Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlegungsbeschluß vom 08.09.1988 - IV R 66/87
Leitsatz (amtlich)
Dem Großen Senat wird gemäß § 11 Abs.4 FGO folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Kann eine Kontokorrentverbindlichkeit, die sowohl durch betrieblich als auch durch privat veranlaßte Überweisungs- und Auszahlungsvorgänge entstanden ist, bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn nach § 4 Abs.3 EStG ermittelt, in vollem Umfang Betriebsschuld sein mit der Folge, daß die hierauf entfallenden Zinsaufwendungen Betriebsausgaben sind?
Orientierungssatz
1. Das Bankkonto selbst ist kein Wirtschaftsgut; es dient nur als Rechnungsabschlußgrundlage (Literatur).
2. Die Gewinnermittlungsarten nach § 4 Abs. 1 EStG bzw. § 5 Abs. 1 EStG und nach § 4 Abs. 3 EStG müssen auf Dauer gesehen (d.h. von der Eröffnung bis zur Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs) grundsätzlich zu demselben (Total-)Ergebnis führen (vgl. BFH-Urteil vom 16.1.1975 IV R 180/71). Die in § 4 Abs. 3 EStG enthaltenen Lücken sind deshalb so auszufüllen, daß bei der Überschußrechnung das gleiche Totalergebnis erreicht wird wie bei der bilanziellen Gewinnermittlung (Literatur).
3. Zum Betriebsvermögen eines Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, gehören auch Verbindlichkeiten. Sie werden bei dieser Gewinnermittlungsart in der Weise berücksichtigt, daß die auf die betrieblichen Verbindlichkeiten entfallenden Zinsaufwendungen als Betriebsausgaben abgezogen werden können und daß der Erlaß einer betrieblichen Verbindlichkeit aus betrieblichen Gründen als Betriebseinnahme zu werten ist (Literatur).
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, 3, § 12 Nr. 1; FGO § 11 Abs. 4; EStG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
A. Sachverhalt
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Facharzt. Er unterhält eine freiberufliche Arztpraxis. Seinen Gewinn ermittelt er durch Einnahmen-Überschuß-Rechnung gemäß § 4 Abs.3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Er unterhielt in den Streitjahren 1979 und 1981 bei einer Bank ein Kontokorrentkonto, über das die beruflichen, daneben aber auch private Zahlungsvorgänge abgewickelt wurden. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für die Jahre 1979 und 1981 machte er die von ihm aufgewendeten Kontokorrentzinsen als Betriebsausgaben geltend.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte den Abzug der Zinsen nur teilweise an. Er vertrat die Auffassung, nur die betrieblich veranlaßten Zinsaufwendungen seien als Betriebsausgaben abziehbar, während die Zinsen, die durch private Entnahmen veranlaßt worden seien, nicht abgezogen werden könnten.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte im Streitpunkt Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteil vom 23.Juni 1983 IV R 185/81, BFHE 139, 56, BStBl II 1983, 723) könne zwar im Falle einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG nur der Teil der Zinsaufwendungen als Betriebsausgaben abgezogen werden, der auf den aus betrieblichen Gründen veranlaßten Kredit entfalle. Im Gegensatz hierzu sei aber bei der Gewinnermittlung nach §§ 4 Abs.1, 5 Abs.1 EStG der Saldo eines für betrieblichen Geldverkehr bestimmten Kontokorrentkontos auch dann in vollem Umfang der betrieblichen Sphäre zuzurechnen --und demgemäß die hierauf entfallenden Zinsen in voller Höhe als Betriebsausgaben abzuziehen--, wenn über dieses Konto auch private Zahlungen geleistet würden (BFH-Urteil