Leitsatz (amtlich)
Zur Berechnung des Milderungsbetrages nach § 30 Abs. 9 UStG 1967 (Erlaß des BdF vom 30. Januar 1968 IV A/3-S 7470-13/67, BStBl I 1968, 310) bei Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung im Sinne von Abschn. 35 EStR.
Normenkette
UStG 1967 § 30 Abs. 9
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) errichtete in den Jahren 1967/1968 ein Geschäftsgebäude. Die gesamten Herstellungskosten dieses im Juni 1968 der Verwendung als Anlagevermögen zugeführten Gebäudes betrugen 1 496 111 D M. Davon entfielen auf nicht der gewerblichen Nutzung zugeführte Räume des Gebäudes insgesamt 74 608 DM. Die bis zum 31. Dezember 1967 angefallenen Herstellungskosten beliefen sich auf 578 438 DM (= 38,663 v. H. der gesamten Herstellungskosten). Auf die Herstellungskosten hat die Klägerin eine Rücklage für Ersatzbeschaffung übertragen (Abschn. 35 Abs. 5 EStR 1965). Der Steuer für den Selbstverbrauch (§ 30 Abs. 2 UStG 1967) sind die Herstellungskosten (1 496 111 DM) abzüglich der Rücklage für Ersatzbeschaffung (679 526 DM) sowie der anteiligen Kosten für die nicht gewerblich genutzten Räume (74 608 DM) zugrunde gelegt worden. Bei der sonach verbleibenden Bemessungsgrundlage von 741 977 DM (1 496 111 DM ./. 754 134 DM) ergab sich zunächst, d. h. ohne Milderung nach § 30 Abs. 9 UStG 1967, eine Selbstverbrauchsteuer von 59 358,16 DM (8 v. H.). Die von der Klägerin in Anspruch genommene Milderung der Selbstverbrauchsteuer nach § 30 Abs. 9 UStG 1967 wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) unter Übernahme des Ergebnisses einer Betriebsprüfung auf 22 949,44 DM festgesetzt, so daß nach Kürzung um diesen Milderungsbetrag noch eine Selbstverbrauchsteuer in Höhe von 36 408,72 DM verblieb. Den Milderungsbetrag nach § 30 Abs. 9 UStG 1967 hat das FA wie folgt errechnet:
Herstellungskosten bis zum 31. Dezember 1967: 578 438 DM
./. 38,663 v. H. von
a) 74 608 DM (ungenutzte Räume): 28 845 DM
b) 679 526 DM (Rücklage für Ersatzbeschaffung): 262 725 DM 91 570 DM
286 868 DM
davon 8 v. H. = 22 949,44 DM (Milderungsbetrag).
Die Klägerin errechnet demgegenüber den Milderungsbetrag wie folgt:
Herstellungskosten bis zum 31. Dezember 1967: 578 438 DM
./. 38,663 v. H. von 74 608 DM (ungenutzte Räume): 28 845 DM
549 593 DM
davon 8 v. H. = 43 967,44 DM (Milderungsbetrag).
