Leitsatz (amtlich)
Die Vorschriften über die Zusatzsteuer in der Textilwirtschaft (§§ 59 bis 62 UStDB 1951) sind mindestens bis zum Tage des Ergehens des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (BVerfGE Bd. 12 S. 341, BStBl 1961 I S. 432) rechtsgültig.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, Art. 100, 103 Abs. 1; BVerfGG § 13 Ziff. 6, § 13 Ziff. 7, § 13 Ziff. 11, §§ 31, 76 Ziff. 2; AO §§ 13, 222, 234, 243 Abs. 3, § 319; UStG 1934 §§ 8, 18; UStG 1951 § 18 Abs. 1; UStDB 1938 § 54 Abs. 1; UStDB 1951 §§ 59-62
Tatbestand
Die Steuerpflichtige betreibt eine Volltuchfabrik. Sie wurde entsprechend ihren Angaben in den Steuererklärungen für 1953 bis 1956 -- unter Heranziehung zur Hersteller-Zusatzsteuer gemäß § 58 UStDB 1951 und zur Spinnweber-Zusatzsteuer gemäß § 59 UStDB 1951 sowie unter Anwendung des Anrechnungsverfahrens gemäß § 60 UStDB 1951 -- zur Umsatzsteuer veranlagt, und zwar für 1953 bis 1955 endgültig, für 1956 vorläufig. Auf Grund einer im Herbst 1958 bei der Steuerpflichtigen durchgeführten Betriebsprüfung berichtigte das Finanzamt die Umsatzsteuerveranlagungen für 1953 bis 1955 gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO, indem es einerseits die nach § 59 UStDB zusatzsteuerpflichtigen Umsätze erhöhte und den Kürzungsbetrag gemäß § 60 UStDB herabsetzte, andererseits von der Erhebung der nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (BGBl 1958 I S. 154) nichtigen Hersteller-Zusatzsteuer (§ 58 UStDB) absah, ohne daß dadurch die bei den ursprünglichen Veranlagungen festgesetzten Steuerbeträge unterschritten wurden. Gleichzeitig erließ das Finanzamt für 1956 einen endgültigen Steuerbescheid. Für 1957 bis 1959 veranlagte es die Steuerpflichtige -- unter Heranziehung zur Spinnweber-Zusatzsteuer (§ 59 UStDB) und Anwendung des Anrechnungsverfahrens (§ 60 UStDB) -- erstmalig zur Umsatzsteuer.
Der gegen die berichtigten Steuerbescheide für 1953 bis 1955, gegen den endgültigen Steuerbescheid für 1956 und gegen die erstmaligen Steuerbescheide für 1957 bis 1959 eingelegte Einspruch blieb -- von zwei im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr interessierenden Nebenpunkten abgesehen -- erfolglos. Das Finanzamt vertrat den Standpunkt, daß § 59 Abs. 1 UStDB 1951 auf den Ermächtigungen in den §§ 8 und 18 UStG 1934 und in § 13 AO beruhe und daher als vorkonstitutionelles Recht weiter gültig sei. Dagegen hatte die Steuerpflichtige im Berufungsverfahren Erfolg. Das Finanzgericht schloß sich der Auffassung des Senats im Urteil V 226/57 S vom 22. Oktober 1959 (BStBl 1959 III S. 441, Slg. Bd. 69 S. 486) an, daß die §§ 59 bis 62 UStDB über die Zusatzsteuer in der Textilwirtschaft nachkonstitutionelles Recht darstellten und wegen der vom Bundesverfassungsgericht im oben angegebenen Urteil vom 5. März 1958 festgestellten Ungültigkeit der Ermächtigungsvorschriften der §§ 8 und 18 Abs. 1 Ziff. 1 UStG 1951 nichtig seien. Das Finanzgericht setzte demgemäß durch Urteil vom 29. November 1960 die Umsatzsteuer der Steuerpflichtigen für die einzelnen Jahre um die Spinnweber-Zusatzsteuer herab (im Hinblick auf den vom Senat im Urteil V 226/57 S den Steuerpflichtigen zugebilligten Vertrauensschutz bezüglich ordnungsmäßig verabschiedeter und verkündeter Rechtsverordnungen nach Abzug des Kürzungsbetrages gemäß § 60 UStDB). Für die Jahre 1953 bis 1955, für die Berichtigungsveranlagungen ergangen waren, ließ das Finanzgericht die Herabsetzung der Umsatzsteuer unter den ursprünglich festgesetzten Steuerbetrag nicht an der Sperrklausel des § 234 AO scheitern.
Hiergegen richtet sich die Rb. des Vorstehers des Finanzamts, mit der zunächst im wesentlichen dieselben Gründe geltend gemacht wurden wie in der Einspruchsentscheidung. Inzwischen beantragte der Bundesminister der Finanzen durch Schriftsatz vom 20. April 1960 beim Bundesverfassungsgericht, die Vereinbarkeit des § 59 Abs. 1 UStDB 1951 mit dem Grundgesetz (GG) festzustellen. Durch Beschluß 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfGE -- Bd. 12 S. 341, BStBl 1961 I S. 432) entschied das Bundesverfassungsgericht, daß die streitige Vorschrift mit dem GG vereinbar sei. Nunmehr stützte das Finanzamt sein Rechtsbeschwerdebegehren auf die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Rechtsgültigkeit des § 59 Abs. 1 UStDB 1951 (§ 31 in Verbindung mit § 13 Nr. 6 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 -- BVerfGG --).
