Entscheidungsstichwort (Thema)
(Formeller Bilanzenzusammenhang und § 174 Abs.4 AO 1977)
Leitsatz (amtlich)
Dem Großen Senat des BFH wird folgende Rechtsfrage vorgelegt: Erlaubt § 174 Abs.4 AO 1977 die Aufhebung eines Steuerbescheides, in dem ein früherer Bilanzierungsfehler korrigiert wurde, mit der Begründung, daß mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach § 174 Abs.4 AO 1977 die Möglichkeit geschaffen wird, die Vorjahresveranlagung zu ändern?
Orientierungssatz
1. Unrichtige Beurteilung eines Sachverhalts i.S. des § 174 Abs.4 AO 1977 bedeutet, daß sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts nachträglich als rechtsirrig erweist. Ob der Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen liegt, ist unerheblich.
2. Der vom Großen Senat des BFH aufgestellte Grundsatz des formellen Bilanzzusammenhangs wird von Rechtsprechung und Literatur dahin verstanden, daß der Anfangsbilanz der Schlußbestand des Betriebsvermögens zugrunde zu legen ist, der der bestandskräftigen Vorjahresveranlagung tatsächlich zugrunde lag.
Normenkette
AO 1977 § 174 Abs. 4; EStG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
I. Der Anrufung des Großen Senats liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, verarbeitet Magermilchpulver und beantragt hierfür stets Beihilfe gemäß Verordnung (EWG) Nr.1725/79 (VO Nr.1725/79) vom 26. Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 199/1). Ihr Wirtschaftsjahr entspricht dem Kalenderjahr.
Bei der Klägerin fand für die Veranlagungszeiträume 1982 bis 1984 eine Betriebsprüfung statt, die --ähnlich den Feststellungen der Vorbetriebsprüfung für 1978 bis 1981-- zum 31. Dezember 1984
- den Beihilfeanspruch für die Verarbeitung von Magermilch-
pulver im Dezember 1984 aktivierte und
- die Rückstellung für evtl. Beihilferückforderungen, die
Pauschalwertberichtigung auf Forderung, die Rückstellung
für drohende Verluste aus Einkaufskontrakten und die
Rückstellung für Pensionsverpflichtungen kürzte.
Nach erfolgreicher Anfechtung der Betriebsprüfungsanordnung und der anschließend ergangenen Anordnung zur Wiederholung der Betriebsprüfung hob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) am 14. Februar 1989 den Vorbehalt der Nachprüfung in den Körperschaftsteuerbescheiden für 1982 bis 1984 auf.
Die Körperschaftsteuer 1985 (Streitjahr) setzte das FA am 3. Mai 1988 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest, erkannte die Rückstellung für Garantieverpflichtungen nicht an, kürzte die Rückstellungen für Verluste aus Einkaufskontrakten und für gewährte Beihilfen sowie die pauschale Forderungsberichtigung. Dagegen legte die Klägerin Einspruch u.a. mit dem Hinweis ein, daß die im Rahmen der Betriebsprüfung für 1982 bis 1984 getroffenen Feststellungen nicht verwertet werden dürften.
Im Jahr 1988 fand bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für die Jahre 1985 bis 1987 statt, die zum 31. Dezember 1985 zu folgenden geänderten Bilanzansätzen führte:
- Ausgehend von tatsächlichen Forderungsausfällen in Höhe
von 1,5 % Kürzung der Pauschalwertberichtigung von 4 %
auf 3 %;
- Kürzung der Rückstellung für drohende Verluste aus Ein-
kaufskontrakten anhand einzelner Verluste;
- Kürzung der Pensionsrückstellung;
- Aktivierung des Beihilfeanspruchs für Magermilchverarbeitung
im Monat Dezember 1985;
- Kürzung der Rückstellung für Beihilferückforderungen.
Das FA erließ am 14. Februar 1989 einen entsprechend geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 1985.