Nach Ansicht der Klägerin ist daher der Milderungsbetrag gegenüber der Berechnung des FA um 21 018 DM (43 967,44 DM ./. 22 949,44 DM) zu erhöhen. Nachdem das FA die von der Klägerin beanspruchte weitere Milderung der Selbstverbrauchsteuer abgelehnt hatte und die hiergegen erhobene Beschwerde von der OFD zurückgewiesen worden war, erhob die Klägerin zum FG Klage mit dem Ziel, den Milderungsbetrag auf 43 967,44 DM festzusetzen.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Rücklage für Ersatzbeschaffung werde zwar erst im Zeitpunkt der Fertigstellung des zum Anlagevermögen gehörenden Wirtschaftsgutes auf die Herstellungskosten übertragen. Gleichwohl Erstrecke sich ertragsteuerrechtlich die übertragene Rücklage nicht nur auf die zuletzt, also im Jahr 1968, angefallenen Herstellungskosten, sondern auf die gesamten Herstellungskosten und damit zu einem entsprechenden Anteil auch auf diejenigen, die vor dem 1. Januar 1968 angefallen seien. Da die Milderungsregelung des § 30 Abs. 9 UStG 1967 nur die bis zum 31. Dezember 1967 bewirkten Lieferungen einschließe, sei die Milderung nur dann "angemessen" im Sinn von § 30 Abs. 9 UStG 1967, wenn die Berechnungsgrundlage für den Steuererlaß, d. h. die bis zum 31. Dezember 1967 entstandenen Teilherstellungskosten, um die anteilige Rücklage für Ersatzbeschaffung gekürzt werde. Das FA habe daher zu Recht von den Herstellungskosten bis zum 31. Dezember 1967 einen Anteil von 38,663 v. H. der Gesamtrücklage der Ersatzbeschaffung (679 526 DM), nämlich 262 725 DM von der Berechnungsgrundlage für den Milderungsbetrag abgesetzt.
Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Die Kürzung um die anteilige Rücklage für Ersatzbeschaffung sei nach Sinn und Wortlaut des Gesetzes sowie des Erlasses des BdF vom 30. Januar 1968 IV A/3 - S 7470 - 13/67 (BStBl I 1968, 310) nicht berechtigt. Die Milderung sei vielmehr auf der Grundlage der vollen, d. h. ungekürzten Herstellungskosten bis zum 31. Dezember 1967 zu berechnen. Nach dem Erlaß des BdF (unter B Nr. 9) errechne sich der Milderungsbetrag, wenn im Bilanzwert eines Anlagegutes am 31. Dezember 1967 Entgelte für an den Unternehmer bewirkte Lieferungen oder Leistungen enthalten seien, durch Anwendung des für den Selbstverbrauch geltenden Steuersatzes (§ 30 Abs. 4 UStG 1967) auf diese Entgelte. Der Wortlaut sei völlig eindeutig. Eine Kürzung der tatsächlich gezahlten Entgelte sei sonach in dem Erlaß des BdF nicht vorgesehen. Dies beruhe auch nicht auf einem Versehen oder einer Lücke in dem Erlaß, sondern sei bewußt geschehen. Denn mit der Selbstverbrauchsteuer hätten nach dem Willen des Gesetzgebers an sich zunächst nur die ab 1. Januar 1968 bewirkten Leistungen belegt werden sollen. Lediglich aus Vereinfachungsgründen seien in Fällen der vorliegenden Art auch "Altleistungen" erfaßt worden, allerdings mit der Maßgabe, daß sie gleichzeitig storniert werden müßten. Diese Stornierung sei der Zweck der Milderungsregelung in § 30 Abs. 9 UStG 1967.
Da nach dem Willen des Gesetzgebers nur die Neuleistungen ab 1. Januar 1968 der Selbstverbrauchsteuer zu unterwerfen seien, handle es sich im vorliegenden Fall um 871 910 DM (1 421 503 DM ./. 549 593 DM). Nur auf d i e s e n Betrag, nicht aber die bereits vor dem 31. Dezember 1967 entstandenen Herstellungskosten sei die Rücklage für Ersatzbeschaffung anzurechnen. Bei der seitens des FA und der Vorinstanz vorgenommenen Berechnung würden zwei ihrem Wesen nach verschiedene Gesichtspunkte miteinander verquickt, nämlich einmal die M i n d e r u n g der Bemessungsgrundlage für die Selbstverbrauchsteuer wegen der Rücklage für Ersatzbeschaffung und zum anderen die M i l d e r u n g der Selbstverbrauchsteuer nach § 30 Abs. 9 UStG 1967. Diese Vermischung verschiedenartiger Gesichtspunkte sei aus gesetzessystematischen Gründen und im Hinblick auf den BdF-Erlaß vom 30. Januar 1968 unberechtigt. Es müsse bei der seitens der Klägerin von Anfang an beanspruchten Berechnung des Milderungsbetrages (8 v. H. aus 549 593 DM) verbleiben, so daß die Milderung auf 43 967,44 DM festzusetzen sei.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Beschwerdeentscheidung der OFD sowie des Umsatzsteuerbescheides für 1968 den Milderungsbetrag hinsichtlich des Ersatzgebäudes auf 43 967,44 DM (22 949,44 DM + 21 018 DM) festzusetzen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur anderweiten Festsetzung der Steuer.