Demgegenüber vertritt die Steuerpflichtige (im Einvernehmen mit der "Arbeitsgemeinschaft gegen die Spinnweberzusatzsteuer e. V.") die Auffassung, daß das Bundesverfassungsgericht nach dem in erster Linie maßgeblichen Tenor seines Beschlusses vom 16. Mai 1961 die Rechtsgültigkeit des § 54 Abs. 1 UStDB 1938 (§ 59 Abs. 1 UStDB 1951) nur für die Zeit von 1938 bis zur Änderung und Neufassung der UStDB am 1. September 1951 festgestellt habe. Offengeblieben sei die Frage seiner Rechtsgültigkeit für die Zeit nach dem 1. September 1951. Abgesehen davon, daß § 54 Abs. 1 UStDB 1938 -- entgegen den Ausführungen im Beschluß -- inhaltlich schon 1946 (durch Inkrafttreten des Art. II des Kontrollratgesetzes -- KRG -- Nr. 15) und 1951 (durch Einfügung des Abs. 2 Ziff. 1 in den § 59 UStDB 1951 betreffend Nichterhebung der Spinnweber-Zusatzsteuer in den Fällen des Art. II KRG Nr. 15) geändert worden sei, habe diese Grundnorm der Textil-Zusatzsteuer Änderungen durch die Achte Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz -- UStDBÄndVO -- vom 7. Februar 1957 (BGBl I S. 6, BStBl 1957 I S. 131; Streichung der 1951 eingefügten Ziffer 1 des Absatzes 2 mit Wirkung ab 9. Februar 1957) und durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes -- UStÄndG -- vom 18. Oktober 1957 (BGBl I S. 1743, BStBl 1957 I S. 506; Wiedereinführung der Organschaft auf dem Gebiet der Umsatzsteuer durch Aufhebung des Art. II KRG Nr. 15 ab 1. April 1958) erfahren. Man dürfe nicht bloß den (bis heute unverändert gebliebenen) Wortlaut des § 54 Abs. 1 UStDB 1938 als maßgebend ansehen, sondern müsse vor allem auf den (wiederholt geänderten) rechtlichen Gehalt der Vorschrift abstellen. Auf die seit 1951 eingetretenen -- teils unmittelbaren, teils mittelbaren -- Änderungen des rechtlichen Gehalts des § 54 Abs. 1 UStDB 1938 sei das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß nicht eingegangen. Durch diese Änderungen sei das Textil-Zusatzsteuerrecht ohne ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erneuert worden. Wenn man für das Jahr 1957 die Frage der Nichtigkeit der Textil-Zusatzsteuer noch bezweifeln könne, weil es sich bei der 8. UStDBÄndVO nur um Maßnahmen des Verordnungsgebers gehandelt habe, so sei mindestens infolge der Wiedereinführung der Organschaft durch den Gesetzgeber (9. UStÄndG) § 54 Abs. 1 UStDB 1938 materiell geändert und damit ohne Vorhandensein einer rechtsgültigen gesetzlichen Ermächtigung zu neuem Bundesrecht erhoben worden. Da das Bundesverfassungsgericht diese Fragen nicht geprüft habe, sei es nach den am Ende des Urteils des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (BVerfGE Bd. 7 S. 283) aufgestellten Grundsätzen Aufgabe des Bundesfinanzhofs, entweder hierüber selbst zu entscheiden oder gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
Die Steuerpflichtige macht weiter geltend, die Grundsätze von Treu und Glauben und insbesondere des Vertrauensschutzes erforderten für die Vergangenheit die Nichterhebung der Textil-Zusatzsteuer. Der Bundesfinanzhof habe in den oben genannten Urteilen die Vorschriften über diese Steuer für nichtig erklärt; zahlreiche Finanzgerichte hätten sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen. Auf Grund der mit der Finanzverwaltung geführten Gespräche hätten die Spinnweber annehmen müssen, daß durch die Grundsatzentscheidung des Bundesfinanzhofs die Verfassungsmäßigkeit bzw. Verfassungswidrigkeit der §§ 59 bis 62 UStDB 1951 abschließend und für alle Teile verbindlich geklärt werden sollte. Das habe die Finanzverwaltung auch durch entsprechendes Verhalten (Stundung, Aussetzung der Einziehung, stillschweigende Nichterhebung der Textil-Zusatzsteuer, Nichtzusendung der vorgeschriebenen Erklärungsvordrucke, Erstattung bereits gezahlter Textil-Zusatzsteuern usw.) zum Ausdruck gebracht. Die Spinnweber hätten daher mit der Weitererhebung der Textil-Zusatzsteuer nicht mehr zu rechnen brauchen, zumal sie im abstrakten Normenkontrollverfahren nicht gehört worden seien und teilweise überhaupt erst durch die Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (a. a. O.) Näheres hierüber erfahren hätten. Sie hätten daher die Textil-Zusatzsteuer in ihre Preise nicht mehr einkalkuliert. Der Senat habe im Grundsatzurteil V 226/57 S vom 22. Oktober 1959 (a. a. O.) im Hinblick auf die §§ 60 bis 62 UStDB 1951 die Notwendigkeit des Vertrauensschutzes besonders betont. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes habe Verfassungsrang.
Mit Schreiben vom 5. Juni 1964 hat der Bundesminister der Finanzen gemäß § 287 Ziff. 2 AO seinen Beitritt zum vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren erklärt. Auf seine Stellungnahmen vom 14. August und 30. September 1964, von denen die Parteien Abschriften erhalten haben, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
Die Entscheidungsformel des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (a. a. O.) lautet:
"§ 54 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 23. Dezember 1938 (Reichsgesetzbl. I S. 1935) -- derzeit angewandt als § 59 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. September 1951 (Bundesgesetzbl. I S. 796) -- ist mit dem Grundgesetz vereinbar."
I.
