Leitsatz (amtlich)
Unternehmer in der Bundesrepublik, die Gegenstände von Lieferern beziehen, die ihren Sitz in der Sowjetzone haben, erwerben diese Gegenstände im Inlande auch dann, wenn der Lieferungsort in der Sowjetzone liegt. Ausfuhrvergütung für solche Gegenstände kommt deshalb in Betracht, Ausfuhr händler vergütung kann jedoch nicht gewährt werden, wenn festzustellen ist, daß die Lieferung an den Unternehmer in der Bundesrepublik nicht steuerpflichtig gewesen ist (§ 70 Abs. 2 Ziff. 1 UStDB).
Normenkette
UStG 1951 § 16; UStDB 1951 §§ 70, 77
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) betreibt den Großhandel mit Nähmaschinen und Nähmaschinenersatzteilen, die er ins Ausland ausführt. Nach den Feststellungen des Finanzamts, die der Stpfl. insoweit noch im Berufungsschriftsatz vom 9. Januar 1953 in tatsächlicher Hinsicht bestätigt hat, sind die Ausfuhrgegenstände, um deren Vergütungsfähigkeit der Streit geht, vom Stpfl. unmittelbar von der Hersteller-Firma in der sowjetischen Besatzungszone erworben worden, von dort auch mit seinen eigenen Fahrzeugen abgeholt und in die Bundesrepublik eingeführt worden. Unstreitig sind die Gegenstände nicht im Rahmen des Interzonenhandelsabkommens, sondern auf Grund einer Sondergenehmigung des Bundesministers für Wirtschaft erworben worden.
Die vom Stpfl. für Ausfuhrlieferungen des zweiten Vierteljahres 1952 beantragte Ausfuhrhändlervergütung von 408,97 DM und Ausfuhrvergütung von 277,83 DM hat das Finanzamt unter Berufung auf eine Verfügung der zuständigen Oberfinanzdirektion vom 24. Juli 1950 abgelehnt, weil hiernach Vergütungen nicht gewährt werden dürften, soweit die Ausfuhrgegenstände nicht im Rahmen eines Interzonenabkommens aus der sowjetischen Besatzungszone in die Bundesrepublik eingeführt worden seien.
Der Stpfl. hat hiergegen geltend gemacht, daß diese Verwaltungsanordnung nicht dem Gesetz entspreche. Die Gegenstände seien im Inland erworben und in legaler Weise aus der sowjetischen Zone bezogen worden, so daß die Steuerpflicht der Vorlieferung unterstellt werden müsse.
Sein Einspruch wurde zurückgewiesen, seine Berufung hatte Erfolg.
Hinsichtlich der Ausfuhrvergütung hat das Finanzgericht alle Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Verbindung mit § 77 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1951 als gegeben angesehen. Eine etwa entgegenstehende Verfügung einer Oberfinanzdirektion binde nicht die Steuergerichte. Das Gesetz mache die Vergütung nicht etwa davon abhängig, daß die Waren gerade im Rahmen eines Interzonenabkommens in das Bundesgebiet gelangt seien.
Hinsichtlich der Ausfuhrhändlervergütung hat das Finanzgericht auf Grund einer Rücksprache seines Beauftragten mit dem Stpfl. in Anwesenheit eines Sachbearbeiters des Finanzamts einen anderen Tatbestand festgestellt. Danach würden die Geschäfte mit der sowjetischen Zone über die Deutsche Innen- und Außenhandelsgesellschaft (Diamag) mit dem Sitz in Berlin-Ost abgewickelt, so daß davon auszugehen sei, daß die Hersteller-Firma in der sowjetischen Zone zunächst an die Diamag geliefert habe. Eine ägyptische Firma mit dem Sitz in Kairo, die eine Zweigniederlassung in Berlin-West unterhalte, habe im Rahmen eines Kompensationsgeschäftes über die Diamag unter anderem auch die hier in Streit befangenen Nähmaschinenersatzteile gekauft und die so erworbenen Gegenstände an den Stpfl. weiterveräußert. Die für die Einfuhr in die Bundesrepublik erforderliche Genehmigung des Bundesministers für Wirtschaft sei durch die Firma X in A beantragt worden, die insoweit als Spezialbevollmächtigter der ägyptischen Firma in B gehandelt habe. Dieser Sachverhalt werde insbesondere durch die vorgelegte endgültige Rechnung der ägyptischen Firma vom 16. Mai 1952 bestätigt.
