Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung von vorab entstandenen Erwerbsaufwendungen bei beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen
Leitsatz (amtlich)
Die Höhe von vorab entstandenen Erwerbsaufwendungen wegen einer über einen längeren Zeitraum auf einen Abschluss zielenden erstmaligen, anderen oder qualifizierteren Berufsausbildung ist unabhängig davon zu ermitteln, ob daneben einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wird.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 Nr. 6, § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 4, Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der 1974 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) war nach seiner Mitte 1995 abgeschlossenen Ausbildung zum Sparkassen-Betriebswirt zunächst als Kreditsachbearbeiter und im Streitjahr 1997 zuletzt als Teamleiter in der Kreditabteilung einer Bank beschäftigt. Ab Januar 1996 begann er ein mehrsemestriges Studium der Betriebswirtschaftslehre bei der AKAD, Akademikergesellschaft für Erwachsenenfortbildung, mit dem Ziel, dieses Studium als "Diplom-Betriebswirt (FH)" voraussichtlich 1999 abzuschließen. Als Aufwendungen für das Studium machte er im Streitjahr Studiengebühren (5 880 DM), Materialkosten (200 DM) und Fahrtkosten zu 14 auswärtigen Seminaren bzw. Vorprüfungen (869 DM) als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) berücksichtigte stattdessen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1 800 DM als Sonderausgaben und setzte die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit bei Werbungskosten in Höhe von 6 463 DM mit 44 974 DM an, wobei in den Werbungskosten auch Arbeitsmittel enthalten sind, die der Kläger selbst seinem Studium zugeordnet hatte.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage hielt der Kläger sein Begehren ―Abzug der beantragten zusätzlichen Werbungskosten unter Anrechnung der gewährten Sonderausgaben― aufrecht. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 869 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er habe mit dem Ziel studiert, in seinem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben und vorwärts zu kommen. Die vorgenommene berufsbezogene Fort- und Weiterbildung sei erforderlich gewesen, die bereits erreichte Position dauerhaft zu sichern und erst recht, den angestrebten beruflichen Aufstieg sicherzustellen. Bei der verfolgten Bildungsmaßnahme überwiege der Charakter der Weiterbildung im ausgeübten Beruf. Dessen ungeachtet sei das Studium an der AKAD gegenüber der vorausgegangenen Ausbildung als Zweitstudium anzusehen.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung im angefochtenen Bescheid bei Anrechnung der als Sonderausgaben abgezogenen Ausbildungskosten weitere Werbungskosten in Höhe von 6 949 DM zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Aufwendungen für ein berufsbegleitendes erstmaliges Hochschulstudium sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG als Werbungskosten zu berücksichtigen, sofern sie beruflich veranlasst sind. Zur Begründung im Einzelnen wird auf die insoweit geänderte Rechtsprechung im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Dezember 2002 VI R 137/01 (BFH/NV 2003, 259, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 2003, 150) verwiesen. Im Streitfall ergibt sich aus dem vom FG festgestellten Sachverhalt offenkundig, dass der Kläger das Fachhochschulstudium der Betriebswirtschaftslehre aus beruflichen Gründen betrieben hat, nämlich um den bereits bestehenden beruflichen Anforderungen noch besser zu entsprechen und um Aufstiegsmöglichkeiten nutzen zu können. Daher kommen im Zusammenhang mit dem Studium dem Grunde nach Werbungskosten in Betracht. Diese sind bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als vorab entstandene Aufwendungen abzuziehen, da sie getätigt wurden, um als Arbeitnehmer mittels der erworbenen Qualifizierung weitere bzw. höhere Einnahmen zu erzielen.
2. Da das FG ―aus seiner Sicht zu Recht― zu den einzelnen vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache an das FG zurückzuverweisen.
a) Verfolgt ein Steuerpflichtiger aus Erwerbsgründen über einen längeren Zeitraum eine auf einen Abschluss zielende erstmalige, andere oder qualifiziertere Berufsausbildung, ist die Höhe der damit zusammenhängenden Erwerbsaufwendungen für die Bildungsmaßnahmen gesondert, d.h. unabhängig von sonst erzielten Einkünften, zu beurteilen. In diesem Rahmen können die an eine regelmäßige Arbeitsstätte anknüpfenden Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 bzw. § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG zum Zuge kommen. Dabei ist nach allgemeinen Grundsätzen zu entscheiden, ob der Steuerpflichtige seinen Bildungsmaßnahmen an einer regelmäßigen Arbeitsstätte nachgegangen ist oder ob er sich vorübergehend außerhalb einer solchen auf einer Dienst- oder Geschäftsreise befunden hat.
b) Der Senat hat mit Urteil vom 23. August 1979 VI R 87/78 (BFHE 128, 472, BStBl II 1979, 773) entschieden, dass eine regelmäßige Arbeitsstätte bzw. eine vorübergehende Abwesenheit von einer solchen nur im Rahmen bezahlter Arbeit in Betracht kommt. Hieran hält er nach Änderung seiner Rechtsprechung zum Abzug von Erwerbsaufwendungen im Zusammenhang mit einer erstmaligen Ausbildung an einer Hochschule nicht mehr fest.
aa) Während früher Aufwendungen für ein Erststudium oder für eine Umschulung grundsätzlich nur dann als Werbungskosten angesehen wurden, wenn die Bildungsmaßnahmen im Rahmen eines Dienstverhältnisses, also als bezahlte Arbeit erfolgten, genügt es nach neuer, den gewandelten Verhältnissen Rechnung tragenden Rechtsprechung nunmehr, dass die Bildungsmaßnahmen beruflich veranlasst sind, also der späteren Erzielung von Einnahmen dienen. Bereits dies rechtfertigt, die Höhe der abziehbaren Aufwendungen nicht davon abhängig zu machen, ob daneben noch ein Dienstverhältnis besteht. Dies gilt umso mehr, als die Berücksichtigung vorab entstandener Werbungskosten nicht voraussetzt, dass die Bildungsmaßnahme berufsbegleitend durchgeführt wird (vgl. BFH-Urteil vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01, BFH/NV 2003, 255, DStR 2003, 70 zur Fahrlehrerausbildung einer nicht berufstätigen Industriekauffrau).
