Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Steuerliche Förderungsgesetze
Leitsatz (amtlich)
Im Verfahren zur Veranlagung der Hypothekengewinnabgabe kann der Abgabepflichtige einen Freistellungsbescheid gemäß § 125 Abs. 3 LAG nicht mit der bloßen Begründung anfechten, daß ihm aus der Freistellung von der Hypothekengewinnabgabe Nachteile in bürgerlich-rechtlicher Hinsicht erwachsen könnten.
Normenkette
AO §§ 232, 231; LAG § 125 Abs. 3
Tatbestand
Der Bf. erwarb durch notariellen Kaufvertrag vom 22. November 1950 von dem bisherigen Eigentümer, dem Direktor A., das Grundstück X.-Straße in B. Dieses Grundstück war zugunsten der Y.-Bank mit einer in Abteilung III unter Nr. 3 eingetragenen Höchstbetragshypothek von 40.000 RM belastet gewesen, die aber schon vor Abschluß des Kaufvertrages - am 31. Juli 1950 - gelöscht worden war. Da aber bei Abschluß des Kaufvertrages noch keineswegs feststand, ob nicht aus der Umstellung dieser Hypothek, die nach Angabe der Bank am 24. Juni 1948 noch in Höhe von 12.000 RM valutiert war, eine Hypothekengewinnabgabeschuld erwachsen würde, veranlaßte der Notar bei Beurkundung des Grundstückskaufvertrages die Aufnahme nachstehender Vertragsklausel in den Text des Vertrages:
"Zum Ausgleich der restlichen 10.800. DM-West übernimmt der Käufer zur Entlastung des Verkäufers bis zu dieser Höhe alle Zahlungsverpflichtungen, welche dem Verkäufer auf Grund des Lastenausgleichsgesetzes oder ähnlicher Bestimmungen obliegen würden, wenn die Sicherungshypothek Abt. III Nr. 3 von 40.000.ß RM nicht gelöscht worden wäre und aus ihr bei Einführung der Währungsreform nur noch RM 12.000.- - zwölftausend RM - zu zahlen gewesen wären. Wird der Käufer auf Grund dieser Regelung nicht in voller Höhe von 10.800.- DM-West in Anspruch genommen, so hat er den Unterschiedsbetrag dem Verkäufer besonders zu vergüten."
Der Betrag von 10.800 DM stellte den Rest des Gesamtkaufpreises von 20.800 DM dar, der unter Berücksichtigung der am 22. November bzw. 1. Dezember 1950 fälligen Kaufpreisteile von je 5.000 DM verblieb.
Als der Veräußerer einige Zeit später zu der überzeugung gelangte, daß eine Hypothekengewinnabgabeschuld nicht entstehen werde, forderte er vom Bf. die Zahlung der aus dem Kaufvertrage noch offenstehenden Restkaufschuld von 10.800 DM. Wegen dieser Forderung kam es zum Zivilprozeß zwischen A und dem Bf. Das Oberlandesgericht hat den Rechtsstreit ausgesetzt und die Parteien wegen der Frage der Hypothekenumstellung auf das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit verwiesen. Das letztere endete im Beschwerdeverfahren mit einem vom Oberlandesgericht bestätigten Beschluß des Landgerichts; hiernach wurde zwar die vom Amtsgericht ausgesprochene Umstellung der Sicherungshöchstbetragshypothek im Verhältnis 1 : 1 bestätigt, die Umstellungsentscheidung aber ausdrücklich auf das dingliche Recht beschränkt. Trotzdem erkannte das Oberlandesgericht auf der Grundlage dieser Umstellungsentscheidung auch im Zivilprozeß nach dem Antrage des Klägers A.
Entsprechend der wechselnden Prozeßlage traf das Finanzamt auch in der Frage der Heranziehung des Bf. zur Hypothekengewinnabgabe wechselnde Entscheidungen. Schließlich erging ein Hypothekengewinnabgabe-Freistellungsbescheid.