1. Nach § 31 Abs. 1 BVerfGG binden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane sowie alle Gerichte und Behörden. Zweck dieser Bindungswirkung ist die Sicherung des Rechts und des Rechtsfriedens für die Zukunft. Voraussetzung der Bindungswirkung ist, daß im Tenor positiv und bestimmt ausgesprochen wird, was Rechtens ist. Der Tenor des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (a. a. O.) besagt, daß § 54 Abs. 1 UStDB 1938 (jetzt § 59 Abs. 1 UStDB 1951) mit dem GG vereinbar ist. Damit ist ausgeschlossen, daß diese Vorschrift wegen Verstößen gegen das GG (z. B. gegen den Gleichheitssatz) nichtig sein könnte (Geiger, Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, 1952, Anm. 2 zu § 78 S. 248). Alle Gerichte haben von dieser Tatsache auszugehen und sie in jeder Hinsicht zu beachten.
Mit dem Ausspruch des Bundesverfassungsgerichts steht authentisch fest, daß die angegriffene Vorschrift rechtswirksam ist. Das gilt selbst dann, wenn die Entscheidung offenkundig rechtsirrig, also eine Fehlentscheidung, wäre (Geiger, a. a. O., Anm. 13 zu § 31, S. 117). Die Behauptungen der Steuerpflichtigen, das Bundesverfassungsgericht habe die inhaltlichen Änderungen (Änderungen des rechtlichen Gehalts) der strittigen Vorschrift nicht gewürdigt, das Urteil des Senats V 85/60 U vom 9. Februar 1961 (BStBl 1961 III S. 114, Slg. Bd. 72 S. 307) übersehen, verschiedene Bestimmungen nicht beachtet und insbesondere, weil die interessierten Wirtschaftskreise nicht gehört worden seien, den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, sind daher unbeachtlich, selbst wenn sie zuträfen. Die Rechtsbeständigkeit der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kann von keiner Seite angefochten werden. Verfassungsbeschwerden gegen sie sind mit ihrem Wesen unvereinbar und daher unzulässig (BVerfGE Bd. 1 S. 89, 90). Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts können auch nicht im Wege der abstrakten oder konkreten Normenkontrolle (§ 13 Ziff. 6 und 7 BVerfGG) nochmals zum Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht gemacht werden (Lechner, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 1954, Anm. III 2c zu § 31 S. 181, 182). Dem Antrage der Steuerpflichtigen, die Sache auf dem Wege über Art. 100 GG (§ 13 Ziff. 11 BVerfGG) nochmals an das Bundesverfassungsgericht heranzutragen, kann daher nicht stattgegeben werden. Die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durch ein anderes Gericht gemäß Art. 100 GG kommt außerdem nur bei Gesetzen im formellen Sinn, nicht dagegen bei Rechtsverordnungen, also auch nicht bei Vorschriften der UStDB, in Betracht (BVerfGE Bd. 1 S. 184, 189; Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Rd.Nr. 125 zu Art. 20).
2. Eine vom Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (a. a. O.) abweichende Entscheidung des Senats käme nur in Betracht, wenn sich entsprechend der Ansicht der Steuerpflichtigen feststellen ließe, daß sich dieser Beschluß nur auf die Zeit von 1938 bis August 1951, nicht aber auf die Zeit ab 1. September 1951 (Änderung und Neufassung der UStDB) bezieht und die Frage der Rechtsgültigkeit des § 54 Abs. 1 UStDB 1938 (§ 59 Abs. 1 UStDB 1951) für die Zeit ab 1. September 1951 offengeblieben ist. Eine solche Feststellung läßt sich jedoch nicht treffen.
a) Die Entscheidungsformel des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (a. a. O.) besagt ausdrücklich, daß § 54 Abs. 1 UStDB 1938 -- "derzeit" (also zur Zeit der Entscheidung) angewandt als § 59 Abs. 1 UStDB 1951 -- mit dem GG vereinbar sei. Ähnliche Formulierungen enthält die Begründung des Beschlusses, die, sofern man den Tenor für unklar hält, für Auslegungszwecke heranzuziehen ist und die in ihren den Tenor tragenden Teilen an der Bindungswirkung teilnimmt. Nur ist in den Entscheidungsgründen an den verschiedenen Stellen (vgl. die Abschnitte B I 1 und B IV am Anfang und am Ende) statt des Wortes "derzeit" das Wort "heute" gebraucht. Beide Worte haben dieselbe Bedeutung. Der Ansicht der Steuerpflichtigen, es handele sich bei der Erwähnung des § 59 Abs. 1 UStDB 1951 nur um einen rechtlich überflüssigen Hinweis, der an der Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht teilnimmt, kann nicht zugestimmt werden. Wenn in dem Beschluß in erster Linie von § 54 Abs. 1 UStDB 1938 gesprochen wird, so ist das darauf zurückzuführen, daß diese Vorschrift nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts noch heute fortgilt. Die UStDB 1938 seien im Jahre 1951 nicht pauschal, sondern nur in einzelnen Punkten aufgehoben sowie geändert, ergänzt und neu gefaßt worden. § 54 Abs. 1 UStDB 1938 sei hiervon unberührt geblieben. Er stimme mit § 59 Abs. 1 UStDB 1951 wörtlich überein (vgl. Abschn. A I 4 des Beschlusses).
b) Daß sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mindestens auf die Zeit bis zur Beschlußfassung (also bis zum 16. Mai 1961) bezieht, ergibt sich noch deutlicher aus Abschnitt B I 2 Satz 2 der Entscheidungsgründe. Dort heißt es: "Diese Feststellung" -- nämlich daß § 54 Abs. 1 UStDB 1938 (§ 59 Abs. 1 UStDB 1951) mit dem GG vereinbar ist -- "kann nur getroffen werden, wenn die Vorschrift in dem nach Art. 123 Abs. 1 GG maßgebenden Zeitpunkt mit dem GG vereinbar war und es auch heute noch ist." Zur Feststellung der Rechtsgültigkeit des § 54 Abs. 1 UStDB 1938 nur für die Zeit bis August 1951 hätte es einer Prüfung, ob die Vorschrift noch heute mit dem GG vereinbar ist, nicht bedurft. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Formulierung seinen Willen bekundet, die Vereinbarkeit des § 54 Abs. 1 UStDB 1938 (§ 59 Abs. 1 UStDB 1951) mit dem GG bis heute -- d. h. bis zum Ergehen des Beschlusses (16. Mai 1961) -- zu untersuchen. Dem entspricht die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts am Ende des Abschn. IV der Entscheidungsgründe: "Die Regelung des § 54 Abs. 1 UStDB 1938 ist darum auch heute nicht willkürlich; sie verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz."
