Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit von Kurreisen
Leitsatz (NV)
1. Aufwendungen für Kurreisen können grundsätzlich nur dann als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn ihre medizinische Notwendigkeit durch ein vor Antritt der Kur erstelltes amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis nachgewiesen wird.
2. Ausreichen kann es im Einzelfall aber auch, wenn der vertrauensärztliche Dienst einer sozialen Krankenversicherung die Bewilligung von Zuschüssen zu der Kurreise nachweislich geprüft und befürwortet hat. Ob es dazu einer körperlichen Untersuchung bedarf, unterliegt der Entscheidung des Amts- oder Vertrauensarztes, die dieser aufgrund seiner medizinischen Kenntnisse und fachlichen Erfahrung anhand der Krankheitsgeschichte und der Bescheinigung des Hausarztes trifft.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten. Sie wurden für das Streitjahr (1986) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist zu 80 v.H. in der Erwerbsfähigkeit gemindert. Sie führte in der Zeit vom 12. November bis 10. Dezember 1986 eine offene Badekur in . . . durch. An den entstandenen Kosten für Unterbringung und Verpflegung beteiligte sich die AOK . . . mit einem Pauschsatz von 24 DM pro Tag und mit 50 v.H. der angefallenen Kurtaxe.
Auf dem entsprechenden Antrag der Klägerin an die AOK vom 22.Oktober 1986 befindet sich der Stempelaufdruck ,,Befürwortet VÄD . . ., den", ergänzt durch das Datum des 31. Oktober 1986 und ein Namenszeichen. Auf einer Kopie dieses Antrags hat Frau Dr.A vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen . . . am 26. Juli 1990 folgendes nachgetragen: ,,Gemäß den gesetzlichen Vorschriften nach § 40 (1) SGB V (früher § 87 RVO) wurde meinerseits eine ambulante Reha-Maßnahme befürwortet."
Eine körperliche Untersuchung vor Kurantritt durch den vertrauensärztlichen Dienst hat nicht stattgefunden. Nach Bescheinigungen des Hausarztes der Klägerin vom 17. Oktober 1987 und vom 14. September 1990 leidet die Klägerin an Osteochondrosis mit Spondylosis deformans. . . (genauer Befund nach Schweregrad). Der Hausarzt hat am 22.Oktober 1986 bzw. 17. Oktober 1987 bescheinigt, daß ärztlicherseits eine vorübergehende Behandlung mit Klimawechsel die Heilung fördern würde und daß aus medizinischer Sicht eine offene Badekur erforderlich sei, um eine Verschlimmerung zu verhüten bzw. daß aufgrund der Diagnosen während des Kuraufenthalts eine physikalische Behandlung notwendig gewesen sei.
Nach dem Kurbericht vom 11.Dezember 1986 wurden der Klägerin zehn starke Bäder, zehn Massagen und Fango, eine Trinkkur und fünf Bewegungsbäder verordnet.
In ihrer Einkommensteuererklärung für 1986 machten die Kläger u.a. die nach Abzug der Beteiligung der AOK verbleibenden Kosten des Kuraufenthalts (Unterkunft, Verpflegung und Kurtaxe) von insgesamt . . . DM als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung ab, weil die Notwendigkeit der Kur nicht durch ein amtsärztliches Zeugnis bzw. andere amtliche Unterlagen ausreichend nachgewiesen sei.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus:
Zwar liege ein vor Antritt der Reise erstelltes amtsärztliches Gutachen über die Notwendigkeit der Kur nicht vor. Jedoch halte der Senat die medizinische Notwendigkeit der Kur durch den Vermerk vom 31. Oktober 1986 auf dem Antrag der Klägerin an die Krankenkasse auf Leistungen zu einer Kur in Verbindung mit dem Nachtrag vom 26. Juli 1990 für ausreichend nachgewiesen. Aus dem Antrag der Klägerin ergäben sich Ort und Zeitraum der beabsichtigten Kur. Diese Maßnahme sei auch vor Antritt der Kur vom Vertrauensärztlichen Dienst . . . befürwortet worden. Laut Nachtrag vom 26. Juli 1990 habe Frau Dr.A dabei das Vorliegen der Voraussetzungen für satzungsgemäße Mehrleistungen gemäß dem damaligen § 187 der Reichsversicherungsordnung (RVO) geprüft und bejaht. Dementsprechend ergebe sich aus dem Vermerk ,,Befürwortet", daß die Kur erforderlich und geeignet gewesen sei, ,,eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Erkrankung führen würde, zu beseitigen".
