Leitsatz (amtlich)
Gleichzeitig gestellt i. S. der Zusätzlichen Vorschrift IJ Buchst. a zu Kap. 2 GZT sind nur Waren, die der Zollstelle in einer Partie zur Verfügung gestellt und von der darüber der Zollstelle gegebenen Mitteilung erfaßt worden sind.
Normenkette
GZT Zusätzliche Vorschrift IJ Buchst. a zu Kap. 2, Tarifnr. 02.01
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) meldete in der Zeit vom 28. Mai bis 25. September 1969 bei verschiedenen Zollämtern (ZÄ) insgesamt etwa 2 321 500 kg genießbares Fleisch von Hausrindern, frisch oder gekühlt, „quartiere compensés”, der Tarifst. 02.01 A II a 1 bb 11 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zur Aus fuhr in ein Drittland an und beantragte die Erteilung von Ausgangsbescheinigungen. Die Zollstellen erteilten die Ausgangsbescheinigungen entspechend; die Waren wurden ausgeführt Danach beantragte die Klägerin die Gewährung der Ausfuhrerstattung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt –HZA–) erteilte dementsprechend zahlreiche Erstattungsbescheide und gewährte eine Ausfuhrerstattung in Höhe von insgesamt….. DM. Nach Durchführung einer Betriebsprüfung bei der Klägerin kam das HZA zur Auffassung, daß 55 der abgefertigten Ausfuhrpartien nicht den zolltariflichen Voraussetzungen für quartiers compensés entsprochen hätten, weil die zugelassene Gewichtstoleranz von 5 % zwischen Vorder- und Hintervierteln überschritten worden sei. Das HZA forderte demgemäß mit Bescheid vom 9. September 1970 von der Klägerin Ausfuhrerstattung in Höhe von ….. DM mit der Begründung zurück, daß im Zeitpunkt der Erfüllung der Zollförmlichkeiten quartiers compensés nicht vorgelegen hätten, ein Erstattungssatz für die Ausfuhr von Vordervierteln in das betreffende Drittland nicht festgesetzt gewesen sei und deshalb eine Erstattung nur für die ausgeführten Hinterviertel gewährt werden könne.
Nach erfolglosem Vorverfahren erhob die Klägerin Klage. Das Finanzgericht (FG) hob mit Urteil vom 3. Dezember 1973 den Rückforderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung auf. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: § 12 der Verordnung Ausfuhrerstattungen/EWG vom 24. Januar 1968 – VO AusfErst EWG – (Bundesanzeiger – BAnz – Nr. 18 vom 26. Januar 1968, Bundeszollblatt 1968 S. 917 – BZBl 1968, 911 –), der die gesetzliche Grundlage für die Rückforderung darstelle, sei eine Ermessensvorschrift. Das HZA habe aber die Erstattungsbeträge nicht aufgrund einer Prüfung im Rahmen einer Ermessensentscheidung zurückgefordert. Auf die Revision des HZA hob der erkennende Senat diese Entscheidung mit Urteil vom 3. Mai 1977 VII R 16/74 (BFHE 123, 230) auf und verwies die Sache an das FG mit der Begründung zurück, § 12 VO AusfErst EWG 1968 räume der Verwaltung für die Entscheidung über die Rücknahme oder Änderung eines Erstattungsbescheides kein Ermessen ein.
Im zweiten Rechtsgang begründete die Klägerin ihre Klage im wesentlichen, wie folgt: Die Zusätzliche Vorschrift IJ Buchst. a Abs. 2 zu Kap. 2 GTZ sei wirtschaftlich auszulegen, d. h. die mit einem Kontrakt an einen Käufer verkaufte Ware, die über ein und dasselbe Zollamt (ZA) kontinuierlich ausgeführt worden sei, sei wirtschaftlich als gleichzeitig gestellt anzusehen. Überdies stehe der Rückforderung der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen.
