Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung von Ausfuhrvergünstigungen; Gewährung von Währungsausgleichsbeträgen
Leitsatz (NV)
1. § 169 AO 1977 ist auf die Rückforderung von gewährten Währungs- oder Beitrittsausgleichsbeträgen nicht entsprechend anwendbar.
2. Währungsausgleichsbeträge sind nicht zu gewähren, wenn die Ausfuhr nicht auf einem durchgeführten Handelsgeschäft beruhte, sondern nach Zurückweisung der Sendung in dem anderen Mitgliedstaat durch Rücktransport in die Bundesrepublik und durch Stornierung der ausgestellten Rechnung wieder vollständig rückgängig gemacht worden ist.
Normenkette
AO 1977 § 169; EWGV 1380/75 Art. 10 Abs. 1; EWGV 974/71 Art. 1 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beantragte im Februar und Mai 1976 mit Kontrollexemplaren die Abfertigung von gefrorenem Rindfleisch zur Ausfuhr nach Großbritannien. Mit Bescheiden . . . gewährte der Bekl. und Revisionsbekl. (das Hauptzollamt - HZA -) Währungsausgleichsbeträge (WAB) und Beitrittsausgleichsbeträge. Das HZA forderte die gezahlten Beitrittsausgleichsbeträge mit der Begründung zurück, der erforderliche Nachweis des Eingangs und der Abfertigung der Waren zum freien Verkehr in Großbritannien durch Vermerk einer britischen Zollstelle auf den Kontrollexemplaren fehle. Das HZA forderte auch die zur Ausfuhrsendung . . . gewährten WAB zurück mit der Begründung, die Warensendung habe wegen der Zurückweisung von der Einfuhr in England und ihres Rücktransports in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) am Handel zwischen beiden Ländern nicht teilgenommen. Die Einsprüche der Klägerin gegen die Rückforderungsbescheide wies das HZA als unbegründet zurück.
Die Klage der Klägerin mit dem Antrag, die beiden Rückforderungsbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben, wies das Finanzgericht (FG) ab. Es führte im wesentlichen aus:
Nach § 8 Abs. 1 der Verordnung über die Gewährung von Ausgleichsbeträgen Beitritt bei der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen nach den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften (VO Ausgleichsbeträge Beitritt) vom 28. Mai 1975 (BGBl I 1975, 1 300) seien Bescheide über Beitrittsausgleichsbeträge zurückzunehmen oder zu ändern, soweit die Voraussetzungen für die Gewährung nicht vorgelegen hätten oder entfallen seien. Das sei hier der Fall. Nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 269/73 (VO Nr. 269/73) der Kommission vom 31. Januar 1973 über Durchführungsbestimmungen der Regelung für die Ausgleichsbeträge im Rahmen des Beitritts (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 30/73) sei die Zahlung des Beitrittsausgleichsbetrags davon abhängig, daß u. a. für Erzeugnisse, für die - wie hier - keine Erstattung festgesetzt werde, der Nachweis der Erfüllung der Einfuhrzollförmlichkeiten durch Vorlage des Kontrollexemplars erbracht werde. Dieser Nachweis fehle auf den vorgelegten Kontrollexemplaren. § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) finde keine Anwendung, weil § 8 Abs. 1 VO Ausgleichsbeträge Beitritt eine entgegenstehende Bestimmung enthalte. Der Rückforderungsanspruch sei auch nicht verwirkt. Aufgrund des bloßen Zeitablaufs könne eine Verwirkung nur in Ausnahmefällen eintreten. Außer der Gewährung der Beitrittsausgleichsbeträge habe das HZA aber nichts unternommen.