vom 23.Juni 1983 IV R 192/80, BFHE 139, 50, BStBl II 1983, 725). Die unterschiedliche Handhabung des Betriebsausgabenabzugs je nach der Art der Gewinnermittlung überzeuge nicht. Auch bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG sei das Bankkonto, über das der betriebliche Zahlungsverkehr abgewickelt werde, nicht Privat-, sondern Betriebsvermögen; daraus folge, daß die Vermutung, die nach dem BFH-Urteil in BFHE 139, 50, BStBl II 1983, 725 bei der Gewinnermittlung nach §§ 4 Abs.1, 5 Abs.1 EStG für die betriebliche Veranlassung der in der Überziehung eines betrieblichen Kontokorrentkontos liegenden Kreditaufnahme spreche, entgegen dem BFH-Urteil in BFHE 139, 56, BStBl II 1983, 723, auch bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG gelte. Es könne nicht richtig sein, daß die als Betriebsausgaben zu berücksichtigenden Zinsaufwendungen bei einer Einnahmen-Überschuß-Rechnung gemäß § 4 Abs.3 EStG anders zu bemessen seien als bei der Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nach §§ 4 Abs.1, 5 Abs.1 EStG. Die Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuß- Rechnung müsse --auf die Gesamtdauer des Unternehmens gesehen-- zu demselben steuerlichen Gewinn führen wie die Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA. Es rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe in Abweichung von dem Urteil in BFHE 139, 56, BStBl II 1983, 723 den Begriff der Betriebsausgaben nicht zutreffend gewürdigt. Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG seien die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben gegenüberzustellen; ein Bestandsvergleich erfolge nicht. Da Betriebsausgaben nur diejenigen Aufwendungen seien, die durch den Betrieb veranlaßt sind (§ 4 Abs.4 EStG), könnten Schuldzinsen, die mit privat veranlaßten Zahlungen und der dadurch verursachten Kreditaufnahme in Zusammenhang stünden, nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Stellungnahme des Senats zu der vorgelegten Rechtsfrage
1. Bisherige Rechtsprechung zum Schuldzinsenabzug bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG
Der vorlegende Senat hat mit Urteil in BFHE 139, 56, BStBl II 1983, 723 entschieden, daß ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewinn nach § 4 Abs.3 EStG ermittelt, Zinsaufwendungen für einen Kredit nur insoweit als Betriebsausgaben abziehen kann, als der Kredit betrieblich veranlaßt war (§ 4 Abs.4 EStG). Diene ein Kontokorrentkonto außer zur Abwicklung des laufenden betrieblichen Geldverkehrs auch der Abwicklung von außerbetrieblichen Einnahmen und Ausgaben, so seien die Zinsen für die Inanspruchnahme eines Kontokorrentkredits nur insoweit als Betriebsausgaben abziehbar, als sie durch betrieblich veranlaßte Zahlungen entstanden seien. Soweit die Zinsen mit privat veranlaßten Zahlungen bzw. der dadurch verursachten Kreditaufnahme zusammenhingen, hätten sie keinen betrieblichen Charakter und könnten deshalb auch nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden. Das führe dazu, daß bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG grundsätzlich alle über das Kontokorrentkonto abgewickelten Zahlungsvorgänge einzeln auf ihre betriebliche und private Veranlassung und auf die zinsmäßigen Auswirkungen zu untersuchen sind. Die Abgrenzung zwischen betrieblich und außerbetrieblich veranlaßten Zinsaufwendungen könne --sofern nach den gegebenen Umständen nicht eine einfachere Aufteilung möglich sei-- mit Hilfe der Zinszahlenstaffelmethode durchgeführt werden.
