Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält weiterhin an der bisherigen Rechtsprechung fest, daß hinterzogene Steuerbeträge an Stichtagen vor der Aufdeckung der Steuerverkürzung vom Abzug als Betriebsschulden ausgeschlossen sind.
Normenkette
BewG i.d.F. vor 1965 § 62b Abs. 1
Tatbestand
Aufgrund einer im Jahre 1966 beim Kläger durchgeführten Steuerfahndungsprüfung wurden unter anderem betriebliche Steuern für die Jahre 1963 und 1965 nachgefordert. Das Amtsgericht erließ gegen den Kläger einen Strafbefehl über insgesamt 850 DM wegen vorsätzlicher Verkürzung von Steuereinnahmen. In Auswertung des Steuerfahndungsberichts nahm das FA eine Wertfortschreibung des Einheitswerts des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1965 auf 8 000 DM vor, wobei es geschuldete Betriebssteuern in Höhe von 4 083,21 DM nicht zum Abzug zuließ, da es sie als vorsätzlich verkürzt ansah. Der Einspruch hatte insoweit keinen Erfolg, führte aber aus einem anderen nicht mehr im Streit befindlichen Grund zur Herabsetzung des Einheitswerts auf 7 000 DM.
Das FG ließ in dem in den EFG 1971, 526 veröffentlichten Urteil rückständige Lohnsteuer in Höhe von 852,81 DM und rückständige auf der Lohnsteuer beruhende Kirchensteuer in Höhe von 285,28 DM deshalb zum Abzug zu, weil der Kläger diese Beträge bereits in seiner Überschußermittlung vom Mai 1966 für das Kalenderjahr 1964 geltend gemacht hatte. Wegen der übrigen Rückstände an Betriebssteuern war es der Auffassung, daß im Gegensatz zur Rechtsprechung des Senats auch vorsätzlich verkürzte Steuerbeträge, soweit sie auf die Zeit vor der Entdeckung entfielen, abgezogen werden könnten. Zur Begründung führte es hierzu im wesentlichen aus: Für die unterschiedliche Behandlung zwischen hinterzogenen Steuern und anderen Steuernachforderungen fehle jede Berechtigung. Die Vorschrift des § 62b Abs. 1 Nr. 2 BewG (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 BewG 1965) enthalte für vorsätzlich verkürzte Steuern keine Einschränkung. Steuerschulden stellten stets für den Steuerpflichtigen eine wirtschaftliche Belastung dar, wobei es nicht darauf ankommen könne, ob der Hinterzieher mit einer Aufdeckung der Verkürzung gerechnet habe. Der Steuerpflichtige müsse bis zum Eintritt der Verjährung mit einer Inanspruchnahme rechnen. Auch der Grundsatz von Treu und Glauben könne bei hinterzogenen Steuern die gesetzliche Regelung über den Abzug von Steuerschulden nicht abändern. Das Besteuerungsverfahren diene nicht der Bestrafung. Dieses Ziel sei allein dem Steuerstrafrecht überlassen. Der Ansatz von hinterzogenen Steuern, die vor dem Feststellungszeitpunkt (1. Januar 1965) entstanden seien, stimme im übrigen mit der Behandlung im Ertragsteuerrecht überein.
Das FG hat die Revision wegen Abweichung von der Rechtsprechung des BFH zugelassen.
Das FA rügt mit der Revision unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts nur insoweit, als das FG den Abzug hinterzogener Betriebssteuern an dem zurückliegenden Feststellungszeitpunkt zugelassen hat. Es beruft sich dabei auf die Rechtsprechung über die Nichtabzugsfähigkeit vorsätzlich verkürzter Steuerbeträge bei der Einheitsbewertung und der Vermögensteuer.
Es beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Einheitswert des gewerblichen Betriebsvermögens zum 1. Januar 1965 auf abgerundet 6 000 DM festzustellen.