Der Bescheid über die Rückforderung der WAB sei ebenfalls rechtmäßig. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Verordnung über die Gewährung von WAB bei der Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse (Ausfuhr-Währungsausgleich-Verordnung) vom 9. Dezember 1980 (BGBl I 1980, 2 242) unmittelbar anwendbar sei. Jedenfalls müsse die Regelung des § 14 der Verordnung Ausfuhrerstattung EWG vom 16. Dezember 1974 - VO AusfErst EWG 1974 - (BGBl I 1974, 3 555) entsprechend angewendet werden, weil zwischen der Gewährung von WAB und der Ausfuhrerstattung ein enger Zusammenhang bestehe (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Dezember 1985 VII R 124-125/82, BFHE 145, 465). Nach den genannten Vorschriften seien die Erstattungsbescheide zurückzunehmen oder zu ändern, soweit die Voraussetzungen für die Gewährung nicht vorgelegen hätten. Das sei hier der Fall.
Nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1 380/75 (VO Nr. 1 380/75) der Kommission über Durchführungsvorschriften für die WAB vom 29. Mai 1975 (ABlEG L 139/37; Bundeszollblatt - BZBl - 1975, 544) sei allerdings die Zahlung der bei der Ausfuhr zu gewährenden WAB nur von dem Nachweis abhängig, daß das Erzeugnis das geographische Hoheitsgebiet des ausführenden Mitgliedstaates verlassen habe. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Dennoch habe die Klägerin die WAB zu Unrecht erhalten. Art. 10 VO Nr. 1 380/75 sei nämlich einschränkend dahin auszulegen, daß der Ausfuhr ein auch durchgeführtes Handelsgeschäft zugrunde liegen müsse. WAB könnten nur insoweit angewandt werden, als die betreffenden Währungsmaßnahmen zur Störung des Warenverkehrs mit Agrarerzeugnissen führten. Dies impliziere, daß die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen eines durchgeführten Handelsgeschäftes vorliegen müßten, um die WAB zur Anwendung kommen zu lassen. Es komme nicht darauf an, ob die Waren später nach Großbritannien eingeführt worden seien, weil dies ein neuer Ausfuhrvorgang wäre, zu dem erneut ein schriftlicher Antrag auf Gewährung von WAB zu stellen wäre (Art. 14 VO Nr. 1 380/75).
Ihre Revision begründet die Klägerin im wesentlichen wie folgt:
Sie habe in der Vorinstanz die Einrede der Verjährung nach § 169 der Abgabenordnung (AO 1977) erhoben. Der Senat habe in seiner Entscheidung vom 27. Juni 1978 VII R 68/77 (BFHE 125, 321) ausgeführt, daß nicht einzusehen sei, aus welchen Gründen die Vorschriften der Abgabenordnung (dort Reichsabgabenordnung) auf das Verfahren der Bundesfinanzverwaltung nicht angewendet werden dürften, wenn sie als Auftragsverwaltung für die Erhebung und Gewährung von WAB tätig werde. Das FG habe zu Unrecht ihre Einrede nicht berücksichtigt.
Das FG habe Art. 10 Abs. 1 VO Nr. 1 380/75 verletzt. Die Ausführungen des FG bezüglich Sinn und Zweck dieser Regelung seien unzutreffend. Die Ausfuhrzollförmlichkeiten seien unbestritten erfüllt worden. Auch habe die Ware das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik verlassen. Es bestehe also ein Anspruch auf Gewährung des WAB. Es bestehe kein Platz für eine Auslegung der Regelung nach ihrem Sinn und Zweck.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung des HZA sowie (sinngemäß) die angefochtenen Rückforderungsbescheide aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zu Recht die angegriffenen Rückforderungsbescheide bestätigt. Zur Begründung verweist der Senat auf die Gründe der Vorentscheidung. Die Einwendungen der Revision halten einer näheren Prüfung nicht stand.
