Leitsatz (amtlich)

Das bergungsfähige Wrack eines Handelsschiffes, das zwar der allgemeinen Verfügungssperre nach der Proklamation Nr. 2 der Alliierten Besatzungsstreitkräfte unterlag, von diesen aber bis zum Währungsstichtag nicht in Anspruch genommen, war, konnte in der DMEB nicht vorläufig mit einem Erinnerungsposten oder sonst vorläufig bewertet werden. § 4 des 4. DMBEG ist deshalb auf den Wertansatz für das Schiff nicht anzuwenden.

 

Normenkette

4. DMBEG § 4

 

Tatbestand

Streitig war, ob die Voraussetzungen für eine Anwendung der §§ 4 und 12 4. DMBEG vom 7. April 1961 (BGBl I 1961, 413) erfüllt sind.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte, die Partenrederei X war Eigentümerin des Frachtdampfers „Y”. Das Schiff wurde während des Krieges im Jahre 1945 in der Z-Bucht versenkt. Das gesunkene Schiff unterlag der Proklamation Nr. 2 der Alliierten Besatzungsstreitkräfte (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 1 vom 29. November 1945 S. 8), derzufolge „die gesamte deutsche Handelsflotte den alliierten Vertretern für die von ihnen vorgeschriebene Verwendung zu deren Bedingungen verfügbar gemacht werden” mußte, wurde aber mit Schreiben vom 29. Juli 1949 der Verwaltung für Verkehr des Vereinigten Wirtschaftsgebietes zur Bergung und Wiederherstellung freigegeben. Die Partenreederei ließ das gesunkene Schiff im Jahre 1949 bergen und in der Folgezeit reparieren. Am 21. Juli 1950 wurde das Schiff wieder in Dienst gestellt. Im Jahre 1961 veräußerte die Partenreederei das Schiff zum Preis von 1 050 605 DM.

In der DM-Eröffnungsbilanz (DMEB), die erst nach der Freigabe des Schiffes aufgestellt wurde, wies die Partenreederei das Schiff mit 500 000 DM aus.

Im Jahre 1962, einige Zeit nach Erlaß des 4. DMBEG vom 7. April 1961, beantragte die Partenreederei, die Vorschriften der §§ 4 und 12 des 4. DMBEG anzuwenden und die Gewinne für die Jahre 1950 bis 1959 außerhalb der Bilanz um zusätzliche Abschreibungen von insgesamt 400 000 DM zu kürzen, weil der Wert des Wracks im Zeitpunkt seiner Freigabe, wie sich aus dem Zeitwert bei der Indienststellung von 1,9 Millionen DM und der Reparaturkosten von 1 000 000 DM ergebe, 900 000 DM und die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer Mitte 1950 zehn Jahre betragen habe.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA –) lehnte diesen Antrag ab, weil das Schiff in der DMEB zu Recht endgültig bewertet worden sei. Der Einspruch der Partenreederei blieb erfolglos.

Auf die Berufung (= Klage) der Partenreederei hob das Finanzgericht (FG) die Entscheidungen des FA auf und änderte die einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheide für 1950 bis 1959 dahin ab, daß die von der Partenreederei in den Jahren 1950 bis 1959 erzielten Gewinne unter Berücksichtigung der beantragten zusätzlichen Abschreibungen von 400 000 DM entsprechend niedriger festgestellt wurden. Zur Begründung führte das FG im wesentlichen aus. § 4 des 4. DMBEG beziehe sich entgegen seiner Überschrift nicht nur auf Vermögensgegenstände, die tatsächlich vorläufig bewertet worden seien, sondern auch auf Vermögensgegenstände, die vorläufig hätten bewertet werden können. Das Schiff sei ein sonstiger Vermögensgegenstand im Sinne von § 47 Abs. 1 DMBG und als solcher vorläufig zu bewerten gewesen. Denn die Partenreederei sei infolge der Proklamation Nr. 2 der Alliierten Besatzungsstreitkräfte am Währungsstichtag nicht mehr wirtschaftliche Eigentümerin des Schiffes gewesen. Demgemäß hätte in der DMEB gemäß § 21 DMBG nur eine Entschädigungsforderung im Werte von 1 DM angesetzt werden dürfen.