Im Gegensatz dazu hat der vorlegende Senat für den Fall der Gewinnermittlung nach § 5 Abs.1 und § 4 Abs.1 EStG in seinem Urteil in BFHE 139, 50, BStBl II 1983, 725 entschieden, daß bei dieser Gewinnermittlungsart die jeweiligen Kontokorrentsalden (also das jeweilige Guthaben oder die jeweilige Schuld) in vollem Umfang der betrieblichen Sphäre zuzurechnen seien, auch wenn über das Konto private Zahlungen abgewickelt werden. Hier spreche bei Kontoüberziehungen eine Vermutung für eine betriebliche Veranlassung der --in der Überziehung liegenden-- Kreditaufnahme. Diese Vermutung für den betrieblichen Charakter einer Kontokorrentschuld gebe es dagegen nicht bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG. Hier werde der Gewinn durch Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und der Betriebsausgaben ermittelt; eine Berücksichtigung der Bestände scheide aus. Deshalb könne auch ein Kontokorrentkonto im Falle der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG kein betriebliches Bestandskonto darstellen, so daß die an den betrieblichen Charakter der Kontokorrentschuld anknüpfende Vermutung nicht eingreifen könne.
2. Einwendungen gegen diese Rechtsprechung
Die unterschiedliche Berücksichtigung von Zinsaufwendungen je nach Art der Gewinnermittlung wird im Schrifttum als sachlich nicht gerechtfertigt betrachtet (vgl. Clausen u.a. in Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht --JbFSt-- 1986/87, 351, 362 ff., Bordewin in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Einkommensteuergesetz, §§ 4 bis 5 Rz.43 c und d; Groh, Finanz- Rundschau --FR-- 1986, 393, 396; Heidrich, Betriebs-Berater --BB-- 1984, 314; Küffner, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1983, 441; Offergeld, Der Betrieb --DB-- 1984, 1168; Paus, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1985, 60; Rudolph, DStZ 1988, 211; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 7.Auf., § 4 Anm.43 c und d; J. Schmidt, DStR 1985, 200; Söffing, DStR 1985, 429). Die unterschiedliche Besteuerung widerspreche dem Grundsatz, daß die Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG zu dem gleichen Totalergebnis führen soll wie die Gewinnermittlung nach § 4 Abs.1 bzw. § 5 Abs.1 EStG (hierzu BFH-Urteil vom 16.Januar 1975 IV R 180/71, BFHE 115, 202, BStBl II 1975, 526). In dieser Ungleichbehandlung liege ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG). Die Auffassung des IV.Senats, bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG sei eine Berücksichtigung der Bestände nicht möglich, sei unzutreffend. Es gebe auch bei der Einnahmen-Überschuß-Rechnung nach § 4 Abs.3 EStG aktives und passives Betriebsvermögen. Würden über ein Kontokorrentkonto betriebliche und private Zahlungsvorgänge abgewickelt werden, so sei eine hieraus entstandene Verbindlichkeit auch bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG in vollem Umfang Betriebsschuld. Die für Steuerpflichtige mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs.1 (§ 5 Abs.1) EStG geltende Vermutung, daß Kontokorrentschulden in vollem Umfang der betrieblichen Sphäre zuzurechnen seien, müsse auch für Steuerpflichtige gelten, die ihren Gewinn nach § 4 Abs.3 EStG ermittelten.
3. Auffassung des vorlegenden Senats
a) Zum Verhältnis der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs.1 und § 5 Abs.1 EStG
Gewinn i.S. des § 4 Abs.3 EStG ist der "Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben" (§ 4 Abs.3 Satz 1 EStG). Gegenüber der Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nach §§ 4 Abs.1 und 5 Abs.1 EStG stellt die Einnahmeüberschußrechnung eine vereinfachte Art der Gewinnermittlung dar.