Dieser Freistellungsbescheid des Finanzamts, der unter Würdigung der Ausführungen des Oberlandesgerichts in dessen zuletzt ergangenem Urteil erlassen wurde, wird im gegenwärtigen Verfahren vom Bf. angegriffen.
Der Bf. ist der Meinung, daß der angefochtene Bescheid gegen die zwingenden Bestimmungen der §§ 204, 205 AO sowie gegen die Sollvorschrift des § 211 Abs. 2 Ziff. 4 AO verstoße und fühlt sich auch persönlich durch diesen Beschluß beschwert. Dazu führt er insbesondere aus, in seiner Hypothekengewinnabgabeerklärung vom 29. September 1953 habe er die Höhe der Schulden am Währungsstichtage mit 12.000 RM bei einem Umstellungsverhältnis von 10 : 1 angegeben. Dem Antrage, einen entsprechenden Hypothekengewinnabgabebescheid zu erlassen, sei nicht entsprochen worden, sondern es sei im Gegenteil ein Freistellungsbescheid ergangen. Eine von dem Antrage abweichende Entscheidung der Verwaltungsbehörde enthalte für ihn eine Beschwer insofern, als die Entscheidung dem Antrage nicht entspreche. Der Freistellungsbescheid des Finanzamts gewähre dem Eigentümer zwar finanzielle Vorteile im Hinblick auf die Abgabeleistungen. Nach dem Kaufvertrage vom 22. November 1950 wäre es jedoch für ihn, den Bf., günstiger gewesen, wenn eine Hypothekengewinnabgabe als öffentliche Last auf dem Grundstücke ruhen würde. Er, der Bf., hätte sich dann der Vorteile einer ratenweisen Tilgung der Hypothekengewinnabgabe bedienen können, wozu außerdem die spätere Ermäßigung der Abgabe um 1/3 als weiterer Vorteil gekommen wäre. Werde aber keine Hypothekengewinnabgabe erhoben, so müsse der Bf. den in Betracht kommenden Kaufpreisrestbetrag unverzüglich in voller Höhe an den Voreigentümer nachzahlen.
Das Rechtsmittel des Bf. ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Finanzamt und Finanzgericht haben Einspruch und Berufung des Bf. als unzulässig verworfen, weil sie der Auffassung sind, daß eine Beschwer im Streitfalle fehle. Sie läge nur dann vor, wenn der Freistellungsbescheid auch steuerlich nachteilige Folgen für den Bf. gehabt hätte oder haben könnte. Solche Nachteile seien jedoch im Streitfalle nicht zu erwarten. Aus den Ausführungen des Bf. ergebe sich, daß das Interesse des Bf. an der Festsetzung einer Hypothekengewinnabgabe bzw. an dem Nichterlaß eines Freistellungsbescheides auf zivilrechtlichem, d. h. außersteuerlichem Gebiete liege. Derartige Interessen seien aber im steuerlichen Rechtsmittelverfahren grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Sie stellten keine Beschwer im Sinne des § 232 AO dar.
Entscheidungsgründe
Der Rb., mit der der Bf. unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Rechtsstandpunktes rügt, daß der Veräußerer A. zu Unrecht als Beteiligter zum Verkauf hinzugezogen worden sei, muß der Erfolg gleichfalls versagt bleiben.
Die vom Bf. erhobene Verfahrensrüge kann schon deshalb keine Beachtung finden, weil sie verspätet vorgebracht worden ist. Das Urteil des Finanzgerichts ist dem Bf. am 6. September 1958 zugestellt worden. Die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist, innerhalb deren die Verfahrensrüge zu erheben gewesen wäre, hätte somit gemäß § 289 AO am 6. November 1958 geendet. Sie ist allerdings auf Antrag des Bf. mehrfach verlängert worden, zuletzt gemäß Verfügung vom 27. Januar 1959 bis spätestens 28. Februar 1959. Die Rüge ist jedoch auch innerhalb dieser verlängerten Frist zur Rechtsbeschwerdebegründung nicht erhoben worden, sondern erst in dem Schriftsatz des Bf. vom 5. April 1960. Diese Verspätung der Rechtsbeschwerdebegründung hat für den Bf. den Verlust des Rügerechts zur Folge.
