Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 418/36 vom 13. Januar 1937 (RStBl. 1937 S. 317) kann ein auffallend niedriges Rohgewinnergebnis zur Verwerfung der Buchführung und zur Schätzung auch dann führen, wenn unter Festhaltung an anderen Buchführungsunterlagen das auffallend niedrige Ergebnis nur durch eine Höherschätzung des Umsatzes geändert wird, die unter der Grenze von 10 % liegt.
Dieser Rechtsauffassung tritt der erkennende Senat bei.
Normenkette
AO §§ 160, 217
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) ist Inhaber eines Manufakturwaren- und Lebensmittelgeschäftes.
Im Juni 1951 hat bei dem Stpfl. eine Betriebsprüfung stattgefunden. Nach den Feststellungen des Prüfers führt der Stpfl. ein Wareneingangsbuch mit Unterteilung für den Einkauf von Textilien und Kolonialwaren. Seine sonstigen Aufzeichnungen beschränken sich auf die Festhaltung der einzelnen Tageseinnahmen. Die Privatentnahmen sind nicht aufgezeichnet. Inventuren sind lediglich zum 20. Juni 1948 und zum 31. Dezember 1950 erstellt worden, und zwar für letzteren Termin nur für das Textillager. Der Prüfer hat die Einnahmeaufzeichnungen verprobt und einschließlich der Privatentnahmen mangels Aufzeichnungen ergänzende Schätzungen durchgeführt.
Auf Grund der Verprobung ergaben sich für die strittigen Zeiträume höhere Umsätze. Auf Grund der Abweichungen hat der Prüfer die Einnahmeaufzeichnungen des Stpfl. verworfen und die Umsätze entsprechend den Verprobungen geschätzt. Den Gewinn hat er mit 8 % des Umsatzes an Kolonialwaren und mit 13 % des Umsatzes an Textilwaren geschätzt. Das Finanzamt hat den Gewinn entsprechend dem Vorschlag des Prüfers unter Zugrundelegung der von ihm angenommenen Sätze von 8 % bzw. 13. % festgestellt.
Der Stpfl. hat eingewendet, daß die Rohgewinnaufschläge zu hoch geschätzt seien. Das Finanzamt sei offenbar irrtümlich davon ausgegangen, daß in den Umsätzen an Kolonialwaren erhebliche Mengen von Sämereien enthalten gewesen seien. Das Schwergewicht des Umsatzes habe bei solchen Waren gelegen, bei denen nur geringe Aufschläge möglich gewesen seien. Er habe auch viele Waren, die er kurz vor oder nach der Währungsumstellung erworben habe, unter dem Einkaufspreis verkaufen müssen. Sämtliche Einnahmen seien vollständig aufgezeichnet. Die Reingewinnsätze seien ebenfalls zu hoch. Er sei gezwungen, billiger zu verkaufen als Spezialgeschäfte.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Dagegen hat das Finanzgericht der Berufung stattgegeben. Es hat die Auffassung des Finanzamts gebilligt, daß die Einnahmeaufzeichnungen nicht schon aus formellen Gründen verworfen werden dürften. Das Unterlassen der Aufzeichnungen über den Eigenverbrauch sei ein Mangel, der nach den Gepflogenheiten der Finanzverwaltung als geringfügig nicht zu beanstanden sei.
Nach der Auffassung des Finanzgerichts besteht auch sachlich kein Anlaß, die Einnahmeaufzeichnungen zu verwerfen. Die vom Prüfer vorgenommene Umsatzverprobung vermöge die Beweiskraft der Aufzeichnungen nicht zu erschüttern. Der Prüfer habe zu diesem Zwecke die Bestände zum 31. Dezember 1948 und zum 31. Dezember 1949 geschätzt. Da aber Inventuren nur zum 21. Juni 1948 und zum Teil zum 31. Dezember 1950 vorlägen, wäre lediglich eine Verprobung der Umsätze des gesamten Zeitraums vom 21. Juni 1948 bis 31. Dezember 1950 geeignet, die Aufzeichnungen des Stpfl. zu erschüttern. Auch diese Verprobung würde zwar nicht voll das tatsächliche Ergebnis treffen, weil ja auf jeden Fall der Bestand an Kolonialwaren zum 31. Dezember 1950 und der Eigenverbrauch in der Zeit vom 31. Dezember 1948 bis zum 31. Dezember 1950 geschätzt werden müßte. Da aber die diesbezüglichen Schätzungen des Prüfers vom Stpfl. nicht angegriffen worden seien, beständen keine Bedenken, insoweit den Schätzungen des Prüfers zu folgen.
Unter Zugrundelegung der Aufzeichnungen des Stpfl. und unter Berücksichtigung des Eigenverbrauchs hat das Finanzgericht für die Zeit vom 21. Juni 1948 bis einschließlich 1950 einen Umsatz an Kolonialwaren in Höhe von 113.682 DM und an Textilien in Höhe von 82.027 DM errechnet. Es ist hierbei von einem Rohgewinnaufschlag von 19,3 % für Kolonialwaren und von 25 % für Textilwaren ausgegangen. Die Gegenüberstellung der vom Finanzgericht festgestellten und vom Stpfl. erklärten Umsätze ergibt einen Unterschiedsbetrag von 12.634 DM. Da dieser Unterschied weniger als 10 % beträgt, bedeutet er nach der Auffassung des Finanzgerichts keinen Anlaß zu einer Schätzung.
