Leitsatz (amtlich)
1. Hat ein Steuerberater gegen einen Steuerbescheid im Namen des Steuerpflichtigen, aber ohne Nachweis schriftlicher Vollmacht Einspruch eingelegt, so kann das FA ihm als dem bestellten Vertreter im Sinne des § 8 Abs.1 Satz 1 VwZG die Einspruchsentscheidung wirksam zustellen. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige einen Rechtsanwalt mit der Anfertigung der Einspruchsbegründung und der späteren Klageerhebung beauftragt hat und das FA hiervon unterrichtet ist.
2. Der Steuerberater genügt seinen Sorgfaltspflichten, wenn er die Einspruchsentscheidung unverzüglich an den vom Steuerpflichtigen beauftragten Rechtsanwalt weiterleitet und ihn über die zu beachtenden Fristen unterrichtet. Die Einhaltung der Klagefrist fällt in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts.
Orientierungssatz
1. Heranziehung der im Zivilprozeßrecht herausgebildeten Grundsätze für die Abgrenzung von Vertreterpflichten bei Beauftragung mehrerer Rechtsanwälte für verschiedene Instanzen (Ausführungen und BGH-Rechtsprechung), wenn in einer Steuerstreitsache neben dem Steuerberater ein Rechtsanwalt tätig wird.
2. Ein Vertrag, durch den einem Steuerberater allgemein die Wahrnehmung aller Interessen des Auftraggebers übertragen wird, ist regelmäßig ein Dienstvertrag, der eine Geschäftsbesorgung i.S. des § 675 BGB zum Gegenstand hat. Gegenstand eines solchen Vertrags ist die Besorgung der beim Auftraggeber jeweils anfallenden Geschäfte (BGH; Lit.).
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 5, § 366; VwZG § 8 Abs. 1 S. 1; FGO § 56; BGB § 675
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Kommanditgesellschaft (KG), betreibt ein Dienstleistungsunternehmen. Aufgrund einer im Jahre 1982 durchgeführten Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) geänderte Bescheide zur einheitlichen Gewinnfeststellung für die Jahre 1977 bis 1980, Festsetzung der Gewerbesteuermeßbeträge 1977 bis 1980 und Festsetzung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1.Januar 1978, 1.Januar 1979 und 1.Januar 1980. Die Bescheide wurden der Klägerin übersandt. Der in S ansässige langjährige Steuerberater der Klägerin K, dem die umfassende steuerliche Betreuung und Beratung der Klägerin obliegt, legte mit Schreiben vom 12.Oktober 1983 und 8.November 1983 fristgerecht "im Namen und Vollmacht" der Klägerin Einspruch ein. In diesen Schreiben teilte er ergänzend mit, daß die Einspruchsbegründungen von dem Rechtsanwalt D (in Sozietät x) in A zugehen werden. In weiteren Schreiben vom 8. und 9.November 1983 beantragte Steuerberater K "im Namen und Auftrag meiner Klientin" Aussetzung der Vollziehung bezüglich der im Streit befindlichen Steuern. In diesen Schreiben führte er ergänzend aus, er habe bereits bei der Schlußbesprechung am 27.April 1983 darauf hingewiesen, daß seine Klientin in dieser Angelegenheit das Finanzgericht (FG) anrufen und sich dabei durch den Rechtsanwalt D vertreten lassen werde; dem FA werde noch eine ausführliche Stellungnahme zugehen.
Nach vergeblicher Anmahnung der Einspruchsbegründungen im Oktober/November 1983 mit Fristsetzung bis März 1984 wies das FA unter dem 14.Juni 1984 die Einsprüche als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidungen wurden als Einschreibsendungen zur Post gegeben und erreichten den Steuerberater K am folgenden Tage. Dieser leitete die Einspruchsentscheidungen noch am selben Tage (dem 15.Juni 1984) auf dem Postweg an die Rechtsanwaltskanzlei D (die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin) weiter und bat im beigefügten Anschreiben, "das Nötige zu veranlassen".