c) Es kommt noch das Folgende hinzu: Der Antrag der Bundesregierung im Normenkontrollverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 6 und § 76 Nr. 2 BVerfGG vom 20. April 1960 stimmte wörtlich mit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1961 überein (vgl. Abschnitt II der Entscheidungsgründe). Der Antrag war gestellt worden, weil der erkennende Senat in seinem Urteil V 226/57 S vom 22. Oktober 1959 (a. a. O.) den § 59 Abs. 1 UStDB 1951 für ungültig erklärt und daher nicht angewandt hatte. Der diesem Urteil zugrunde liegende Rechtsstreit betraf den Veranlagungszeitraum 1953. Der Antrag der Bundesregierung zielte mithin darauf ab, die Rechtsgültigkeit einer Vorschrift nicht des Zeitraums von 1938 bis August 1951, sondern der Folgezeit zu prüfen. An einer Überprüfung der Rechtsgültigkeit einer Vorschrift für die Jahre 1938 bis 1951 hatte die Bundesregierung im Jahre 1960 kein Interesse; ihr kam es vielmehr auf eine Klärung der Rechtslage für die jüngere Vergangenheit und für die Gegenwart an. Aus den Abschnitten A II und B I 1 und 2 der Entscheidungsgründe des Beschlusses vom 16. Mai 1961 ist klar ersichtlich, daß das Bundesverfassungsgericht den Antrag auch so verstanden hat. Der Senat hält es für ausgeschlossen, daß die Bundesregierung einen Antrag gestellt und das Bundesverfassungsgericht ohne Rückfrage einen Beschluß gefaßt hat, denen jede praktische Bedeutung gefehlt hätte. Selbst bei engster Auslegung kann die Entscheidungsformel des Beschlusses vom 16. Mai 1961 nur so aufgefaßt werden, daß sie die Rechtslage am Tage der Beschlußfassung wiedergibt.
3. Aus der alle Gerichte, mithin auch den Bundesfinanzhof, bindenden Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß § 59 Abs. 1 UStDB 1951 mindestens bis zum 16. Mai 1961 mit dem GG in Einklang stand, ergibt sich, daß es auf die von der Steuerpflichtigen (und von der "Arbeitsgemeinschaft gegen die Spinnweberzusatzsteuer e. V.") sehr ausführlich behandelte Frage, ob durch die seit 1951 eingetretenen Rechtsänderungen ein Eingriff in den Rechtsbestand des § 54 Abs. 1 UStDB 1938 erfolgt ist, ohne daß eine gültige gesetzliche Ermächtigung vorlag, für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht ankommt; denn dieser betrifft die Jahre 1953 bis 1959, also einen Zeitraum, der vor dem Beschluß vom 16. Mai 1961 liegt. Dasselbe gilt für die -- vom Bundesverfassungsgericht (vgl. Abschn. IV der Entscheidungsgründe) ausdrücklich verneinte -- Frage, ob seit 1951 ein Strukturwandel bei den Spinnwebern eingetreten ist, der zur Folge hatte, daß § 59 Abs. 1 UStDB 1951 dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr entsprach. Beide Fragen könnten nur für Zeiträume nach dem 16. Mai 1961 Bedeutung gewinnen. Der Senat ist nicht berechtigt, im vorliegenden Rechtsstreit in eine sachliche Prüfung dieser Fragen einzutreten.
II.
Der Auffassung der Steuerpflichtigen, wenn die Ungültigkeit des § 59 Abs. 1 UStDB 1951 nicht festgestellt werden könne, forderten mindestens die Grundsätze von Treu und Glauben die Nichterhebung der Textil-Zusatzsteuer für die Zeit vor der Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1961, kann der Senat nicht folgen.
1. Es trifft zu, daß die Grundsätze von Treu und Glauben, die ein anständiges, loyales Verhalten aller Beteiligten gebieten, und dem Vertrauensschutz dienen, für das gesamte Recht, also auch für das Steuerrecht, gelten. Sie wirken sich sowohl auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung wie auf dem der Steuer verwaltung aus. So muß sich der Staatsbürger grundsätzlich darauf verlassen können, daß die zu seinen Gunsten von den gesetzgebenden Körperschaften oder von der Bundesregierung beschlossenen und ordnungsgemäß verkündeten Rechtsnormen rechtsgültig sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 226/57 S vom 22. Oktober 1959, a. a. O.). Rückwirkend belastende Gesetze verändern den Rechtsbestand zum Nachteil der Steuerpflichtigen und gefährden daher die Rechtssicherheit. Aufgabe der an die Gesetze gebundenen Rechtsprechung ist dagegen, die Rechtslage zu klären. Ein Wandel in der Rechtsprechung kann infolgedessen zwar die Prozeßposition, nicht aber die allein schutzbedürftige, sich aus dem Gesetz ergebende Rechtsposition des Betroffenen verschlechtern.
