Leitsatz (amtlich)
Das Entgelt für den Erwerb eines Betriebs im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 7 EStG kann darin bestehen, daß der Erwerber den früheren Betriebsinhaber lediglich von Verbindlichkeiten freizustellen hat.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 7; EStDV § 7 Abs. 1
Tatbestand
Die Revisionskläger und Kläger sind Eheleute, die der Revisionsbeklagte (das FA) im Streitjahr 1965 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt hat. Der Kläger (ein Fliesenlegermeister) erwarb durch Vertrag vom 24. März 1965 von den Erben eines am 3. März 1965 verstorbenen Kaufmanns dessen Unternehmen, das den Großhandel mit Wand- und Bodenfliesen und die Fliesenverlegung zum Gegenstand hatte. Der Vertrag kam unter Mitwirkung des Rechtsanwalts und Notars Dr. H. zustande und enthielt u. a. folgende Vereinbarungen:
"2. Der Übergang des Unternehmens erfolgt mit sofortiger Wirkung unter Übernahme aller Passiven und Aktiven. Eine darüber hinausgehende Vergütung ist von dem Erwerber nicht zu zahlen. Andererseits verpflichtet sich der Erwerber, die veräußernden Erben von allen im Zusammenhang mit dem Unternehmen entstandenen Verbindlichkeiten freizuhalten.
3. Zwischen den Vertragschließenden besteht Einvernehmen darüber, daß der Schuldsaldo bei der Kreissparkasse aus der dieser in begrenztem Umfang verpfändeten Lebensversicherung abgedeckt werden muß. Dieser Saldo beträgt etwa DM 22 500."
In der Eröffnungsbilanz zum 26. März 1965 übernahm der Kläger die Werte aus der für den 25. März 1965 von einem Steuerberater aufgestellten Schlußbilanz der Erben mit der Maßgabe, daß er unter den Aktiven zusätzlich die Forderung an die Erben in Höhe von 22 500 DM ansetzte und den aus der Schlußbilanz der Erben übernommenen Wert des Kapitalkontos in seiner Eröffnungsbilanz um diesen Betrag erhöhte. Er hält die Fortführung der Buchwerte unter Berufung auf § 7 Abs. 1 EStDV für zulässig. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung setzte das FA bei der erstmaligen Einkommensteuerveranlagung für 1965 die Summe der Aktivposten auf die Höhe der Summe der passivierten Verbindlichkeiten herab, da ein entgeltlicher Erwerb vorliege und deshalb die Aktiva höchstens mit den Anschaffungskosten angesetzt werden dürften (§ 6 Abs. 1 Nr. 7 EStG).
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Urteil des FG ist auszugsweise in den EFG 1969, 338 veröffentlicht.
Die Revision hat keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Bei Übergang eines Betriebs auf den neuen Inhaber richtet sich die Bewertung der Wirtschaftsgüter in dessen - für den Vermögensvergleich (§§ 4, 5 EStG) des ersten Jahres aufzustellenden - Eröffnungsbilanz danach, ob ein entgeltlicher oder ein unentgeltlicher Erwerb stattgefunden hat. Im ersten Fall dürfen die Wirtschaftsgüter höchstens mit den Anschaffungskosten angesetzt werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Bei einem unentgeltlichen Erwerb hingegen fehlen Anschaffungskosten. Daher sind in die Anfangsbilanz des Erwerbers die Werte aus der Schlußbilanz des früheren Betriebsinhabers als fiktive Anschaffungskosten (Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 10. Aufl., 1972, § 6 Anm. 47; Hermann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 6 EStG Anm. 42) unverändert zu übernehmen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EStDV). Diese für den Erwerber geltenden Vorschriften und die für den früheren Betriebsinhaber anzuwendenden Gewinnermittlungsvorschriften sind aufeinander abgestimmt. Führt bei unentgeltlicher Betriebsübertragung der Erwerber die Buchwerte fort, so finden - wie sich aus § 7 Abs. 1 Satz 1 EStDV ergibt - beim Übertragenden weder eine Realisierung der im Betrieb enthaltenen stillen Reserven noch eine Verlustrealisierung statt. Bei einer entgeltlichen Betriebsübertragung dagegen, d. h. bei einer Betriebsveräußerung im Sinne von § 16 EStG (vgl. Urteil des BFH IV 201/65 vom 23. April 1971, BFH 102, 488, BStBl II 1971, 686, und Hermann-Heuer, a. a. O., § 16 EStG Anm. 8 bis 18), ergibt sich beim Veräußerer je nach der Höhe des - beim Erwerber Anschaffungskosten bildenden - Entgelts ein Veräußerungsgewinn oder (wegen höherer Buchwerte des Veräußerers) ein Veräußerungsverlust, der einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen ist. Dies gilt auch, wenn ein ererbter Gewerbebetrieb sofort von den Erben verkauft wird (vgl. BFH-Urteil VI R 208/67 vom 21. März 1969, BFH 96, 19 [21], BStBl II 1969, 520).
