Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung der Verhältnisse i. S. d. §15 a UStG
Leitsatz (NV)
Eine Änderung der Verhältnisse i. S. d. §15 a UStG liegt auch vor, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den Folgejahren Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (Anschluß an das Senatsurteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93, BStBl II 1997, 370).
Normenkette
UStG 1980 § 15a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) errichtete im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft drei Eigentumswohnungen, die zum 1. Juli 1982 bezugsfertig waren. Sie vermietete sie an eine gewerbliche Zwischenvermieterin, die sie wiederum an private Endmieter weitervermietete.
Die Klägerin verzichtete auf die Umsatzsteuer-Befreiung ihrer Vermietungsumsätze und machte Vorsteuern aus der Errichtung der Objekte geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erkannte die Zwischenvermietverhältnisse zunächst an und setzte die Umsatzsteuer 1980 bis 1984 entsprechend fest. Nach einem Wechsel der Zwischenmieterin und einer damit verbundenen Mietkürzung erkannte er indessen das Zwischenmietverhältnis für die Folgezeit nicht mehr an. U. a. für das Streitjahr 1989 forderte das FA Vorsteuerbeträge gemäß §15 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 zurück.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, die Voraussetzungen des §15 a UStG 1980 lägen nicht vor. Die unzutreffende Beurteilung der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach §15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 stelle keine Änderung der Verhältnisse in diesem Sinne dar. Das FA hätte den Vorsteuerabzug von vornherein nicht gewähren dürfen, weil für die Klägerin keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe für die Vereinbarung eines Zwischenmietverhältnisses mit der GmbH vorgelegen hätten. Eine Änderung der Steuerfestsetzung hätte nur im Erstjahr nach den Änderungsvorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) erfolgen dürfen.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von §15 a UStG 1980. Im Streitfall hätten sich die für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse durch den Abschluß des neuen Zwischenmietverhältnisses geändert, da die Wohnungen nunmehr endvermietet gewesen seien. Der vom zweiten Zwischenmieter zu zahlende Mietzins sei zudem herabgesetzt worden.
Im übrigen wolle §15 a UStG 1980 den vollzogenen Vorsteuerabzug stets korrigieren, wenn die Verwendung des Wirtschaftsgutes in den folgenden Kalenderjahren zu einer anderen Beurteilung führe als im Jahr der erstmaligen Verwendung. Diese andere Beurteilung trete auch ein, wenn sich zwar die tatsächlichen Verhältnisse nicht geändert hätten, es aber bei geläuterter Rechtsauffassung an der Ausführung steuerpflichtiger Umsätze fehle. Es genüge, daß die Verhältnisse, die für den Vorsteuerabzug wesentlich seien, im Berichtigungsjahr anders beurteilt werden müßten als im Erstjahr.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie macht geltend, für die Vorsteuerberichtigung nach §15 a UStG 1980 müßten die Vorschriften über die Berichtigung von Steuerbescheiden analog gelten. Sie sei daher nur unter den Voraussetzungen der Änderungsvorschriften der AO 1977 möglich -- vornehmlich wenn neue Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt geworden seien (§173 Abs. 1 AO 1977) --, oder wenn sich die maßgebenden Verhältnisse i. S. des §15 a UStG 1980 geändert hätten. Beides setze eine Änderung der äußeren Umstände, d. h. des Sachverhalts voraus. Schlußfolgerungen und juristische Subsumtionen begründeten demgegenüber weder neue Tatsachen noch geänderte Verhältnisse i. S. des §15 a UStG 1980. Gleiches gelte für eine geänderte Rechtsauffassung, d. h. eine andere rechtliche Beurteilung bereits bekannter Umstände. Die Möglichkeit einer Vorsteuerberichtigung gemäß §15 a UStG 1980 bei lediglich geänderter rechtlicher Beurteilung eines unveränderten Sachverhalts verstoße daher gegen die Grundsätze der AO 1977, vor allem das rechtsstaatliche Prinzip des Vertrauensschutzes (das auch in den Verjährungsvorschriften und der Änderungssperre des §173 Abs. 2 AO 1977 seinen Niederschlag gefunden habe), und damit gegen Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG). Zudem widerspreche sie der Regelung des Art. 20 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Die in der geänderten Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr 1989 enthaltene Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß §15 a UStG 1980 ist rechtmäßig.
1. Nach §15 a Abs. 1 UStG 1980 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnsise, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb der Folgejahre des Berichtigungszeitraums von fünf bzw. -- bei Grundstücken -- von zehn Jahren ändern.
