VI R 257/70 nicht entgegen, daß es sich beim Ersatz von Reisekosten durch den Arbeitgeber und der Geltendmachung von Reisekosten durch den Arbeitnehmer nicht um gleichgelagerte Tatbestände handle. Diese Bemerkung besagt lediglich, daß ein den Werbungskostenabzug geltend machender Arbeitnehmer sich nicht auf die steuerliche Beurteilung des von anderen Arbeitgebern steuerfrei geleisteten Werbungskostenersatzes berufen könne. Sie besagt aber nicht, daß nicht auch das Vorliegen einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung bei Leistung von Werbungskostenersatz durch den Arbeitgeber zu prüfen ist. Wie der Senat in dem Urteil vom 11. August 1972 VI R 274/70 (BFHE 107, 24, BStBl II 1972, 917) betont hat, sind auch vom Arbeitgeber für Werbungskosten geleistete Ersatzleistungen nur dann steuerfrei, wenn die zu ersetzenden Aufwendungen tatsächlich Werbungskostencharakter hatten.
Eine Anwendung dieser Grundsätze im Streitfall ergibt, daß die steuerfreie Auszahlung des Unterschiedsbetrages zwischen dem Entgelt für die Unterkunft und dem Betrag von 5 DM zu einer unzutreffenden Besteuerung führen würde. Wenn die Entgelte für die Unterkunft 1 DM oder 3 DM betragen, dann ist es unangemessen, dafür Ersatzleistungen von 5 DM zu erbringen. Dies war für die Klägerin auch offensichtlich, weil sie die Abrechnung der Entgelte für die Unterkünfte selbst vorgenommen hat, also die Entgeltsleistungen ihrer Arbeitnehmer im einzelnen genau kannte.
Ohne Einfluß auf die Entscheidung ist, wie das FG zutreffend betont hat, daß die Entscheidung möglicherweise anders ausfallen würde, wenn die Arbeitnehmer die Entgelte selbst abgerechnet hätten, wenn also die Klägerin über die genaue Höhe der Entgelte nicht unterrichtet gewesen wäre. Der Entscheidung ist stets der tatsächliche Sachverhalt, nicht ein anderer möglicher, aber nicht gegebener Sachverhalt zugrunde zu legen.
Das FG hat die Klage hiernach mit Recht abgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 424602 |
BStBl II 1973, 601 |