Der Kläger beantragt, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen. Er hält die Vorentscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Das FG hat sich mit seiner Auffassung, daß auch vorsätzlich verkürzte Steuern an Stichtagen vor der Aufdekkung der Hinterziehung zum Abzug zuzulassen seien, bewußt in Gegensatz zur Rechtsprechung des Senats gesetzt, insbesondere zu den Urteilen III 225/61 U vom 13. März 1964 (BFH 79, 400, BStBl III 1964, 378) und III 69/63 vom 1. August 1969 (BFH 97, 90, BStBl II 1969, 750). Der Senat ist bei dieser Rechtsprechung davon ausgegangen, daß vorsätzlich verkürzte Steuerbeträge vor einer späteren Aufdeckung der Hinterziehung nicht als wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen anerkannt werden können. Der Senat sieht trotz der Einwendungen des FG keine Veranlassung, von dieser jahrzehntelangen ständigen Rechtsprechung abzugehen. Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, daß eine Schuld, mit deren Geltendmachung ein Steuerpflichtiger nicht rechnete, für ihn keine wirtschaftliche Last bedeutet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats genügt also für den Abzug einer Schuld nicht allein ihr Bestehen am Stichtag; Voraussetzung ist außerdem, daß sie, auch wenn sie rechtswirksam entstanden ist, zu jenem Zeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung ist (vgl. BFH-Urteil III R 53/70 vom 7. Mai 1971, BFH 102, 553, BStBl II 1971, 681). Das Erfordernis der wirtschaftlichen Belastung für den Schuldenabzug ergibt sich aus § 1 Abs. 2 und 3 StAnpG. Insofern geht das FG von einer unrichtigen Erwägung aus, wenn es annimmt, daß hinterzogene Steuern stets als eine wirtschaftliche Belastung aufzufassen seien, solange die Steueransprüche nicht durch Verjährung erloschen sind. Da die Verjährung im Steuerrecht zu einem Erlöschen des Anspruchs mit seinen Nebenansprüchen führt, kann sich die Frage der wirtschaftlichen Belastung einer bestehenden rechtlichen Verpflichtung überhaupt nur vor dem Eintritt einer Verjährung stellen.
2. Soweit das FG der Ansicht ist, die gesetzliche Regelung in § 62b Abs. 1 BewG, die für den streitigen Feststellungszeitpunkt maßgebend ist, stehe einer Unterscheidung zwischen vorsätzlich verkürzten Steuern und anderen Steuernachforderungen entgegen, geht es von einer der Rechtslage nicht gerecht werdenden Wortauslegung aus. Durch die Auslegung ist der im Gesetz zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers zu ermitteln. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind hierbei alle Auslegungsmethoden erlaubt. Wesentlich ist vor allem der Wortlaut der Gesetzesbestimmung und der Sinnzusammenhang, in den die maßgebenden Vorschriften hineingestellt sind (vgl. - BVerfGE 1, 299 f. [312]; 11, 126 [130]). Die Bestimmung des § 62b Abs. 1 BewG ist im Zusammenhang mit der allgemeinen Regelung der Abzugsfähigkeit von Betriebsschulden in der Vorschrift des § 62 Abs. 1 BewG zu sehen. § 62b Abs. 1 BewG schränkt zwar die Abzugsfähigkeit von Schulden aus laufend veranlagten Steuern dahin ein, daß die Steuern am Stichtag bereits fällig gewesen sein müssen oder für einen Zeitraum erhoben werden, der spätestens am Stichtag geendet hat; er besagt aber nicht, daß die allgemeine Voraussetzung für den Abzug einer Betriebsschuld, nämlich die wirtschaftliche Belastung am Stichtag fehlen dürfe. Der Sinnzusammenhang zwischen den Vorschriften § 62 Abs. 1 und § 62b Abs. 1 BewG verbietet eine derartige Auslegung. Das gilt in gleicher Weise für den Abzug nichtbetrieblicher Steuern bei der Ermittlung des Gesamtvermögens.