Das FG wies die Klage mit Urteil vom 21. Februar 1978 IV 78/77 H als unbegründet ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 448).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung der Zusätzlichen Vorschrift IJ zu Kap. 2 GZT, des Grundsatzes von Treu und Glauben und des § 12 VO Aus/Erst EWG 1968.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß es für die Frage, ob der angefochtene Rückforderungsbescheid rechtmäßig ist, darauf ankommt, ob die ausgeführten Waren quartiers compensés waren. Dies entscheidet sich danach, ob die Voraussetzungen der Zusätzlichen Vorschrift IJ zu Kap. 2 GZT erfüllt waren (vgl. auch Art. 20 Abs. 1 VO Nr. 805/68). Nach Buchst a dieser Vorschrift müssen die Vorder- und Hinterviertel gleichzeitig und in gleicher Anzahl gestellt werden, wobei das Gesamtgewicht der Vorderviertel – unter Zulassung einer Toleranz von 5 GHT – das gleiche Gesamtgewicht wie das der Hinterviertel aufweisen muß.
Der Begriff „gestellen” ist in dieser Vorschrift zwar nicht näher bestimmt Es ist aber davon auszugehen, daß der GZT diesen Begriff in dem Sinn verwendet, den er in den Zollrechten der Mitgliedstaaten allgemein hat Danach ist – unabhängig davon, ob es sich um die Einfuhr oder die Ausfuhr handelt – als gestellt eine Ware anzusehen, wenn sie an den Amtsplatz der Zollstelle oder an den von ihr bestimmten Ort gebracht, ihr dort zur Verfügung gestellt und dies der Zollstelle mitgeteilt worden ist (vgl. z. B. Art. 2 und 3 der Richtlinie des Rates vom 30. Juli 1968 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die zollamtliche Erfassung der Waren, ABlEG Nr. L 194/13 vom 6. August 1968; § 6 Abs. 4 ZG, § 12 Abs. 2 der Allgemeinen Zollordnung –AZO–; Schwarz-Wockenfoth-Rahn, Zollgesetz, Kommentar, § 6 Anm. 5 Abs. 1). Die Form dieser Mitteilung ist nicht vorgeschrieben. Die Zollstelle kann – und das wird auch meistens geschehen – über das Zur-Verfügung-Stellen der Waren in Kenntnis gesetzt werden durch Übergabe einer das folgende Verfahren betreffenden Anmeldung. Als gleichzeitig gestellt ist also eine Warenpartie anzusehen, die der Zollstelle zugleich zur Verfügung gestellt und von der darüber der Zollstelle gegebenen Mitteilung erfaßt worden ist.
Aus den Feststellungen des FG ergibt sich, daß 55 Partien der streitbefangenen Waren jeweils für sich den jeweiligen Zollstellen zur Verfügung gestellt worden sind und dies den Zollstellen durch Übergabe der ausgefüllten Ausgangsbescheinigungen (§ 7 Abs. 2 VO AusfErst EWG 1968 i.V.m. dem Anhang zur VO Nr. 1041/67) mitgeteilt worden ist. Zu Recht hat also das FG als „gleichzeitig gestellt” i. S. der Zusätzlichen Vorschrift IJ Buchst a zu Kap. 2 GZT nur die Waren der jeweils in einer Ausgangsbescheinigung zusammengefaßten Partie angesehen.
Den Einwendungen der Klägerin gegen diese Auffassung ist nicht zu folgen. Der Wortlaut der genannten Vorschrift ist klar. Sie kann nicht unter Berücksichtigung einer „wirtschaftlichen Betrachtungsweise” mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse bei der Ausfuhrerstattung anders ausgelegt werden. Dagegen spricht schon, daß es sich um eine Vorschrift des GZT handelt, die nicht nur die Ausfuhrerstattungen, sondern auch die Einfuhr betrifft und nicht unterschiedlich ausgelegt werden kann, je nachdem, in welchem Bereich sie anzuwenden ist. Ferner verbietet sich eine solche Auslegung deswegen, weil sie auch zum Nachteil des Beteiligten in Fällen ausschlagen könnte, in denen die selbständig gestellte Partie den Voraussetzungen der genannten Vorschrift entspräche, zusammen aber mit einer oder einigen am selben Tage gestellten anderen Partien nicht mehr. Überdies wäre die von der Klägerin für richtig gehaltene Auslegung für die Zollstellen nicht praktikabel, da sie die Tarifierung einer jeweils für sich gestellten Warenpartie nicht vornehmen könnten, bevor sie nicht Kenntnis von der Beschaffenheit der später gestellten und mit ihr fiktiv zu einer Einheit verbundenen Sendungen hätten. Außerdem wäre kaum ein plausibles Kriterium für die Abgrenzung zu finden; es ist z. B. fraglich, ob auf alle Einfuhren eines Tages über eine Zollstelle abgestellt werden sollte oder auf alle zu einer Gesamtausfuhrsendung gehörenden Sendungen, wobei im letztgenannten Fall zu entscheiden wäre, was unter einer Gesamtausfuhrsendung zu verstehen ist und in welcher Zeit sie abgewickelt werden sollte. Letztlich verbietet sich die von der Klägerin für richtig gehaltene Auslegung auch deswegen, weil sie mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht vereinbar wäre. Denn mehrere in zeitlichen Abständen der Zollstelle zur Verfügung gestellten und mitgeteilten Warenpartien könnten auch dann nicht als „gleichzeitig gestellt” im Wortsinne angesehen werden, wenn diese mehreren Sendungen z. B. innerhalb eines Tages bei der gleichen Zollstelle einträfen.