1. Das FG hat zu Recht § 169 AO 1977 auf die Rückforderungsbescheide nicht angewendet. Diese Vorschrift regelt die Festsetzungsfrist für Steuerfestsetzungen. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um die Rückforderung von gewährten WAB und Beitrittsausgleichsbeträgen. Für eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf die Rückforderung von erstatteten WAB oder Beitrittsausgleichsbeträgen fehlt eine Rechtsgrundlage. Weder ist eine solche entsprechende Anwendung durch eine Rechtsnorm vorgesehen noch liegen die Voraussetzungen für eine Analogie vor. Aus diesem Grund hat es der Senat z. B. abgelehnt, die §§ 236, 238 AO 1977 auf die Ansprüche auf Gewährung von Ausfuhrvergünstigungen anzuwenden; dabei hat er darauf hingewiesen, daß es sich dabei nicht um Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis, sondern um Subventionen handelt (vgl. Urteil vom 17. Februar 1987 VII R 21/84, BFHE 149, 15, BStBl II 1987, 368).
2. Ohne Rechtsirrtum hat das FG die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides hinsichtlich der gewährten WAB bestätigt.
Nach den Feststellungen des FG liegt diesem Rückforderungsbescheid folgender Sachverhalt zugrunde: Am 26. Februar 1976 beantragte die Klägerin die Versandabfertigung von gefrorenem Rindfleisch zur Ausfuhr nach England . . . Die Waren wurden am 27. Februar 1976 in Großbritannien gestellt, aber wegen des angeblichen Fehlens einer Gesundheitsbescheinigung von der Einfuhr zurückgewiesen. Die Sendung wurde dann in die Bundesrepublik zurücktransportiert, aber keinem deutschem Zollamt (ZA) gestellt. Danach wurden die Waren am 3. März 1976 mit Versandpapier T 3 Nr. 786 wieder nach Großbritannien zum Versand gebracht. Ein Nachweis über die Einfuhr fehlt aber. Die für die Sendung vom 26. Februar 1976 ausgestellte Rechnung stornierte die Klägerin.
Der Senat folgt der Auffassung der Vorinstanz, daß allein der Umstand, daß die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 1 VO Nr. 1 380/75 erfüllt sind (d. h. durch Vorlage des Kontrollexemplars . . . nachgewiesen worden ist, daß die Waren das geographische Gebiet der Bundesrepublik verlassen hatten), die Zahlung der WAB nicht rechtfertigte. Die Voraussetzungen für die Gewährung der WAB lagen deswegen nicht vor, weil die Ausfuhr, die durch das genannte Kontrollexemplar nachgewiesen worden ist, nicht auf einem durchgeführten Handelsgeschäft beruhte, sondern nach Zurückweisung der Sendung in Großbritannien durch Rücktransport in die Bundesrepublik und durch Stornierung der ausgestellten Rechnung wieder vollständig rückgängig gemacht worden ist. Für solche Fälle ist die Gewährung von WAB nicht vorgesehen. Nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 974/71 werden WAB erhoben oder gewährt ,,im Handel mit . . . (bestimmten) Erzeugnissen". Gleiches ergibt sich aus der VO Nr. 1 380/75 (vgl. Titel III: ,,Anwendung der WAB im innergemeinschaftlichen Handel", und Art. 7: ,,Im Handel zwischen den Mitgliedsstaaten gelten die Vorschriften der Art. 8 bis 15.") und - worauf die Vorinstanz zu Recht hingewiesen hat - aus den Erläuterungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) über Sinn und Zweck des Instituts der WAB (vgl. z. B. Urteil vom 14. November 1985 Rs. 275/84, EuGHE 1985, 3 656, 3 661). Aus den Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich, daß der Ausfuhr, auf die sich die Rückforderung bezog, kein durchgeführtes Handelsgeschäft zugrunde lag.
Der erkennende Senat sieht von einer Vorlage an den EuGH nach Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ab. Die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts ist im vorliegenden Fall derart offenkundig, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der sich stellenden Auslegungsfrage bleibt (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3 415).
Fundstellen
Haufe-Index 416460 |
BFH/NV 1990, 135 |