In der Revision beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Es rügt, das FG habe zu Unrecht § 4 des 4. DMBEG angewendet und § 47 DMBG gegen seinen klaren Wortlaut ausgelegt. Für eine Anwendung des § 4 des 4. DMBEG sei kein Raum, weil dieser nur für vorläufige, d. h. nach § 47 DMBG berichtigungsfähige Wertansätze gelte. Im vorliegenden Falle sei aber das Wrack zu Recht bereits endgültig bewertet worden, weil der endgültige Wert bei Aufstellung der DMEB bereits festgestanden habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

1. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des 4. DMBEG, der gemäß § 12 des 4. DMBEG auch für die steuerliche Gewinnermittlung gilt und steuerlich in dem in dieser Vorschrift vorgesehenen besonderen Verfahren zu berücksichtigen ist, können u. a. die Wertansätze für Vermögensgegenstände, die in einer Eröffnungsbilanz nach den Vorschriften des DMBG oder der DMBEG „vorläufig mit einem Erinnerungsposten oder sonst vorläufig zu bewerten waren”, durch Einsetzen des in Abs. 2 dieser Vorschrift bestimmten endgültigen Werts geändert werden, wenn der Grund für die vorläufige Bewertung entfällt und gesetzlich ein endgültiger Wert nicht besonders bestimmt ist. Dabei ist als endgültiger Wert der Wert anzusehen, der den Vermögensgegenständen in dem Zeitpunkt beizulegen ist, in dem der Grund für ihre vorläufige Bewertung entfallen ist. § 4 des 4. DMBEG steht im zweiten Unterabschnitt des ersten Teils des ersten Abschnitts dieses Gesetzes; dieser Unterabschnitt trägt die Überschrift „sonstige vorläufige bewertete Vermögensgegenstände”. Aus der Divergenz zwischen dem Wortlaut dieser Überschrift und dem Wortlaut des § 4 des 4. DMBEG ist die Streitfrage entstanden, ob § 4 des 4. DMBEG nur eingreift, wenn ein Vermögensgegenstand in der DMEB tatsächlich vorläufig bewertet war – worauf die Überschrift hinweist – oder ob es genügt, daß er hätte vorläufig bewertet werden können – eine Auslegung, die der Gesetzestext nahelegt. Diese Rechtsfrage kann im Streitfall offenbleiben. Die Revision ist auch dann begründet und der Antrag der Partenreederei, § 4 des 4. DMBEG anzuwenden, unbegründet, wenn man der zweiten Alternative den Vorzug gibt. Denn die Voraussetzungen für einen vorläufigen Ansatz mit einem Erinnerungsposten oder einer sonstigen vorläufigen Bewertung nach den Vorschriften des DMBG waren nicht gegeben.

2. Der erkennende Senat kann der Vorentscheidung nicht darin beipflichten, daß die Partenreederei am Währungsstichtag nicht mehr Eigenbesitzerin und damit nicht mehr wirtschaftliche Eigentümerin des Schiffes war. Die tatsächlichen Feststellungen des FG rechtfertigen diese Schlußfolgerung nicht.