Im Einspruchs- und Klageverfahren vertrat die Klägerin die Auffassung, daß von den gewinnerhöhenden Positionen (4 588 505 DM) 3 992 999 DM bereits 1983 bzw. 1984 zu erfassen gewesen wären. Die Frage der materiellen Richtigkeit der streitigen Bilanzansätze zum 31. Dezember 1985 ließ die Klägerin zunächst dahingestellt.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) erhöhte die Bilanzansätze zum 1. Januar 1985 entsprechend dem Klagebegehren mit der Begründung, daß § 174 Abs.4 der Abgabenordnung (AO 1977) die Möglichkeit eröffne, die streitigen Ansätze in der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1984 zu korrigieren. Feststellungen zu einem treuwidrigen Verhalten der Klägerin oder des FA hat das FG nicht getroffen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Der vorlegende Senat stützt die Vorlage auf § 11 Abs.2 und 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Er möchte die Vorlagefrage verneinen, sieht sich aber an einer solchen Entscheidung durch das Urteil des IV.Senats vom 17. Oktober 1991 IV R 97/89 (BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392) gehindert. Der IV.Senat hat auf Anfrage mitgeteilt, daß er der Abweichung nicht zustimme. Der X.Senat ist der Auffassung, daß die beabsichtigte Entscheidung auch von seinen Urteilen vom 16. Mai 1990 X R 72/87 (BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 1044) und vom 3. Juni 1992 X R 50/91 (BFH/NV 1992, 741) abweiche und hat ebenfalls seine Zustimmung zur Abweichung verweigert.
Die vorgelegte Rechtsfrage ist ferner von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 11 Abs.4 FGO. Würde sie bejaht werden, wäre ein Bilanzierungsfehler meist an der Fehlerquelle zu korrigieren. Dieses Ergebnis widerspräche dem Grundsatz des formellen Bilanzzusammenhangs (ständige Rechtsprechung seit Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. März 1962 I 136/60 S, BFHE 75, 10, BStBl III 1962, 273; bestätigt durch Beschluß des Großen Senats vom 29. November 1965 GrS 1/65 S, BFHE 84, 392, BStBl III 1966, 142).
2. Die vorgelegte Rechtsfrage ist im Ausgangsfall entscheidungserheblich.
a) Der X.Senat meint, daß die Vorlagefrage deswegen nicht entscheidungserheblich sei, weil der Senat die Zurückverweisung der Sache beabsichtigt. Der vorlegende Senat teilt diese Auffassung nicht. Überprüft wurde bislang allein die Rechtmäßigkeit der Anfangsbestände zum 1. Januar 1985. Die Klägerin hat ausdrücklich die Rechtmäßigkeit der Bilanzansätze zum 31. Dezember 1985 dahingestellt sein lassen. Gleichwohl ist, solange die Klägerin an ihrem Klagebegehren festhält, im Rahmen des Klageantrags auch die materielle Richtigkeit der Schlußbestände zu prüfen. Da hierzu keine Feststellungen des FG vorliegen, ist die Sache zurückzuverweisen.
b) Einige der hier streitigen Bilanzpositionen (z.B. Beihilfeanspruch für Dezember 1984 und für Dezember 1985; Rückforderungsansprüche betreffend Beihilfegewährungen 1984 und 1985) werden, da es sich um andere Wirtschaftsgüter handelt, nicht von Problemen der Bilanzkorrektur berührt. Dies gilt aber nicht für die anderen streitigen Bilanzansätze (z.B. Pauschalwertberichtigung für bis zum 31. Dezember 1984 entstandene Forderungen; Rückstellung für Einkaufskontrakte aus bis zum 31. Dezember 1984 abgeschlossenen Verträgen; Pensionsrückstellung). Insoweit liegen echte nachträgliche Bilanzkorrekturen vor.
III.