Im August 1984 erfuhr Steuerberater K anläßlich eines Telefonats mit dem zuständigen Beamten des FA, daß dort noch keine Nachricht über die Erhebung einer Klage vorläge. Auf telefonische Nachfrage in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten wurde ihm von der erreichbaren Angestellten mitgeteilt, daß die Einspruchsentscheidungen eingegangen seien. Steuerberater K erbat mangels eigener Unterlagen Ablichtungen dieser Einspruchsentscheidungen; sie wurden am selben Tage, nämlich dem 22.August 1984, zur Post gegeben.
Mit dem beim FG am 6.September 1984 eingegangenen Schriftsatz vom 4.September 1984 wurde seitens der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Klage erhoben sowie Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Zu dessen Begründung wurde dargelegt, die Einspruchsentscheidungen seien entgegen der Büroordnung nicht den bearbeitenden Rechtsanwälten vorgelegt worden. In der zentralen Fristenkartei seien zwar andere, die Klägerin betreffende Fristen notiert, nicht jedoch die im Streitfall maßgeblichen. Rechtsanwalt D habe nach Rückkehr aus dem Urlaub erst am 24.August 1984 anläßlich einer Durchsicht von Unterlagen der Klägerin, die in vier Leitzordnern zusammengefaßt waren, durch Zufall die Einspruchsentscheidungen nebst Anschreiben uneingeheftet aufgefunden. In einer eidesstattlichen Versicherung der ersten Bürosekretärin wird versichert, daß die Unterlagen zwar am 18.Juni 1984 eingegangen seien, aber auf unerklärliche Weise ohne Fristennotierung und unter Verstoß gegen die Büroordnung in den Leitzordnern abgeheftet worden seien. - Vorsorglich wird vorgetragen, daß die Klagefrist des § 47 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht in Lauf gesetzt worden sei, da die Klägerin die Prozeßbevollmächtigten bereits vor dem Schlußbesprechungstermin mit der Durchführung des Klageverfahrens beauftragt habe und damit die Zuständigkeit des Steuerberaters K erloschen sei. Infolge dieser Mandatsübernahme hätte das FA die Einspruchsentscheidungen den Prozeßbevollmächtigten übersenden müssen.
Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen.
Mit der Revision trägt die Klägerin vor, das FA habe mit Bekanntgabe der Einspruchsentscheidungen gegenüber dem Steuerberater K die Vorschrift des § 122 der Abgabenordnung (AO 1977) verletzt; infolgedessen sei die Klagefrist nicht in Lauf gesetzt worden, so daß die Klage noch rechtzeitig erhoben sei. Aber selbst wenn die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidungen wirksam gewesen sein sollte, hätte das FG die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen, da es an einem Verschulden seitens der Prozeßbevollmächtigten fehle.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).
1. Das FG ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß die Einspruchsentscheidungen vom 14.Juni 1984 wirksam zugestellt worden sind und damit die Klagefrist in Lauf gesetzt wurde, jedoch die Klage verspätet beim FG eingereicht worden ist.
a) Gemäß § 366 AO 1977 sind Rechtsbehelfsentscheidungen, zu denen die im Streitfall ergangenen Einspruchsentscheidungen gehören, den Beteiligten zuzustellen. Die Zustellung richtet sich nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes --VwZG-- (§ 122 Abs.5 AO 1977) und nicht nach § 122 Abs.1 bis 4AO 1977. Dies ist zwar vom FG und der Revision verkannt, jedoch vom FA bei der Übermittlung der Einspruchsentscheidungen beachtet worden. Es hat nämlich von der Zustellungsart des § 4 VwZG (Übersendung durch Einschreiben) Gebrauch gemacht.
