Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung des Warenlagers an Kunstwerken einer Kunstgalerie
Leitsatz (NV)
1. Auch für das Warenlager an Kunstwerken einer Kunstgalerie kann der Teilwert nach Gruppen gleichartiger Wirtschaftsgüter ermittelt werden. Die Gruppenbildung nach Anschaffungskosten ist ein sachgerechter Maßstab.
2. Zur Bindung an den Verzicht auf mündliche Verhandlung.
Normenkette
BewG 1965/1974 § 10; BewG 1965/1974 § 98 a 109; FGO § 90 Abs. 2, § 121
Tatbestand
Der Kläger ist Inhaber einer Kunstgalerie. Bei der Einheitsbewertung seines Betriebsvermögens ist die Bewertung des Warenlagers, das im wesentlichen aus Bildern und Plastiken zeitgenössischer jüngerer Künstler besteht, streitig geworden.
Der Beklagte (das FA) stellte den Einheitswert des gewerblichen Betriebs des Kl. zum 1. Januar 1971, zum 1. Januar 1972 und zum 1. Januar 1974 fest. Bei diesen Wertfeststellungen folgte das FA dem Ergebnis einer 1975/76 durchgeführten Betriebsprüfung und erhöhte die Teilwerte des Warenlagers. Diese Werterhöhungen beruhen darauf, daß der Prüfer die Abschreibungen des Warenbestandes auf den niedrigeren Teilwert nicht in dem vom Kl. vorgenommenen Ausmaß anerkannte, weil der Kl. für seine Abschreibungen keine nachprüfbaren Angaben machen konnte. Für die Teilwertermittlung teilte der Prüfer den Warenbestand in drei Gruppen mit unterschiedlichen Teilwertabschlägen ein:
Gruppe I: Anschaffungskosten unter 1 000 DM; jährlicher Abschlag 15 v. H., unverändert fortzuführender Restwert nach sechs Jahren 10 v. H.
Gruppe II: Anschaffungskosten zwischen 1 000 DM und 5 000 DM; im vierten Jahr nach der Anschaffung Teilwertabschlag von 20 v. H., für die Jahre fünf bis acht nach der Anschaffung Abschläge von je 15 v. H., unverändert fortzuführender Restwert 20 v. H.
Gruppe III: Anschaffungskosten von 5 000 DM und mehr; keine Pauschalabschläge, sondern Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert nur bei Nachweis einer Wertminderung.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Mit der Klage machte der Kl. geltend, die Teilwertabschläge seien zu niedrig, weil er sich überwiegend mit zeitgenössischer und avantgardistischer Kunst befasse und die von ihm gehandelten Künstler überwiegend unbekannt seien.
Enstprechend einer gerichtlichen Auflage hat der Kl. für die in der Inventur zum 31. Dezember 1970 erfaßten Kunstwerke der Gruppe II und III den Anschaffungszeitpunkt, die Anschaffungskosten sowie den Zeitpunkt der Veräußerung und den Veräußerungserlös zusammengestellt.
Das FG hat die Klage abgewiesen.
Der Kl. hat mit der Revision seinen Anspruch auf Änderung der Feststellungsbescheide weiterverfolgt und hilfsweise beantragt, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Er trägt vor, er habe sich auf Arbeiten jüngerer Künstler konkretisiert, die ,,kunstmarkttechnisch nicht plaziert" seien. Dies bedeute, daß nur zufallsbedingte Liebhaberpreise erzielt werden könnten. Ein abgesicherter Wert, wie bei Markenwaren, komme seinem Warenlager nicht zu. Der Kl. trägt weiter vor, die Gruppeneinteilung der Kunstwerke nach Anschaffungskosten sei das Ergebnis einer Abklärung zwischen FA und Kunsthandel. Denn bei zeitgenössischen Kunstgegenständen könne von einer Gleichartigkeit der Wirtschaftsgüter ausgegangen werden. Auch sei die Höhe der Anschaffungskosten ein richtiges Merkmal für die Gruppeneinteilung, denn durch diese Höhe werde die Verkäuflichkeit der Kunstgegenstände gekennzeichnet. Das habe das FG mit seiner Auffassung, daß bei Kunstwerken einer Gruppenbewertung nicht zulässig sei, völlig verkannt.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 2 Nr. 3 der FGO). Das FG ist zum Teil seiner Verpflichtung zur Erforschung des Sachverhalts nicht hinreichend nachgekommen; dies hat der Kl. ordnungsgemäß gerügt.
