Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wird eine aus dem Zollausland eingeführte und zum freien Verkehr abgefertigte Ware vom ausländischen Lieferer zurückgenommen, so ist im Falle der Wiedereinfuhr nur dann ein sachlicher Billigkeitsgrund für eine Erstattung der Eingangsabgaben gegeben, wenn die Rücknahme in unmittelbarem rechtlichem Zusammenhang mit dem Einfuhrgeschäft steht.
Normenkette
AO § 131
Tatbestand
Mit Schreiben vom 15. Dezember 1953 beantragte die Beschwerdegegnerin (Bgin.) aus Billigkeitsgründen Erstattung der Eingangsabgaben für 244 Frottestrandjacken, die sie am 1. April und 7. Mai 1953 verzollt und am 27. Oktober 1953 wieder ausgeführt hatte. Die Bgin. hatte diese Jacken mit Einkaufskontrakt vom 16. Dezember 1952 von der schwedischen Firma A. unter der Vereinbarung, daß 10 Muster vorab geliefert würden, gekauft; diese Muster sind unbestritten rechtzeitig bei der Bgin. eingetroffen.
Zur Begründung ihres Erstattungsantrags führte die Bgin. an, sie habe auf Grund zahlreicher Reklamationen der Kundschaft, die erst nach Kauf und Tragen der Ware möglich gewesen seien, vom 265 verzollten Frottejacken 244 Stück zurückgeben lassen. Diese Jacken seien für den deutschen Markt ungeeignet, da sie am Hals zu weit geschnitten seien; dies erkläre sich daraus, daß man in Schweden unter den Jacken noch Unterkleidung trüge. Da die Ware in der Qualität des Stoffes nicht zu beanstanden gewesen sei, sei die Rücknahme erst nach langwierigen Verhandlungen gegen Erteilung eines Ersatzauftrags bei einem persönlichen Besuch in Schweden geregelt worden. Den Ersatzauftrag habe sie erteilt, da sie mit dem Fabrikanten nicht habe brechen wollen und eine neue Order sowieso gegeben worden wäre.
Das Hauptzollamt lehnte einen Abgabenerlaß für die Jacken ab, weil nach dem Sachverhalt keine besonderen Billigkeitsgründe erkennbar seien. Die Beschwerde der Bgin. wurde von der Oberfinanzdirektion mit Beschwerdeentscheidung vom 2. November 1954 als unbegründet zurückgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Klage beim Finanzgericht hatte Erfolg. Das Finanzgericht, auf dessen Entscheidungsgründe im einzelnen Bezug genommen wird, kommt zu dem Ergebnis, daß durch die Rücknahme der Frottejacken nach Durchführung des Kaufgeschäfts eine vertragliche Gewährleistungspflicht wegen eines Sachmangels begründet worden sei, die nach den Richtlinien für die Anwendung des § 131 der Reichsabgabenordnung auf dem Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern (Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 7. Dezember 1953, Zweiter Teil Ziff. 2 A I 8 b - Bundeszollblatt 1953 S. 810 ff.) eine Erstattung aus Billigkeitsgründen rechtfertigte. Falls nur solche vertragliche Gewährleistungsansprüche anerkannt werden sollten, die bereits im Zeitpunkt des Kaufabschlusses beständen, so hätte der Erlaß des Bundesministers der Finanzen insoweit den Ermessensrahmen für die Verwaltung zu eng gespannt.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) der Oberfinanzdirektion wird wie folgt begründet: Das Finanzgericht habe durch Auslegung einer Verwaltungsanweisung seine Befugnisse überschritten und darüber hinaus den in dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen angeführten Tatbestand unzutreffend ausgelegt. Die nachträgliche Vereinbarung über die Rücknahme der Ware stelle keine vertragliche Gewährleistungspflicht des ausländischen Lieferers im Sinne der Richtlinien dar. Eine aus Billigkeitsgründen anzuerkennende Gewährleistungspflicht könne nach dem Sinn und Zweck der maßgeblichen Bestimmung nur vorliegen, wenn sich die Rechtsverpflichtung zur Rücknahme aus dem Kaufvertrag unmittelbar ergebe. Die erst nach langen Verhandlungen erreichte Zustimmung des Lieferers zur Rücknahme beruhe nicht auf einer Verpflichtung aus dem ursprünglichen Kaufvertrag, sondern stelle, da sie von der Erteilung eines Ersatzauftrags abhängig gemacht worden sei, ein nachträglich vereinbartes Entgegenkommen des Lieferers dar, der seine Geschäftsbeziehungen zu den Bgin. nicht gefährden wollte. Die bei dieser Sachlage für die Bgin. sich ergebenden Nachteile des unternehmerischen Wagnisses müßten von der Bgin. getragen werden und könnten nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden.