Ebenso, wie bei zwei nebeneinander bestehenden Arbeitsverhältnissen die Werbungskosten für jedes unabhängig von dem anderen beurteilt werden, besteht keine Veranlassung, die Höhe der abziehbaren Aufwendungen für eine über einen längeren Zeitraum sich erstreckende geschlossene Bildungsmaßnahme davon abhängig zu machen, ob daneben in einem Dienstverhältnis Arbeitslohn erzielt wird. Erst recht wäre es mit dem Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht vereinbar, vorab entstandene Werbungskosten im Rahmen eines Erststudiums in unterschiedlicher Höhe zum Abzug zuzulassen, je nachdem, ob neben diesem Studium zufälligerweise einer Nebentätigkeit (z.B. als Kellner oder Taxifahrer) nachgegangen wird oder nicht.
Von der gesonderten Beurteilung langfristiger Bildungsgänge mit angestrebtem Abschluss unberührt bleiben einzelne im Rahmen eines bestehenden Dienstverhältnisses besuchte Fortbildungsveranstaltungen.
bb) Wird ein Studium absolviert, um später Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erzielen zu können, kommt § 9 EStG zur Anwendung, mit der Folge, dass beispielsweise nachgewiesene Studiengebühren, Aufwendungen für Arbeitsmittel, beruflich veranlasste Fahrtkosten usw. zu berücksichtigen sind. Bei Letzteren ist, soweit dessen tatbestandliche Voraussetzungen vorliegen, insbesondere § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG zu beachten. Dem steht nicht entgegen, dass dort von "Arbeitsstätte" (und nicht von "Ausbildungsstätte") die Rede ist. Der Wortbestandteil "Arbeit" lässt sich nach seinem natürlichen Wortsinn auf den Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten übertragen, wie sie mit einem Studium verbunden sind, zumal, wenn ein Studium zu beurteilen ist, das dem Erzielen von Einnahmen dient. Beleg hierfür ist auch, dass Begriffe wie Arbeitsmittel oder Arbeitszimmer sprachlich ohne weiteres im Zusammenhang mit einem Studium verwendet werden.
Entsprechendes gilt für den Begriff "Arbeitnehmer" (und nicht "Auszubildender"), mit dem der Bezug der späteren beruflichen Verwendung des beim Studium Gelernten zum Ausdruck kommt. Dabei kommt hinzu, dass die typisierende Fahrtkostenregelung durch die Verweisungsvorschrift des § 9 Abs. 3 bzw. § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG bei allen Einkunftsarten Anwendung findet, der Begriff des Arbeitnehmers insofern also nur beispielhaft zu verstehen ist.
Schließlich entspricht es der mit § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG bezweckten Typisierung und Verwaltungsvereinfachung, die Vorschrift auf Fahrten zu solchen Orten anzuwenden, die den Betätigungsmittelpunkt des Steuerpflichtigen darstellen. Aus diesem Grund hat der Senat die Regelung auch beim Kindergeld im Rahmen des ausbildungsbedingten Mehraufwandes (§ 32 Abs. 4 Satz 5 EStG) berücksichtigt (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 77/00, BFHE 196, 159, BStBl II 2002, 12, m.w.N.). In Verfolgung des nämlichen Zieles ist sie ebenso bei Ermittlung der als Sonderausgaben abziehbaren Ausbildungskosten anzuwenden (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 5 EStG).
c) Wo sich bei einem aus Erwerbszwecken absolvierten Studium eine regelmäßige Arbeitsstätte befindet bzw. unter welchen Voraussetzungen sich der Steuerpflichtige vorübergehend außerhalb einer solchen befindet, ist nach allgemeinen Grundsätzen zu entscheiden. Regelmäßige Arbeitsstätte ist dabei der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen (vgl. R 37 Abs. 2 Satz 1 der Lohnsteuer-Richtlinien 2003). Dies kann bei einem herkömmlichen Studium die Universität, bei einem Fernstudium aber auch die Wohnung des Steuerpflichtigen sein, wenn er seinem Studium im Wesentlichen zu Hause nachgeht. Im Übrigen kann ein Studium aber auch an ständig wechselnden Einsatzstellen absolviert werden (vgl. BFH-Urteil vom 4. Mai 1990 VI R 144/85, BFHE 160, 532, BStBl II 1990, 856, m.w.N.).
3. Dementsprechend wird das FG zunächst festzustellen haben, wann der Kläger wo seinen Studien nachgegangen ist. Sodann wird zu würdigen sein, ob und wo eine regelmäßige Arbeitsstätte anzunehmen war bzw. in welchem Umfang der Kläger sein Studium vorübergehend außerhalb einer solchen regelmäßigen Arbeitsstätte betrieben hat. Schließlich wird festzustellen sein, welche Aufwendungen dem Kläger im Einzelnen aus beruflichem Anlass entstanden sind.
Fundstellen
Haufe-Index 939371 |
BFH/NV 2003, 997 |
BStBl II 2003, 749 |
BFHE 1974, 299 |
BFHE 2004, 299 |
BFHE 202, 299 |
BB 2003, 1316 |
DB 2003, 1362 |
DStR 2003, 973 |
DStRE 2003, 831 |
DStZ 2003, 504 |
HFR 2003, 772 |