Der Senat halte es für unschädlich, daß die medizinische Notwendigkeit der Kur ohne vorherige körperliche Untersuchung der Klägerin festgestellt worden sei. Ausreichend sei, wenn die Notwendigkeit vom Amts- bzw. Vertrauensarzt, der über das medizinische Fachwissen verfüge, bereits nach Aktenlage, z.B. aufgrund der vorliegenden Erkrankungen, bejaht werden könne und auch tatsächlich bejaht worden sei. Die Klägerin habe sich nach dem Kurbericht auch während des Kuraufenthalts einer unter ärztlicher Kontrolle stehenden Heilbehandlung unterzogen.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es trägt vor, der Bundesfinanzhof (BFH) verlange für die Anerkennung von Kuraufwendungen als außergewöhnliche Belastung grundsätzlich, daß ein vor Kurantritt erstelltes amtsärztliches Zeugnis vorgelegt werde, aus dem sich Notwendigkeit und Dauer der Kur sowie das Reiseziel ergeben. Eine Ausnahme davon werde nur in Einzelfällen zugelassen, wenn sich die Notwendigkeit der Kur durch andere amtliche Unterlagen nachweisen lasse. Jedenfalls müsse von der Finanzverwaltung ohne weitere Nachprüfung davon ausgegangen werden können, daß die Kur aus medizinischen Gründen erforderlich und der Charakter einer üblichen Erholungsreise ausgeschlossen sei.
Im Streitfall sei diese Voraussetzung nicht erfüllt. Die AOK . . . habe zwar einen Zuschuß zu den Kurkosten geleistet; diese Zahlung sei auch von der Befürwortung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen . . . abhängig gewesen. Daraus ergebe sich jedoch noch nicht die Notwendigkeit der Kur im Sinne der Rechtsprechung des BFH. Vielmehr sei die Befürwortung durch den Medizinischen Dienst lediglich ein Kriterium für die Zuschußbewilligung durch die Krankenkasse. Das ergebe sich insbesondere auch daraus, daß lediglich eine formularmäßige Überprüfung der Notwendigkeit einer Kur ohne eigene Untersuchung stattgefunden habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß die geltend gemachten Kosten für die Kur der Klägerin in Höhe von . . . DM gemäß § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unter Berücksichtigung der zumutbaren Belastung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.
1. Nach § 33 Abs. 1 EStG ermäßigt sich die Einkommensteuer, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen sind in diesem Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, daß Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen. Eine derartig typisierende Behandlung der Krankheitskosten hält die Rechtsprechung zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre für geboten. Berücksichtigungsfähig sind allerdings nur solche Kosten, die zum Zwecke der Heilung oder mit dem Ziel aufgewendet werden, die Krankheit erträglicher zu machen. Nicht zu den Krankheitskosten gehören deshalb vorbeugende Aufwendungen, die der Gesundheit ganz allgemein dienen. Zu Maßnahmen dieser Art gehören in der Regel z.B. Erholungsreisen und Frischzellenbehandlungen.
Die Rechtsprechung hat jedoch anerkannt, daß Kurreisen (wie auch Frischzellenbehandlungen) unter bestimmten Umständen auch als Maßnahmen der Heilung bzw. Linderung einer Krankheit in Betracht kommen können. Voraussetzung für die Anerkennung der entsprechenden Kosten als außergewöhnliche Belastung ist bei Kurreisen nach ständiger Rechtsprechung des BFH, daß die Reise zur Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich notwendig ist und daß eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint (Senatsurteil vom 23. Oktober 1987 III R 64/85, BFH/NV 1988, 149 m.w.N.).
Zum Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Reise ist es regelmäßig erforderlich, daß der Steuerpflichtige ein vor Antritt der Kur ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis vorlegt und sich am Zielort einer unter ärztlicher Kontrolle stehenden Heilbehandlung unterzieht (BFH-Urteil vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295).
2. Die vorstehenden Voraussetzungen für die Anerkennung einer Kurreise sind im Streitfall erfüllt.
a) Nach den Feststellungen des FG, das sich insoweit im wesentlichen auf den vorliegenden Kurbericht stützt, ist die Kur unter ärztlicher Kontrolle durchgeführt worden. Zulässige und begründete Verfahrensrügen gegen diese Feststellung sind nicht erhoben worden, so daß der Senat daran gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist.
b) Zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, daß die medizinische Notwendigkeit der Kur ausreichend nachgewiesen ist.