Der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin.
Die Bgin. hält ihren früheren Standpunkt aufrecht und stützt sich darauf, daß die Verhandlungen der Parteien des Liefergeschäfts zur Begründung einer vertraglichen Gewährleistungspflicht geführt hätten, so daß die Voraussetzungen einer Abgabenerstattung mindestens bei einer analogen Anwendung der Erlaßrichtlinien vorgelegen hätten.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Nach dem Gutachten des Großen Senats des Bundesfinanzhofs Gr. S. D 1/51 S vom 17. April 1951 (Slg. Bd. 55 S. 277, Bundessteuerblatt - BStBl - 1951 III S. 107) können gegen Beschwerdeentscheidungen der Oberfinanzdirektionen, die, wie im Streitfall, einen Abgabenerlaß aus Billigkeitsgründen nach § 131 der Reichsabgabenordnung (AO) zum Gegenstand haben, die Steuergerichte (Finanzgerichte und Bundesfinanzhof) angerufen werden, wenn geltend gemacht wird, daß die Ermessensentscheidung der Finanzverwaltungsbehörden gegen Recht und Billigkeit verstoßen. Die Steuergerichte haben nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (zu vgl. Urteile 1 103/51 U vom 29. Januar 1952 und IV 350/51 U vom 13. März 1952, Slg. Bd. 56 S. 137 und 264, BStB 1952 III S. 57 und 104) bei der Nachprüfung von Ermessensentscheidungen von Finanzverwaltungsbehörden die Grenzen zu beachten, die sich daraus ergeben, daß der Gesetzgeber bei der Ermächtigung zu Ermessensentscheidungen - um eine solche handelt es sich im Fall des § 131 AO - den Finanzverwaltungsbehörden einen gewollten Spielraum (Ermessensgrenzen) läßt, innerhalb dessen sie die Entscheidung nach ihrem eigenen pflichtgemäßen Ermessen treffen können. Soweit diese Entscheidungen innerhalb dieser Grenzen liegen, sind sie rechtmäßig, auch wenn im einzelnen Fall eine andere Entscheidung vertretbar wäre. Eine überschreitung der Ermessensgrenzen der Billigkeit ist nur dann gegeben, wenn der Ermessensakt nach der Allgemeinen Auffassung unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Hand und des Steuerpflichtigen mit den Grundsätzen der Billigkeit unvereinbar ist.
Die durch § 131 AO erteilte Befugnis zum Erlaß von Steuern aus Billigkeitsgründen hat der Bundesminister der Finanzen auf dem Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern den Dienststellen der Zollverwaltung (nach Oberfinanzdirektionen, Hauptzollämtern und Zollämtern gegliedert) durch die obengenannten Richtlinien für bestimmte Fälle weiter übertragen. Diese Richtlinien binden als Verwaltungsanweisungen die Finanzgerichte nicht, sie unterliegen hinsichtlich ihrer Aufstellung wie ihrer Anwendung der Nachprüfung dahin, ob der vom Gesetz gezogene Ermessensrahmen eingehalten worden ist.
Im zweiten Teil der Richtlinien sind unter anderem die Hauptzollämter zum Erlaß oder zur Erstattung von Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen ermächtigt, wenn aus dem Ausland gelieferte Waren nach Verzollung wieder ausgeführt oder zu einem Zollverkehr abgefertigt werden, weil sie vom ausländischen Lieferer auf Grund gesetzlicher oder vertraglicher Gewährleistungspflicht für Sachmängel oder auf Grund eines gesetzlichen oder vertraglichen Rücktrittsrechts des Empfängers oder Lieferers oder wegen irrtümlicher Bestellung oder Lieferung zurückgenommen werden.