b) Die an den Steuerberater K gerichteten Zustellungen sind wirksam, denn sie werden durch die Regelung in § 8 Abs.1 Satz 1 VwZG gedeckt. Nach dieser Vorschrift können Zustellungen an den allgemeinen oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Vertreter gerichtet werden. Wie auch die übrigen in § 8 VwZG getroffenen Regelungen deutlich machen, dient die Vorschrift der Verfahrenserleichterung. Das FA sollte bzw. muß die Zustellung an diejenige Person bewirken, bei der die Fäden zusammenlaufen. Die Einhaltung dieses Gebots bietet für den vertretenen Steuerpflichtigen erhöhte Rechtssicherheit. Für das gerichtliche Verfahren wird dies durch die dem § 176 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nachgebildete Regelung des § 8 Abs.4 VwZG in eindeutiger Weise sichergestellt. Der hier verwendete Begriff des "bestellten Prozeßbevollmächtigten" dürfte dem in § 8 Abs.1 VwZG für das Verwaltungsverfahren und das außergerichtliche Vorverfahren verwendeten Begriff des "bestellten Vertreters" entsprechen, denn der Vorgang der Bestellung bzw. die Voraussetzungen einer Bestellung sind vom jeweiligen Verfahrensstand unabhängig.
c) Der Begriff der Bestellung ist durch das Prozeßrecht geprägt. Es geht um die nach außen wirkende Bevollmächtigung (Prozeßvollmacht), die vom bürgerlich-rechtlichen Rechtsverhältnis, welches das Innenverhältnis zwischen Vertretenem und Bevollmächtigtem regelt, getrennt gesehen werden muß. Die Bestellung ist mit der Erteilung der Vollmacht in vorbezeichnetem Sinne nicht identisch (vgl. Stein/Jonas, Zivilprozeßordnung, 20.Aufl., § 176 RdNr.18; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 44.Aufl., Übersicht 2 vor § 78; § 176 Anm.2 B; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13.Aufl., § 54 III 2; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 8.Aufl., § 67 Anm.19).
Wegen der nur geringfügig beschränkbaren Prozeßvollmacht ist es möglich, daß der Bevollmächtigte die interne Vollmacht überschreitet. Eine weitere, im bürgerlich-rechtlichen Vollmachtsrecht unbekannte Folge ist, daß in gewissem Umfang auch eine vermutete Prozeßvollmacht Rechtswirkungen zeitigt, und zwar insbesondere im Bereich der Zustellung. Hat sich jemand unangefochten zum Bevollmächtigten bestellt (obwohl möglicherweise die Vollmacht nicht wirksam ist oder so weit nicht reicht), sind Handlungen nur gegenüber diesem Bevollmächtigten vorzunehmen und Zustellungen nur gegenüber ihm wirksam (vgl. § 176 ZPO, sowie Rosenberg/Schwab, a.a.O.).
Der Vorschrift des § 8 VwZG liegt dieser Rechtsgedanke ebenfalls zugrunde, denn auch er regelt im (engen) Bereich der Zustellung von amtlichen Schriftstücken die Rechtswirkungen stellvertretenden Handelns: Zustellungen können grundsätzlich an den bestellten Vertreter gerichtet werden, also an diejenige Person, deren Bevollmächtigung zum Auftreten für den Vertretenen gegenüber der Behörde oder dem Gericht nicht Anlaß zu Zweifeln gibt.