Abgesehen davon, daß die Vertragsauslegung des Bf. zu Zweifeln Anlaß gibt, ist es offensichtlich, daß die von ihm vorgetragene Beschwer nicht auf steuerlichem Gebiete liegt.
Mit Recht haben die Vorinstanzen übereinstimmend eine Beschwer im Sinne der §§ 232, 252 AO nicht als vorliegend erachtet. § 232 Abs. 1 AO bestimmt ausdrücklich, daß ein Steuerpflichtiger den Steuerbescheid nur deshalb anfechten kann, weil er sich durch die Höhe der festgesetzten Steuer oder dadurch beschwert fühlt, daß die Steuerpflicht bejaht worden ist. Allerdings kann nach herrschender Lehre und Rechtsprechung auch die zu niedrige Festsetzung einer Steuer oder die völlige Freistellung unter Umständen eine Beschwer darstellen und demgemäß die Einlegung eines Rechtsmittels rechtfertigen, grundsätzlich jedoch nur dann, wenn damit die Beseitigung einer steuerlichen Beschwer zu erreichen ist. In diesem Sinne hat der Reichsfinanzhof in dem Urteil I A 78/33 vom 6. Februar 1934 (RStBl 1934 S. 441) eine Beschwer im Falle einer zu niedrigen Steuerfestsetzung nur dann bejaht, wenn mit einer gewissen Sicherheit angenommen werden könne, daß der Vorgang, auf dem die zu niedrige Steuerfestsetzung beruht, dem Steuerpflichtigen bei einer anderen Steuerart oder bei der gleichen Steuer für spätere Steuerabschnitte Nachteile verursache, die größer seien als der Vorteil der zu niedrigen Steuerfestsetzung. Dies hat sinngemäß auch für die Entscheidung der Frage zu gelten, ob durch einen steuerlichen Freistellungsbescheid eine Beschwer verursacht wird.
Dagegen hat die Rechtsprechung bisher nahezu ausnahmslos Nachteile, die sich aus einer zu niedrigen Veranlagung oder abgabenmäßigen Freistellung auf außersteuerlichem Gebiete ergeben könnten, für die Entscheidung, ob eine Beschwer im Sinne des § 232 AO vorliegt, außer Betracht gelassen. Das steuerliche Rechtsmittelverfahren ist vom Gesetzgeber nicht dazu bestimmt, Streitfragen zum Austrag zu bringen, an denen der Steuerpflichtige nur zivilrechtliche oder wirtschaftliche Interessen hat (vgl. Riewald, Anm. 7 zu § 231 AO). Besonders deutlich ist dies in der Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 1009/34 vom 23. Januar 1935 (veröffentlicht in Mrozek-Kartei zur Reichsabgabenordnung 1931; Nr. 1 zu § 232 AO) zum Ausdruck gebracht worden. Danach ist das Rechtsmittelverfahren nur dann gegeben, wenn eine Steuerfestsetzung dem Steuerpflichtigen, gegen den sie sich richtet, unmittelbar oder mittelbar Nachteile durch eine zu hohe oder sonst unrichtige Steuer zufügt. Der Steuerpflichtige könnte daher im steuerlichen Rechtsmittelverfahren z. B. nicht geltend machen, daß ihn eine zu niedere Steuerfestsetzung in seiner Kreditwürdigkeit beeinträchtige oder ihm die Möglichkeit des Nachweises bürgerlich-rechtlicher Ansprüche erschwere. Diesen Grundsätzen ist der Reichsfinanzhof auch in seiner späteren Rechtsprechung gefolgt. Eine Ausnahme macht lediglich das Urteil des Reichsfinanzhofs III 148/38 vom 20. Oktober 1938 (RStBl 1938 S. 1155), nach dessen Inhalt die Erhöhung von Grundstückseinheitswerten im steuerlichen Rechtsmittelverfahren auch im Hinblick auf außersteuerliche Belange des Steuerpflichtigen angestrebt werden kann und insoweit für zulässig erachtet wird. Diese Entscheidung bezieht sich