Im Streitfall ist die Frage zu entscheiden, ob eine Gewährleistungspflicht für Sachmängel vorgelegen hat, die einen Billigkeitserlaß im Falle der Wiederausfuhr der Ware rechtfertigt. Der Bundesfinanzhof teilt die Auffassung der Verwaltungsbehörde, daß eine als Billigkeitsgrund anzuerkennende Gewährleistungspflicht nur dann vorliegt, wenn sich eine unbezweifelbare Rechtsverpflichtung zur Zurücknahme aus dem Kaufvertrag unmittelbar ergibt. Die dem Bundesminister der Finanzen in § 131 AO erteilte Ermächtigung zu Billigkeitserlassen kann, soweit es sich um sachliche Billigkeitsgründe handelt, nur im Zusammenhang mit den die Steuerforderung begründenden Steuergesetzen angewendet werden. Der in dem Billigkeitstatbestand nach Nr. 8b des Erlasses zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke ergänzt das gesetzliche Zollrecht und kann deshalb nicht für sich allein, sondern nur aus dem Inhalt und Zweck der zollgesetzlichen Bestimmungen verstanden werden (vgl. hier das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil V z 181 57 U vom gleichen Tage). Nach der nächstvergleichbaren Regelung des Zollrechts für Rückwaren (ß 69 Abs. 1 Ziff. 39 und 40 des Zollgesetzes, § 140 der Allgemeinen Zollordnung) ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Einfuhr und Ausfuhr erforderlich. Wenn dies schon für aus der deutschen Wirtschaft stammende Waren gilt, die aus dem Ausland zurückkehren, so ist im Streitfalle, der das Spiegelbild des Rückwarenverkehrs darstellt, ohne bisher eine Regelung unter den zollgesetzlichen Befreiung gefunden zu haben, eine Zollfreistellung im Wege einer Billigkeitsmaßnahme, unter Berücksichtigung der im Zollrecht zum Ausdruck gelangten Grundsätze für ausländische Einfuhrwaren ebenfalls nur gerechtfertigt, wenn die Wiederausfuhr durch den Inhalt des Einfuhrgeschäfts bestimmt ist. Dieser ursprüngliche Zusammenhang ist im Streitfalle nicht gegeben, da eine gesetzliche oder vertragliche Rechtsverpflichtung zur Rücknahme aus dem ursprünglichen Kaufvertrage weder behauptet noch erkennbar ist. Die erst nach langwierigen Verhandlungen erreichte Zustimmung zur Zurücknahme wurde von der Erteilung eines Ersatzauftrags abhängig gemacht. Sie bedeutet also ein selbständig und nachträglich vereinbartes Entgegenkommen des Herstellers. Die Bgin. hat die Beschaffenheit der Waren, obwohl sie vorher Muster erhalten hatte, erst nach Monaten beanstandet. Daraus muß gefolgert werden, daß die Lieferung mit der vorab erhaltenen Mustersendung übereinstimmte. Es lag also, wenn die Jacken sich wegen ihres Schnitts in Deutschland als schlecht verkäuflich zeigten, ein irgendwie entstandener Fehler in den Gründen der Bestellung vor, nicht aber ein Fehler der bestellten Ware, der als Sachmangel zu bezeichnen wäre. Das nachträglich vereinbarte Entgegenkommen über die Rücknahme der Waren rechtfertigt für sich allein die Erstattung der bei der Einfuhr entrichteten Abgaben nicht. Da sonstige Billigkeitsgründe nicht erkennbar sind, vermag der Senat in der Ablehnung des Billigkeitsantrags durch die Oberfinanzdirektion einen Ermessensverstoß nicht zu erblicken.
Der Senat verneint auch die Auffassung, daß die in Rede stehende Richtlinie zu § 131 AO den Ermessensrahmen der Verwaltung etwa zu eng gespannt hätte. Nach dem Sinn der zollgesetzlichen Bestimmungen kann nicht jede nachträglich frei vereinbarte Zurücknahme von Waren, sondern nur eine Wiederausfuhr, die mit dem Einfuhrgeschäft in unmittelbarem rechtlichen Zusammenhang gestanden hat, als sachlicher Billigkeitsgrund angesehen werden.
Die auf einer anderen rechtlichen Beurteilung beruhende Entscheidung der Vorinstanz war sonach aufzuheben (§§ 288, 296 AO).
Fundstellen
Haufe-Index 409061 |
BStBl III 1958, 284 |
BFHE 1959, 31 |
BFHE 67, 31 |