1. Nach § 30 Abs. 4 UStG 1967 ist Bemessungsgrundlage der Selbstverbrauchsteuer der Wert, der im Zeitpunkt des Selbstverbrauchs nach den einkommensteuerrechtlichen Vorschriften bei der Berechnung der Absetzung für Abnutzung (AfA) für das Wirtschaftsgut anzusetzen ist. Handelt es sich bei diesem um ein Ersatzwirtschaftsgut im Sinne von Abschn. 35 Abs. 2 EStR, für das der Unternehmer eine Rücklage für Ersatzbeschaffung gebildet hat, so sind die Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich der übertragenen Rücklage für Ersatzbeschaffung als Bemessungsgrundlage der Selbstverbrauchsteuer anzusetzen (vgl. Nr. 4 Abs. 2 des BdF-Erlasses vom 30. Januar 1968, BStBl I 1968, 312). Denn die Übertragung der Rücklage für Ersatzbeschaffung ist gem. Abschn. 35 Abs. 5 EStR in der Weise vorzunehmen, daß die Herstellungskosten für das Ersatzwirtschaftsgut bis zur Höhe der Rücklage vermindert werden und der dann verbleibende Betrag als Ausgangswert für die Berechnung der AfA in der Bilanz anzusetzen ist. Diese Regelung hat der Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom 13. Juli 1972 V R 159/71 (BFHE 106, 386, BStBl II 1972, 842) für die Bemessungsgrundlage der Selbstverbrauchsteuer als verbindlich anerkannt, weil der Wert des Ersatzwirtschaftsgutes anläßlich der ersten Bewertung desselben nach einkommensteuerrechtlichen Vorschriften gemindert wird und daher die Bezugnahme auf diese in § 30 Abs. 4 UStG 1967 einschlägig ist. Im Streitfalle ist die erste Bewertung des im Juni 1968 fertiggestellten Ersatzgebäudes in der Bilanz zum 30. Juni 1968 durchgeführt worden. Unter Anrechnung der Rücklage für Ersatzbeschaffung mit 679 526,03 DM auf die Herstellungskosten der gewerblich genutzten Räume in Höhe von 1 421 502,95 DM (1 496 110,95 ./. 74 608 DM) ergibt sich als Bemessungsgrundlage der Selbstverbrauchsteuer der Betrag von 741 977 DM. Dies ist das Ergebnis der gesetzlichen Regelung in § 30 Abs. 4 UStG 1967.