Demgegenüber kann die Klägerin nicht zu Recht die praktischen Schwierigkeiten ins Feld führen, die den Beteiligten die Zusammenstellung der Sendung macht, wollen sie innerhalb der vorgeschriebenen Gewichtstoleranz bleiben. Schon der auch von der Revision hervorgehobene Umstand, daß die Vorschrift nicht darauf abstellt, ob die Vorder- und Hinterviertel jeweils zueinander passen und ob jeweils ein Vorder- und ein Hinterviertel die Toleranz überschreitet, zeigt, daß die Regelung versuchte, den Interessen der Beteiligten entgegenzukommen. Die Regelung macht aber deutlich, wo sie die Grenze für dieses Entgegenkommen sah. Innerhalb einer gleichzeitig gestellten Sendung müssen sich die Gewichte der Vorder- und Hinterviertel grundsätzlich entsprechen.
Fehl geht der Hinweis der Klägerin auf das Sammelzollanmeldungsverfahren (§ 12 Abs. 2 ZG). Dieses betrifft lediglich eine Zusammenfassung der Zollanmeldungen, ändert aber nichts an der Regelung für die Gestellung der Einzelsendungen, die sich weiterhin nach §§ 6 ZG, 12 AZO richtet.
Die Klägerin wendet demgegenüber ein, Sinn und Zweck der zusätzlichen Vorschrift IJ zu Kap. 2 GZT sei lediglich, zu verhindern, daß das Gewicht der relativ wertlosen Vorderviertel im Verhältnis zum Gewicht der Hinterviertel zu hoch sei; da bei ihren Ausfuhren die Hinterviertel übergewichtig gewesen seien, habe sie Sinn und Zweck der Vorschrift mehr als erfüllt. Dem ist nicht zu folgen. Es kann dahinstehen, ob im Vortrag der Klägerin neues tatsächliches Vorbringen liegt, mit dem sie im Revisionsverfahren nicht mehr gehört werden kann, und ob die Schilderung der Klägerin von Sinn und Zweck der Vorschrift zutrifft Denn jedenfalls kann es in Anbetracht des klaren Wortlautes der Vorschrift darauf nicht ankommen. Danach ist eine „Toleranz” von 5 GHT zugelassen. Das kann nur bedeuten, daß das Gewicht der Vorderviertel um nicht mehr als 5 GHT über oder unter dem Gesamtgewicht der Hinterviertel liegen darf. Dabei ist, wie bereits ausgeführt, nur auf die jeweils gleichzeitig gestellten Viertel abzustellen.
