Leitsatz (amtlich)
Ein Walzwerk bewirkt einen steuerbaren Umsatz, wenn es die bei der Verarbeitung von Halbzeug zu Walzwerkerzeugnissen entstandenen Eisenabfälle an die Hütte, von der es das Halbzeug erworben hat, gegen Zahlung des Schrott-Marktpreises zurückgibt. Dies gilt auch dann, wenn die Hütte die Materialrückstände ausdrücklich vom Verkauf ausgeschlossen hat.
Normenkette
UStG § 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1; UStDB § 2 Abs. 1, § 6; BGB §§ 93, 140; KRG Nr. 15 Art. II
Tatbestand
Die Stpfl., die bis zum ... 1959 Organ der ... AG war, verarbeitet in ihrem Betrieb fast ausschließlich das von der AG hergestellte Vormaterial. Mit Schreiben vom ... 1953 hat die AG der Stpfl. folgendes mitgeteilt:
"Wir nehmen Bezug auf die mit Ihnen gehabten Unterredungen und bitten Sie, davon Vormerkung zu nehmen, daß wir in Zukunft bei unseren Halbzeuglieferungen folgenden Vorbehalt machen müssen:
'Die bei der Verarbeitung dieses Materials anfallenden, für Sie unverwertbaren Materialabschnitte und sonstigen Reste sind nicht an Sie verkauft; diese Materialrückstände bleiben unser Eigentum und werden Ihnen daher bei der Gesamtabrechnung aller Halbzeuglieferungen mit dem Schrottpreis gutgeschrieben, sobald uns die zurückzugebenden Mengen bekannt sind.'
Wir bitten Sie darauf zu achten, daß die aus unseren Lieferungen anfallenden unverwertbaren Materialabschnitte und sonstigen Reste getrennt von solchen Mengen aufbewahrt werden, die bei der Verarbeitung von Material anfallen, welches Sie von dritter Seite bezogen haben."
Im Streitjahr stellte die AG der Stpfl. die Vormaterialien zum jeweiligen Marktpreis in Rechnung. Die Rückgabe des bei der Verarbeitung angefallenen Schrotts und Sinters wurde nicht mit der einzelnen Halbzeuglieferung, sondern mit den innerhalb eines Monats getätigten Halbzeuglieferungen verrechnet, und zwar zum Schrott-Marktpreis. Zu diesem Zweck übersandte die Stpfl. an die AG eine mengen- und wertmäßige Zusammenstellung des in einem Monat zurückgegebenen Schrotts und Sinters. Die AG überprüfte diese Zusammenstellung und schrieb der Stpfl. den ihr zustehenden Betrag gut. Die Gutschrift trug folgenden Vermerk:
"Gemäß der mit Ihnen getroffenen Vereinbarung haben wir das an Sie gelieferte Vormaterial nur insoweit verkauft, als es in ihrer Produktion verwertbar ist. Alle Abfälle gelten also als nicht verkauft. Wir berichtigen daher die Ihnen für Vormateriallieferungen im Monat ... 1958 berechneten Marktpreise um den Wert des Schrotts und haben Ihrem Konto infolgedessen den zuviel berechneten Betrag von insgesamt ... gutgeschrieben. "
Streitig ist, ob die Stpfl. im ersten Kalendervierteljahr 1958 mit der Rückgabe der Eisenabfälle, die durch die Verarbeitung des Vormaterials entstanden sind, umsatzsteuerpflichtig ist.
Die Stpfl. hat die Rückgabe der Abfälle nicht der Umsatzsteuer unterworfen, weil die Abfälle von der AG gar nicht geliefert worden seien.
Diese steuerliche Behandlung wurde bei einer im Jahre 1959 bei der Stpfl. stattgefundenen Betriebsprüfung vom Prüfer beanstandet. Der Prüfer nahm an, daß die AG an die Stpfl. das gesamte Vormaterial geliefert habe und daß deshalb die Rückgabe des Schrotts an die AG eine Lieferung der Stpfl. darstelle.
Das FA schloß sich der Auffassung des Prüfers an und berichtigte den ergangenen Steuerbescheid. Der ursprüngliche Steuerbescheid und der Änderungsbescheid für 1958 erstreckten sich im Hinblick auf Artikel II des Kontrollratgesetzes (KRG) Nr. 15 vom 11. Februar 1946 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S. 75) nur auf das erste Kalendervierteljahr.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das FG hielt eine Anwendbarkeit des § 6 UStDB nicht für gegeben und lehnte auch die Annahme einer durch die Rückgabe der Abfälle umfänglich beschränkten Lieferung der AG ab. Es vertrat außerdem die Auffassung, daß eine teilweise Rückgängigmachung der Lieferung (§ 12 UStG) nicht angenommen werden könne.