Von diesem Sachverhalt ausgehend hat das Finanzgericht als Vorlieferung eine steuerbare Inlandslieferung durch eine in Berlin-West ansässige Zweigstelle angenommen; denn das UStG gelte auch in Berlin-West. Die Lieferung sei im Inland ausgeführt worden, da sich die gelieferte Ware in der sowjetischen Zone befunden habe, die Zone unter den Inlandsbegriff des § 1 UStDB falle und die Ware von dort durch den Stpfl. abgeholt worden sei. Die in § 70 Abs. 2 Ziff. 1 UStDB 1951 geforderte Steuer pflicht ergebe sich gleichfalls unmittelbar aus dem Gesetz, da für diese Lieferung keine der im § 4 UStG genannten Befreiungsgründe zuträfen. Die Ausfuhrhändlervergütung sei demnach ebenfalls zu gewähren.
Entscheidungsgründe
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts rügt Nichtgewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs und unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts; sie ist teilweise begründet.
Hinsichtlich der Gewährung der Ausfuhrvergütung nach § 16 Abs. 2 UStG bringt die Rb. gegenüber den Ausführungen des Finanzgerichts nichts Neues vor. Die Vorentscheidung läßt insoweit einen Rechtsirrtum oder Aktenverstoß nicht erkennen, so daß mit Recht alle Voraussetzungen des § 77 UStDB 1951 als gegeben angesehen worden sind. Insbesondere ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, daß unter Inland im Sinne des § 1 UStDB das Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 zu verstehen ist (vgl. auch das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Bundesfinanzhofs V 174/53 U vom 11. Februar 1954). Deshalb ist auch die Voraussetzung des § 77 Abs. 2 Ziff. 2 UStDB 1951 gegeben, wonach die Lieferung an den Antragsteller nicht als Ausfuhrlieferung im Sinne des § 23 UStDB 1951 steuerfrei gewesen sein kann. Anders wie im Falle der Ausfuhr händler vergütung nach § 16 Abs. 1 UStG in Verbindung mit § 70 Abs. 2 Ziff. 1 UStDB 1951 ist hier eine etwaige Steuerfreiheit des Vorlieferers aus anderen Gründen als denen des § 4 Ziff. 3 UStG in Verbindung mit § 23 UStDB 1951 unschädlich. § 4 Ziff. 3 UStG ist aber, welcher Darstellung des Sachverhalts man auch folgt, keinesfalls einschlägig. Diese Auffassung wird nunmehr auch vom Bundesminister der Finanzen in seinem Erlaß vom 5. April 1954 IV S 4165 -- 215/54 vertreten.
Die Rüge des mangelnden rechtlichen Gehörs könnte demnach nur im Falle der Ausfuhrhändlervergütung von Bedeutung sein; sie ist jedoch nicht begründet. Unstreitig hat an der Besprechung zwischen dem Beauftragten des Finanzgerichts und dem Stpfl. auch ein Sachbearbeiter des Finanzamts teilgenommen und hat Einsicht in die dem Finanzgericht eingereichten Unterlagen genommen. Dieser Sachbearbeiter hat nicht nur, wie die Rb. vorträgt, von dem neuen Sachverhalt Kenntnis genommen, sondern er hat, ebenso wie der Stpfl., ausweislich des von dem Beauftragten gefertigten Aktenvermerks die Erklärung abgegeben, daß das Finanzamt von einer weiteren Stellungnahme absehen wolle. Das Finanzgericht konnte hiernach davon ausgehen, daß ein schriftliches Ersuchen um Stellungnahme an das Finanzamt nicht mehr erforderlich sei. Die Rb. irrt, wenn sie nur von der Kenntnis eine Beamten, nicht aber des Finanzamts ausgeht. Denn wenn sich das Finanzamt in einer mündlichen Verhandlung durch einen Sachbearbeiter vertreten läßt, muß es dessen Kenntnis gegen sich gelten lassen. Auf die Beweggründe, die den Beamten zu seinem Verhalten bestimmt haben, kann es unter diesen Umständen nicht ankommen.