2. Bei der M i l d e r u n g der Selbstverbrauchsteuer nach § 30 Abs. 9 UStG 1967 handelt es sich um die Rückgängigmachung von Selbstverbrauchsteuer auf solche Wirtschaftsgüter, die bereits im Jahr 1967 in fertigem oder unfertigem Zustand zum Anlagevermögen gehört haben und daher mit kumulativer Umsatzsteuer belastet sind. Die Vorschrift hat ihre Ursache darin, daß zwar Wirtschaftsgüter des Vorratsvermögens nach dem Stand vom 31. Dezember 1967 in bestimmtem Umfang von der auf ihnen ruhenden kumulativen Allphasenumsatzsteuer entlastet werden (§ 28 UStG 1967), während eine gleichartige Entlastung für Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens vom Gesetz nicht vorgesehen ist. Nach der Wortfassung des § 30 Abs. 9 UStG 1967 enthält die Vorschrift eine gesetzliche Ermächtigung, auf Grund derer die Verwaltung - bei Vorliegen der im Gesetz geforderten Voraussetzungen - gehalten ist, die Milderung im Wege des Steuererlasses vorzunehmen. Auf Grund dieser Ermächtigung hat der BdF in dem genannten Erlaß vom 30. Januar 1968 im einzelnen angeordnet, wie der Milderungsbetrag zu berechnen ist. Nach Nr. 9 Abs. 3 dieses Erlasses sind als Berechnungsgrundlage die von dem Unternehmer für empfangene Lieferungen oder Leistungen erbrachten Entgelte maßgebend. Nicht maßgebend ist also, wie und mit welchem Ergebnis die Bemessungsgrundlage der Selbstverbrauchsteuer berechnet worden ist. Diese Regelung erscheint sinngerecht und daher "angemessen" im Sinn von § 30 Abs. 9 UStG 1967, weil die Milderung - wie bereits ausgeführt wurde - ausschließlich die Doppelbelastung des gleichen Vorgangs (mit kumulativer Umsatzsteuer u n d Selbstverbrauchsteuer) im Erlaßwege zum Ausgleich bringen soll. Diese Zielsetzung hat mit der gesetzlich vorgeschriebenen Festsetzung der Bemessungsgrundlage im Sinn von § 30 Abs. 4 UStG 1967 nichts zu tun. Für die Milderung sind daher im Streitfall ausschließlich die bis zum 31. Dezember 1967 von der Klägerin aufgewendeten Entgelte, das sind unstreitig 549 593 DM (578 438 DM ./. 28 845 DM anteilige Kosten für nicht gewerblich genutzte Räume) als Berechnungsgrundlage anzusetzen. Es ergibt sich dann der von der Klägerin beanspruchte Milderungsbetrag von 43 967,44 DM (8 v. H. von 549 593 DM).
3. Bei der anderweitigen Berechnung des Milderungsbetrages durch Einbeziehung eines Anteils der Rücklage für Ersatzbeschaffung werden, wie die Klägerin zutreffend geltend macht, zwei in ihrer Zweckfunktion voneinander unabhängige und verschiedenartige Gesichtspunkte, nämlich die Minderung der Bemessungsgrundlage für die Selbstverbrauchsteuer (§ 30 Abs. 4 UStG 1967) und die Milderung der Selbstverbrauchsteuer (§ 30 Abs. 9 UStG 1967) in nicht gerechtfertigter Weise miteinander vermischt. Rechtlich verbietet sich die Einbeziehung der Rücklage für Ersatzbeschaffung in die Milderungsregelung des § 30 Abs. 9 UStG 1967 schon deshalb, weil - wie oben ausgeführt ist - die Minderung der Bemessungsgrundlage erst infolge der Übertragung der Rücklage für Ersatzbeschaffung auf das Ersatzwirtschaftsgut bei dessen erstmaliger Bewertung vorzunehmen ist, die im Streitfall zum 30. Juni 1968 stattgefunden hat. Für eine - auch nur anteilige - Übertragung der Rücklage für Ersatzbeschaffung in vorangegangene Zeiträume, die auf einer Fiktion beruhen würde, fehlt die Rechtsgrundlage. Zu dem vom FA für seine Gegenauffassung in der Revisionserwiderung gebildeten Berechnungsbeispiel ist zu bemerken, daß ein Erlaß von Selbstverbrauchsteuer im Wege der Milderung nach § 30 Abs. 9 UStG 1967 nur bis zur Höhe der angefallenen Selbstverbrauchsteuer möglich ist.
Der Senat kommt nach alledem zu dem Ergebnis, daß der Milderungsbetrag für die hinsichtlich des Ersatzgebäudes angefallene Selbstverbrauchsteuer auf 43 967,44 DM festzusetzen ist. Die Sache ist spruchreif. Unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Beschwerdeentscheidung der OFD war der Umsatzsteuerbescheid 1968 entsprechend abzuändern.
Fundstellen
BStBl II 1975, 426 |
BFHE 1975, 548 |