Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstand des Erwerbsvorgangs bei mehreren Verträgen/Grundstück mit noch zu errichtendem Fertighaus
Leitsatz (NV)
Wird erst der Grundstückskaufvertrag und dann der zur Errichtung des Fertighauses notwendige Vertrag abgeschlossen, so ist Gegenstand des Erwerbsvorgangs das bebaute Grundstück nur dann, wenn die Erwerber zum Abschluß des Vertrages über das Fertighaus gebunden waren und die auf der Veräußererseite auftretenden Person auf Grund einer vertraglichen Abrede bei der Veräußerung zusammenarbeiten.
Normenkette
GrEStG Berlin § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG Berlin § 20 Abs. 1; GrEStG Berlin § 21 Abs. 1 Nr. 1 (= GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG Berlin § 8 Abs. 1; GrEStG Berlin § 9 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger - ein Ehepaar - erwarben durch notariell beurkundeten Vertrag vom . . . 1982 einen Miteigentumsanteil von 332/1000 an einem Grundstück. Der Kaufpreis betrug . . . DM. Der Verkäufer verpflichtete sich, vor der Eigentumsumschreibung auf den Käufer das Grundstück nach § 8 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) in der Weise aufzuteilen, daß mit jedem Miteigentumsanteil das Sondereigentum an einer in sich abgeschlossenen Wohnung (Wohnungseigentum) verbunden ist. Dem Kaufvertrag war als Anlage ein Lageplan des Grundstücks beigefügt, aus dem sich die geplante Aufteilung und Bebauung des Grundstücks mit einem Doppelhaus (davon eine Hälfte gedacht für die Kläger) und einem weiteren Gebäude (Wohnung) ergab. Darüber hinaus enthielt die Anlage Baupläne für das Doppelhaus, die eine Bebauung mit einem bestimmten Fertighaustyp der A-GmbH vorsahen. Weiterer Bestandteil des Kaufvertrags war der beigefügte Entwurf einer Teilungserklärung. Nach dem Grundstückkaufvertrag mußten die Baupläne der Käufer (der Kläger) den Belangen der anderen künftigen Miteigentümer des Grundstücks Rechnung tragen. Der Grundstücksveräußerer gewährleistete, daß mit dem Bau der zweiten Doppelhaushälfte zum gleichen Zeitpunkt begonnen wird, zu dem die Kläger ihre Doppelhaushälfte bauen ließen. Den Klägern wurde ein Rücktrittsrecht vom Grundstücksvertrag eingeräumt für den Fall, daß die von ihnen beabsichtigte Bebauung des Grundstücks mit einem A-Haus des in den anliegenden Bauplänen genannten Typs keine Baugenehmigung erhält. Ebenfalls am . . . 1982 schlossen die Kläger mit der A-GmbH schriftlich einen Vertrag über die Lieferung eines Hauses des im Grundstückskaufvertrag erwähnten Typs zum Preis von . . . DM. Auch für diesen Vertrag wurde den Klägern ein Rücktrittsrecht eingeräumt für den Fall, daß die Baugenehmigung nicht erteilt wird. Dieser Vertrag wurde durch Wiederholung der entsprechenden Erklärungen der Vertragspartner am . . . 1983 notariell beurkundet. Nach den Angaben der Kläger habe die A-GmbH aufgrund einer Zeitungsanzeige des Grundstücksveräußerers zu diesem Kontakt aufgenommen, der Grundstücksveräußerer seinerseits habe aufgrund eines Hinweises der A-GmbH sich mit den Klägern in Verbindung gesetzt.
Das beklagte Finanzamt (FA) setzte gegen die Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von je . . . DM fest. Es sah dabei die beiden Verträge als einheitliches Vertragswerk an, gerichtet auf den Erwerb eines Miteigentumsanteils am Grundstück mit noch zu errichtender Eigentumswohnung. Es bezog dementsprechend die Aufwendungen der Kläger aus beiden Verträgen in die Bemessungsgrundlage ein. Es gewährte jedoch eine teilweise Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 des damals geltenden Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen (GrEStEigWoG).
Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser machten die Kläger geltend, daß die Miteigentumsanteile am unbebauten Grundstück Gegenstand des Erwerbsvorgangs seien. Deshalb stünde ihnen die Steuerbefreiung für den Erwerb eines unbebauten Grundstücks zur Errichtung eines Wohngebäudes nach dem damals geltenden Landesrecht zu. Der Veräußerer habe den Kaufvertrag nicht von dem Erwerb eines A-Hauses abhängig gemacht. Die A-GmbH habe das Grundstück ohne Wissen des Grundstücksveräußerers angeboten. Der Grundstücksveräußerer stehe in keinen Rechtsbeziehungen zur A-GmbH.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Gegenstand des Erwerbsvorgangs sei der Miteigentumsanteil am unbebauten Grundstück. Die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Nr. 9 des damals geltenden Berliner Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) seien erfüllt. Es könne nicht festgestellt werden, daß sich der Grundstücksveräußerer und der Hausverkäufer zusammengetan hätten, um eine einheitliche Leistung zu erbringen. Es liege kein einheitlicher Vertrag im Sinne des § 139 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vor. Selbst wenn ein solcher vorliege, sei das Grundstück in bebautem Zustand noch nicht notwendigerweise Gegenstand des Erwerbsvorgangs. Die Kläger hätten glaubhaft dargetan, daß keine Rechtsbeziehungen zwischen dem Grundstücksveräußerer und dem Hausveräußerer bestanden hätten. Einer Aufbauvereinbarung mit den Erwerbern der anderen Miteigentumsanteile habe es nicht bedurft.
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 und § 21 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben zunächst beantragt, die Revision zurückzuweisen, da die Revision verspätet eingelegt worden sei. Unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand hat der erkennende Senat durch Zwischenurteil vom 27. Januar 1988 entschieden, daß die Revision zulässig ist.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FG hat den grunderwerbsteuerrechtlichen Begriff des Gegenstands des Erwerbsvorgangs verkannt.
Der notariell beurkundete Vertrag über den Erwerb des Miteigentumsanteils an dem Grundstück ist ein (jeweils) der Grunderwerbsteuer unterliegender Rechtsvorgang im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Die Steuer dafür bemißt sich nach dem Wert der Gegenleistung (§ 20 Abs. 1 GrEStG). Als Gegenleistung gelten bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG).
Zur Gegenleistung rechnet jede Leistung, die der Erwerber als Entgelt gewährt für den Erwerb des Grundstücks in dem Zustand, in dem es Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Dezember 1988 II B 47/88, BFHE 155, 419, BStBl II 1989, 333).
Das GrEStG bestimmt nicht, was unter Gegenleistung begrifflich zu verstehen ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß diese Begriffsbestimmung zwar von dem bürgerlich-rechlichen Begriff der Gegenleistung ausgeht, sich aber darin nicht erschöpft (so z. B. Entscheidung des BFH vom 5. November 1980 II R 28/75, BFHE 132, 111, BStBl II 1981, 174).
Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs wird nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 18. Oktober 1989 II R 85/87, BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181, m. w. N.) zunächst durch das den Steuertatbestand erfüllende (zivilrechtliche) Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ist Gegenstand der kaufvertraglichen Übereignungsverpflichtung das Grundstück in bebautem Zustand, so ist das Grundstück in diesem Zustand auch grunderwerbsteuerrechtlich Gegenstand des Erwerbsvorgangs. Ergibt sich die Verpflichtung zur Übereignung des Grundstücks und zur Errichtung des Gebäudes zivilrechtlich zwar aus zwei (oder mehreren) an sich selbständigen Verträgen, sind diese Verträge jedoch aufgrund ihres rechtlichen Zusammenhangs zivilrechtlich als einheitlicher Vertrag anzusehen, so ist grunderwerbsteuerrechtlich Gegenstand des Erwerbsvorgangs das Grundstück in bebautem Zustand. Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist das Grundstück in bebautem Zustand schließlich auch dann, wenn die Verträge zwar nicht durch den Willen der Parteien rechtlich verknüpft sind, zwischen den Verträgen jedoch ein so enger sachlicher Zusammenhang besteht, daß der Erwerber bei objektiver Betrachtungsweise als einheitlichen Leistungsgegenstand das bebaute Grundstück erhält. Dies ist der Fall, wenn der Veräußerer aufgrund einer in bautechnischer und finanzieller Hinsicht ganz konkreten und bis (annähernd) zur Baureife gediehenen Vorplanung ein bestimmtes Gebäude auf einem bestimmten Grundstück zu einem im wesentlich feststehenden Preis anbietet und der Erwerber dieses Angebot als einheitliches annimmt oder nur insgesamt annehmen kann.