Im zivilprozessualen Schrifttum und in der Rechtsprechung ist dazu anerkannt, daß sich die Bestellung zum Bevollmächtigten gegenüber dem Gericht bzw. dem Prozeßgegner in der Weise vollzieht, daß diesen Adressaten von dem Vertretungsverhältnis Kenntnis gegeben wird. Dazu ist nicht die Vorlage einer Vollmachtsurkunde erforderlich, sondern es genügt auch eine nur aus den Umständen ersichtliche Unterrichtung und Verlautbarung wie z.B. durch Einreichung eigener Schriftsätze, das Auftreten vor Gericht usw. (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 29.Oktober 1973 NotZ 4/73, BGHZ 61, 308 mit weiteren Nachweisen). Die Bestellung setzt also keine besonders darauf eingerichtete Mitteilung voraus, wohl aber ein ausdrückliches oder konkludentes Verhalten der Partei oder des Vertreters, welches das Auftreten des Bevollmächtigten für die von ihm vertretene Person kennzeichnet und erkennbar macht (vgl. Stein/Jonas, a.a.O.; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, a.a.O.).
d) Dieses zivilprozessuale Auslegungsverständnis kann für die Auslegung des § 8 Abs.1 Satz 1 VwZG übernommen werden, zumal die Regelung in § 80 Abs.1 AO 1977 sicherstellt, daß die Finanzbehörde bei Zweifeln an der Bevollmächtigung vor der Zustellung von Schriftstücken verlangen kann, daß der schriftliche Nachweis der Bevollmächtigung geführt wird. Mit anderen Worten: Hat sich vor der Finanzbehörde ein Steuerberater als Vertreter des Steuerpflichtigen bestellt und für ihn Erklärungen abgegeben und sieht die Finanzbehörde keinen Anlaß, an dieser Bestellung zu zweifeln, dann kann sie ihre Verwaltungsakte an diesen Vertreter mit der Rechtsfolge wirksamer Zustellung richten (vgl. ebenso Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15.Januar 1973 VIII R 14/72, BFHE 108, 18, BStBl II 1973, 246). Die Frage, inwieweit der Finanzbehörde noch der Spielraum einer Zustellung an den Steuerpflichtigen selbst gegeben ist, wenn sie keinen Zweifel an der wirksamen Vertreterbestellung hat, kann hier auf sich beruhen.
e) Hieraus folgt für den Streitfall, daß sich allein Steuerberater K zum Vertreter im Sinne des § 8 Abs.1 Satz 1 VwZG bestellt hat. Er hat im Namen und in Vollmacht der Klägerin gegen die streitbefangenen Steuerverwaltungsakte Einspruch eingelegt. Diese Bestellung war eindeutig, zumal Steuerberater K seit 11 Jahren unangefochten gegenüber dem zuständigen FA als Bevollmächtigter im Sinne des § 80 AO 1977 für die Klägerin tätig geworden war.
Demgegenüber haben sich die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin beim FA nicht als Bevollmächtigte (Vertreter) der Klägerin bestellt, denn sie haben gegenüber dieser Behörde selbst ersichtlich keine Erklärungen abgegeben. Zu ihrer ins Auge gefaßten Mitwirkung im Einspruchsverfahren liegt lediglich eine Ankündigung des Steuerberaters K des Inhalts vor, die Einspruchsbegründungen würden seitens der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zugehen. Da die Prozeßbevollmächtigten aber davon abgesehen haben, in dem vom Steuerberater K initiierten Einspruchsverfahren durch Anfertigung der Einspruchsbegründungen aufzutreten, ist es zu einem Auftreten der Prozeßbevollmächtigten gegenüber dem FA nicht gekommen. Es kann deshalb auf sich beruhen, ob es bei Abgabe der Einspruchsbegründung Sache des FA oder nicht vielmehr der Steuerpflichtigen gewesen wäre, klarzustellen, ob nach wie vor Steuerberater K oder an seiner Stelle nunmehr die Prozeßbevollmächtigten als ihre Bevollmächtigten im Sinne des § 80 AO 1977 bzw. als bestellte Vertreter im Sinne des § 8 Abs.1 VwZG anzusehen seien.
