Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Förderungsgesetze
Leitsatz (amtlich)
Der Begriff des Wiederaufbaues eines zerstörten Gebäudes als Dauerbau erfordert, daß zuvor die Benutzbarkeit des Gebäudes für den Zweck, für den es vorgesehen war, durch den Kriegsschaden verlorengegangen und am 21. Juni 1948 noch nicht wiedererlangt war.
Normenkette
LAG § 104
Tatbestand
Die Abgabepflichtige ist eine Siedlungsbaugesellschaft mbH, deren Grundstücke am Währungsstichtage mit Hauszinssteuerhypotheken von 23.000 RM, von 39.000 RM und 10.000 RM und einem Grundpfandrecht von 27.000 RM belastet waren. Die Belastung betrug mehr als 70 % des Einheitswertes. Die Grundstücke wurden nach § 8 der Neunzehnten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz vom 31. August 1956 zusammengefaßt. Die Kriegsschadenminderung wurde berücksichtigt. Wegen der Umstellung der Grundstückslasten im Verhältnis 10 zu 1 setzte das Finanzamt Hypothekengewinnabgabe (HGA) von insgesamt rund 42.000 DM fest.
Im Jahre 1958 beantragte die Abgabepflichtige die Herabsetzung der HGA nach § 104 LAG auf 0 DM. In der Wirtschaftlichkeitsberechnung ergab sich ein Fehlbetrag von 1.150 DM. Die Aufwendungen für Kriegsschädenbeseitigung bezifferte die Abgabepflichtige mit 527 DM, während das Finanzamt hiervon nur 341 DM als nachgewiesen ansah. Die Abgabepflichtige führte aus, eine Herabsetzung nach § 104 LAG sei in allen Fällen zulässig, in denen die HGA nach § 100 LAG gemindert worden sei. Da die Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben seien, liege auch kein Bagatellschaden vor.
Das Finanzamt lehnte den Antrag ab, da die Beseitigung von Bagatellschäden keine "Wiederherstellung" beschädigter Gebäude im Sinne des § 104 LAG sei. Die Wiederherstellung bedinge, wie das auch § 2 Abs. 3 der Verordnung über Wirtschaftlichkeits- und Wohnflächenberechnung nach dem Ersten Wohnungsbaugesetz - I. BVO - (BGBl 1950 S. 753) vorschreibe, die Schaffung von Wohnraum. Die Fassung des § 104 LAG lasse nicht den Schluß zu, daß der Gesetzgeber dem Begriff "Wiederherstellung" eine andere Bedeutung beimessen wollte als in § 2 der I. BVO. Der Gesetzgeber habe nicht beabsichtigt, Abgabepflichtigen Vorteile zu verschaffen, die in keinem Verhältnis zu dem eingetretenen Kriegsschaden bzw. zur Höhe der zur Beseitigung dieses Kriegsschadens aufgewendeten Mittel stehe. Die Aufwendungen von nur 341 DM nach § 104 LAG führten zum Fortfall einer Abgabeschuld von insgesamt 42.000 DM. Ein solches Ergebnis könne vom Gesetzgeber nicht gewollt sein.
Die Berufung wurde als unbegründet zurückgewiesen. Zwar sei der Begriff Wiederherstellung im Sinne des § 104 LAG nicht so auszulegen, wie er in § 2 Abs. 3 der I. BVO näher umschrieben werde. Trotz des Hinweises auf die I. BVO in § 104 Abs. 4 Ziff. 3 LAG und trotz der Verwendung desselben Wortes "Wiederherstellung" in beiden Vorschriften, könne die Anwendung des § 104 LAG nicht auf die Fälle beschränkt werden, in denen die Beseitigung der Kriegsschäden zur Schaffung neuer, vorher nicht mehr benutzbarer Räume führe.
Stehe auch der Wortlaut des § 104 LAG dem Antrage der Abgabepflichtigen an sich nicht entgegen, so seien bei der Auslegung eines Gesetzes auch die Folgen zu beachten, die sich aus der Anwendung der gesetzlichen Vorschrift ergeben. Wenn das Ergebnis der Wortauslegung jeder wirtschaftlichen Vernunft widerspreche und zu einem sinnwidrigen Ergebnis führe, so sei der wirkliche Sinn des Gesetzes zu ermitteln und diesem gegenüber dem Wortlaut der Vorrang einzuräumen. Die der Abgabepflichtigen zuteil werdende Vergünstigung würde sich auf etwa das 120fache des zur Beseitigung der Kriegsschäden tatsächlich aufgewendeten Betrages belaufen. Der Gesetzgeber könne keine Vergünstigung beabsichtigt haben, die außer jedem Verhältnis zum entstandenen Schaden stehe. Wenn diese Absicht des Gesetzgebers im Wortlaut des § 104 LAG im Gegensatz zu anderen Vorschriften des Gesetzes keinen hinreichenden Ausdruck gefunden habe, sei es Sache der Rechtsprechung, in Fällen, in denen die Wortauslegung zu einem offensichtlich unsinnigen Ergebnis führe, gegen den Gesetzeswortlaut zu entscheiden.