Hiergegen richtet sich die Rb. der Stpfl., die gemäß § 184 Abs. 2 FGO als Revision zu behandeln ist. Diese wird auf unrichtige Rechtsanwendung, ungenügende Sachaufklärung und Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten gestützt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die für die Revisionsinstanz bindend sind (vgl. § 118 Abs. 2 FGO), hat die AG der Stpfl. das Vormaterial (Halbzeug) zur Verarbeitung zu Walzwerkerzeugnissen übergeben. Es stand der Stpfl. frei, dieses Material entsprechend ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen nach eigenem Gutdünken zu verarbeiten. Sie war hinsichtlich der Verarbeitung des Vormaterials und des Verkaufs der Walzwerkerzeugnisse an keine Weisungen der AG gebunden. Es lag im Interesse beider Vertragsteile, wenn die Stpfl. das Vormaterial so rationell wie möglich ausnutzte. Sie hätte nicht gegen die Vereinbarung vom ... 1953 verstoßen, wenn sie das Material - sofern dies technisch möglich gewesen wäre - restlos aufgebraucht hätte. Da somit die AG die Stpfl. befähigt hatte, in vollem Umfange über das Vormaterial zu verfügen (§ 2 Abs. 1 UStDB), hat die AG der Stpfl. das gesamte Vormaterial geliefert.
Der Annahme der Stpfl., die Lieferung des Halbzeugs habe sich auf denjenigen Teil des Materials beschränkt, den sie zur Verarbeitung zu Walzwerkerzeugnissen benötigte, die bei der Verarbeitung entstandenen Abfälle seien nicht mitgeltefert worden, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Vormaterialien einschließlich der bei der späteren Verarbeitung zu erwartenden, im Zeitpunkt der Übergabe an die Stpfl. ihrem Umfange (Menge und Gewicht) nach unbestimmten Reste bilden eine einheitliche Sache. Es ist nicht möglich, daß sich der Lieferer an einem unbestimmten und nicht bestimmbaren Teil des einheitlichen Liefergegenstandes die Verfügungsmacht vorbehält. Der zwischen den Vertragspartnern vereinbarte "Eigentumsvorbehalt" der AG an den Vormaterialrückständen, auf den die Stpfl. in der mündlichen Verhandlung besonders hingewiesen hat, vermag an der Rechtslage nichts zu ändern. Nach § 93 BGB können Bestandteile einer Sache, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne daß der eine oder andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird (wesentliche Bestandteile), nicht Gegenstand besonderer Rechte sein. Der "Eigentumsvorbehalt" der AG an den bei der späteren Verarbeitung entstehenden Materialrückständen, mithin an einem im Zeitpunkt der Übergabe nach Menge und Gewicht unbekannten Teil des Vormaterials war daher rechtsunwirksam. Er kann - wie das FG zutreffend angenommen hat - gemäß § 93 BGB in Verbindung mit § 140 BGB nur als schuldrechtliche Verpflichtung zur Rückgabe des Schrotts beurteilt werden.
Der Senat hat geprüft, ob es möglich ist, die Verarbeitung des Vormaterials als eine im Einverständnis mit dem Lieferer vom Abnehmer durchgeführte Zuteilungsmaßnahme, d. h. als eine Maßnahme anzusehen, durch die der Umfang der Lieferung der AG an die Stpfl. durch diese bestimmt wurde. Von sachverhaltsmäßigen Bedenken abgesehen scheitert diese Annahme daran, daß die Rückgabe der bei der Verarbeitung angefallenen Rückstände nicht mit der einzelnen Halbzeuglieferung, sondern mit den innerhalb eines Monats getätigten Halbzeuglieferungen verrechnet wurde, vor allem aber daran, daß die zurückgegebenen Rückstände nicht mehr Halbzeug, sondern Gegenstände anderer Wesensart (Marktgängigkeit), nämlich Schrott und Sinters, waren. Dies ergibt sich aus der veränderten äußeren Beschaffenheit der Gegenstände und aus der Zugrundelegung anderer als der beim Verkauf des Halbzeugs vereinbarten Preise (Schrott-Marktpreise statt Marktpreise der bestellten Vormaterialien). Wegen der Änderung der Wesensart der gelieferten Gegenstände kann auch nicht eine Rückgängigmachung des Umsatzes in dem Umfange, in dem Rückstände zurückgegeben wurden, angenommen werden.
Es liegt auch kein "Sonderfall der Lieferung" gemäß § 6 UStDB vor. Nach dieser Vorschrift, die auf die Rechtsprechung des RFH (vgl. die Urteile VA 87/25 vom 8. Mai 1925, RFH 16, 195, RStBl 1925, 120, und VA 276/25 vom 20. November 1925, RFH 17, 316, RStBl 1926, 14) zurückgeht, beschränkt sich die Lieferung auf den Gehalt des Gegenstandes an den Bestandteilen, die dem Abnehmer verbleiben (z. B. auf den Fettgehalt der Milch bei Rückgabe der Magermilch, auf den Zuckergehalt der Rüben bei Rückgabe der Rübenschnitzel), wenn der Abnehmer dem Lieferer die Nebenerzeugnisse oder Abfälle, die bei der Be- oder Verarbeitung des übergegebenen Gegenstandes entstehen, zurückzugeben hat. Zwar sind die Materialrückstände, die bei der Verarbeitung des Halbzeugs entstehen, als "Abfälle" im Sinne dieser Vorschrift anzusprechen. § 6 UStDB setzt aber voraus, daß sich der übergebene Gegenstand in qualitiativ verschiedene Bestandteile (Stoffe) zerlegen läßt, und daß dem Abnehmer nur der Gehalt des Hauptstoffes (z. B. Zuckergehalt, Milchfettgehalt), an dem er allein interessiert ist, geliefert werden soll, während der Nebenstoff ("Nebenerzeugnis", "Abfall" - z. B. Rübenschnitzel, Magermilch) dem Lieferer, der hieran interessiert ist, zurückzugeben ist. Der Landwirt baut die Rüben zu einem doppelten Zweck an: a) er erzeugt den Zuckergehalt zum Verkauf, b) er braucht die nach dem Entzug des Zuckergehalts verbleibenden Rübenschnitzel zum Füttern seines Viehs. Die Zuckerfabrik will nur den Zuckergehalt erwerben. Die Sonderregelung des § 6 UStDB trägt dieser Sachlage dadurch Rechnung, daß umsatzsteuerrechtlich eine auf den Gehalt an Hauptstoffen (z. B. Zuckergehalt, Milchfettgehalt) beschränkte Lieferung angenommen wird.