Die Ankündigung des Steuerberaters K, die Begründung des von ihm eingelegten Einspruchs werde durch einen Rechtsanwalt erfolgen, erlaubt keine Auslegung in dem Sinne, er habe an seiner Stelle diesen Rechtsanwalt zum Zustellungsvertreter im Sinne des § 8 Abs.1 Satz 1 VwZG bestellen wollen. Es kann deshalb hier dahinstehen, ob dies rechtlich möglich wäre. Mit der Erteilung einer Untervollmacht durch einen mit Vollmacht versehenen Vertreter im Sinne des § 8 Abs.1 Satz 2 VwZG wäre eine solche Erklärung nicht vergleichbar. Wegen der weittragenden Folgen einer Bestellung für die Wirksamkeit von Zustellungen ist der Auslegung der Vorzug zu geben, daß derjenige, der sich einer Bevollmächtigung berühmt, dies selbst gegenüber der zuständigen Behörde erklärt und auch verantwortet.
f) Bei dieser Sachlage war die an den Steuerberater K gerichtete Zustellung der Einspruchsentscheidungen gemäß §§ 4, 8 Abs.1 VwZG wirksam. Die am 14.Juni 1984 zur Post gegebenen Einschreibsendungen gelten gemäß § 4 Abs.1 VwZG am dritten Tag nach der Postaufgabe, also am 17.Juni 1984, als zugestellt. Die erst am 6.September 1984 beim FG anhängig gewordene Klage war demgemäß wegen der einmonatigen Klagefrist des § 47 Abs.1 FGO verspätet.
2. Den im Hinblick auf die Versäumung der Klagefrist gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO hält das FG für nicht begründet. Es ist der Auffassung, daß dieses Versäumnis auf einem schuldhaften Verhalten des Steuerberaters K beruhe. Steuerberater K sei ungeachtet der den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin erteilten Prozeßführungsaufträgen bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage verpflichtet gewesen, seinerseits alles Erforderliche für die fristgemäße Klageerhebung zu tun. Diese Pflicht ergebe sich aufgrund des bestehenden Dauerberatungsverhältnisses zur Klägerin. Steuerberater K habe ihr nicht genügt. Zwar habe er aufgrund der vom FA erhaltenen Hinweise und den dadurch aufgekommenen Zweifeln am 22.August 1984 bei den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin telefonische Auskunft eingeholt. Ihm sei jedoch anzulasten, daß er sich mit der Auskunft der (allein anwesenden) Sekretärin begnügt habe, die Einspruchsentscheidungen seien bei der Kanzlei eingegangen. Vielmehr hätte sich ihm der Verdacht aufdrängen müssen, daß die Prozeßbevollmächtigten die Klagefrist versäumt hatten; deshalb hätte er richtigerweise die Frage nach der fristgerechten Klageerhebung stellen müssen. In diesem Falle wäre nämlich das Hindernis bereits am 22.August 1984 weggefallen. Unter diesen Umständen sei der am 6.September 1984 eingereichte Wiedereinsetzungsantrag wegen Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist des § 56 Abs.2 FGO verspätet.
3. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Rechtsfehlerhaft bejaht das FG eine Verletzung von Vertragspflichten durch den Steuerberater K.
a) Ein Vertrag, durch den einem Steuerberater allgemein die Wahrnehmung aller Interessen des Auftraggebers übertragen wird, ist regelmäßig ein Dienstvertrag, der eine Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zum Gegenstand hat (herrschende Meinung; BGH-Urteile vom 4.Juni 1970 VII ZR 187/68, BGHZ 54, 106, und vom 6.Dezember 1979 VII ZR 19/79, Versicherungsrecht --VersR-- 1980, 264; Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 45.Aufl., Einführung Anm.5 vor § 631; Söllner in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 611 RdNr.91). Gegenstand eines solchen Vertrages ist die Besorgung der beim Auftraggeber jeweils anfallenden Geschäfte (BGHZ 54, 106, 108).
