Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinnützigkeit eines Vereins mit religiöser Zielrichtung
Leitsatz (NV)
1. Der Begriff "Förderung der Allgemeinheit" in § 52 Abs. 1 Satz 1 AO wird wesentlich geprägt durch die objektive Wertordnung, wie sie insbesondere im Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG zum Ausdruck kommt.
2. Ein Verein, der sich zur art- und wesensgemäßen Ungleichheit von Menschen bekennt und dessen Mitglieder sich im Lebenskampf mit anderen "Arten" sehen, steht im Widerspruch zum Wertesystem der Grundrechte und ist daher auch dann nicht gemeinnützig, wenn er eine Religionsgemeinschaft ist. Dies verletzt weder den Gleichheitssatz noch die Religionsfreiheit.
Normenkette
KStG § 5 Abs. 1 Nr. 9; AO 1977 §§ 52, 54 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein im Jahr 1957 in das Vereinsregister eingetragener Verein. Er ist der Auffassung, dass er in den Jahren 1997 und 1998 wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke von der Körperschaftsteuer befreit war.
In der Satzung des Klägers heißt es u.a.:
"2. Zweck und Ziel
Die Artgemeinschaft ist eine Religionsgemeinschaft, deren religiöse Grundlage das verabschiedete Artbekenntnis bildet.
Sie ist überparteilich und unabhängig und verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der Abgabenordnung (AO) und ist selbstlos tätig.
Insbesondere bezweckt sie
--die Verwirklichung einer wesensgemäßen Daseinsgestaltung und Lebensführung im Artsinne
--eine neue Bindung des Menschen an die ewigen Gesetze der Natur.
…
Religion im Verständnis der Artgemeinschaft bedeutet eine undogmatische Einstellung zu allen Lebensfragen, wobei die Glaubensüberzeugungen anderen nicht aufgedrängt werden, da es darum geht, Verständnis für das menschliche Miteinander zu wecken. Diesen Zielen will sie dienen, insbesondere durch Herausgabe der '… Zeitung' und sonstiger Schriften, durch Vorträge und Diskussionen, durch die Gestaltung von Feiern, Festen und anderen Formen sinnerfüllten Gemeinschaftslebens sowie durch Schaffung von Gemeinschaftsstätten.
…
3. Mitgliedschaft
Ordentliches Mitglied kann jede natürliche Person werden, die die Grundgedanken der Artgemeinschaft bejaht, ihre Anforderungen für die Mitgliedschaft erfüllt und keiner anderen Bekenntnis- oder Religionsgemeinschaft angehört.
…
16. Artbekenntnis
1. Alles Leben wirkt nach Naturgesetzen. Uns offenbart sich das Göttliche in diesen ewigen, ehernen Gesetzen, gegen die zu verstoßen widersinnig ist. Wir bekennen uns zu einem Leben im Einklang mit den Naturgesetzen.
2. Kampf ist Teil des Lebens; er ist naturnotwendig für alles Werden, Sein und Vergehen. Jeder Einzelne von uns wie unsere gesamte Art steht in diesem Ringen. Wir bekennen uns zu diesem nie endenden Lebenskampf.
3. Die Menschenarten sind verschieden in Gestalt und Wesen. Diese Verschiedenheit ist sinnvolle Anpassung an die unterschiedlichen Naturräume. Wir bekennen uns zur Erhaltung und Förderung unserer Menschenart als höchstem Lebensziel, denn auch sie ist eine Offenbarung des Göttlichen.
…
7. Sitte und Brauch sind Bestandteil jeder religiösen Gemeinschaft. Wir bekennen uns zum … Kulturerbe und dessen Weiterentwicklung.
…
12. Der Mensch ist unsterblich in den Nachkommen und Verwandten, die sein Erbe teilen. Nur sie können unsere von den Ahnen erhaltenen Anlagen verkörpern. Wir bekennen, dass der höchste Sinn unseres Daseins die reine Weitergabe unseres Lebens ist."
Bestandteil der vom Kläger satzungsgemäß herausgegebenen "… Zeitung", die er auch über seine Internetseite veröffentlicht, ist eine jeweils gleichartig gestaltete Rubrik, in der sich der Kläger beschreibt und in der der Leser in den Streitjahren wie folgt angesprochen wurde: "Wenn Sie keiner Bekenntnis- oder Religionsgemeinschaft angehören und sich neu binden wollen, das 'Artbekenntnis' und das 'Sittengesetz unserer Art' voll bejahen sowie überwiegend … Menschenart verkörpern, können Sie Antrag auf Aufnahme als Mitglied in die Artgemeinschaft stellen."
Da der Kläger der Auffassung war, er sei gemeinnützig, gab er keine Körperschaftsteuererklärung ab. Das Finanzamt A (FA A) erließ für die Jahre 1997 und 1998 Körperschaftsteuerbescheide, in denen es jeweils die Körperschaftsteuer auf 0 DM festsetzte. In den Anlagen zu den Bescheiden heißt es, dass der Verein nach der derzeit gültigen Satzung nicht ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolge.