Die Technik der betrieblichen Einnahmen-Überschuß-Rechnung nach § 4 Abs.3 EStG besteht dem Grundsatz nach in einer Gegenüberstellung von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. Für diese Gegenüberstellung ist der Zeitpunkt des Zuflusses der Betriebseinnahmen (hierzu § 11 Abs.1 EStG) und des Abflusses von Betriebsausgaben (hierzu § 11 Abs.2 EStG) maßgebend. Von dem Zufluß- und Abflußprinzip gibt es gesetzlich geregelte Ausnahmen. So sind z.B. die Anschaffungs- und Herstellungskosten für nicht abnutzbare Anlagegüter erst im Zeitpunkt der Veräußerung oder der Entnahme als Betriebsausgaben zu berücksichtigen (§ 4 Abs.3 Satz 4 EStG); ferner werden die Anschaffungs- und Herstellungskosten für abnutzbare Anlagegüter, die sich länger als ein Jahr verwenden oder nutzen lassen, auf die Jahre der Verwendung oder Nutzung verteilt (§ 4 Abs.3 Satz 3 EStG i.V.m. § 7 EStG).
Durch die verschiedenen Gewinnermittlungstechniken (Bestandsvergleich nach § 4 Abs.1 und § 5 Abs.1 EStG einerseits und Überschußrechnung nach § 4 Abs.3 EStG andererseits) können sich Unterschiede in der Höhe des Gewinns eines Kalenderjahrs ergeben. Im Verhältnis beider Gewinnermittlungsarten zueinander herrscht aber der Grundsatz, daß auf Dauer gesehen (d.h. von der Eröffnung bis zur Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs) beide Gewinnermittlungsarten zu demselben (Total-)Ergebnis führen müssen (Urteil in BFHE 115, 202, BStBl II 1975, 526). Die in § 4 Abs.3 EStG enthaltenen Lücken sind deshalb so auszufüllen, daß bei der Überschußrechnung das gleiche Totalergebnis erreicht wird wie bei der bilanziellen Gewinnermittlung (Tipke, Steuerrecht, 11.Aufl., S.297).
b) Zur Rolle des Betriebsvermögens bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG
Die gesetzliche Regelung für die steuerliche Behandlung der Anschaffungs- und Herstellungskosten von abnutzbaren und nicht abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (§ 4 Abs.3 Sätze 3 und 4 EStG) sowie die Verwendung des Wortes "Entnahme" in § 4 Abs.3 Satz 4 EStG lassen erkennen, daß es auch bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG Betriebsvermögen geben muß; denn mit dem Gebrauch der Begriffe "Anlagevermögen" und "Entnahme" wird die Möglichkeit der Bildung von Betriebsvermögen vorausgesetzt. Abgesehen hiervon folgt die Notwendigkeit, auch der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG Betriebsvermögen zu Grunde zu legen, aus dem für alle Gewinnermittlungsarten geltenden Gewinnbegriff (vgl. Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Anm.61; Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 14.Aufl., §§ 4, 5 Tz.2195).
c) Verbindlichkeiten aus "gemischten" Kontokorrentkonten als (negative) Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG
aa) Allgemeines zur Zugehörigkeit von Verbindlichkeiten zum Betriebsvermögen
Zum Betriebsvermögen eines Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn nach § 4 Abs.3 EStG ermittelt, gehören auch Verbindlichkeiten. Sie werden zwar bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG nicht unmittelbar berücksichtigt (vgl. BFH-Urteil vom 8.Oktober 1969 I R 94/67, BFHE 97, 76, BStBl II 1970, 44). Die Feststellung, daß eine Verbindlichkeit dem Betriebsvermögen zuzurechnen ist, hat jedoch Bedeutung für die Frage, ob die auf diese Verbindlichkeit entfallenden Zinsaufwendungen als Betriebsausgaben (§ 4 Abs.4 EStG) abgezogen werden können und ob der Erlaß einer solchen Verbindlichkeit aus betrieblichen Gründen als Betriebseinnahme zu werten ist (vgl. hierzu Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Anm.65 d, und Groh, a.a.O.).