Im Streitfall hat die Durchführung eines Klageverfahrens bezüglich der im Streit befindlichen Steuerbescheide nicht zu den Geschäften des Steuerberaters K gehört, da die Klägerin den Prozeßführungsauftrag ihren Prozeßbevollmächtigten erteilt hatte. Es war deren pflichtgemäße Aufgabe als Prozeßbevollmächtigte, die Einhaltung der Klagefrist zu gewährleisten. Die Auffassung des FG, auch dem Steuerberater K habe diese Pflicht oblegen, kann nicht geteilt werden.
b) Werden mehrere Berater mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Auftraggebers betraut, können sich die Vertreterpflichten unter Umständen überschneiden; ebenso ist aber in bestimmten Bereichen eine saubere Trennung der Verantwortlichkeiten denkbar und durchführbar. Im Zivilprozeßrecht haben sich Grundsätze für die Abgrenzung von Vertreterpflichten bei Beauftragung mehrerer Rechtsanwälte für verschiedene Instanzen herausgebildet. Diese Erkenntnisse können grundsätzlich herangezogen werden, da auch die Prozeßführungstätigkeit des Rechtsanwalts als ein Dienstvertrag beurteilt wird, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat (vgl. BGHZ 54, 106 mit weiteren Nachweisen; Söllner in Münchener Kommentar, a.a.O., § 611 RdNr.88; Palandt, a.a.O., Einführung vor § 611 Anm.2a) ee)).
Die Abgrenzung der vertraglichen Sorgfaltspflichten des erstinstanzlichen Anwalts hat sich auf dem Boden der anwaltlichen Gepflogenheit entwickelt, daß der erstinstanzliche Anwalt den Auftrag zur Weiterführung des Prozesses in der nächsthöheren Instanz erteilt und den nächstinstanzlichen Anwalt dementsprechend (schriftlich oder telefonisch) um Einlegung des zulässigen Rechtsmittels ersucht. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gehört es zu den Vertragspflichten des erstinstanzlichen Anwalts, innerhalb der Rechtsmittelfristen zu überwachen, ob das Auftragsschreiben bei dem nächstinstanzlichen Anwalt eingegangen ist und ob er das ihm erteilte Mandat angenommen hat (BGH-Urteile vom 18.April 1968 VII ZR 150/66, BGHZ 50, 82; vom 7.Februar 1975 V ZR 99/73, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1975, 1125, und vom 31.Mai 1976 VII ZR 332/75, VersR 1976, 939, sowie BGH-Beschluß vom 30.November 1978 III ZR 139/78, VersR 1979, 190). Mit der Übernahme (Bestätigung) des Mandats hat der erstinstanzliche Anwalt diese Pflicht erfüllt; bleibt die Bestätigung aus, hat der erstinstanzliche Anwalt innerhalb der Rechtsmittelfrist durch geeignete Maßnahmen (z.B. Fristenkontrolle, Rückfragen) die Mandatsübernahme und die Einlegung des Rechtsmittels sicherzustellen (Urteile in BGHZ 50, 82; NJW 1975, 1125; VersR 1976, 939; BGH-Beschlüsse vom 8.Juni 1982 VI ZB 3/82, VersR 1982, 1192; vom 30.November 1983 IVb ZB 110/83, VersR 1984, 166, und vom 7.Juni 1984 I ZB 3/84, VersR 1984, 788 für die Fälle der schriftlichen Auftragserteilung und BGH-Beschluß vom 12.Juli 1979 VII ZB 7/79, VersR 1979, 1124 zu den gesteigerten Anforderungen bei telefonischer Auftragserteilung).
Zu den Pflichten des erstinstanzlichen Anwalts gehört des weiteren, dem zweitinstanzlichen Prozeßvertreter eine rechtzeitige Einlegung des Rechtsmittels zu ermöglichen; er hat demgemäß seinerseits rechtzeitig den Tag der Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung oder das Ende der Rechtsmittelfrist mitzuteilen (BGH-Beschluß vom 7.November 1979 IV ZB 174/79, VersR 1980, 193). Je näher der Ablauf der Rechtsmittelfrist heranrückt, desto sorgfältiger muß der erstinstanzliche Anwalt bei der Erfüllung dieser ihm obliegenden Pflichten verfahren (BGH-Beschluß vom 19.September 1979 V ZB 13/79, Monatsschrift für deutsches Recht --MDR-- 1980, 217 = VersR 1980, 186).