Die Rb. hat jedoch aus einem anderen Grunde insoweit Erfolg. Finanzamt und Stpfl. sind ausweislich der Akten bis zu der oben erwähnten Verhandlung von dem gleichen Sachverhalt ausgegangen, der auch jetzt noch von der Rb. vorgetragen wird. Der Senat ist deshalb nicht gehindert, sich mit dem Sachvortrag der Rb. auseinanderzusetzen, da es sich insoweit nicht um neues tatsächliches Vorbringen handelt. Die Ausführungen des Finanzgerichts lassen nicht erkennen, wie der Stpfl. seine nunmehrige Darstellung über den Vorlieferer der ausgeführten Gegenstände erklären will, nachdem er noch im Berufungsschriftsatz vom 5. Januar 1953 die Hersteller-Firma in der sowjetischen Zone als Vormann bezeichnet und auch in weiteren Schriftsätzen im Berufungsverfahren vom 11. Juni und 11. August 1953 der Darstellung des Finanzamts nicht entgegengetreten ist, die ihm spätestens seit der Einspruchsentscheidung vom 29. Dezember 1952 bekannt war. Die von der ägyptischen Firma ausgestellte Rechnung vom 16. Mai 1952 allein trägt nicht die Auffassung des Finanzgerichts, da unter den gegebenen Umständen und den Besonderheiten des Interzonenverkehrs der tatsächliche Geschäftsablauf durchaus abweichend von der Inrechnungstellung gewesen sein kann, und das Finanzgericht in dieser Hinsicht Ermittlungen nach dem wirklichen Vorlieferer nicht angestellt hat. Es wird jedoch auf diesen Streitpunkt dann nicht entscheidend ankommen, wenn festgestellt werden kann, daß die Lieferung an den Stpfl. nicht steuerpflichtig gewesen ist (§ 70 Abs. 2 Ziff. 1 Satz 2 UStDB). Insoweit aber kann der Senat, der in der Sache gemäß § 296 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) selbst erkennt, auch die im Rechtsbeschwerdeverfahren beigebrachten Unterlagen prüfen, zumal diese nur den ursprünglichen Sachvortrag des Finanzamts beweisen sollen. Danach hat eine Prokuristin der angeblichen Zweigstelle der ägyptischen Firma verhandlungsschriftlich vor einem West-Berliner Finanzamt ausgesagt, daß in Berlin nur ein technisches Überwachungsbüro bestehe, über das keinerlei Warenlieferungen gegangen seien. Von diesem Büro, und das ist für die streitige Frage entscheidend, seien niemals umsatzsteuerpflichtige Geschäfte irgendwelcher Art getätigt worden. Selbst wenn man also in der Berliner Stelle eine Zweigniederlassung sehen wollte, würde hiernach die Vorlieferung nicht versteuert worden sein. Ist aber Vorlieferer die sowjetzonale Hersteller-Firma, so wird nach den vom Landesfinanzamt Berlin angestellten Ermittlungen die gleichfalls im oben angeführten Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 5. April 1954 niedergelegte Auffassung bestätigt, daß Unternehmer, die ihren Sitz in der sowjetischen Zone haben, in dieser Zone für ihre Lieferungen an Abnehmer in der Bundesrepublik nicht zur Umsatzsteuer herangezogen werden. Die Steuerfreiheit der Vorlieferung, und zwar gleich aus welchem Grunde, führt aber gemäß § 70 Abs. 2 Ziff. 1 a. a. O. bei der Ausfuhrh ändler vergütung zur Versagung dieser Vergütung.
Es kommt also, wie den Ausführungen des Stpfl. gegenüber bemerkt sei, für die rechtliche Beurteilung nicht darauf an, ob die Waren im Rahmen des Interzonenhandelsabkommens in das Bundesgebiet eingeführt worden sind. Es ist auch nicht so, daß in dem einen und dem anderen Falle des § 16 Abs. 1 und 2 UStG die Steuerpflicht der Vorlieferung unterstellt zu werden brauchte. Denn im Falle des § 16 Abs. 2 UStG kann die Vergütung deshalb gewährt werden, weil die Vorlieferung jedenfalls nicht als Ausfuhr lieferung befreit sein kann, da es sich um eine Inlandslieferung handelt. Im Falle des § 16 Abs. 1 UStG ist dagegen festgestellt worden, daß die deutschen Finanzbehörden der sowjetischen Besatzungszone die hier in Frage stehenden Lieferungen als gemäß § 4 Ziff. 3 UStG steuerfreie Ausfuhrlieferungen gelten lassen.
Hiernach war die Vorentscheidung dahin abzuändern, daß dem Stpfl. lediglich die Ausfuhrvergütung in Höhe von 277,83 DM zusteht. Im übrigen war die Berufung gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts vom 29. Dezember 1952 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 307 Abs. 1 Satz 2, 309 AO.
Fundstellen
Haufe-Index 407942 |
BStBl III 1954, 236 |
BFHE 1955, 71 |