Das Finanzgericht hat ausgeführt, daß der Reichsfinanzhof in dem Urteil VI A 418/36 vom 13. Januar 1937 (Reichssteuerblatt - RStBl. - 1937 S. 317) eine Schätzung auch bei einer Abweichung von weniger als 10 % zugelassen habe. Dieses Urteil verkenne, daß die Abweichung des Rohgewinnes und die des Umsatzes von den Werten der Vergleichsbetriebe immer im gleichen Verhältnis stehen. Die Entscheidung des Reichsfinanzhofs vom 13. Januar 1937 sei unlogisch, weil ein Mißverhältnis nicht "in erster Linie in einem auffallend niedrigen Rohgewinnergebnis und erst in zweiter Linie im Umsatz erblickt werden kann".
Bei der Schätzung des Gewinnes ist das Finanzgericht von einem Durchschnittsumsatz von 10 % für II/1948 und von 9 % für 1949 ausgegangen.
Der Vorsteher des Finanzamts hat in der von ihm erhobenen Rechtsbeschwerde (Rb.) ausgeführt, daß der Unterschied zwischen den Umsätzen nicht als unbedeutend angesehen werden könne. Die Rohgewinnschätzung des Finanzgerichts führe zu einem unhaltbaren Ergebnis. Das Urteil des Reichsfinanzhofs vom 13. Januar 1937 könne nicht als unlogisch bezeichnet werden, da der Rohgewinn in etwa mit dem Rohgewinn gleichartiger Betriebe im Einklang stehen müsse. Nach den Richtsätzen für Lebensmittelgeschäfte betrage der mittlere Rohgewinnsatz 17 bzw. 16 %, eine Abweichung von 10 % mache somit schon mehr als 50 % des Bruttogewinns aus.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Da die Buchführung des Stpfl. nach Feststellung der Vorinstanzen wegen formeller und materieller Mängel nicht ordnungsmäßig ist, hätte es des Eingehens auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs nicht bedurft, um die Schätzung zu rechtfertigen. Wenn der erkennende Senat zu der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs Stellung nimmt, so geschieht dies deshalb, weil die Vorinstanzen die Einnahmeaufzeichnungen des Stpfl. tatsächlich als Vergleichsgrundlage benutzt haben, und weil die in diesem Zusammenhang vom Finanzgericht an dem Urteil vom 13. Januar 1937 geübte Kritik nicht widerspruchslos hingenommen werden kann.
Der Reichsfinanzhof hat in dem Urteil VI A 765/36 vom 30. September 1936 (RStBl. 1936 S. 996) eine Schätzung nur dann für zulässig erklärt, wenn der buchmäßige Umsatz von dem Ergebnis ähnlicher Betriebe und den Erfahrungssätzen der Steuerbehörden so wesentlich abweicht, daß es ausgeschlossen ist, der Stpfl. habe nur die gebuchten Umsätze erzielt. Das Urteil hält eine Abweichung nur dann für wesentlich, wenn sie mindestens 10 % beträgt. Das Urteil vom 13. Januar 1937 hat jedoch diese Rechtsauffassung für Fälle aufgegeben, in denen das Mißverhältnis nicht in erster Linie im Umsatz, sondern in anderen Ergebnissen der Buchführung, z. B. in einem auffallend niedrigen Rohgewinnergebnis zum Ausdruck kommt. Ein solches Mißverhältnis könne zur Verwerfung der Buchführung und zur Schätzung auch dann führen, wenn unter Festhaltung an anderen Buchführungsunterlagen das auffallend niedrige Ergebnis durch eine Höherschätzung des Umsatzes geändert wird, die unter der im Urteil vom 30. September 1936 genannten Grenze von 10 % liegt. Dieser Rechtsauffassung wird beigetreten.
Das Finanzgericht hat das Urteil vom 13. Januar 1937 als unlogisch abgelehnt, weil es verkenne, daß die Abweichung des Rohgewinnes und die des Umsatzes von den Werten der Vergleichsbetriebe immer im gleichen Verhältnis stehe. Diese Auffassung geht fehl. Das Finanzgericht hat ausgeführt, daß dann, wenn bei einem Umsatz von 10.000 DM der Wareneinsatz 7.500 DM beträgt der Rohgewinn stets 25 % des Umsatzes, der Aufschlag auf den Wareneinsatz, nach dem sich der Umsatz nach Richtsätzen errechnet, 33,3 % ausmacht. Sinke der ausgewiesene Umsatz um 10 %, betrage er also nur 9.000 DM, so sei in jedem Falle der Rohgewinn 16,6 % des Umsatzes und der Aufschlag auf den Wareneinsatz 20 %. Rohgewinnergebnis und Umsatz wichen also notwendigerweise immer im gleichen Verhältnis von dem Ergebnis des Vergleichsbetriebs oder der Richtsätze ab.
Dieses rechnerische Ergebnis ist an sich richtig, gibt jedoch keinen Beweis dafür, daß das Urteil vom 13. Januar 1937 unlogisch ist. Dieses Urteil stellt darauf ab, daß nicht der Umsatz als solcher, sondern die Würdigung der Rohgewinnzahlen, d. h. das Verhältnis zwischen Umsatz und Wareneinsatz bei einem Betriebsvergleich entscheidend ist.
Da die Vorentscheidung auf einem Rechtsirrtum beruht, ist sie aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird zur erneuten Entscheidung - unter Beachtung der vorstehenden Rechtsausführungen - an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 407609 |
BStBl III 1953, 323 |
BFHE 1954, 85 |
BFHE 58, 85 |