Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen Reproduktionen und Lithographien zum Anlagevermögen einer Drukkerei gehören.
2. Die Gewährung einer Investitionszulage ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Wirtschaftsgut nach den Vorschriften des Einkommensteuerrechts auf einen Erinnerungswert von 1 DM abgeschrieben werden kann.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nrn. 1-2, Abs. 2; BerlinFG § 19 Abs. 1-2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb im Streitjahr 1971 eine Druckerei in Berlin (West). Streitig ist, ob der Klägerin auf Reproduktionen und Lithographien Investitionszulagen zustehen.
Bei den Reproduktionen und Lithographien handelt es sich um Druckkörpersätze (Druckstöcke), die für den Druck lithographischer, kartographischer und werbegraphischer Erzeugnisse verwendet werden. Die Druckkörpersätze werden von der Klägerin selbst hergestellt, und zwar nach Motiven, die von den Kunden zur Verfügung gestellt werden. Mit den Druckkörpersätzen erfolgt dann der eigentliche Druck. Dem Kunden werden die Reproduktionskosten im Rahmen der Kalkulation in Rechnung gestellt. Die Formen bleiben jedoch im Eigentum der Klägerin, die diese aufbewahrt, um sie für eventuelle spätere Aufträge wieder verwenden zu können. Im Jahre 1969 wurden die Druckstöcke in der Bilanz als Anlagevermögen ausgewiesen. Für die Jahre 1970 und 1971 waren zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem FG Bilanzen noch nicht erstellt.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) gewährte zunächst durch Bescheid vom 19. Mai 1972 die beantragten Investitionszulagen von 25 v. H. der Herstellungskosten. Im Anschluß an eine örtliche Nachprüfung forderte das FA die Investitionszulagen durch Bescheid vom 28. November 1972 jedoch wieder zurück. Es stellte sich auf den Standpunkt, daß die streitigen Formen nicht zum Anlagevermögen, sondern zum Umlaufvermögen gehörten, weil sie nur der Durchführung eines bestimmten Auftrages gedient hätten. Letzteres ergebe sich u. a. daraus, daß den Kunden beim ersten Auftrag die ganzen Herstellungskosten für die jeweilige Reproduktion in Rechnung gestellt worden seien. Der Einspruch war erfolglos.
Das FG gab der Klage jedoch statt und hob den Rückforderungsbescheid auf. Es kam zu dem Ergebnis, daß die Reproduktionen nicht nur einem Auftrag gedient hätten und daß sie deshalb Anlagevermögen gewesen seien. Die Reproduktionen seien auch nicht selbständig nutzungsfähig und deshalb keine geringwertigen Wirtschaftsgüter (§ 19 Abs. 2 Satz 3 BerlinFG, § 6 Abs. 2 EStG). Schließlich komme es nicht darauf an, daß die Klägerin nach der Rechtsprechung (Urteil des BFH vom 28. Februar 1961 I 195/60 U, BFHE 73, 322, BStBl III 1961, 384) die Möglichkeit habe, die Formen bereits im Jahr der Herstellung auf einen Erinnerungsposten von 1 DM abzuschreiben.