Nach Auffassung des vorlegenden Senats eröffnet § 174 Abs.4 AO 1977 nicht die Möglichkeit, fehlerhafte Bilanzansätze in der Anfangsbilanz zu berichtigen, solange diese bestandskräftigen Veranlagungen zugrunde liegen.
1. Nach § 174 Abs.4 Sätze 1 und 2 AO 1977 können aus einem Sachverhalt nachträglich durch Erlaß oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der durch die Finanzbehörde oder das FG zugunsten des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert wird.
a) Unrichtige Beurteilung eines Sachverhalts bedeutet, daß sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts nachträglich als rechtsirrig erweist. Ob der Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen liegt, ist unerheblich (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 8. April 1992 X R 213/87, BFH/NV 1993, 406; vom 13. Dezember 1984 V R 47/80, BFHE 143, 9, BStBl II 1985, 282). Auf den hier streitigen Fall der Bilanzkorrektur übertragen, liegt eine irrige Beurteilung eines Sachverhalts vor, wenn das FA die Grundsätze zur Rückwärtsberichtigung von Bilanzfehlern verkannt hat. Dies ist im Ausgangsfall zu verneinen.
Eine Rückwärtsberichtigung fehlerhafter Bilanzansätze kommt nach der Entscheidung des Großen Senats (BFHE 84, 392, BStBl III 1966, 142) "nur in Betracht, wenn das fehlerhafte Betriebsvermögen einer Veranlagung noch nicht zugrunde gelegen hat, oder wenn die auf ihm beruhende Veranlagung nach allgemeinen Grundsätzen berichtigt oder geändert werden kann und berichtigt oder geändert worden ist". Dieser vom Großen Senat aufgestellte Grundsatz des formellen Bilanzzusammenhangs wird von Rechtsprechung und Literatur dahin verstanden, daß der Anfangsbilanz der Schlußbestand des Betriebsvermögens zugrunde zu legen ist, der der bestandskräftigen Vorjahresveranlagung tatsächlich zugrunde lag (vgl. BFH-Urteile vom 26. April 1979 IV R 199/74, BFHE 128, 358, BStBl II 1979, 667; vom 19. Januar 1993 VIII R 128/84, BFHE 170, 511, BStBl II 1993, 594; vom 12. Oktober 1993 VIII R 86/90, BFHE 172, 388, BStBl II 1994, 174; vom 10. Dezember 1991 VIII R 17/87, BFHE 167, 331, BStBl II 1992, 650; vom 8. Dezember 1988 IV R 33/87, BFHE 155, 532, BStBl II 1989, 407; vom 25. April 1990 I R 78/85, BFH/NV 1990, 630; vom 10. März 1989 III R 190/85, BFH/NV 1990, 358; vom 7. Juli 1992 VIII R 24/91, BFH/NV 1993, 461; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 14.Aufl., § 4 Rdnr.702, 703; Blümich/ Wacker, Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr.336; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 4 C 32; unklar BFH-Urteile vom 11. Februar 1988 IV R 19/87, BFHE 153, 26, BStBl II 1988, 825; vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90, BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381; Abschn.15 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR--). Aufgrund des so verstandenen formellen Bilanzzusammenhangs sind im Streitfall in die Anfangsbilanz zum 1. Januar 1985 die Ansätze in der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1984 zu übernehmen, da diese der bestandskräftigen und bis heute nicht geänderten Veranlagung zur Körperschaftsteuer 1984 zugrunde liegen. Da das FA entsprechend verfahren ist, scheidet eine irrige Sachverhaltsbeurteilung i.S. des § 174 Abs.4 AO 1977 tatbestandsmäßig aus.