Die wichtigsten Anwendungsfälle von Treu und Glauben auf dem Gebiet der Steuer verwaltung betreffen die Bindung der Finanzbehörden an erteilte Auskünfte und Zusagen, auf die der Steuerpflichtige seine geschäftlichen Maßnahmen abgestellt hat. Keineswegs verstößt dagegen jedes Abweichen des Finanzamts von einem früher eingenommenen Rechtsstandpunkt gegen Treu und Glauben. Die Finanzämter sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben an falsche Rechtsauffassungen, von denen sie bei früheren Veranlagungen ausgegangen sind, bei späteren Veranlagungen nicht gebunden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 92/61 S vom 16. Juli 1964, BStBl 1964 III S. 634, Slg. Bd. 80 S. 446). Die Annahme einer Bindung des Finanzamts für spätere Veranlagungszeiträume würde in so fundamentaler Weise der Verwirklichung des materiellen Rechts und dem Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung aller Steuerpflichtigen nach dem Gesetz widersprechen, daß ein Steuerpflichtiger sich insoweit nicht auf Treu und Glauben berufen kann, auch wenn er im Vertrauen auf die Richtigkeit der objektiv unrichtigen Entscheidung disponiert haben sollte (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs VI 221/57 U vom 19. September 1958, BStBl 1958 III S. 425, Slg. Bd. 67 S. 396; IV 155/60 U vom 10. Mai 1961, BStBl 1961 III S. 317, Slg. Bd. 73 S. 134).
2. Sind hiernach der Berufung auf Treu und Glauben schon im Rahmen der Steuer verwaltung Grenzen gesetzt, so wird das Vertrauen auf eine ständige Rechtsprechung schon deshalb kaum jemals als schutzwürdig anerkannt werden können, weil die Anwendung von Treu und Glauben ein konkretes Verhältnis zwischen Bürger und Staat voraussetzt, bei dem allein sich eine Vertrauenssituation bilden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 133/63 S vom 5. März 1964, BStBl 1964 S. 311, Slg. Bd. 79 S. 218). Zwar sind die Stetigkeit der Rechtsprechung und die Orientierung der Verwaltung an der Rechtsprechung wichtige Grundsätze in einem Rechtsstaat. Eine allgemeine Bindung der Verwaltung oder der Gerichte an die durch die Rechtsprechung gewonnenen Erkenntnisse besteht aber nur in den oben behandelten Fällen des § 31 BVerfGG. Hiervon abgesehen, schafft jedes Urteil Recht nur zwischen den am Verfahren Beteiligten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VI 28/64 U vom 13. März 1964, BStBl 1964 III S. 342, Slg. Bd. 79 S. 306). Eine Gewährleistung des Fortbestandes früherer Rechtserkenntnisse ist mit dem Wesen der Rechtsprechung nicht vereinbar. Eine Erstarrung der Rechtsprechung wäre für die Rechtsfindung kein Gewinn. Die Rechtsfindung erfordert vielmehr -- wie der Bundesminister der Finanzen in Abschn. 4 c seiner Stellungnahme vom 14. August 1964 zutreffend ausführt -- immer wieder erneutes Überdenken und Überprüfen, ob die in einem Urteil ausgesprochenen Grundsätze auch wirklich richtig sind, ob sie noch zu Recht bestehen und ob sie sich mit der Rechtsentwicklung im Einklang befinden. Als unrichtig erkannte und hinter der Entwicklung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zurückgebliebene Rechtsauffassungen müssen unverzüglich durch neue und den Zeitumständen entsprechende Rechtserkenntnisse ersetzt werden (vgl. auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 488/62, 1 BvR 562/63, 1 BvR 216/64 vom 11. November 1964, Abschn. IV 6, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1965 Nr. 77 S. 92, 96; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 259/63 vom 11. Mai 1965, Abschn. II 2, HFR 1965 Nr. 249 S. 302, 304).
3. Die Steuerpflichtige gibt zwar zu, daß es grundsätzlich den Gerichten freistehe, ob sie eine frühere Rechtsprechung beibehalten oder aufgeben wollen. Das gelte -- so meint die Steuerpflichtige -- aber uneingeschränkt nur für die Regelfälle, auch wenn sie von grundsätzlicher Bedeutung sind. Auf Grundsatzurteile, die die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm aussprechen, dagegen müßten sich die Steuerpflichtigen verlassen können. Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen. Während Urteile des Bundesfinanzhofs sonst grundsätzlich unangreifbar sind, entscheidet in Verfassungsfragen bei Einlegung einer Verfassungsbeschwerde oder im Wege des konkreten oder abstrakten Normenkontrollverfahrens letztlich das Bundesverfassungsgericht. Gerade in Verfassungsfragen bleibt daher die Endgültigkeit eines Urteils des Bundesfinanzhofs ungewiß.
4. Im Streitfalle kommt noch folgendes hinzu: Der Bundesminister der Finanzen hatte schon zwei Monate nach dem Ergehen des Urteils des Senats V 226/57 S vom 22. Oktober 1959 (a. a. O.) in einem (im BStBl 1960 I S. 28 veröffentlichten) Erlaß (IV A/3 -- S 4218 b -- 79/59 vom 23. Dezember 1959) klar zum Ausdruck gebracht, daß er im Gegensatz zum Bundesfinanzhof § 59 Abs. 1 UStDB 1951 für verfassungskonform halte und daß die Bundesregierung eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeiführen werde. Vom Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Erlasses an mußte es den beteiligten Kreisen klar sein, daß der Bundesminister der Finanzen ernste Bedenken gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 59 Abs. 1 UStDB 1951 hatte und daß die endgültige Entscheidung in dieser Frage noch offen war. Dies um so mehr, als die Bundesregierung von ihrem Recht, eine abstrakte Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht herbeizuführen, bisher nur selten Gebrauch gemacht hat. Die Steuerpflichtige handelte auf eigene Gefahr, wenn sie unter diesen Umständen die Möglichkeit, daß das Bundesverfassungsgericht § 59 Abs. 1 UStDB 1951 für verfassungsgemäß halten könnte, bei ihren geschäftlichen Dispositionen unberücksichtigt ließ. Wie sehr die Steuerpflichtige tatsächlich eine für sie ungünstige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts befürchtete, ergibt sich daraus, daß sie dem Aussetzungsantrag des Finanzamts widersprochen, auf eine beschleunigte Entscheidung ihres Falles durch das Finanzgericht und den Bundesfinanzhof gedrängt und in ihren Steuerbilanzen die Spinnweber-Zusatzsteuer als Schuldverpflichtung ausgewiesen hat.