2. Die Verhältnisse ändern sich i. S. von §15 a Abs. 1 Satz 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung.
Mit Urteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BFHE 182, 420, BStBl II 1997, 370), auf dessen Begründung im einzelnen verwiesen wird, hat der erkennende Senat entschieden, daß ein Element der "maßgebenden Verhältnisse" i. S. des §15 a Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 auch die dabei zugrunde gelegte rechtliche Beurteilung der Ausgangsumsätze ist. Einer geänderten rechtlichen Beurteilung kommt insoweit dieselbe Wirkung zu wie einer Gesetzesänderung. Diese Auslegung ist mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar und wird ihrem Sinn und Zweck gerecht. Sie berücksichtigt einerseits, daß nach §15 a Abs. 1 UStG 1980 der Sofortabzug der gesamten Vorsteuersumme (z. B. wie hier bei Vorbezügen für die Herstellung eines Gebäudes) unter dem Vorbehalt steht, daß der Unternehmer die Eingangsleistungen während des gesamten Berichtigungszeitraums nicht für abzugsschädliche Ausgangsumsätze i. S. von §15 Abs. 2 UStG 1980 verwendet, beachtet andererseits aber auch den Anspruch des Unternehmers auf Vertrauensschutz, weil trotz von Anfang an unrichtiger rechtlicher Beurteilung die Vorsteuerberichtigung nicht die gesamte Vorsteuer, sondern nur den anteiligen, auf das jeweilige Folgejahr entfallenden Vorsteuerbetrag erfaßt. Würde man in Fällen wie dem vorliegenden §15 a Abs. 1 UStG 1980 für nicht anwendbar halten, könnte der Unternehmer den zu Unrecht gewährten Vorsteuerabzug trotz fortdauernder abzugsschädlicher Verwendung der Vorbezüge in voller Höhe behalten. Dieses Ergebnis würde dem Sinn der Vorschrift zuwiderlaufen.
3. Diese Auslegung der Vorschrift des §15 a Abs. 1 UStG 1980 unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Verfassungsbeschwerde gegen das inhaltsgleiche Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Dezember 1993 V R 56/91 (BFH/NV 1995, 444) ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß vom 9. August 1994 1 BvR 592/94).
Entscheidungserhebliche Zweifelsfragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorzulegen wären, stellen sich im Streitfall nicht. Art. 20 Abs. 1 vor Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG, der die Berichtigung des Vorsteuerabzugs "nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten" vorsieht, behält den Mitgliedstaaten insoweit einen Freiraum bei der Umsetzung der Richtliniengrundsätze vor. Es handelt sich dabei nicht um eine Richtliniennebenbestimmung, der Anwendungsvorrang zukommen könnte; sie ist nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau und beläßt dem jeweiligen Mitgliedstaat für die Umsetzung in nationales Recht einen Ermessensspielraum (vgl. das BFH- urteil vom 12. Juni 1997 V R 36/95, BFHE 182, 462, BStBl II 1997, 589, unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des EuGH, z. B. das Urteil vom 17. September 1996 Rs. C-246--249/94, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1997, 126). Dies gilt auch für Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG, wonach u. a. "die Berichtigung von Vorsteuerbeträgen unter Berücksichtigung der Änderungen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug in den folgenden Jahren gegenüber dem Anspruch für das Jahr, in dem die Güter erworben oder hergestellt worden sind, erfolgt". Der Begriff der "Änderungen" des Anspruchs auf den Vorsteuerabzug bedarf nach den vorstehenden Grundsätzen ebenfalls der Auslegung durch die Mitgliedstaaten.
4. Vorliegend ist den Umsatzsteuerfestsetzungen 1980 bis 1984 eine steuerpflichtige (nicht abzugsschädliche) Vermietung als für den Vorsteuerabzug maßgebende erstmalige Verwendung der hergestellten Wohnungen im Jahr 1982 zugrunde gelegt werden. Sie sind unanfechtbar und nicht mehr änderbar. In den Folgejahren innerhalb des Berichtigungszeitraums einschließlich des Streitjahres 1989 ist diese Vermietung -- anders als nach der bindenden Beurteilung für das Erstjahr -- zutreffend als steuerfrei (§4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) zu beurteilen; dies führt zum Ausschluß eines Vorsteuerabzugs (§15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980). Denn die Zwischenvermietung von Wohnraum unter Verzicht auf die Steuerbefreiung ist -- wenn keine beachtlichen Gründe dafür vorliegen -- mißbräuchlich i. S. von §42 AO 1977 (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 12/88, BFHE 168, 468, BStBl II 1992, 931, m. w. N.). Beachtliche Gründe für die Zwischenvermietung sind im Streitfall weder geltend gemacht noch ersichtlich. Damit liegt eine Änderung der Verhältnisse i. S. von §15 a Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 vor.
Fundstellen
BFH/NV 1998, 360 |
HFR 1998, 394 |