Auf der Veräußererseite können auch mehrere Personen als Vertragspartner auftreten (vg. BFH-Urteil vom 23. Juni 1982 II R 155/80, BFHE 136, 427, BStBl II 1982, 741). Es ist dabei nicht ausschlaggebend, daß der Grundstücksübereignungsanspruch und der Anspruch auf Errichtung des Gebäudes sich zivilrechtlich gegen verschiedene Personen richten. Entscheidend ist vielmehr, daß (auch) der den Grundstücksübereignungsanspruch begründende Vertrag in ein Vertragsgeflecht miteinbezogen ist, das unter Berücksichtigung aller Umstände darauf gerichtet ist, dem Erwerber als einheitlichen Leistungsgegenstand das Grundstück in bebautem Zustand zu verschaffen (vgl. Entscheidung in BFHE 155, 419, BStBl II 1989, 333).
Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist nach den dargelegten Grundsätzen im Einzelfall unter Heranziehung aller relevanten Umstände zu bestimmen. Für eine derartige Abwägung aller Umstände des Einzelfalles enthalten die Entscheidungen des Senats in BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181 und II R 143/87 (BFHE 158, 477, BStBl II 1990, 183) beispielgebende Hinweise. Im Gegensatz zu den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten erfolgte im Streifall der Abschluß des Grundstückskaufvertrags und des Vertrags über die Errichtung des Gebäudes am selben Tag. Es ist vom FG nicht festgestellt, in welcher zeitlichen Reihenfolge an diesem Tag die beiden Verträge abgeschlossen wurden. Selbst wenn der Abschluß des Vertrags über die Errichtung des Gebäudes erst kurz nach dem Grundstückskaufvertrag erfolgt sein sollte - die Kläger zum Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstücksvertrags in ihrer Entscheidung über die Bebauung zumindest möglicherweise also noch frei waren -, würde dies das Vorliegen eines objektiven engen sachlichen Zusammenhangs zwischen den beiden Verträgen nicht ausschließen. Ein solcher besteht dann, wenn die Kläger bei Abschluß des Grundstückskaufvertrags in ihrer Entscheidung über das ,,ob" und ,,wie" einer Bebauung nicht mehr frei waren. Eine derartige Einschränkung der sonst für einen Grundstückserwerber bestehenden Entscheidungsfreiheit kann sich aus vorherigen Absprachen oder auch aus faktischen Zwängen ergeben. Über das Vorliegen einer solchen Bindung enhält die Entscheidung des FG keine Feststellungen.
Die für das Vorliegen eines engen objektiven sachlichen Zusammenhangs zwischen den Veträgen notwendige Verflechtung zwischen den auf der Veräußererseite auftretenden Personen erfordert nicht, daß sich diese vertraglich zusammengeschlossen haben, um gemeinsam die einheitliche Leistung zu erbringen. Dazu ist es vielmehr ausreichend, wenn sie aufgrund einer vertraglichen Abrede (z. B. Maklervertrag; vgl. BFH vom 18. Oktober 1989 II R 143/87) bei der Veräußerung des Objekts zusammenarbeiten und durch abgestimmtes Verhalten auf den Abschluß beider Verträge hinzielen. Das FG verneint das Vorliegen vertraglicher Rechtsbeziehungen zwischen der GmbH und dem Grundstücksveräußerer. Das von den Klägern selbst vorgetragene Zustandekommen der Kontakte zwischen den Beteiligten, die im Grundstückskaufvertrag in Bezug genommene bereits vorliegende Planung der GmbH, der im Grundstückskaufvertrag erwähnte bestimmte Fertighaustyp und die sich aus der geplanten Errichtung eines Doppelhauses ergebende notwendige Abstimmung weisen auf das Vorliegen einer solchen vertraglichen Abrede hin. Dieser Widerspruch wird im zweiten Rechtszug zu klären sein.
Die Entscheidung des FG geht von anderen Rechtsgrundsätzen aus. Sie ist daher aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Das FG hat nicht alle Umstände festgestellt, die im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind. Die Sache ist daher zur anderweitigen Verhandlung und Enscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FG wird bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen haben, daß der objektive enge sachliche Zusammenhang zwischen den Verträgen nach Auffassung des Senats nicht schon dadurch ausgeschlossen wird, daß sich die Erwerber - wenn auch ggf. unter Hinnahme von Rechtsnachteilen - allein von den Verträgen über das Gebäude wieder hätten lösen können. Der Senat weist darüber hinaus darauf hin, daß ein paralleler Geschehensablauf bei den Erwerbern der anderen Miteigentumsanteile ein starkes Indiz dafür sein kann, daß Gegenstand des Erwerbsvorgangs das bebaute Grundstück ist.
Fundstellen
Haufe-Index 417047 |
BFH/NV 1991, 265 |