5. Wenn die Steuerpflichtige weiter darauf hinweist, sie habe infolge des Verhaltens der Finanzverwaltung (Aussetzung der Einziehung von Spinnweber-Zusatzsteuer, vorläufige Erstattung der Textil-Zusatzsteuer gegen Sicherheitsleistung, Stundung, stillschweigende Unterlassung der Einziehung usw.) auf das Fortbestehen des Urteils des Senats V 226/57 S vom 22. Oktober 1959 (a. a. O.) vertrauen dürfen, so kann sie hiermit nicht gehört werden. Es ist allgemein bekannt, daß solche Maßnahmen die streitige Rechtsfrage unberührt lassen und lediglich dazu dienen, unnötige Härten zu vermeiden und vom Steuerpflichtigen für den Fall seines Obsiegens Schäden fernzuhalten.
6. Schließlich kommt ein Verzicht auf die Textil-Zusatzsteuer auch deshalb nicht in Betracht, weil die Steuerpflichtige nicht hinreichend dargetan hat, daß ihr durch ihr angebliches Vertrauen auf die Ungültigkeit des § 59 Abs. 1 UStDB 1951 ein Schaden entstanden ist. Sie hat zwar behauptet, sie habe die Zusatzsteuer nicht in ihre Preise einkalkuliert und zusätzliche Investitionen vorgenommen, ihre Angaben aber nicht substantiiert, geschweige denn nachgewiesen.
III.
Der Senat hatte weiter zu prüfen, ob -- von § 59 Abs. 1 UStDB 1951 abgesehen -- die anderen Vorschriften über die Textil-Zusatzsteuer, insbesondere diejenigen, die den Steuerpflichtigen Begünstigungen gewähren, angewandt werden können. Es handelt sich um die §§ 59 Abs. 2 bis 5 und 60 bis 62 UStDB 1951.
1. In Abschn. B III 3 des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (a. a. O.) wird ausgeführt: "Es gibt keinen Rechtssatz, der verbietet, in einer Verordnung Vorschriften oder Teile einer Vorschrift unberührt zu lassen, wenn andere Vorschriften oder Teile von ihnen auf Grund einer neuen Ermächtigung geändert werden sollen." Die genannten Vorschriften über die Textil-Zusatzsteuer zerfallen in zwei Gruppen, nämlich in solche, die unverändert aus den UStDB 1938 in die UStDB 1951 übernommen und auch später nicht geändert worden sind -- § 59 Abs. 3 bis 5, § 60 Abs. 1 und 3 und § 61 Abs. 2 bis 3 UStDB 1951 --, und in solche, die durch die Bundesregierung entweder geändert oder in die UStDB 1951 neu eingefügt worden sind -- § 59 Abs. 2, § 60 Abs. 2, § 61 Abs. 1, § 61a und § 62 UStDB 1951 --. Nach den grundlegenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im oben angegebenen Beschluß ist die erste Gruppe von Vorschriften (ebenso wie § 59 Abs. 1 UStDB 1951) auf Grund der Ermächtigungen des § 8 UStG 1934 und des § 12 AO rechtswirksam erlassen und bisher weder ergänzt noch geändert worden. Sie müssen daher, weil die den Tenor tragenden Teile der Entscheidungsgründe an der Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG teilnehmen, als rechtswirksam angesehen werden.
2. Die zweite Gruppe von Vorschriften ist bis zum Zeitpunkt ihrer Änderung oder Einfügung aus dem dargelegten Grunde ebenfalls rechtsgültig. Für die Folgezeit ist -- wenn man sich an die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluß vom 16. Mai 1961 hält -- für jede einzelne der geänderten oder neu eingefügten Vorschriften zu prüfen, ob sie durch rechtsgültige Ermächtigungen des Gesetzgebers gedeckt ist (isolierte Betrachtungsweise). Nach Wegfall des § 8 UStG 1934 und des § 12 AO kommt hierfür nur § 18 Abs. 1 UStG 1951 in Betracht. In der grundlegenden Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 29. Juni 1951 (BGBl I S. 418) und in den einschlägigen späteren Änderungsverordnungen sind als Ermächtigungsgrundlagen teils § 18 Abs. 1 UStG 1951, teils § 18 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 UStG 1951 genannt. Alle Vorschriften der zweiten Gruppe werden bei isolierter Betrachtung durch § 18 Abs. 1 Ziff. 3 UStG gedeckt, durch den die Bundesregierung ermächtigt worden ist, zur Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung und zur Beseitigung von Unbilligkeiten in Härtefällen Bestimmungen zu treffen:
Der inzwischen wieder aufgehobene § 59 Abs. 2 Ziff. 1 UStDB 1951 diente der Vermeidung einer zeitweilig angenommenen doppelten Besteuerung der Spinnweber innerhalb eines Organkreises. Die Erhebung von Zusatzsteuer bei den in § 59 Abs. 2 Ziff. 2 UStDB 1951 genannten Gegenständen hätte zu einer zusätzlichen, nicht begründeten Belastung der Spinnweber geführt, weil diese Textilien nur aus selbstgesponnenen Garnen gewebt zu werden pflegen, so daß ein Wettbewerb zwischen mehrstufigen und einstufigen Unternehmen nicht entsteht. Die Aufnahme neuer Veredelungsvorgänge in den Katalog des § 60 Abs. 2 UStDB 1951 war erforderlich, um in Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung die Wirksamkeit des Besteuerungsausgleichs im Wege des Anrechnungsverfahrens zu erhalten und Ungleichmäßigkeiten zu vermeiden. Die Anhebung des ermäßigten Steuersatzes für Eigenveredler von 0,5 über 0,75 auf 1 v. H. erfolgte anläßlich und entsprechend der Erhöhung des allgemeinen Steuersatzes von 2 über 3 auf 4 v. H. und hatte ebenfalls die Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zum Ziel. Die Ausdehnung des ermäßigten Steuersatzes von 1 v. H. auf die Lieferungen erworbener oder eingeführter, veredelter Garnabfälle und Lumpen bezweckte die Gleichstellung in- und ausländischer Waren und die Beseitigung der zusätzlichen Belastung für einstufige Unternehmen. Die Befreiungen von der Zusatzsteuerpflicht in den Fällen des § 62 Absätze 1 und 2 UStDB 1951 (Handspinnereien und Handwebereien, Unternehmen mit einem Vorjahres-Gesamtumsatz bis zu 120 000 DM) sollten die Wettbewerbsfähigkeit wirtschaftlich schwacher Unternehmen stärken; die Begrenzung des Anrechnungsverfahrens auf Unternehmen mit einem Vorjahres-Gesamtumsatz von 40 000 DM gemäß § 62 Abs. 3 UStDB 1951 diente der Vermeidung von doppelten Begünstigungen im Hinblick auf § 44 UStDB 1951.