lediglich auf die Einheitsbewertung und wird vor allem damit gerechtfertigt, daß sich die Auswirkungen der Einheitsbewertung nicht auf das Steuerrecht beschränken, daß sie vielmehr nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift auch auf Gebiete des bürgerlichen Rechts übergreifen, zu denen insbesondere das Gebiet der Zwangsvollstreckung und die Bestimmungen über die Mündelsicherheitsgrenze zu rechnen sind. Diese Ausdehnung des Begriffes der Beschwer auf dem Gebiete der Einheitsbewertung ist auch vom Schrifttum gebilligt worden. Eine weitergehende Berücksichtigung außersteuerlicher Interessen wird aber nach wie vor von der herrschenden Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung mit Recht abgelehnt, da sonst eine Abgrenzung der steuerlichen Beschwer im Sinne des § 232 AO praktisch nicht mehr möglich wäre, vielmehr der gesetzliche Rahmen der Zuständigkeiten des steuerlichen Rechtsmittelverfahrens gesprengt würde. Wenn im Gegensatz dazu die Auffassung des Bf. zuträfe, würde sogar ein Steuerpflichtiger, dessen Unterhaltsrentenbezüge im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung von der Einkommensteuer befreit wurden, den Einkommensteuer-Freistellungsbescheid anfechten können, weil ihm diese Freistellung in einem Prozeß um die Zahlung der Unterhaltsrente oder in einem Rückforderungsprozeß möglicherweise zum Nachteil geriete. Eine solche Auslegung des Gesetzes würde indessen weit über die vom Gesetzgeber erstrebten Ziele des steuerlichen Rechtsmittelverfahrens hinausgehen. Sie ist deshalb unrichtig.
Im Streitfalle hängt die Entscheidung der zivilrechtlichen Streitfrage, die zwischen dem Bf. und dem am Verfahren Beteiligten, dem Direktor A., im Zivilprozeß ausgetragen wird, weniger von der Bejahung oder Verneinung der Abgabenpflicht im steuerlichen Rechtsmittelverfahren als vielmehr in erster Linie von der Auslegung des zwischen den Beteiligten geschlossenen Kaufvertrages ab. Zwar ist für die Auslegung dieses Vertrages und für die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen von wesentlicher Bedeutung, ob die dem dinglichen Recht zugrunde liegende Forderung im Verhältnis 10 : 1 auf DM umzustellen, oder ob sie durch Aufrechnung oder auf andere Weise zum Erlöschen gebracht worden ist. Für die Frage der Umstellung ist indessen nicht die abgabenrechtliche Entscheidung sondern die Entscheidung der Gerichte im Umstellungsverfahren präjudiziell. Allein diese Entscheidung, die im Streitfalle für das dingliche Recht bereits getroffen worden ist und der nach Ansicht des Oberlandesgerichts im vorliegenden Falle eine maßgebliche Bedeutung auch für die Umstellung der persönlichen Forderung zukommt, kann deshalb für das weitere zivilprozessuale Verfahren als maßgeblich betrachtet werden.
Da demnach insoweit eine Beschwer im Sinne des § 232 AO fehlt, und da andererseits die Tatsache, daß das Finanzamt von den Erklärungen des Bf. in seiner Hypothekengewinnabgabeerklärung abgewichen ist, jedenfalls deshalb eine Beschwer nicht verursachen konnte, weil die Abweichung auf steuerlichem Gebiete ausschließlich zum Vorteile des Bf. erfolgt ist, erweist sich die Rb. als unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409815 |
BStBl III 1961, 38 |
BFHE 1961, 98 |
BFHE 72, 98 |