Zu den Betriebsschulden gehören auch Verbindlichkeiten, die sich aus der Aufnahme eines betrieblich veranlaßten Kredits ergeben. Die betriebliche Eigenschaft einer solchen Verbindlichkeit ist allerdings nur insoweit zu bejahen, als die kreditierten Geldmittel für betriebliche Zwecke verwendet werden. Werden die Kreditmittel teils für betriebliche, teils für private Zwecke verwendet, so kann folgerichtig nur der Teil als Betriebsschuld angesetzt werden, der zur Verwendung für betriebliche Zwecke vorgesehen ist.
bb) Zuordnung von Kontokorrentverbindlichkeiten zum Betriebsvermögen
Das Kontokorrentverhältnis wird durch einen Vertrag begründet, durch den "die beiderseitigen Ansprüche und Leistungen nebst Zinsen in Rechnung gestellt und in regelmäßigen Zeitabschnitten durch Verrechnung und Feststellung des für den einen oder anderen Teil sich ergebenden Überschusses ausgeglichen werden" (§ 355 Abs.1 des Handelsgesetzbuches --HGB--). Die gegenseitigen Ansprüche werden am Ende einer Rechnungsperiode saldiert und "anerkannt". Mit diesem Saldoanerkenntnis gehen die in die laufende Rechnung aufgenommenen Ansprüche und Leistungen unter. Übrig bleibt nur eine neue, auf einem selbständigen Verpflichtungsgrund beruhende, vom früheren Schuldgrund losgelöste Forderung, die anstelle der bisherigen Einzelforderungen tritt (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 28.Juni 1968 I ZR 156/66, BGHZ 50, 277). Dies gilt auch für ein Bank-Kontokorrentverhältnis (Canaris in Staub, HGB, Anhang nach § 357 "Bankvertragsrecht", Anm.672 ff.; Schlegelberger, Handelsgesetzbuch, 5.Aufl., § 355 Anm.13; Baumbach/Duden/Hopt, Handelsgesetzbuch, 27.Aufl., § 355 Anm.3 C; BFH-Urteile vom 9.September 1980 VIII R 64/79, BFHE 131, 482, BStBl II 1981, 125, und vom 7.Oktober 1986 IX R 65/82, BFH/NV 1987, 151). Das Bankkonto selbst ist kein Wirtschaftsgut; es dient nur als Rechnungsabschlußgrundlage (Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Tz.43 b, cc). Weist das Konto am Ende der Verrechnungsperiode zu Lasten des Bankkunden eine Verbindlichkeit auf, so hat sich diese durch Schuldumschaffung entstandene Verbindlichkeit von ihrer ursprünglichen Rechtsgrundlage gelöst.
Die Frage, ob eine Kontokorrentverbindlichkeit dem betrieblichen oder dem außerbetrieblichen Bereich zuzuordnen ist, wenn über das Konto betriebliche und private Vorgänge abgewickelt werden, wird von dem vorlegenden Senat nicht einheitlich beurteilt.
Einmütigkeit besteht nur insoweit, als die unterschiedliche Berücksichtigung von Zinsaufwendungen je nach Art der Gewinnermittlung nicht zutreffend sein kann. Der Senat folgt damit der im Schrifttum und teilweise auch von den FG (insbesondere im Streitfall) vertretenen Auffassung, daß die Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG zu dem gleichen Totalergebnis führen muß wie die Gewinnermittlung nach § 4 Abs.1 (bzw. § 5 Abs.1) EStG (Urteil in BFHE 115, 202, BStBl II 1975, 526). Daraus ist zu folgern, daß der Abzug von Kontokorrentzinsen bei beiden Arten der Gewinnermittlung zum gleichen Ergebnis führen muß.
Dagegen gehen die Meinungen auseinander über die Frage, wie die Gleichheit beim Abzug der Zinsaufwendungen herzustellen ist.