Verpflichtet sich ein Erwerber, den bisherigen Betriebsinhaber von dessen im Betrieb begründeten Verbindlichkeiten freizustellen, so kann der Wert dieser Verbindlichkeiten den Veräußerungsgewinn des Veräußerers (vgl. Littmann, a. a. O., § 16 Anm. 28 und 29) und entsprechend die Anschaffungskosten des Erwerbers (vgl. Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., 1971, § 6 Anm. 32, S. 840) erhöhen. Im kaufmännischen Leben besteht der Kaufpreis oft zum Teil darin, daß der Erwerber sich verpflichtet, Schulden des Veräußerers zu übernehmen, d. h. dessen Verbindlichkeiten zu tilgen und keinen Ausgleichsanspruch gegen den Veräußerer zu erheben. Wenn im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Betriebs im ganzen der neue Betriebsinhaber ausschließlich Verbindlichkeiten übernimmt und keine weiteren (Bar-)Leistungen erbringt, so kann dieser Fall nicht - wie die Kläger begehren - in der Weise beurteilt werden, daß die Leistung des Veräußerers als um den Wert der Verbindlichkeiten gemindert anzusehen sei, d. h. nur aus dem Saldo von Aktiva und Passiva bestehe, so daß das Vorhandensein eines Entgelts begrifflich ausscheide.
Ob Vertragspartner nach den Vorschriften über die unentgeltliche (§ 7 Abs. 1 EStDV) oder die entgeltliche (§ 6 Abs. 1 Nr. 7 und § 16 EStG) Betriebsübertragung zu besteuern sind, richtet sich danach, ob sich bei Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls - wirtschaftlich gesehen - das Gesamtbild eines entgeltlichen Geschäfts ergibt. Dies ist dann der Fall, wenn Leistung und Gegenleistung nach kaufmännischen Gesichtspunkten abgewogen wurden. Im Gegensatz zu einer Betriebsübertragung von Eltern auf Kinder im Rahmen einer vorweggenommenen Erbregelung (vgl. BFH-Urteil IV 201/65, a. a. O.) besteht unter einander fremden Personen im allgemeinen keine Veranlassung zu einer unentgeltlichen Zuwendung. Bei Verträgen zwischen fremden Personen spricht daher eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen eines entgeltlichen Geschäfts, wenn die Werte der den Parteien nach dem Vertrag zukommenden Vorteile (Leistungen) nicht in einem Mißverhältnis zueinander stehen.
