Entscheidungsstichwort (Thema)
Begebung einer Rechnung durch Aushändigung an einen Dritten - Bedeutung des § 14 Abs. 3 UStG 1980 als abstrakter Gefährdungstatbestand)
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Rechnung kann auch durch Übergabe des Papiers an einen Dritten, der nicht Adressat ist, in den Verkehr gebracht werden.
2. § 14 Abs.3 UStG 1980 ist ein abstrakter Gefährdungstatbestand, der nicht einschränkend ausgelegt werden kann.
Normenkette
UStG 1980 § 14 Abs. 3
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb eine Kfz-Werkstatt. Im Zusammenwirken mit anderen Personen verursachte der Geschäftsführer der Klägerin K, in den Jahren 1979 und 1980 Verkehrsunfälle, wobei diese Unfälle zum Teil absichtlich herbeigeführt, zum Teil aber auch nur vorgetäuscht waren. Ob und in welchem Umfang die Fahrzeuge repariert wurden, ist ungewiß. Sämtliche Fahrzeuge waren bei der A-Versicherung (Versicherung) versichert. Über die tatsächlichen bzw. nur vorgegebenen Reparaturarbeiten und sonstige Schäden stellte die Klägerin Rechnungen auf ihren Firmenbögen aus, die der Versicherung vorgelegt wurden.
Bei der Versicherung lenkte ein in die Machenschaften eingeweihter Mitarbeiter (M) die Schadensfälle so, daß sie in seinen Zuständigkeitsbereich fielen. Unter Umgehung interner Anweisungen regulierte M die Fälle durch Übergabe von Schecks, die dem Konto des K gutgeschrieben wurden. Einen Teil der Beträge leitete K an M zurück ..., ein weiterer Teil der Beträge ging an andere Beteiligte.
Im Zuge einer Außenprüfung stellte der Prüfer fest, daß die in den Ausgangsrechnungen der Klägerin ausgewiesenen Steuerbeträge nicht erklärt waren. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfaßte die Rechnungsbeträge gemäß § 14 Abs.3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980). Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus:
1. Die Klägerin schulde die ausgewiesenen Beträge gemäß § 14 Abs.3 Satz 2 2.Alternative UStG 1980. Für die Steuerpflicht sei es unerheblich, daß die von der Klägerin in den Verkehr gebrachten Abrechnungspapiere zum Teil nicht unterschrieben oder gestempelt worden seien.
2. Die Rechnungen seien auch begeben worden. Die Übergabe an die Versicherung stehe der Aushändigung an den Rechnungsadressaten gleich. Die Einreichung bei der Versicherung bedeute nur eine Abkürzung des Zahlungswegs.
3. Unerheblich sei, daß die Rechnungsempfänger nach Darstellung der Klägerin sämtlichst Privatleute gewesen seien. Die Rechtsfolge des § 14 Abs.3 UStG 1980 werde allein durch das In-den-Verkehr-bringen der Rechnungen ausgelöst.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.
Sie trägt vor:
Das FG verkenne, daß das Abrechnungspapier nicht den ausgewiesenen Empfänger erreicht habe; vielmehr sei mit dem Empfänger vereinbart worden, das Abrechnungspapier unter Ausschluß der Weiterleitung an den Rechnungsadressaten oder andere Personen direkt an M gelangen zu lassen.
Bei den in den Rechnungen genannten Adressaten habe es sich ausschließlich um "Privatkunden" gehandelt. Die Möglichkeit der Rückgabe der Rechnungen sei unwahrscheinlich gewesen, zumal der Geschäftsführer der Klägerin und der Sachbearbeiter der Versicherung zusammengewirkt hätten. Gerade das strafbare Zusammenwirken der Beteiligten schließe das In-den-Verkehr-bringen aus. Zudem wäre die Klägerin doppelt belastet, wenn sie nach § 14 Abs.3 UStG 1980 in Anspruch genommen würde und zusätzlich sich den Rückforderungsansprüchen der Versicherung ausgesetzt sähe.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Umsatzsteuerbescheid zu ändern und die Umsatzsteuer um ... DM niedriger festzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, daß § 14 Abs.3 UStG 1980 im Streitfall anwendbar ist.
1. Führt jemand eine Lieferung oder Leistung nicht aus, so schuldet er gemäß § 14 Abs.3 Satz 2 UStG 1980 den in einer anderen Urkunde, mit der er wie ein leistender Unternehmer abrechnet, gesondert ausgewiesenen Steuerbetrag.