Die hiergegen nach erfolglosen Einsprüchen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 158 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts (§§ 52, 54 der Abgabenordnung --AO 1977--, § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG--, Art. 3 und 4 des Grundgesetzes --GG--).
Der Kläger beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) und die Körperschaftsteuerbescheide für 1997 und 1998 vom 21. Oktober 1999 und vom 26. Januar 2000 sowie die Einspruchsentscheidungen vom 18. Dezember 2000 und vom 3. Juli 2001 ersatzlos aufzuheben.
Während des Revisionsverfahrens hat sich die Zuständigkeit der Finanzämter geändert. Es hat ein gesetzlicher Beklagtenwechsel auf den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) stattgefunden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Zutreffend hat das FG die Klage als zulässig erachtet, obwohl die festgesetzte Steuer 0 DM beträgt. Über die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG ist im Körperschaftsteuerveranlagungsverfahren zu entscheiden. Durch Erlass der Körperschaftsteuerbescheide hat das FA A die Steuerbefreiung versagt. Dadurch ist der Kläger beschwert (Senatsurteil vom 21. Oktober 1999 I R 14/98, BFHE 190, 372, BStBl II 2000, 325, m.w.N.).
2. Das FG hat auch zu Recht entschieden, dass der Kläger nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG steuerbefreit ist.
Nach dieser Vorschrift sind von der Körperschaftsteuer befreit Körperschaften, die nach der Satzung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO 1977).
a) Der Kläger verfolgt keine kirchlichen Zwecke, denn er fördert keine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Dies setzt aber § 54 Abs. 1 AO 1977 voraus.
b) Der Kläger ist auch nicht gemeinnützig.
aa) Nach § 52 Abs. 1 AO 1977 verfolgt eine Körperschaft gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Gemäß § 52 Abs. 2 AO 1977 in der für die Streitjahre geltenden Fassung sind unter den Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 AO 1977 als Förderung der Allgemeinheit insbesondere die dort genannten Tätigkeiten, darunter die Förderung der Religion (§ 52 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977), anzusehen.
Wie das FG zutreffend unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteile vom 13. Dezember 1978 I R 39/78, BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482; vom 29. August 1984 I R 215/81, BFHE 142, 243, BStBl II 1985, 106, sowie BFH-Beschluss vom 16. Oktober 1991 I B 16/91, BFH/NV 1992, 505) ausführt, wird der Sinngehalt des unbestimmten Rechtsbegriffes "Förderung der Allgemeinheit" in § 52 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 wesentlich geprägt durch die objektive Wertordnung, wie sie insbesondere im Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG zum Ausdruck kommt. Eine Tätigkeit, die mit diesen Wertvorstellungen nicht vereinbar ist, ist keine Förderung der Allgemeinheit.
bb) Der Kläger fördert danach die Allgemeinheit nicht.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger eine Religionsgemeinschaft ist. Das Bekenntnis zur art- und wesensgemäßen Ungleichheit von Menschen ("Artbekenntnis Nr. 3"), zur "Erhaltung und Förderung unserer Menschenart" als höchstem Lebensziel, zu einem nie endenden Lebenskampf, in dem jeder Einzelne wie "unsere gesamte Art steht", widerspricht dem Wertsystem der Grundrechte, das vom Gegenteil, nämlich der wesensgemäßen Gleichheit aller Menschen ausgeht (Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 GG). Ein Verein, der dies in Abrede stellt und dessen Mitglieder sich im Lebenskampf mit anderen "Arten" sehen, ist nicht gemeinnützig.
Der Kläger hat keinen aus Art. 3 Abs. 1 GG ableitbaren Anspruch auf Gleichbehandlung mit steuerbefreiten Religionsgemeinschaften. Es ist sachlich gerechtfertigt, die Gemeinnützigkeit einer Religionsgemeinschaft an die Voraussetzung zu knüpfen, dass sich ihre Wertvorstellungen und Ziele mit der Wertordnung des GG nicht im Widerspruch befinden. Der Kläger, unterstellt, er ist eine Religionsgemeinschaft, wird hierdurch auch nicht in seinem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt. Die Glaubensfreiheit umfasst die (innere) Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben und die äußere Freiheit, den Glauben zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 19. Oktober 1971 1 BvR 387/65, BVerfGE 32, 98); ferner gehört zur Religionsfreiheit die religiöse Vereinigungsfreiheit (BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 1991 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341). Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger durch die Ablehnung als gemeinnützig in diesen Rechten beeinträchtigt wird. Die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gewährleistet keine Teilhabe an bestimmten steuerlichen Privilegien.
Fundstellen
Haufe-Index 1407442 |
BFH/NV 2005, 1741 |
HFR 2005, 1194 |