Die Verfassungsmäßigkeit des § 18 Abs. 1 Ziff. 3 UStG 1951 ist nicht zweifelhaft. Bei Zugrundelegung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluß 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (a. a. O.) sind daher die Begünstigungsvorschriften der Textil-Zusatzsteuer als rechtsgültig anzusehen.
3. Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man die Vorschriften der Textil-Zusatzsteuer nicht isoliert betrachtet, sondern -- wie es der Senat in seinen Urteilen V 226/57 S vom 22. Oktober 1959 (a. a. O.), V 231/54 S vom 7. April 1960 (BStBl 1960 III S. 339, Slg. Bd. 71 S. 244) und V 85/60 U vom 9. Februar 1961 (a. a. O.) getan hat -- im Rahmen eines geschlossenen Systems sieht (komplexe Betrachtungsweise). Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 16. Mai 1961 (Abschn. B II 2 b der Entscheidungsgründe) diese Auffassung (wenn auch abgeschwächt) dahingehend bestätigt, daß die Regelungen der §§ 54 bis 58 UStDB 1938 (§§ 59 bis 62 UStDB 1951) "jedenfalls insoweit eine geschlossene Einheit darstellen, als sie insgesamt einen Ausgleich der verschiedenen Umsatzsteuerbelastung der einstufigen und mehrstufigen Textilunternehmen bezwecken". Bilden aber die Vorschriften der Textilzusatzbesteuerung -- die den Steuerpflichtigen belastenden und die ihn entlastenden -- eine untrennbare Einheit, so können sie nur entweder sämtlich rechtsgültig oder sämtlich rechtsungültig sein. Es würde dem oben (Abschn. II 1) behandelten Grundsatz des Vertrauensschutzes, wonach sich der Staatsbürger auf die Rechtsgültigkeit der zu seinen Gunsten ergangenen Rechtsnormen muß verlassen können, widersprechen, wollte man die ihn belastenden Vorschriften der Textil-Zusatzsteuer für rechtsgültig, die eng mit ihnen zusammenhängenden entlastenden dagegen für rechtsungültig erklären. In einem solchen Falle hätte der betroffene Steuerpflichtige im Ergebnis eine höhere Steuer zu entrichten, als der Gesetzgeber ihm auferlegen wollte. Der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers ist aber immanenter Bestandteil von Gesetz und Recht. Entgegen der Auffassung des Bundesministers der Finanzen steht daher Art. 20 Abs. 3 GG, nach dem die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden ist, der Anwendung des § 59 Abs. 2 und der §§ 60 bis 62 UStDB 1951 nicht entgegen, ohne daß es einer Untersuchung bedarf, ob und welcher Verfassungsrang dem Grundsatz des Vertrauensschutzes zukommt. Da nach den Ausführungen in Abschn. I § 59 Abs. 1 UStDB 1951 mindestens bis zum 16. Mai 1961 rechtsgültig war, müssen mindestens bis zu diesem Zeitpunkt auch die übrigen Vorschriften der Textil-Zusatzsteuer angewandt werden.
Im Streitfalle hat die Steuerpflichtige für die Veranlagungszeiträume 1953 bis 1959 von der Ausnahmeregelung des § 59 Abs. 2 Ziff. 2 UStDB 1951 und vom Anrechnungsverfahren des § 60 UStDB 1951 Gebrauch gemacht. Die Vergünstigungen sind ihr zu belassen.
IV.
Die Sache ist nicht entscheidungsreif. In den Vorinstanzen war streitig, ob die Steuerpflichtige Zusatzsteuerfreiheit nach § 59 Abs. 2 Ziff. 2 UStDB 1951 für die Lieferungen von Ausschlagtuchen und Seidentuchen für Autos beanspruchen kann. Das Finanzamt hatte die Zusatzsteuerfreiheit mit der Begründung verneint, daß es sich bei dieser Ware in der Regel um leichtere Gewebe handele, die den Möbelstoffen ("dichten Geweben") im Sinne des § 59 Abs. 2 Ziff. 2 UStDB 1951 nicht zugerechnet werden könnten. Das Finanzgericht ist auf diese Streitfrage nicht eingegangen, weil es § 59 Abs. 2 Ziff. 2 UStDB 1951 für nichtig hielt. Nach den Ausführungen in Abschn. III ist diese Vorschrift anzuwenden. Die Sache ist daher an das Finanzgericht zurückzuverweisen, damit es die auf dem Gebiet der Tatsachenfeststellung liegende Streitfrage klärt.