Dagegen wendet sich das FA mit der Revision. Es ist weiterhin der Auffassung, daß die Lithographien ausschließlich der Herstellung einer bestimmten Auflage dienten und danach für die Klägerin nur noch archivarischen Wert hätten. Es bestehe nur eine vage Hoffnung auf Anschlußaufträge. Wenn die Klägerin die Lithographien trotzdem aufbewahre, dann deshalb, weil die Lagerung sämtlicher einmal gebrauchter Lithographien einen geringeren wirtschaftlichen Aufwand erfordere als die Herstellung einer einzigen neuen Lithographie, falls es einmal zu einem Folgeauftrag kommen sollte.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie weist noch darauf hin, daß die Reproduktionen auch in den Jahren vor 1969 von ihr als Anlagevermögen bilanziert worden seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Mit der ertragsteuerlichen Behandlung von Werkzeugen, Formen, Klischees usw. hat sich die Rechtsprechung wiederholt befaßt (vgl. BFH-Urteile I 195/60 U; vom 8. Oktober 1970 IV R 125/69, BFHE 100, 249, BStBl II 1971, 51, und vom 21. Januar 1971 IV R 51/69, BFHE 101, 224, BStBl II 1971, 304). Aus diesen Entscheidungen ergibt sich der Grundsatz, daß die genannten Wirtschaftsgüter, da sie nicht zum Verbrauch oder Verkauf, sondern "dauernd" dem Betrieb zu dienen bestimmt sind, in der Regel zur Betriebsausstattung und damit zum Anlagevermögen eines Betriebs gehören (vgl. § 151 Abs. 1 Aktivseite II A Nr. 6 und § 152 Abs. 1 AktG). Dagegen sind Formen dem Umlaufvermögen zuzurechnen, wenn sie sich ähnlich wie Betriebsstoffe bei der Durchführung eines Auftrags in verhältnismäßig kurzer Zeit technisch oder wirtschaftlich verbrauchen (vgl. § 151 Abs. 1 Aktivseite III A Nr. 1 AktG sowie BFH-Urteil I 195/60 U). Von diesen Grundsätzen ist die Vorinstanz zu Recht auch bei der investitionszulagerechtlichen Beurteilung der hier streitigen Reproduktionen und Lithographien ausgegangen.
2. Ob danach Werkzeuge, Formen, Klischees und Ähnliches dem Anlagevermögen oder dem Umlaufvermögen zuzurechnen sind, d. h. insbesondere die Frage, ob die genannten Wirtschaftsgüter der Durchführung eines oder mehrerer Aufträge dienen sollen, muß der Beurteilung des einzelnen Falles vorbehalten bleiben. Dabei wird es auf die Abmachungen zwischen dem Auftraggeber und dem Betrieb ankommen, auch die betrieblichen Erfahrungen mit Anschlußaufträgen in der Vergangenheit werden eine Rolle spielen. Von Bedeutung wird auch sein, ob die Herstellungskosten der Formen dem Auftraggeber mit dessen Einverständnis beim ersten Auftrag voll in Rechnung gestellt werden, oder ob sie auf mehrere Aufträge verteilt werden. Bei einer Druckerei wird auch das Motiv entscheidend sein, das die Reproduktion darstellt. In Grenzfällen wird dem Unternehmer, der seinen Betrieb am besten kennt, ein Ermessensspielraum einzuräumen sein.
3. Die Vorinstanz hat das Vorbringen der Klägerin dahin gewürdigt, daß die Reproduktionen und Lithographien auch nach Durchführung des ersten Auftrags für den Betrieb der Klägerin noch einen wirtschaftlichen Wert darstellten. Die Klägerin habe die Formen aufbewahrt, um auch später bestimmte Aufträge und Folgeaufträge des Kunden oder mit dessen Zustimmung eines Dritten ausführen zu können. Das FG hat in die Beurteilung auch den Gesichtspunkt mit einbezogen, daß das FA in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Entlastung des Vorratsvermögens nach § 28 UStG 1967 von der Klägerin die Behandlung der Reproduktionen als Anlagevermögen verlangt hatte.
Der Senat ist als Revisionsgericht an diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Würdigung gebunden, da sie eine mögliche Beurteilung des Sachverhalts ist. Darauf, daß auch eine andere Beurteilung möglich wäre, kommt es nicht an. Das FA hat in der Revisionsinstanz zwar beanstandet, daß das FG bei den einzelnen Reproduktionen und Lithographien nicht differenziert habe. Der Senat sieht in diesem an sich richtigen Gesichtspunkt eine Verfahrensrüge, die jedoch schon deshalb unberücksichtigt bleiben muß, weil sie erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erhoben worden ist. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die streitigen Reproduktionen und Lithographien zum Anlagevermögen der Klägerin gehörten.
4. Zwischen den Verfahrensbeteiligten ist unstreitig, daß die Druckformen technisch auf die Druckmaschine abgestimmt und selbständig nicht nutzungsfähig sind. Das FG hat deshalb zu Recht nicht untersucht, ob die Herstellungskosten für die einzelnen Formen den Betrag von 800 DM erreichen, weil sie ohnehin nicht als geringwertige Wirtschaftsgüter nach § 19 Abs. 2 Satz 3 BerlinFG, § 6 Abs. 2 EStG in Betracht kamen. Die Klägerin hatte auch in ihrer Bilanz 1969 die Reproduktionen und Lithographien nicht als geringwertige Wirtschaftsgüter behandelt.