Die Abgabepflichtige hat mit der Rb. unrichtige Beweiswürdigung gerügt. In den Jahren 1948 bis 1958 seien insgesamt 24.000 DM für die Reparatur der Häuser aufgewendet worden, wie sich bei neuerlichen Nachforschungen ergeben habe. Dieser Aufwand stehe auch in einem als richtig anzunehmenden Verhältnis zu den Feststellungen des Finanzamts über die Schadenshöhe. Da die Feststellungen des Finanzamts über den Schadensumfang als Beweis des ersten Anscheins anzusehen seien, hätte das Finanzgericht in der Richtung Beweis erheben müssen, ob der vom Finanzamt festgestellte Aufwand zur Kriegsschadenbeseitigung von 341 DM zutreffe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist unbegründet.
Der Bundesfinanzhof hat nachzuprüfen, ob das Urteil des Finanzgerichts unter Zugrundelegung des Vortrages der Beteiligten und des von Amts wegen ermittelten Sachverhaltes den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Da in den Vorinstanzen nur von 341 DM bzw. 527 DM Aufwendungen gesprochen worden ist und für das Finanzgericht kein Anlaß bestand, nach weiteren Aufwendungen zu forschen, kann das neue tatsächliche Vorbringen der Bfin., insbesondere soweit nunmehr von höheren Instandsetzungskosten als in den Vorinstanzen gesprochen wird, nicht berücksichtigt werden. Der Senat ist an die tatsächliche Feststellung gebunden, daß die Aufwendungen der Bfin. zur Beseitigung der Kriegsschäden 341 DM betragen haben.
Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß nach § 104 LAG eine Herabsetzung der HGA erfolgt, wenn auf dem Grundstücke, an dem die umgestellte Verbindlichkeit dinglich gesichert war, ein zerstörtes (beschädigtes) Gebäude als Dauerbau wiederaufgebaut (wiederhergestellt) worden ist. Es kann dem Finanzgericht aber nicht darin beigepflichtet werden, daß hier ein "Wiederaufbau (eine Wiederherstellung) als Dauerbau" vorliegt.
Der Kriegsschaden, dessentwegen die Fortschreibung erfolgt ist, bestand nach dem Inhalt der Akten in Fensterscheibenschäden, leichten Deckenrissen, Wandrissen und Beschädigungen an Klosettkörpern. Richtig ist, wenn die Vorinstanz die Begriffe "Wiederaufbau" und "Wiederherstellung" nicht dem § 2 der I. BVO entnehmen will. Denn bei der I. BVO geht es um die Zinsverbilligung des öffentlichen Darlehens beim öffentlich geförderten Wohnungsbau usw.; bei der Wiederherstellung eines beschädigten Gebäudes ist Objekt für die Anwendung der I. BVO regelmäßig nur der bei der Wiederherstellung neugeschaffene Wohnraum. Bei der Beurteilung nach § 104 LAG ist dagegen der gesamte Grundstücks- und Gebäudebestand einschließlich stehengebliebener Gebäude und Gebäudeteile sowie neugeschaffener Gebäudeteile zu betrachten. Unabhängig von diesem Unterschied muß aber auch nach § 104 LAG das beschädigte Gebäude als Dauerbau wiederaufgebaut (wiederhergestellt) worden sein. Der Begriff des "Wiederaufbaues (der Wiederherstellung) als Dauerbau" erfordert, daß zuvor die Benutzbarkeit des Gebäudes für den Zweck, für den es vorgesehen war, durch den Kriegsschaden verlorengegangen und am 21. Juni 1948 noch nicht wiedererlangt war.
Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, da die in Rede stehenden Wohngebäude ohne Unterbrechung bewohnt waren. Es ist auch nichts dafür dargetan, daß die Gebäude nur notdürftig bewohnbar gewesen wären und die Benutzbarkeit durch die Beschädigung verlorengegangen wäre.
Die Bfin. beruft sich zu Unrecht auf das Urteil des erkennenden Senats III 25/58 U vom 15. Januar 1960 (BStBl 1960 III S. 143, Slg. Bd. 70 S. 381); in dem dort entschiedenen Fall waren von einer Wirtschaftseinheit, die 12 Gebäude umfaßte, zwei zerstört bzw. schwer beschädigt. Die Frage, ob eine "Wiederherstellung" vorlag, war im Gegensatz zu dem vorliegenden Falle unstreitig. Der Senat hat es damals abgelehnt, die Kosten für den Wiederaufbau der zerstörten Häuser als bloße Instandhaltungskosten anzusehen, wenn der zerstörte Teil der Wirtschaftseinheit die Vomhundertsätze des § 100 Abs. 5 LAG nicht überstieg. Wenn der Senat die Abgrenzung des Begriffes der "Wiederherstellung" mit Hilfe von § 100 Abs. 5 LAG und eine Abgrenzung nach den wohnungsrechtlichen Vorschriften ablehnte, so darf daraus nicht geschlossen werden, daß der Begriff der Wiederherstellung unbegrenzt sei und jede Instandsetzung als Wiederherstellung angesehen werden müßte. Wo eine "Wiederherstellung" nicht angenommen werden kann - wie im vorliegenden Falle -, kommt eine Herabsetzung nach § 104 LAG nicht in Frage.
Da die Ablehnung des Antrages der Bfin. schon nach dem Gesetz gerechtfertigt ist, brauchte zu den Ausführungen über die Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes keine Stellung genommen zu werden.
Fundstellen
Haufe-Index 410455 |
BStBl III 1962, 317 |
BFHE 1963, 133 |
BFHE 75, 133 |