Die Mehrheit des Senats vertritt die Auffassung, daß ebenso wie bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.1 (§ 5 Abs.1) EStG (s. hierzu Vorlagebeschluß vom 8.September 1988 IV R 97/82, BFHE 154, 337)-- eine Kontokorrentschuld als Betriebsschuld anzusehen ist, wenn das Kontokorrentkonto der Abwicklung des laufenden betrieblichen Geldverkehrs dient; daran ändert sich nichts, wenn über dieses Konto auch private Entnahmen finanziert werden. Nach Auffassung der Mehrheit gilt dies unabhängig davon, ob sich eine Vermutung für die betriebliche Veranlassung der Schuld begründen läßt oder nicht.
Hinsichtlich des Umfangs, in dem die auf private Entnahmevorgänge entfallenden Zinsaufwendungen bei der Gewinnermittlung nach §§ 4 Abs.3 EStG als Betriebsausgaben abziehbar sind, vertritt die Mehrheit des Senats --wie auch zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs.1 (§ 5 Abs.1) EStG-- die Ansicht, daß nicht nur die auf "gewöhnliche" Privataufwendungen entfallenden Teile des Kontokorrentkredits, sondern jede privat veranlaßte Kreditaufnahme zu einer Betriebsschuld führen kann. An der im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs.1 (§ 5 Abs.1) EStG bisher gemachten Einschränkung, daß entnahmebedingte Kreditaufnahmen keinen betrieblichen Charakter haben, "wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung klar erkennbar ist, daß mit der Erhöhung des Schuldsaldos ein Kredit für außerbetriebliche Zwecke aufgenommen wird" (Urteil in BFHE 139, 50, BStBl II 1983, 725), hält die Mehrheit --auch soweit es um die Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG geht-- nicht mehr fest.
Die Entstehung oder Erhöhung einer Kontokorrentverbindlichkeit durch private Überweisungs- und Auszahlungsvorgänge kann nach Ansicht der Mehrheit lediglich dann nicht mehr als betrieblich veranlaßte Kreditaufnahme anzusehen sein, wenn der Betrieb überschuldet ist. Wenn keine betrieblichen Eigenmittel mehr vorhanden sind, die entnommen und durch Fremdmittel ersetzt werden können, kann der zur Finanzierung privaten Geldbedarfs gewährte Kontokorrentkredit nicht mehr als betriebliche Verbindlichkeit angesehen werden (vgl. FG Düsseldorf, rechtskräftiges Urteil vom 10.Juni 1980 XXIII/IX 535/77 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1981, 7; FG Hamburg, nicht rechtskräftiges Urteil vom 17.April 1986 I 62/82, EFG 1986, 549; Trimpop, FR 1976, 578; Kreile/Söffing, Deutsche Steuer- Zeitung/Ausgabe A --DStZ/A-- 1977, 259, 263; Brewi/Schön, DStR 1978, 99; Söffing, FR 1984, 185, 193; Siegel, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1985, 207). Die auf solche Verbindlichkeiten entfallenden Schuldzinsen könnten dann folgerichtig auch nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden.
Eine Minderheit des Senats vertritt folgende Auffassung:
Läßt sich die Kontokorrentverbindlichkeit ohne weiteres in einen betrieblichen und einen privaten Teil zerlegen (Beispiel: Die Mittel aus einem Kontokorrentkredit werden zu 60 v.H. für betriebliche und zu 40 v.H. für private Zwecke verwendet), so gilt insoweit nichts anderes als für andere Kreditverbindlichkeiten auch. In einem solchen Fall ist nur der betriebliche Teil des Kredits dem Betriebsvermögen zuzurechnen (vgl. BFH-Urteil vom 19.März 1981 IV R 169/80, BFHE 133, 383, BStBl II 1983, 721).