a) Der Abschnitt VII Nr. 23 Buchst. b der Proklamation Nr. 2 der Alliierten Besatzungsstreitkräfte vom 20. September 1945 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 1 vom 29. Oktober 1945 S. 15) bestimmte, „die gesamte deutsche Handelsflotte, einschließlich Schiffsraum unter Konstruktion oder Reparatur, muß den alliierten Vertretern für die von ihnen vorgeschriebene Verwendung zu deren Bedingungen verfügbar gemacht werden”. Die Vorentscheidung geht zu Recht davon aus, daß diese Bestimmung die Eigentümer von Handelsschiffen noch nicht enteignete, sondern die betroffenen Vermögensgegenstände lediglich dem Zugriff der Besatzungsmächte sichern sollte. Die Bestimmung enthält rechtlich ein absolutes Verfügungsverbot, ähnlich den Verfügungsverboten, wie sie in Nr. 14 der Proklamation Nr. 2 der Alliierten Besatzungsstreitkräfte für das deutsche Auslandsvermögen und in den Gesetzen der Militärregierung (MilRegG) Nr. 52 und Nr. 53 für die dort erwähnten Vermögenswerte verhängt wurden. Derartige Verfügungsverbote konnten sich zwar allgemein oder im Einzelfall durch Hinzutreten weiterer Maßnahmen zu einer Enteignung verdichten. Für das deutsche Auslandsvermögen ist dies z. B. vielfach durch das Kontrollratgesetz (KRG) Nr. 5 vom 30. Oktober 1945 und entsprechende weitere Maßnahmen der jeweiligen Belegenheitsstaaten oder der Besatzungsmächte (sog. Liquidation) geschehen. Auch für Handelsschiffe konnte sich aus dem allgemeinen Verfügungsverbot eine Enteignung entwickeln. Sie trat z. B. dann ein, wenn die „alliierten Vertreter” für ein bestimmtes Handelsschiff eine „Verwendung” in der Weise vorschrieben, daß das Schiff auf Dauer einem Dritten zu übertragen ist. Das mußte aber keineswegs in jedem Falle so sein und ist auch, wie allgemein bekannt ist, tatsächlich nicht immer so gewesen. Solange die „alliierten Vertreter” für ein Handelsschiff keine bestimmte Verwendung „vorschrieben”, blieb es beim bloßen Verbot, über das Schiff zu verfügen. Die allgemeine Verfügungssperre der Besatzungsstreitkräfte hatte somit vorläufigen Charakter und ließ das endgültige rechtliche Schicksal der beschlagnahmten Vermögensgegenstände in der Schwebe, gleichgültig, wie groß dabei im Einzelfall jeweils die Wahrscheinlichkeit einer Wegnahme oder Freigabe zu veranschlagen war.

Im Streitfall hat sich das allgemeine Verfügungsverbot nicht zu einer Enteignung verdichtet. Die Partenreederei hat nicht behauptet, die Besatzungsstreitkräfte hätten für das Schiff eine bestimmte Verwendung vorgeschrieben, dieses also konkret für sich in Anspruch genommen oder auch nur eine derartige Inanspruchnahme vorbereitet.

b) Zu Unrecht nimmt die Vorentscheidung an, daß die Partenreederei am Währungsstichtag nicht Eigenbesitzerin und damit nicht wirtschaftliche Eigentümerin des Schiffes gewesen sei (§ 11 StAnpG). Eigenbesitzer ist, wer eine Sache als ihm gehörig besitzt (§ 872 BGB); der Eigenbesitzer muß neben der den Besitz allgemein kennzeichnenden unmittelbaren oder mittelbaren Sachherrschaft den Willen haben, die Sache wie ein Eigentümer zu beherrschen, also die dem Inhalt des Eigentums entsprechende Stellung zur Sache zu haben.

Der erkennende Senat ist im Gegensatz zur Vorentscheidung der Auffassung, daß mehr oder weniger umfangreiche und ihrer Anlage nach zunächst nur vorläufige Verfügungsbeschränkungen noch nicht zum Verlust jeglicher Sachherrschaft über die von der Verfügungsbeschränkung betroffene Sache führen. So wie eine als vorbereitende Maßnahme ausgesprochene Beschlagnahme das Eigentum an einer Sache im allgemeinen noch nicht auf einen anderen überträgt, sondern nur die aus dem Eigentum erwachsenden Befugnisse und Möglichkeiten beschränkt, so vernichtet eine derartige Beschlagnahme auch die tatsächliche Sachherrschaft nicht vollständig, sondern schränkt diese nur inhaltlich mehr oder weniger stark ein. Wäre es anders, so wäre z. B. der in Konkurs geratene Gemeinschuldner nach der Übernahme der Verwaltung der Konkursmasse durch den Konkursverwalter entgegen der allgemeinen Auffassung nicht mehr (mittelbar) Besitzer der Konkursmasse. Wenn aber dem Eigentümer einer von einem Verfügungsverbot betroffenen Sache sogar dann, wenn ein Dritter über diese Sache tatsächliche Herrschaftsgewalt ausübt, weiterhin eine gewisse, wenigstens mittelbare Sachherrschaft verbleibt, so muß dies erst recht gelten, wenn es, wie im vorliegenden Falle, beim bloßen Verfügungsverbot belassen wird und ein Dritter eine tatsächliche Sachherrschaft nicht ausübt. Die Vorentscheidung hat keinerlei Tatsachen festgestellt, die zu dem Schluß zwingen, daß es im Streitfalle ausnahmsweise anders ist.