Ist der erstinstanzliche Anwalt in dargestellter Weise verfahren, hat er also die Übernahme des Mandats sichergestellt und den zweitinstanzlichen Anwalt hinreichend über die zu beachtenden Fristen unterrichtet, hat er das aus der Sicht seines Mandats Erforderliche getan; die weitere Sachbehandlung durch den zweitinstanzlichen Anwalt liegt außerhalb des Verantwortungsbereichs des erstinstanzlichen Anwalts (BGH-Urteil in NJW 1975, 1125).
Eine Verringerung der dem erstinstanzlichen Anwalt obliegenden Pflichten tritt ein, wenn zwischen dem Mandanten sowie den Anwälten vor Erlaß des erstinstanzlichen Urteils vereinbart wurde, der zweitinstanzliche Anwalt solle Rechtsmittel einlegen, sobald ihm ein klagabweisendes Urteil durch den Anwalt erster Instanz mitgeteilt werde. In diesem Fall entfällt beim erstinstanzlichen Anwalt die Kontrolle der Mandatsübernahme; er ist lediglich verpflichtet, dem zweitinstanzlichen Anwalt das erstinstanzliche Urteil unter Angabe des Zustellungsdatums zu übermitteln (BGH-Beschluß vom 29.März 1982 II ZB 2/82, VersR 1982, 655).
c) Da die Prozeßvertretungen durch Rechtsanwälte und die Dauerberatungsverträge bei Steuerberatern zivilrechtlich demselben Vertragstypus zugeordnet werden, sieht der Senat keine Bedenken, die für das Nebeneinander mehrerer Rechtsanwälte vom BGH entwickelte Abgrenzung der beiderseitigen Sorgfaltspflichten heranzuziehen, wenn in einer Steuerstreitsache neben dem Steuerberater ein Rechtsanwalt tätig wird. Es kann hier dahinstehen, welche Pflichten dem in einem Beratungsverhältnis stehenden Steuerberater obliegen, der selbst einem Anwalt den Auftrag zur Prozeßvertretung in einem finanzgerichtlichen Verfahren überträgt. Weitaus häufiger dürfte die auch im Streitfall anzutreffende Sachverhaltsgestaltung sein, daß der Mandant wegen der sich abzeichnenden negativen Verwaltungsentscheidung die Anrufung des FG erwägt und sich vor diesem durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen will. Erteilt er diesem das Mandat zur Prozeßführung vor dem FG selbst, obliegt es dem Steuerberater lediglich, die ihm wirksam zugestellten Einspruchsentscheidungen diesem Rechtsanwalt zwecks Klageerhebung zu übermitteln. Es lassen sich nämlich keine Gründe dafür anführen, an die Pflichten des Steuerberaters höhere Anforderungen zu stellen als an den erstinstanzlichen Anwalt in vergleichbarer Situation (vgl. BGH-Beschluß in VersR 1982, 655).