Werden dagegen über das Kontokorrentkonto eine Vielzahl von betrieblichen und privaten Vorgängen abgewickelt und läßt sich wegen des Umfangs der Kontenbewegungen nicht ohne weiteres bestimmen, welcher Teil der am Ende der Verrechnungsperiode ausgewiesenen Schuld dem betrieblichen und welcher dem privaten Bereich zuzuordnen ist, so muß diese Bestimmung auf andere Weise vollzogen werden. Der Senat hat hierfür bisher die Zinszahlenstaffelmethode als ein zur Aufteilung geeignetes Verfahren angesehen (vgl. Urteil in BFHE 139, 56, BStBl II 1983, 723). Da sich die Anwendung dieser Methode in der Praxis allerdings als schwierig erwiesen hat (vgl. hierzu Bordewin in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, a.a.O., §§ 4 bis 5 Tz.51 g; Kempermann/Ditzen, DStZ 1985, 63), hätte die Minderheit des Senats keine Bedenken, in Fällen, in denen die Zinszahlenstaffelmethode nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten zum Ziel führt, die Höhe des betrieblichen und des privaten Teils der Schuld im Wege der Schätzung (§ 162 Abs.1 der Abgabenordnung --AO 1977--) zu ermitteln.
In der Rechtsprechung des BFH ist zwar die Auffassung vertreten worden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18.November 1980 VIII R 194/78, BFHE 132, 522, BStBl II 1981, 510, unter 2 d), daß "gemischte" (d.h. teils betrieblich, teils privat veranlaßte) Bankschulden im Hinblick auf das Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr.1 Satz 2 EStG (hierzu BFH-Beschluß vom 19.Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17) nicht zulässig seien. Würden sich für die "gemischten" Zinsaufwendungen keine objektiven Merkmale finden lassen, die eine zutreffende und leicht nachprüfbare Trennung in betrieblich und privat veranlaßte Aufwendungen ermöglichen, so könnten diese Zinsen nicht aufgeteilt und abgezogen werden (BFH-Urteil vom 13.März 1986 IV R 118/84, BFH/NV 1986, 466).
Nach Auffassung der Minderheit läßt sich diese Rechtsprechung nicht mehr halten. Bei grundsätzlicher Anerkennung der bisherigen Rechtsprechung zum Aufteilungs- und Abzugsverbot geht die Minderheit davon aus, daß von diesem Verbot in gewissen Fällen Ausnahmen zulässig sind. Solche Ausnahmen wurden schon bisher insbesondere für Kfz-Kosten (Beschluß in BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17), Flugzeugkosten (BFH-Urteil vom 4.August 1977 IV R 157/74, BFHE 123, 158, BStBl II 1978, 93), Telefonkosten (BFH-Urteil vom 21.November 1980 VI R 209/79, BFHE 132, 63, BStBl II 1981, 131) sowie für Kosten einer Hausgehilfin (BFH-Urteil vom 8.November 1979 IV R 66/77, BFHE 129, 134, BStBl II 1980, 117) gemacht. Gemeinsam ist diesen Ausnahmen, daß sie Fälle betreffen, in denen eine getrennte Erfassung der betrieblich und privat veranlaßten Aufwendungen insofern möglich ist, als die für die Entstehung der Aufwendungen maßgebenden betrieblichen und privaten Anlässe zeitlich nacheinander verwirklicht werden (Offerhaus in Lademann/Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, § 12 Anm.26). Um einen Fall dieser Art handelt es sich nach der Minderheitsmeinung auch bei den Zinsaufwendungen für Kontokorrentverbindlichkeiten. Sie könnten zwar --jedenfalls bei Anwendung entsprechender Berechnungsmethoden (Zinszahlenstaffelmethode)-- genau errechnet werden. Die praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Methoden legen es jedoch nahe, in entsprechenden Fällen eine Abgrenzung zwischen betrieblich und privat veranlaßten Aufwendungen auch im Wege einer Schätzung zuzulassen. Die Finanzverwaltung ist bisher schon hiernach verfahren. Sie hat die Ermittlung der betrieblich und privat veranlaßten Kontokorrentzinsen durch Schätzungen ausdrücklich zugelassen (Oberfinanzdirektion --OFD-- Köln, Verfügung vom 9.Januar 1986 S 2144-27-St-113, FR 1986, 149). Auch die Rechtsprechung des BFH hat dem praktischen Bedürfnis nach Aufteilung durch Schätzung in gewissen Fällen Rechnung getragen (so der vorlegende Senat in seinem Urteil in BFHE 139, 57, BStBl II 1983, 723; ebenso der IX.Senat in seinem Urteil vom 10.Juni 1986 IX R 11/86, BFHE 147, 318, BStBl II 1986, 894; zum Meinungsstand vgl. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 7.Aufl., § 12 Anm.8 "Zinsen").