Daß die Partenreederei gerade deshalb, weil das Schiff gesunken war, also unabhängig vom allgemeinen Verfügungsverbot, an deren Stichtag keinen Eigenbesitz hatte, hat sie selbst nicht behauptet. Offensichtlich war der Partenreederei spätestens am Währungsstichtag klar, daß sich eine Bergung lohnen werde.

Auch der Gesetzgeber des DMBG ist offensichtlich davon ausgegangen, daß öffentlich-rechtliche Verfügungsbeschränkungen, insbesondere Verfügungsbeschränkungen aufgrund von Besatzungsrecht, für sich betrachtet noch nicht zum Verlust des wirtschaftlichen Eigentums an den betroffenen Vermögensgegenständen führen. Andernfalls wäre die Vorschrift des § 8 DMBG nicht verständlich, der zufolge u. a. Vermögensgegenstände, die der Verfügungsbeschränkung aufgrund der MilRegG Nr. 52 und Nr. 53 oder einer sonstigen gegen jeden wirkenden Verfügungsbeschränkung unterliegen, nicht allein wegen dieser Verfügungsbeschränkung mit einem niedrigeren Wert angesetzt zu werden brauche. Damit stimmte überein, daß z. B. § 21 Satz 2 DMBG von Entschädigungsansprüchen aufgrund von „Reparationsentnahmen”, als aufgrund tatsächlicher Wegnahme, und nicht etwa von Entschädigungsansprüchen aufgrund allgemeiner Verfügungsverbote spricht.

3. War die Partenreederei am Währungsstichtag weiterhin rechtliche und wirtschaftliche Eigentümerin des Schiffes, so war in der DMEB das Schiff anzusetzen und nach § 18 DMBG (eventuell in Verbindung mit § 8 DMBG) zu bewerten, und nicht etwa anstelle des Schiffes ein Entschädigungsanspruch „aufgrund von Demontagen, Reparationsentnahmen und ähnlichen Maßnahmen” im Sinn von § 21 Satz 2 DMBG auszuweisen. Denn fehlt es an einem nach § 47 Abs. 1 DMBG berichtigungsfähigen Wertansatz, weil § 47 Abs. 1 Buchst. d DMBG nur Vermögensgegenstände erfaßt, für die nach dem DMBG der Ansatz mit einem Erinnerungsposten oder mit vorläufigen Wert vorgesehen war, das DMBG diese Vermögensgegenstände abschließend aufzählt und Vermögensgegenstände, die nach § 18 in Verbindung mit § 8 DMBG zu bewerten waren, nicht darunter fallen. Wenn aber das Schiff kein Vermögensgegenstand war der im Sinne von § 47 Abs. 1 DMBG und nach den Vorschriften des DMBG vorläufig anzusetzen war, dann kann auch § 4 des 4. DMBEG nicht eingreifen, weil der Begriff der Vermögensgegenstände, die den Vorschriften des DMBG vorläufig mit einem Erinnerungsposten anzusetzen oder sonst vorläufig zu bewerten waren im Sinne von § 4 des 4. DMBEG mit dem Begriff der Vermögensgegenstände, die „nach diesem Gesetz mit einem Erinnerungsposten oder mit einem vorläufigen Wert angesetzt worden sind” im Sinne von § 47 Abs. 1 DMBG übereinstimmt und im Hinblick darauf, daß, wie die Entstehungsgeschichte des 4. DMBEG ausweist (vgl. Bundestags-Drucksache III/2186 Sp. 11), § 4 des 4. DMBEG auf § 47 DMBG aufbaut, auch übereinstimmen muß. Das FA hat deshalb den Antrag, § 4 des 4. DMBEG in Verbindung mit § 12 des 4. DMBEG anzuwenden, zu Recht abgelehnt. Die Vorentscheidung war aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514564

BFHE 1972, 11

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