1. Die zu einem gewerblichen Betrieb gehörenden Wirtschaftsgüter sind grundsätzlich mit dem Teilwert zu bewerten (§ 109 Abs. 1 BewG). Eine der Ausnahmen des § 109 Abs. 2 bis 4 BewG, in denen ein anderer Bewertungsmaßstab anzuwenden ist, liegt im Streitfall nicht vor.
Der Teilwert ist der Betrag, den der Erwerber des ganzen Unternehmens im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde. Bei der Bemessung des Teilwerts ist davon auszugehen, daß der Erwerber das Unternehmen in seiner gegebenen Gestaltung fortführt (§ 10 BewG, vgl. BFH-Urteil vom 19. Mai 1972 III R 21/71, BFHE 106, 228, 230, BStBl II 1972, 748). Für die Ermittlung des Teilwerts ist, obwohl die gesetzliche Begriffsbestimmung davon auszugehen scheint, die Kenntnis des Gesamtwertes des Unternehmens nicht Voraussetzung. Der Gesamtkaufpreis kann auch ,,von unten her" durch Addition der Teilwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens aufgebaut werden. Denn der Teilwert des einzelnen Wirtschaftsgutes eines Betriebsvermögens entspricht grundsätzlich den Wiederbeschaffungskosten dieses Wirtschaftsguts (vgl. BFH-Urteil vom 2. März 1973 III R 88/69, BFHE 109, 63, 66, BStBl II 1973, 475).
Die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens geht von der Einzelbewertung der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter aus (§ 103 BewG; nunmehr § 98 a BewG 1974). Es ist aber auf dem Handelsrecht beruhende anerkannte Rechtsübung, daß gleichartige Wirtschaftsgüter zusammengefaßt bewertet werden können (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6 EStG Anm. 110 f.). Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, daß die Teilwertermittlung nach Gruppen der Wirtschaftsgüter einer Kunstgalerie wie der des Kl. vom Ansatz unzutreffend sei. Er stimmt vielmehr den Beteiligten des Rechtsstreits zu, daß die Gruppenbildung nach Anschaffungskosten für die Beantwortung der Frage, ob die Teilwerte für die einzelnen Wirtschaftsgüter der Gruppe unter die Wiederbeschaffungskosten gesunken sind, eine sachgerechte Einteilung ist. Denn die Höhe der Anschaffungskosten und die sich daraus ableitenden Verkaufskosten sind typische Merkmale im Kunsthandel, die auf die Aufnahmebereitschaft der Interessenten für die angebotenen Kunstwerke schließen lassen.
2. Die Teilwertermittlung durch das FA verletzt den Kl. aus revisionsrichterlicher Sicht nicht in seinen Rechten, soweit er die Höhe der Abschläge für die einzelnen Wertgruppen angreift.
Für die Ermittlung des Teilwerts hat die Rechtsprechung eine Reihe von Vermutungen aufgestellt. Grundsatz der Teilwertermittlung ist, daß angeschaffte Waren - auch die zum Verkauf bestimmten Kunstgegenstände des Kl. sind in diesem Sinne Waren - im Zeitpunkt der Anschaffung einen Teilwert in Höhe der Anschaffungskosten oder Wiederbeschaffungskosten haben (vgl. BFH-Urteil vom 13. Oktober 1976 I R 79/74, BFHE 122, 37, 39, BStBl II 1977, 540). Diese Vermutung ist auch für die Bewertung der Kunstgegenstände des Kl. zutreffend. Denn entgegen der Auffassung des Kl. kann der Umstand, daß eine Wiederbeschaffung der zu seinem Betriebsvermögen gehörenden Kunstwerke nicht möglich sei, nicht begründen, daß ihnen nicht grundsätzlich ein Wert in Höhe der Anschaffungskosten beizumessen ist. Der Teilwert kann jedoch unter die Anschaffungskosten sinken, wenn die voraussichtlich erzielbaren Veräußerungserlöse die Selbstkosten zuzüglich eines durchschnittlichen Unternehmergewinns nicht mehr decken. Eine längere Lagerdauer kann ein Indiz für gesunkene Teilwerte sein (vgl. BFHE 122, 37, 39, BStBl II 1977, 540, m. w. N.).