Der Steuerberater K hat dieser ihm obliegenden Sorgfaltspflicht genügt, denn er hat die ihm am 15.Juni 1984 zugegangenen Einspruchsentscheidungen noch am selben Tage an die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin auf dem Postwege weitergeleitet, bei denen sie am 18.Juni 1984 eintrafen. Aus dem Datum der Einspruchsentscheidung und dem Datum des beigefügten Anschreibens ergab sich für die Prozeßbevollmächtigten die sich nach § 4 Abs.1 VwZG zu errechnende Klagefrist mit hinreichender Deutlichkeit. Steuerberater K konnte davon ausgehen, daß auch ein nicht eingeschriebener Brief zur Kenntnis der Prozeßbevollmächtigten gelangte, so daß eine Nachfragepflicht in bezug auf den Postzugang nicht bestand (vgl. BGH-Beschluß vom 23.Januar 1983 VIII 19/62, Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des BGH, Zivilprozeßordnung, § 233 (Fc) Nr.23). Eine weitergehende Pflicht, nämlich eine Überprüfung des anwaltschaftlichen Verhaltens in bezug auf die rechtzeitige Klageerhebung, oblag ihm nicht. Mit seiner telefonischen Nachfrage am 22.August 1984, die für sich genommen schon genügend Anlaß zur Überprüfung des Vorgangs auf seiten der Prozeßbevollmächtigten gegeben hätte, hat Steuerberater K mehr getan, als ihm vertraglich oblag. Da das Urteil des FG auf einem anderen Rechtsverständnis beruht, ist es aufzuheben.
4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat aufgrund seines anderen Rechtsverständnisses davon abgesehen zu prüfen, ob die von der Klägerin behauptete Fehlablage der Einspruchsentscheidungen vom 14.Juni 1984 auf einem entschuldbaren Büroversehen beruht. Die bislang getroffenen tatsächlichen Feststellungen lassen eine Entscheidung nicht zu, da zwischen der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages einerseits und der Zeugenaussage des Steuerberaters K Widersprüche zutage getreten sind, denen das FG von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht nachzugehen brauchte. Die Klärung dieser Widersprüche erfordert eine Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs u.a. vor, Rechtsanwalt D habe erst am 24.August 1984 "anläßlich einer Durchsicht der ausschließlich von ihm bearbeiteten zahlreichen Akten --insgesamt vier Leitzordner-- durch Zufall festgestellt, daß das Anschreiben des Steuerberaters K nebst Einspruchsentscheidungen in einer der Rubriken lag, ohne dort eingeheftet zu sein". Die Prozeßbevollmächtigten legen dazu dar, die fehlende Eintragung der Klagefrist im zentralen Fristenkalender könne nur dadurch zustande gekommen sei, daß sich die Einspruchsentscheidungen nach Anbringung des Eingangsstempels unbemerkt mit einer anderen Akte (der Klägerin) verhakt habe und so unbearbeitet in die Leitzordner gelangt seien.
In seiner Zeugenvernehmung vor dem FG am 14.Dezember 1984 hat der Steuerberater K bekundet, daß er --beunruhigt durch die Hinweise des FA-- am 22.August 1984 im Büro der Prozeßbevollmächtigten angerufen habe, um sich des Eingangs der Einspruchsentscheidungen zu vergewissern. Die Büroangestellte Fräulein F habe diese Einspruchsentscheidungen "nach kurzer Zeit" gefunden und ihm auf seine Bitte mit Einschreiben vom selben Tage in Fotokopie übersandt. Zu dieser Aussage hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 11.Februar 1985 (Blatt 18) eine Protokollberichtigung beantragt, weil die vom Steuerberater K erbetenen Fotokopien nicht per Einschreiben, sondern per Eilboten übersandt worden seien.
Unter Zugrundelegung dieser im Kern unangegriffenen Zeugenaussage sind die Einspruchsentscheidungen bereits vor dem 24.August 1984 durch die Hände einer Kanzleiangestellten gegangen. Damit ist nicht vereinbar der Vortrag der Klägerin, die am 24.August 1984 von Rechtsanwalt D festgestellte Verheftung der Einspruchsentscheidungen sei (allein) auf ein Büroversehen im Zusammenhang mit der Posteingangsbearbeitung zurückzuführen.
Fundstellen
Haufe-Index 61242 |
BStBl II 1986, 547 |
BFHE 146, 206 |
BFHE 1986, 206 |
HFR 1986, 389-399 (ST) |