Im Streitfalle ist nur ein einziger Stoff (Halbzeug) vorhanden, der nicht in ideell-qualitative, sondern in quantitative Teile zerlegt wird. Die bei der Verarbeitung des Halbzeugs anfallenden Abfälle enthalten dieselben chemischen Bestandteile wie die aus dem Halbzeug hergestellten Walzwerkerzeugnisse. Auch die Interessenlage ist eine andere. Die Hütte mag daran interessiert sein, die Rückstände, die sie ohne weitere Be- oder Verarbeitung sofort wieder einschmelzen kann, vom Walzwerk zurückzuerhalten. Sie ist aber - anders als der Landwirt bei der Zuckerrüben und bei der Milch - nicht von vornherein darauf aus, Nebenerzeugnisse oder Abfälle für eigene Zwecke herzustellen. Die unterschiedliche Interessenlage spiegelt sich auch in der Preisberechnung wider. Während sich beim "Sonderfall der Lieferung" der Preis nach dem Gehalt der dem Abnehmer verbleibenden Bestandteile richtet, werden die Preise für Halbzeug einerseits und Halbzeugabfälle andererseits nach den unterschiedlichen Material-Marktpreisen und Schrott-Marktpreisen bemessen und miteinander verrechnet. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß bei der Gehaltslieferung gemäß § 6 UStDB der Liefergegenstand (z. B. Zuckergehalt, Milchfettgehalt) von vornherein bestimmt oder leicht bestimmbar ist, während die Halbzeugabfälle je nach dem Fabrikationsprogramm des Walzwerks variieren und erst nach der Verarbeitung mengen- und gewichtmäßig feststellbar sind. Aus allen diesen Gründen kann § 6 UStDB, der nicht - wie die Stpfl. meint - einen weitergefaßten, sondern einen anderen Tatbestand regelt, auf den Streitfall weder unmittelbar noch mittelbar angewendet werden.
Die Stpfl. kann sich auch nicht auf die damals zwischen ihr und der AG bestehende Organschaft berufen. Art. II KRG Nr. 15 hat die Organschaft zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften umsatzsteuerrechtlich aufgehoben. Wie sich aus dem Urteil des BFH V 17/52 S vom 17. Juli 1952 (BFH 56, 604, BStBl III 1952, 234) ergibt, ist nach dem KRG für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung davon auszugehen, daß bis zur Wiedereinführung der Organschaft durch Art. 2 des Neunten Gesetzes zur Änderung des UStG vom 18. Oktober 1957 (BGBl I 1957, S. 1743, BStBl I 1957, 506) zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft ein Organschaftsverhältnis nicht mehr bestand. Der Senat hat in dem genannten Urteil die Auffassung, daß durch das KRG im Rahmen der an sich fortbestehenden Organschaft lediglich eine Besteuerung der sog. Innenumsätze zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften eingeführt worden sei, ausdrücklich abgelehnt. Bei der Beurteilung des Sachverhalts ist daher davon auszugehen, daß die Stpfl. z. Zt. der streitigen Lieferungen umsatzsteuerrechtlich selbständig war. Daraus folgt, daß es für die Bestimmung des Umfangs der Lieferung auch nicht darauf ankommt, daß die Stpfl. keinen von dem Willen der AG abweichenden Willen gehabt haben kann. Mit der gleichen Begründung müßte sonst für den Geltungsbereich des KRG jeder Lieferungswille innerhalb eines Organkreises und damit das Vorhandensein von Lieferungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verneint werden. Für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung ist vielmehr davon auszugehen, daß nach der tatsächlichen Abwicklung der Geschäfte das Halbzeug an die Stpfl. geliefert und der Schrott an die AG zurückgeliefert worden ist.
Verstöße gegen die Grundsätze der Beweisführung und gegen die Aufklärungspflicht sind nicht erkennbar. Die Stpfl. selbst hat den für die rechtliche Beurteilung erforderlichen Sachverhalt eingehend vorgetragen.
Die Revision war hiernach als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 412870 |
BStBl II 1968, 251 |
BFHE 1968, 552 |