Geht man davon aus, daß eine Kontokorrentverbindlichkeit dem Betriebsvermögen nur insoweit zuzuordnen ist, als sie betrieblich veranlaßt ist, so sind nur die auf den betrieblich veranlaßten Teil der Kontokorrentverbindlichkeit entfallenden Zinsaufwendungen als Betriebsausgaben abziehbar.
C. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
Nach der Mehrheitsauffassung ist die Vorlagefrage zu bejahen. Die Mehrheit kommt zu dem Ergebnis, daß bei einem Steuerpflichtigen mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs.3 EStG eine Kontokorrentverbindlichkeit, die sowohl durch betrieblich als auch privat veranlaßte Überweisungs- und Auszahlungsvorgänge entstanden ist, in vollem Umfang Betriebsschuld sein kann mit der Folge, daß die hierauf entfallenden Zinsaufwendungen Betriebsausgaben sind. Schließt man sich dieser Auffassung an, so ist die Revision unbegründet.
Die Minderheit bleibt im wesentlichen bei der bisher vom Senat vertretenen Auffassung, nach der bei einer aus der Überziehung des Kontokorrentkontos sich ergebenden Verbindlichkeit die über dieses Konto abgewickelten Zahlungsvorgänge einzeln auf ihre betriebliche oder private Veranlassung zu untersuchen seien und nur die auf die betrieblich veranlaßten Zahlungsvorgänge entfallenden Zinsaufwendungen zum Abzug als Betriebsausgaben zuzulassen sind. Allerdings kann nach Ansicht der Minderheit nunmehr die Aufteilung einer Kontokorrentschuld auf einen betrieblich und einen privat veranlaßten Teil (mit entsprechender Zuordnung der auf diese Teile entfallenden Zinsaufwendungen) durch Schätzung erfolgen. Entsprechende Möglichkeiten für den den Abzug von Kontokorrentzinsen als Werbungskosten würden sich bei Zugrundelegung der Minderheitsauffassung auch im Rahmen der nichtbetrieblichen Überschußeinkünfte (aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung und aus sonstigen Einkünften; vgl. § 2 Abs.2 Nr.2 EStG) ergeben (so bereits jetzt der IX.Senat des BFH; vgl. BFHE 147, 318, BStBl II 1986, 894). Der im Schrifttum (J. Schmidt, DStR 1985, 200) in Bezug auf die bisherige Rechtsprechung erhobene Vorwurf der "Drei-Klassen-Besteuerung" wäre damit gegenstandslos.
Schließt man sich der Auffassung der Minderheit an, so ist die Revision begründet; das FG-Urteil müßte aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.
D. Rechtsgrundlage der Vorlage
Der Senat ist der Auffassung, daß die vorgelegte Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Die unterschiedlichen Auffassungen einzelner Senate des BFH zu den im Zusammenhang mit dieser Frage stehenden Rechtsproblemen und die Vielzahl kritischer Veröffentlichungen zu der bisherigen Rechtsprechung des BFH machen eine Entscheidung des Großen Senats erforderlich (§ 11 Abs.4 der Finanzgerichtsordnung).
Fundstellen
Haufe-Index 62438 |
BFHE 154, 350 |
BB 1988, 2368-2370 (LT) |
DB 1988, 2543-2544 (KT) |
DStR 1988, 779 (KT) |
HFR 1989, 76 (LT) |