5. Nach § 19 Abs. 2 Satz 3 BerlinFG wird für geringwertige Wirtschaftsgüter eine Investitionszulage nicht gewährt. Nach der Gesetzesbegründung sollte damit die gleichzeitige Gewährung von zwei Vergünstigungen, nämlich der sofortigen Abschreibung und der Investitionszulage, ausgeschlossen werden. Die Rechtsprechung hat diesen Rechtsgedanken im Hinblick auf die Abschreibungsvergünstigung nach (jetzt) Abschn. 43 EStR 1975 auf die kurzlebigen Wirtschaftsgüter übertragen und eine Investitionszulage für Wirtschaftsgüter nicht gewährt, deren betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer nicht mehr als ein Jahr beträgt (vgl. BFH-Urteil vom 9. März 1967 IV R 149/66, BFHE 87, 589, BStBl III 1967, 238). Das FA will diesen Gedanken auch auf den vorliegenden Fall, in dem es sich weder um geringwertige noch um kurzlebige Wirtschaftsgüter handelt, angewendet wissen, weil die Klägerin in der Lage sei, die Reproduktionen auf den Erinnerungswert von 1 DM abzuschreiben.
Es ist zutreffend, daß das BFH-Urteil I 195/60 U in einem Fall, der mit dem vorliegenden viel Ähnlichkeit hat, dem Steuerpflichtigen aus Gründen einer vorsichtigen Bilanzierung und wegen des Verbots des Ausweises nicht realisierter Gewinne diese Möglichkeit gibt. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall kann dahingestellt bleiben. Denn der Senat ist der Auffassung, daß die gesetzliche Regelung in § 19 Abs. 2 Satz 3 BerlinFG nicht entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut weiter zuungunsten der Investoren ausgedehnt werden darf. Der Gesetzgeber hat in § 19 BerlinFG einen anderen Wortlaut gewählt als in § 30 Abs. 2 UStG 1967. Nach dieser Bestimmung kommt ein Selbstverbrauch nur bei Wirtschaftsgütern in Betracht, deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten "nach den einkommensteuerlichen Vorschriften im Jahr der Anschaffung oder Herstellung nicht in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden können". Dementsprechend wurde durch das BFH-Urteil vom 2. Oktober 1975 V R 158/74 (BFHE 117, 115, BStBl II 1976, 58) der Tatbestand des Selbstverbrauchs in einem Falle verneint, in dem ein Steuerpflichtiger der Forschung und Entwicklung dienende Wirtschaftsgüter zwar dem Anlagevermögen zuführte, für diese Wirtschaftsgüter aber die Sonderabschreibungen von zusammen 100 v. H. der Anschaffungskosten nach § 82 d der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1967 und § 14 des Berlinhilfegesetzes 1964 in Anspruch nahm. Demgegenüber ist die Ausnahmeregelung in § 19 Abs. 2 Satz 3 BerlinFG jedoch ausdrücklich auf geringwertige Wirtschaftsgüter beschränkt. Der Senat hält eine ausdehnende Auslegung dieser nach dem Gesetzeswortlaut eindeutigen Vorschrift über die bisher bereits zugelassenen Fälle hinaus nicht für zulässig.
Das FA hat in der Revision noch die Auffassung vertreten, daß die Reproduktionen und Lithographien nicht mehr neu gewesen seien, weil sie dem Anlagevermögen erst zu einem Zeitpunkt zugeführt worden seien, als sie bereits als Umlaufvermögen genutzt gewesen seien. Für eine solche Annahme enthält das FG-Urteil jedoch keine tatsächlichen Feststellungen, so daß auf diese Ausführungen des FA nicht mehr näher einzugehen war.
Die Rückforderung der Investitionszulagen durch das FA nach § 19 Abs. 6 BerlinFG erfolgte somit zu Unrecht. Das FG hat deshalb den Rückforderungsbescheid zu Recht aufgehoben.
Fundstellen
Haufe-Index 72631 |
BStBl II 1978, 115 |
BFHE 1978, 538 |