Die weiteren Gründe des erkennenden Senats, mit denen er den Abzug von hinterzogenen Steuern versagt hat, sind vom FG anscheinend mißverstanden worden. Wenn der Senat in seinem Urteil III 69/63 vom 1. August 1969 (a. a. O.) zum Ausdruck gebracht hat daß sich der Steuerpflichtige mit der nachträglichen Geltendmachung vorsätzlich verkürzter Steuern an den zurückliegenden Stichtagen zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch gesetzt und damit gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen habe, was die Annahme einer Verwirkung der Geltendmachung der Steuerschulden rechtfertige, so wollte er seine frühere Rechtsprechung, insbesondere sein Urteil III 225/61 U vom 13. März 1964 (a. a. O.), in dem er es in erster Linie auf die wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen abgestellt hat, nicht aufgeben. Der Entscheidung vom 1. August 1969 lagen vor 1963 liegende Stichtage zugrunde, für die noch der auf einer Verordnung vom 27. Dezember 1937 (RGBl I 1937, 1421) beruhende § 53a BewDV für den Abzug von Steuerschulden maßgeblich war. Gemäß § 53a Abs. 1 BewDV konnten Steuerschulden nur abgezogen werden, wenn ihr Abzug vom Steuerpflichtigen besonders geltend gemacht wurde. Der Senat hat deshalb sein Urteil in erster Linie auf Erwägungen gestützt, die eine nachträgliche Ausübung des Antragsrechts ausschlossen.
3. Bei objektiver Würdigung der Verhältnisse bestand für den Kläger vor der Aufdeckung seines Verhaltens in Höhe der hinterzogenen Steuern keine wirtschaftliche Belastung. Die potentielle Möglichkeit einer Aufdeckung zu einem späteren Zeitpunkt stellt an den früheren Stichtagen keine wirtschaftliche Belastung dar. Aufgrund der Einstellung des Steuerpflichtigen, bewußt und gewollt Steuern zu verkürzen, bedeuteten die hinterzogenenen Steuern nach objektiver Lage für ihn keine ernst zu nehmende Last, da er vor der Aufdeckung der Hinterziehung an den jeweiligen Stichtagen nicht damit gerechnet hat, vom FA in Anspruch genommen zu werden. Der Steuergläubiger wußte bis zur Aufdeckung nichts von seiner Forderung. Die Ausführungen des FG, die Besteuerung diene nicht der Bestrafung, liegen daher neben der Sache. Auch der Hinweis auf die ertragsteuerliche Behandlung geht fehl; denn die besonderen Bewertungsvorschriften zur Ermittlung eines Betriebsvermögens sind mit den Gewinnermittlungsvorschriften des Ertragsteuerrechts, die einen anderen Zweck erfüllen, nicht vergleichbar.
Das Urteil des FG war aus allen diesen Gründen aufzuheben.
4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine Feststellungen darüber getroffen, welche betrieblichen Steuern für die Zeit von 1963 bis 1965 vom Kläger vorsätzlich verkürzt worden sind. Der Tenor des Strafbefehls enthält keine genaue Aufschlüsselung der hinterzogenen Betriebssteuern. Der Rechtsstreit wird daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückverwiesen. Dieses wird noch Feststellungen darüber zu treffen haben, in welcher Höhe die nachgeforderten Betriebssteuern auf Steuerverkürzungen beruhen, die der Kläger vorsätzlich begangen hat; denn nur diese Steuerbeträge sind vom Abzug ausgeschlossen. Diese Feststellungen hat das FG selbst zu treffen. In diesem Zusammenhang wird das FG auch zu prüfen haben, ob das FA bei rechnerisch richtiger Ermittlung der hinterzogenen Beträge einen Einheitswert für den gewerblichen Betrieb des Klägers feststellen mußte. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn der Einheitswert im Streitfall entweder für die Vermögensteuer oder die Gewerbesteuer benötigt würde. Auffallend ist auch, daß der Kläger nach der Berechnung des FA anscheinend keine Gewerbesteuerschulden für die Zeit vor dem 1. Januar 1965 hat, obwohl eine Gewerbesteuerhinterziehung in dem Strafverfahren angenommen worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 413231 |
BStBl II 1972, 524 |
BFHE 1972, 405 |