Im Streitfall rechtfertigen die vom FG festgestellten Tatsachen dessen Schlußfolgerung, daß ein objektives Mißverhältnis zwischen der Leistung der Erben und der Gegenleistung des Klägers fehle und daß die Vertragspartner bei den Vertragsverhandlungen um ein möglichst ausgewogenes Verhältnis der beiderseitigen Leistungen bemüht gewesen seien und demnach den Übertragungsvorgang zu Recht als Verkauf bezeichnet hätten. Zu der Frage, was die Erben zur Übertragung veranlaßt hat und wie sie den Wert des Unternehmens eingeschätzt haben, hat die Vorinstanz festgestellt, daß der Betrieb im Zeitpunkt des Vertragsschlusses illiquide gewesen sei und kurz vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch gestanden habe. Das FG hat dabei die - aus der Bilanz ersichtliche - ungünstige Liquiditätslage und die - aus einem Verlust im ersten Quartal 1965 erkennbare - schlechte Ertragslage berücksichtigt. Entscheidend werden seine Feststellungen durch die von den Klägern vorgelegte schriftliche Erklärung des Dr. H. gestützt, in der dieser die Gründe dargelegt hat, welche die Erben zum Abschluß des Vertrags vom 24. März 1965 bewogen haben. Danach haben sich die Erben in der fast unlösbaren Zwangslage befunden, das Unternehmen abzuwickeln oder zu verkaufen, wenn sie nicht das Risiko eines hohe Verluste auslösenden Zusammenbruchs eingehen wollten. Der Zusammenbruch wurde vermieden durch das alsbaldige Auftreten eines Interessenten, dem gegenüber der Hauptgläubiger bereit war, Stundung zu gewähren. Außerdem waren Bauten teilweise noch nicht abgerechnet und weitgehend noch nicht abgenommen. Ferner bestanden Gewährleistungsdifferenzen von nicht übersehbaren finanziellen Auswirkungen. In dieser Lage verzichteten die Erben auf Honorierung des bilanzmäßigen Aktivvermögens gegen Freistellung von allen Risiken ohne Rücksicht darauf, auf welchen Wert sich diese endgültig belaufen würden. Ohne Rechtsirrtum hat das FG die Tatsache, daß dem Kläger, der den Erben als Fremder gegenüberstand, zur Abdeckung einer betrieblichen Bankschuld außerdem 22 500 DM von der Lebensversicherungssumme des Erblassers versprochen wurden, als Beweisanzeichen dafür gewertet, daß eine höhere Gegenleistung nicht erzielbar gewesen wäre. Es konnte auch aus dem Umstand, daß der Übergabevertrag wegen der Beteiligung eines Minderjährigen der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurfte, den Schluß ziehen, daß die Erben eine unter den gegebenen ungünstigen Umständen angemessene Gegenleistung erzielen wollten.
Da nach alledem der Kläger den Betrieb entgeltlich erworben hat, mußte er seine Eröffnungsbilanz unter Beachtung von § 6 Abs. 1 Nr. 7 EStG aufstellen. Nach dieser Vorschrift sind die Wirtschaftsgüter mit dem Teilwert, höchstens jedoch mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen. Die Buchwerte in der Schlußbilanz des früheren Betriebsinhabers sind ohne rechtliche Bedeutung, da in der Eröffnungsbilanz eine Neubewertung erfolgen muß. Zunächst sind die Teilwerte zu ermitteln. Liegen die Teilwerte der Aktiva über den Anschaffungskosten, weil sie durch einen sogenannten negativen Geschäftswert gemindert sind, so müssen auch sie aufgrund der Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 7 EStG auf die Höhe der Anschaffungskosten herabgesetzt werden (vgl. Blümich-Falk, a. a. O.; Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., 1968, Bd. I, § 153 Tz. 50 ff.; Herrmann-Heuer, a. a. O., § 6 EStG Anm. 38, E 448 f. und § 16 EStG Anm. 60, E 116 ff., sowie Urteil des RFH VI 704/37 vom 23. März 1938, RStBl 1938, 639, betreffend das Ausscheiden eines Gesellschafters mit Abfindung unter dem Nominalbetrag seines Kapitalkontos). Im Veräußerungsvertrag hatten die Vertragsparteien für die Gegenleistung und die erworbenen Aktiva keine Werte genannt. Daher mußte der - als Summe der in der Eröffnungsbilanz zu berücksichtigenden Schuldposten ermittelte (Herrmann-Heuer, a. a. O., § 16 EStG Anm. 60, E 119) - Wert der Gegenleistung nach dem Grundsatz der Einzelbewertung auf die einzelnen aktiven Wirtschaftsgüter verteilt werden. Diese Aufteilung ist eine Frage der Schätzung im Sinne von § 217 AO (BFH-Urteil VI 320/64 vom 28. März 1966, BFH 85, 433, BStBl III 1966, 456), die im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegt. Das FG hat festgestellt, daß Einwendungen gegen die vom Betriebsprüfer vorgenommene Bewertung der einzelnen Aktivposten von den Klägern nicht erhoben worden sind und sich auch nicht aus den Akten ergeben hätten. Unter diesen Umständen bestand für das FG kein Anlaß zu einer Änderung der Wertansätze. Die Kläger haben die Vorentscheidung in diesem Punkt nicht angegriffen.
Fundstellen
Haufe-Index 413261 |
BStBl II 1972, 696 |
BFHE 1972, 71 |