Die Klägerin kann sich gegen die Rückforderung der Erstattungen nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen. Das hat das FG ohne Rechtsirrtum entschieden.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats verstößt die Inanspruchnahme eines Steuerpflichtigen durch einen Nachforderungsbescheid gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sie im Widerspruch steht zu einem vorangegangenen nachhaltigen Verhalten oder einer nachdrücklichen Willensäußerung der Verwaltung, der Steuerpflichtige wegen dieses bisherigen Verhaltens der Verwaltung auf ein entsprechendes künftiges Verhalten vertraut hat und vertrauen durfte und daher die Nachforderung mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar ist (vgl. Urteil vom 25. Oktober 1977 VII R 5/74, BFHE 124, 105, 107, BStBl II 1978, 274). Diese Grundsätze sind hier entsprechend anwendbar und nicht, wie die Klägerin meint, die Grundsätze des § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) für die Rücknahme begünstigender rechtswidriger Verwaltungsakte. Wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 123, 230 im ersten Rechtsgang entschieden hat, hat der Normgeber bei Erlaß des § 12 VO AusfErst EWG bereits die Interessenabwägung vorgenommen, die auch § 48 Abs. 2 VwVfG vorsieht, und sie dahin entschieden, daß das öffentliche Interesse an der Rücknahme eines rechtswidrigen Erstattungsbescheides grundsätzlich überwiegt. Der Verwaltung ist also für die Rücknahmeentscheidung kein Ermessen eingeräumt. Es liegen somit keine grundsätzlichen Unterschiede vor zwischen einem Nachforderungsbescheid und einem solchen Rücknahmebescheid.
Nicht zutreffend ist die Auffassung der Klägerin, aus den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) vom 5. März 1980 Rs. 265/78 und vom 12. Juni 1980 Rs. 119/79 und Rs. 126/79 (beide noch nicht veröffentlicht) ergebe sich, daß im vorliegenden Fall der Grundsatz der Rechtssicherheit bzw. von Treu und Glauben mit dem Inhalt anzuwenden ist, wie er sich aus dem Tenor des Urteils Rs. 265/78 ergibt. Der EGH hat im Gegenteil entschieden, daß die Frage, ob dieser Grundsatz der Rückforderung zu Unrecht gewährter Erstattungen entgegenstehe, sich grundsätzlich nach innerstaatlichem Recht entscheide (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90). Er hat unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, „daß jedenfalls keine einzige Überlegung, die im Rahmen nationaler Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten aus einem Grundsatz der Rechtssicherheit hergeleitet wird oder hergeleitet werden kann, eine Forderung auf Rückzahlung gemeinschaftsrechtlicher finanzieller Vorteile verhindern könnte, die zu Unrecht gewährt worden sind” (EGH-Urteil Rs. 265/78, Abs. 15 der Urteilsgründe).
Die Voraussetzungen des Grundsatzes von Treu und Glauben mit dem geschilderten Inhalt sind nicht erfüllt, wie das FG zu Recht entschieden hat. Ein nachhaltiges Verhalten der Verwaltung in diesem Sinne liegt nämlich nicht vor.
Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin in allen Ausfuhrfällen von ihr ausgefüllte Formanträge (Ausgangsbescheinigungen) vorgelegt (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 1 VO AusfErst EWG 1968 i.V.m. dem Anhang zur VO Nr. 1041/67. In diesen Anträgen hat die Klägerin die Waren stets unter Angabe der Tarifstelle und unter Verwendung des Sprachgebrauchs des GZT objektiv unrichtig als „quartiers compensés” bezeichnet. Diese Anmeldungen haben die Versand- und Ausfuhrzollstellen hingenommen, ohne in die ihnen anhand der beigefügten Unterlagen mögliche Prüfung einzutreten, ob die Gewichtstoleranz nach der Zusätzlichen Vorschrift IJ zu Kap. 2 GZT eingehalten war. Diesem Verhalten der Verwaltung fehlt das Merkmal der Nachhaltigkeit oder der nachdrücklichen Willensäußerung. Es hebt sich von der normalen Verwaltungsroutine nicht besonders ab. Insbesondere konnte die Klägerin aus diesem eher passiv hinnehmenden Verhalten der Zollstellen nicht etwa mit Recht den Schluß ziehen, die Zollstellen hätten sich ihrer, der Klägerin, Auslegung angeschlossen. Das gilt um so mehr, als – worauf das FG zu Recht hingewiesen hat – die Kompliziertheit der Materie und das Interesse der Beteiligten an schneller Erstattungsgewährung einer sofortigen umfassenden und gründlichen Prüfung entgegenstanden, so daß die Annahme nicht gerechtfertigt ist, die Zollstellen hätten stillschweigend die außergewöhnliche, den Wortlaut weitgehend außer acht lassende Gesetzesauslegung der Klägerin für richtig gehalten. Zu einer solchen Annahme hätte die Klägerin allenfalls aufgrund einer konkreten positiven Auskunft der Verwaltung gelangen können.
Fundstellen
Haufe-Index 510534 |
BFHE 1981, 168 |