Im Anschluß an die Grundsätze des Urteils in BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295 hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil in BFH/NV 1988, 149 hervorgehoben, daß von den strengen Anforderungen für die medizinische Notwendigkeit von Kurreisen in begründeten Einzelfällen Ausnahmen zugelassen werden können. Er hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, statt eines amtsärztlichen Gutachtens könne auch die Bescheinigung einer Versicherungsanstalt oder die Bestätigung einer Behörde ausreichen, daß die Notwendigkeit der Kur im Rahmen der Bewilligung von Zuschüssen oder Beihilfen geprüft und anerkannt worden ist. Auch in einem solchen Fall müsse sich aus dem Attest oder der Bescheinigung jedoch zweifelsfrei ergeben, daß der Steuerpflichtige krank und der Aufenthalt an einem bestimmten Kurort für einen gewissen Zeitraum medizinisch angezeigt sei.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Antrag der Klägerin auf Gewährung der Kur bei der Krankenkasse enthält Angaben zum Ort und zur Zeit der beabsichtigten Reise. Der Vermerk der Vertrauensärztin, den diese später noch weitergehend erläutert hat, läßt erkennen, daß die Notwendigkeit der Kur zur Bewilligung von Zuschüssen vertrauensärztlich geprüft worden ist. Daß dies ohne körperliche Untersuchung geschehen ist, sieht der Senat als unschädlich an, solange nicht konkrete Hinweise auf ein mißbräuchliches Handeln des Amts- bzw. Vertrauensarztes gegeben sind. Denn grundsätzlich muß der Amts- bzw. Vertrauensarzt aufgrund seiner medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen selbst entscheiden können, wann zur Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit eine körperliche Untersuchung des Patienten erforderlich ist. Der Senat geht davon aus, daß es Fälle gibt, in denen sich die medizinische Notwendigkeit einer Kur aufgrund der bisherigen Krankheitsgeschichte und der Bescheinigung des Hausarztes für den Amts- bzw. Vertrauensarzt so schlüssig und glaubhaft darstellt, daß er aufgrund seiner fachlichen Erfahrung die Notwendigkeit der Kur auch ohne körperliche Untersuchung feststellen kann. Ob die Verhältnisse im Einzelfall diese Verfahrensweise zulassen, kann nicht von einer Verwaltungs- oder Justizbehörde beurteilt werden, sondern unterliegt der fachlichen Kompetenz des Amts- oder Vertrauensarztes.
Anhaltspunkte für ein mißbräuchliches Verhalten der Vertrauensärztin sind im Streitfall offensichtlich nicht gegeben. Denn das FG ist in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, daß die Vertrauensärztin ihre Festsellung nach Aktenlage und aufgrund ihres medizinischen Fachwissens getroffen hat. An diese Feststellung ist der Senat als Revisionsgericht gebunden.
c) Der vorstehenden Wertung steht nicht entgegen, daß die Bescheinigung der Vertrauensärztin zu der Vorschrift des damaligen § 187 RVO ergangen ist. Bei dieser, satzungsmäßige Mehrleistungen betreffenden Vorschrift geht es darum, eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Erkrankung führen würde, zu beseitigen. Bei wörtlichem Verständnis dieser Voraussetzungen hat die Vertrauensärztin allerdings nicht bescheinigt, daß die Klägerin vor Antritt der Kur krank war, sondern daß bei ihr ein Zustand vorlag, der - ohne die Kur - zu einer Erkrankung führen würde. Hierin sieht der Senat jedoch keine Abweichung von der Rechtsprechung des BFH, soweit diese verlangt, daß die Kurreise der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen muß. Denn Fälle, in denen eine Kur zur Heilung oder Linderung eines akuten Krankheitszustandes eingesetzt werden kann, dürften selten gegeben sein. In aller Regel wird - auch eine medizinisch indizierte - Kur vielmehr nur nach Abklingen eines akuten Krankheitsbildes in Betracht kommen oder bei chronischen Erkrankungen. Insoweit verweist der Senat vergleichsweise auf § 8 Abs. 3 Nr.1 der Beihilfevorschriften vom 19. April 1985 (Gemeinames Ministerialblatt 1992, 214).
Können aber Kuren nach einer schweren Erkrankung medizinisch indiziert und damit i.S. des § 33 Abs. 1 und 2 EStG zwangsläufig sein, so kann für Kuren, die zur Vermeidung von in absehbarer Zeit voraussichtlich eintretenden Erkrankungen erforderlich sind, nichts anderes gelten. Insofern ist zu beachten, daß es beim Nachweis der medizinischen Notwendigkeit um die Abgrenzung von Kurreisen gegenüber Erholungsreisen, die der Kräftigung der Gesundheit und Vorbeugung vor Krankheiten ganz allgemein dienen, geht. Es wäre sinnwidrig, den Steuerpflichtigen darauf zu verweisen, daß er zunächst den Ausbruch der Krankheit abwarten müsse. Geboten und ausreichend ist in diesen Fällen insoweit vielmehr die amts- bzw. vertrauensärztliche Prognose, daß die Krankheit abzusehen ist und das fachliche Urteil dieser Ärzte, daß die bereits eingetretene Schwächung der Gesundheit durch die befürwortete Kur beseitigt werden kann. Diesen Anforderungen entspricht die hier zu beurteilende Befürwortung durch die Vertrauensärztin.
Fundstellen
Haufe-Index 418805 |
BFH/NV 1993, 231 |