Zweck des § 14 Abs.3 UStG 1980 ist es, Mißbräuche durch Ausstellung von Rechnungen mit offenem Steuerausweis zu verhindern (vgl. den Bericht des Finanzausschusses über den Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes --Nettoumsatzsteuer--, BTDrucks 5/1581, S.15). Dementsprechend ist die Vorschrift als (abstrakter) Gefährdungstatbestand gefaßt (so auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 5.Mai 1992 2 BvR 271/92, Die Information über Steuer und Wirtschaft --Inf-- 1992, 431). Derjenige, der mit einer Rechnung (§ 14 Abs.4 UStG 1980) oder einer anderen Urkunde das Umsatzsteueraufkommen gefährdet oder schädigt, muß hierfür einstehen. Auf ein vorwerfbares Verhalten kommt es nicht an. Der gesetzliche Tatbestand verlangt weder, daß der Aussteller der Rechnung (bzw. der Urkunde) die mißbräuchliche Verwendung der Rechnung durch den Rechnungsempfänger kennt, noch ist eine dahingehende Absicht erforderlich (ständiger Rechtsprechung; vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5.August 1988 X R 66/82, BFHE 155, 193, BStBl II 1988, 1019, und vom 30.Juli 1992 V R 73/88, BFH/NV 1993, 443; BFH-Beschluß vom 23.Juli 1992 V B 90/91, BFH/NV 1993, 334).
2. § 14 Abs.3 UStG 1980 setzt voraus, daß jemand eine Urkunde erstellt (Ausstellung) und diese --so der Regelfall-- an den Adressaten aushändigt (Begebung). Damit betätigt der Aussteller seinen Willen, die Urkunde in den Verkehr zu bringen. Bei dieser Willensbetätigung genügt es, wenn der Aussteller in Kauf nimmt, daß der Adressat von dem Papier als Rechnung Gebrauch macht (vgl. BFH-Urteil vom 16.März 1993 XI R 103/90, BFHE 171, 125, BStBl II 1993, 531).
Die Begebung kann auch in der Weise erfolgen, daß die Rechnung --wie im Streitfall-- einem Dritten, der nicht Adressat der Rechnung ist, ausgehändigt wird. Auch die Aushändigung an einen Dritten führt dazu, daß die Rechnung in den Verkehr gebracht wird. Auch in diesem Fall besteht die --abstrakte-- Möglichkeit, daß die Rechnung an den Empfänger gelangt und so das Umsatzsteueraufkommen gefährdet werden kann.
3. Dem Einwand der Klägerin, daß wegen der besonderen Verhältnisse im Streitfall eine Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen sei und § 14 Abs.3 UStG 1980 unter Berücksichtigung seines Sinn und Zwecks nicht zur Anwendung kommen dürfe, kann nicht gefolgt werden.
Bei dieser (einschränkenden) Auslegung würde der als abstrakter Gefährdungstatbestand ausgestaltete § 14 Abs.3 Satz 2 Alternative 2 UStG 1980 seine generalpräventive Wirkung verlieren. Im Fall des Zusammenwirkens würden die Beteiligten kein Risiko eingehen. § 14 Abs.3 UStG 1980 wäre bei dieser Auslegung eine Art "Ausfallhaftung" und damit in seiner Zielsetzung und in seinem Anwendungsbereich entscheidend reduziert (so BFH-Urteil vom 10.Dezember 1981 V R 3/75, BFHE 135, 107, BStBl II 1982, 229).
4. Als Korrektiv für Härtefälle kommen nach der Rechtsprechung allenfalls Billigkeitsmaßnahmen in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 21.Februar 1980 V R 146/73, BFHE 129, 569, BStBl II 1980, 283; BVerfG-Beschluß in Inf 1992, 431; vgl. auch Abschn.190 Abs.3 der Umsatzsteuer-Richtlinien 1992; Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, Stand März 1988, § 14 Rdnr.191 f.). Die Beurteilung dieser Frage ist einem besonderen Verfahren (vgl. § 227 der Abgabenordnung --AO 1977--) vorbehalten.
Fundstellen
BFH/NV 1994, 20 |
BStBl II 1994, 277 |
BFHE 172, 555 |
BFHE 1994, 555 |
BB 1994, 207 |
BB 1994, 996 |
BB 1994, 996 (LT) |
DB 1994, 360 (LT) |
DStZ 1994, 187 (KT) |
HFR 1994, 231 (LT) |
StE 1993, 50 (K) |
WPg 1994, 326 (LT) |
StRK, R.29 (LT) |
NJW 1994, 2248 (L) |
NJW 1994, 2720 |
UVR 1994, 86 (K) |
UStR 1994, 127 (KT) |