V.
Die Kostenentscheidung wird gemäß § 318 Abs. 2 AO dem Finanzgericht übertragen, weil sich der Ausgang des Verfahrens noch nicht voll übersehen läßt.
Zu dem Antrag der Steuerpflichtigen auf Kostenerlaß gemäß § 319 AO ist folgendes zu bemerken: Ein Erlaß der Rechtsmittelgebühren und der den Rechtsmittelbehörden erwachsenen Auslagen kommt nur insoweit in Betracht, als der Rechtsstreit die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Vorschriften über die Textil-Zusatzsteuer betrifft. -- Ein (völliger oder teilweiser) Kostenerlaß ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn der Rechtsstreit besonders schwierige Rechtsfragen betrifft oder wenn der Steuerpflichtige infolge unerwarteter Änderung einer ständigen Rechtsprechung im Rechtsmittelverfahren wider Erwarten unterliegt, er also das Rechtsmittel im Vertrauen auf eine nunmehr aufgegebene Rechtsprechung eingelegt hat (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V A 154/21 vom 29. November 1921, Slg. Bd. 7 S. 287; Urteil des Bundesfinanzhofs IV 135/51 U vom 12. September 1951, BStBl 1951 III S. 192, Slg. Bd. 55 S. 477; v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 319 Anm. 2; Berger, Der Steuerprozeß, § 319 Anm. 2).
Beide Begründungen treffen im Streitfalle zu. Es ist der Steuerpflichtigen einzuräumen, daß es sich bei der Frage der Gültigkeit oder Ungültigkeit der Textil-Zusatzsteuer um ein besonders schwieriges Problem handelt, das von der Verwaltung, vom Schrifttum und von der Rechtsprechung sehr unterschiedlich beurteilt worden ist. Der Senat hat in der Zeit von Oktober 1959 bis Februar 1961 in drei veröffentlichten Urteilen die Verfassungswidrigkeit des § 59 Abs. 1 UStDB 1951 angenommen. Es hatte sich insoweit bereits eine "ständige" Rechtsprechung, der zahlreiche Finanzgerichte gefolgt sind, gebildet (vgl. den vorletzten Absatz des oben angegebenen Urteils V 85/60 U vom 9. Februar 1961). Dies begründet zwar -- wie in Abschn. II ausgeführt ist -- keinen Vertrauenstatbestand, der zu einer Nichterhebung der Textil-Zusatzsteuer führt, darf aber bei der Frage des Kostenerlasses (als einer Ermessensfrage) nicht unbeachtet bleiben.
Aus diesem Grunde hat schon die Verwaltung unter bestimmten Voraussetzungen Kostenerlaß nach § 319 Abs. 1 AO gewährt. Der Bundesminister der Finanzen hat sich in seinem Erlaß IV A/3 -- S 4218 b -- 194/61 vom 21. November 1961 -- gerichtet an die "Arbeitsgemeinschaft gegen die Spinnweberzusatzsteuer e. V." -- damit einverstanden erklärt, daß die Finanzämter im Rahmen ihrer Zuständigkeit von der Erhebung der Rechtsmittelkosten nach § 319 Abs. 1 AO in den Fällen absehen, in denen Spinnweber, die bei Bekanntwerden des Urteils des Senats V 226/57 S vom 22. Oktober 1959 (a. a. O.) bereits veranlagt waren oder eine für sie ungünstige Rechtsmittelentscheidung in den Händen hatten, sich alsbald nach Einlegung des Einspruchs gegen die Veranlagung oder des weiteren Rechtsmittels gegen die Heranziehung zur Spinnweber-Zusatzsteuer mit einer Aussetzung des Verfahrens einverstanden erklärt und ihr Rechtsmittel alsbald nach Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1961 zurückgenommen haben; in gleicher Weise behandelt werden sollten die Fälle, in denen die Veranlagung nach Bekanntwerden des Urteils des Senats vom 22. Oktober 1959 durchgeführt worden sein sollte, ohne daß der Unternehmer zuvor Gelegenheit gehabt hatte, seine Zustimmung zu einer Zurückstellung zu erteilen.
Dieser Erlaß ist bedenklich, soweit er den Kostenerlaß von einem ganz bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Verhalten der Steuerpflichtigen abhängig macht. Es entspricht der Sachlage mehr, Kostenerlaß hinsichtlich des Hauptstreitpunkts (Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die Textil-Zusatzsteuer) für alle Rechtsmittelinstanzen bis zum Tage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Streitfrage (16. Mai 1961) zu gewähren. Hat der Steuerpflichtige nach diesem Zeitpunkt ein von ihm eingelegtes Rechtsmittel zurückgenommen oder gegen eine vom Vorsteher des Finanzamts eingelegte Rechtsbeschwerde keine Einwendungen mehr erhoben oder den Rechtsstreit nur noch wegen der Kosten fortgeführt, so erscheint es billig, auch für die letzte jeweils in Anspruch genommene Instanz von der Erhebung der Rechtsmittelkosten abzusehen. Hat sich der Steuerpflichtige in der letzten Instanz noch gegen den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1961 zur Wehr gesetzt, so erscheint es angemessen, ihm für diese Instanz nur die Hälfte der Rechtsmittelgebühr und die Hälfte der der Rechtsmittelbehörde erwachsenen Auslagen zu erlassen.
Im Streitfalle liegt der zuletzt erwähnte Fall vor. Bei der Kostenentscheidung wird die Vorinstanz jedoch zu beachten haben, daß ein Kostenerlaß bezüglich des in Abschn. IV behandelten Punktes im Falle des Unterliegens der Steuerpflichtigen ausscheidet.
Fundstellen
BStBl III 1965, 545 |
BFHE 1966, 125 |