Leitsatz (amtlich)
Die "Räumungsentschädigung" bei vereinbarter vorzeitiger Auflösung eines Mietverhältnisses ist auch dann als Entgelt und nicht als Schadensersatz zu beurteilen, wenn der Steuerpflichtige zur Vermeidung einer Enteignung auf die vertragliche Regelung mit der Gemeinde eingegangen ist.
Normenkette
UStG 1951 § 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) übte ihren Gewerbebetrieb bis zum Jahre 1960 teilweise auf dem der B-Gesellschaft gehörenden Grundstück aus. Ein Teil dieses Grundstücks, auf dem sich das Betriebsgebäude der Steuerpflichtigen befand, wurde 1960 an die Stadt K veräußert, die es zum Straßenausbau benötigte. Die Steuerpflichtige zog daraufhin in ein von der B-Gesellschaft neu errichtetes Gebäude um. Die Steuerpflichtige beanspruchte von der Stadt für die anläßlich der Räumung des Gebäudes entstandenen Unkosten "Schadensersatz". Die Stadt zahlte zur Abgeltung der mit dem Umzug verbundenen Unkosten (z. B. für die Ummontage der Maschinen, die Verlegung der Büros und des Lagers, den Produktionsausfall u. a. m.) ... DM. Abweichend von der Steuererklärung 1960 unterwarf das FA diesen Betrag der Umsatzsteuer.
Einspruch und Berufung (Klage) sind ohne Erfolg geblieben.
Mit der als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde (§§ 184 Abs. 2 Nr. 1, 115 ff. FGO) begehrt die Steuerpflichtige erneut, die Entschädigungszahlung der Stadt als nichtsteuerbaren Schadensersatz zu behandeln. Als Verfahrensverstoß rügt sie, daß das FG zur Klagebehauptung, der Steuerpflichtigen seien lediglich die Umzugskosten erstattet worden, keine Ermittlungen durchgeführt habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat im einzelnen zutreffend dargelegt, daß die Räumung des Grundstücks als "sonstige Leistung" der Steuerpflichtigen an die Stadt i. S. des § 1 Nr. 1 UStG und der Auslagenersatz durch die Stadt als Entgelt i. S. des § 10 UStDB zu beurteilen ist.
Der Auffassung des FG liegt die Feststellung zugrunde, daß die Steuerpflichtige ihr - durch den Verkauf des Grundstücks gemäß § 571 BGB nicht beeinträchtigtes - Mietrecht vorzeitig zugunsten der Stadt K aufgegeben habe und daß für dieses Verhalten der zur Bemessung des strittigen Teils der Umsatzsteuer 1960 herangezogene Betrag auf Grund einer Vereinbarung bezahlt worden sei. Gegen diese Feststellung hat die Steuerpflichtige keine zulässigen verfahrensrechtlichen Rügen erhoben. Die Feststellungen sind deshalb für den Senat bindend.
Nach diesen tatsächlichen Verhältnissen kann die strittige Bemessungsgrundlage nicht als Schadensersatz, sondern muß als Entgelt i. S. des Umsatzsteuerrechts beurteilt werden. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann eine als "Entschädigung" geleistete Zahlung nur dann den Charakter des nicht steuerbaren Schadensersatzes haben, wenn eine Wechselbeziehung mit einer Leistung i. S. des § 1 Nr. 1 UStG 1951 fehlt (vgl. insbesondere Entscheidung des BFH V 268/58 vom 1. Dezember 1960, HFR 1961, 139). Liegt aber wie hier eine solche Wechselbeziehung vor, so wird die Entgelteigenschaft der Zahlung i. S. des Umsatzsteuerrechts nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Vertragsparteien die Zahlung als Schadensersatz bezeichnen oder der Entgeltschuldner nur die tatsächlichen Aufwendungen des Leistenden (Steuerpflichtigen) zu erstatten hat. Deshalb wäre auch die Verfahrensrüge der Steuerpflichtigen unbeachtlich, wenn sie nicht schon wegen mangelnder Substantiiertheit (es fehlt jede Angabe darüber, welche Tatsachen das FG im einzelnen hätte aufklären müssen) gemäß § 290 Abs. 1 AO a. F., § 184 Abs. 2 Nr. 2 FGO unzulässig wäre (ebenso § 120 Abs. 2 FGO). Denn die Steuerpflichtige macht lediglich die Verletzung der Aufklärungspflicht zu der Klagebehauptung geltend, daß die Stadt K mit der "Entschädigung" allein den durch den Umzug der Steuerpflichtigen entstandenen Aufwand erstattet habe. Nach den vorstehend dargelegten Rechtsgrundsätzen ist die Richtigkeit dieser Behauptung - die im übrigen vom FG unterstellt wurde - nicht entscheidungserheblich.
Schließlich läßt sich eine andere Entscheidung auch nicht auf die in der Revisionsbegründung vorgetragene Erwägung stützen, daß die von der Steuerpflichtigen freiwillig erbrachte Leistung im Wege der Enteignung nach § 86 Abs. 1 Nr. 3 des Bundesbaugesetzes (BBauG) vom 23. Juni 1960 (BGBl I 1960 S. 341) hätte erzwungen werden können und daß in diesem Falle nach den Grundsätzen des BFH-Urteils V 216/60 vom 28. Februar 1963 (HFR 1963, 419) die Zahlung nicht als Gegenleistung für die Räumung anzusehen gewesen wäre. In diesem Urteil hat der Senat nämlich eine nach § 4 Abs. 3 des Mieterschutzgesetzes (MSchG) erstattete Räumungsentschädigung als echte Schadensersatzleistung beurteilt. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Senat die Entschädigung auf Grund eines Enteignungsverfahrens rechtlich ebenso behandeln würde (vgl. § 1 Nr. 1 Satz 2 UStG), zumal nach § 93 Abs. 1 und 2 BBauG ein Anspruch auf Vergütung des Rechtsverlustes und aller anderen durch die Enteignung eintretenden Vermögensnachteile besteht, während § 4 Abs. 3 MSchG nur eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Billigkeitsentschädigung kennt. Denn der Senat hat seine Entscheidung nach den gegebenen tatsächlichen Verhältnissen zu treffen. Die Überlegung, daß im Einzelfall ein wirtschaftlicher Erfolg, der durch Verwirklichung eines Steuertatbestandes herbeigeführt wurde, auch auf eine vom Steuerrecht nicht erfaßte Art und Weise hätte herbeigeführt werden oder eintreten können, kann in aller Regel auch nach den Grundsätzen der wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht zur steuerlichen Freistellung führen. Denn die steuerlichen Auswirkungen eines geschäftlichen Vorgangs sind kein Maßstab für dessen wirtschaftliche Bedeutung. Schließlich kann das Gericht abweichend von den Ausführungen in der Revisionsbegründung auch den Tatbestand eines steuerbaren Leistungsaustausches nicht einem für den Schadensersatz maßgeblichen Lebensvorgang gleichstellen. Für eine solche "Billigkeitsentscheidung" gibt das Gesetz den Gerichten keine Möglichkeit.
Fundstellen
BStBl II 1969, 387 |
BFHE 1969, 308 |