Das FA hat unter Berücksichtigung dieser Rechtslage für die ersten beiden Gruppen von Kunstgegenständen allein aufgrund der Lagerdauer zur Ermittlung des Teilwerts Abschläge von den Anschaffungskosten vorgenommen. Die Bemessung dieser Abschläge liegt weitgehend auf tatsächlichem Gebiet (vgl. BFHE 122, 37, 42, BStBl II 1977, 540). Die vom Kl. vorgetragenen allgemeinen Erwägungen über die Art seiner Kunstgalerie sind aus revisionsrichterlicher Sicht nicht geeignet, die zur Teilwertermittlung vorgenommenen Abschläge von den Anschaffungskosten in Frage zu stellen. Dabei ist zu beachten, daß es Aufgabe des Kl. gewesen wäre, anhand geeigneter Unterlagen in bezug auf einzelne Kunstgegenstände oder auf die Gruppe der zusammengefaßt bewerteten Kunstgegenstände darzutun, es seien Umstände eingetreten, die zu einem niedrigeren Teilwert führen; denn der Kl. trägt die Feststellungslast für von ihm behauptete niedrigere Teilwerte (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 1976 IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562). Die Behauptung des Kl., daß Kunstwerke mit einer Lagerdauer von mehr als einem Jahr ,,Verlustprodukte" seien, ist nicht näher begründet worden. Der erkennende Senat teilt allerdings nicht die Auffassung des FG, daß die Teilwerte für die Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens des Kl. eher über den Anschaffungskosten als darunter liegen müßten, weil die Preise auf dem Kunstmarkt ständig stiegen; denn auch hierbei handelt es sich um eine allgemeine Erwägung, die ohne Feststellung im Einzelfall über den Anschaffungskosten liegende Teilwerte nicht begründen kann.
Aus der Sicht des Revisionsgerichts ist es nicht zu beanstanden, daß für Kunstgegenstände mit Anschaffungskosten von mehr als 5 000 DM ein Teilwert unter diesen Kosten nicht allein aufgrund der Lagerdauer, sondern nur aufgrund besonderer Umstände, die sich auf diese Kunstwerke beziehen, anerkannt worden ist. Denn einerseits trägt der Kl. selbst vor, daß er junge avantgardistische Künstler fördern wolle; dies ist aber nur möglich, wenn er ständig eine entsprechende Auswahl an anspruchsvollen zeitgenössischen Kunstwerken vorrätig hat. Andererseits entspricht es der Lebenserfahrung, daß beim Ankauf von Einzelobjekten mit Anschaffungskosten von mehr als 5 000 DM die Auswahl unter der Sicht der Aufnahmebereitschaft am Kunstmarkt sorgfältiger getroffen werden wird, als bei Kunstwerken mit geringeren Anschaffungskosten.
Der Kl. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem FG einen Schriftsatz übergeben, mit dem er für einzelne Kunstwerke verschiedener Künstler deren Wertlosigkeit oder Wertminderungen geltend macht, denen die vom FA angesetzten Werte nicht gerecht werden. Das FG hätte aufgrund dieses Vorbringens den Sachverhalt insoweit weiter erforschen müssen (§ 76 FGO). Da es dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung über diese Einwendungen an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird für seine Entscheidung einen neutralen Sachverständigen zuziehen müssen, falls es über eigene Sachkunde nicht verfügt.
3. Der Senat konnte durch Urteil entscheiden, weil sich der Kläger mit Schriftsatz vom 25. November 1982 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hat (§§ 121, 90 Abs. 2 FGO). Dieser Verzicht ist unwiderruflich (vgl. BFH-Urteil vom 26. November 1970 IV R 131/69, BFHE 101, 61, BStBl II 1971, 241). Seit diesem Verzicht ist eine Änderung der Prozeßlage nicht eingetreten. Dem mit Schriftsatz vom 1. Juni 1985 gestellten Antrag, nach mündlicher Verhandlung zu entscheiden, konnte deshalb nicht entsprochen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 414387 |
BFH/NV 1987, 290 |