Hiervon abweichend hat der IV.Senat in seiner Entscheidung in BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392 den Bescheid, in dem ein Bilanzierungsfehler in der Schlußbilanz korrigiert worden war (Auflösung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung in 1978) aufgehoben und die Steuer anderweitig festgesetzt mit der Begründung, daß der Bilanzfehler verfahrensrechtlich im Vorjahr (1977) korrigiert werden könne. Damit hat er die Möglichkeit der Korrektur der Vorjahresbilanz für die Korrektur des Anfangsbestandes des Streitjahres (1978) genügen lassen (so wohl auch X.Senat in BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 1044) und damit nicht mehr auf die Bilanz abgestellt, die tatsächlich der Vorjahresveranlagung zugrunde lag. Vordergründig ging es in dem vom IV.Senat entschiedenen Fall zwar um die Korrektur in der Schlußbilanz. Der Klage hätte aber nicht stattgegeben werden können, solange die dort streitige Rücklage noch in der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1978 ausgewiesen blieb.
Der vorlegende Senat möchte --nicht zuletzt im Hinblick auf die Rechtssicherheit-- am Grundsatz des formellen Bilanzzusammenhangs festhalten (vgl. im übrigen ebenso BFH-Beschluß vom 22. März 1994 IV B 82/93, BFH/NV 1994, 781). Selbst wenn er aber die Möglichkeit, die Vorjahresveranlagung zu ändern, genügen lassen würde, um die materiell-rechtliche (dem Grunde oder der Höhe nach) zu Unrecht im Streitjahr in der Anfangsbilanz erfaßten Aktiva und Passiva zu eliminieren, kann nach seiner Auffassung das Ergebnis kein anderes sein. Dabei ist insbesondere zu beachten, daß zwischen den Tatbestandsvoraussetzungen des § 174 Abs.4 AO 1977 (irrige Beurteilung eines Sachverhalts; Bescheidsaufhebung oder -änderung) und der Rechtsfolge (Möglichkeit des Erlasses oder der Änderung eines --anderen-- Steuerbescheides) zu unterscheiden ist. Geht man von der Rechtsprechung des IV.Senats aus, so hätte das FA im Streitjahr 1985 den Sachverhalt irrig beurteilt, wenn die Möglichkeit bestanden hätte, die Vorjahresveranlagung zu ändern. Das FA hat aber --da unstreitig andere Änderungsvorschriften nicht eingreifen-- keine Änderungsmöglichkeit, solange der fehlerhafte Bescheid für 1985 nicht aufgehoben worden ist (vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 174 AO 1977 Tz.16; Sachverhalt in BFH/NV 1993, 406). Dies bestätigt auch die Verwendung des Wortes "nachträglich" in § 174 Abs.4 AO 1977. Selbst ein nichtiger Bescheid löst die Rechtsfolgen des § 174 Abs.4 AO 1977 nicht aus (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. Mai 1990 X R 147/87, BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942). Zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt man nur über einen nach Auffassung des vorlegenden Senats unzulässigen Zirkelschluß: Die Rechtsfolge des § 174 Abs.4 AO 1977 (Änderungsmöglichkeit) wird unterstellt, um den Tatbestand des § 174 Abs.4 AO 1977 (irrige Beurteilung eines Sachverhalts wegen Änderungsmöglichkeit nach § 174 Abs.4 AO 1977) zu erfüllen.
Das gleiche gilt, wenn man die Rechtslage aus der Sicht des weiteren Tatbestandsmerkmals des § 174 Abs.4 AO 1977 beurteilt. Voraussetzung für die Rechtsfolge des § 174 Abs.4 AO 1977 ist ausdrücklich die Aufhebung des Steuerbescheides wegen irriger Sachverhaltsbeurteilung. Solange dieser --fehlerhafte-- Steuerbescheid nicht aufgehoben ist, eröffnet § 174 Abs.4 AO 1977 keine Änderungsmöglichkeit. Der Zirkelschluß liegt hier darin, daß die Rechtsfolge des § 174 Abs.4 AO 1977 (Änderungsmöglichkeit) zur Begründung herangezogen wird, um das Tatbestandsmerkmal "Aufhebung des Bescheides" zu verwirklichen. Im übrigen liegt, solange der Vorjahresbescheid noch nicht tatsächlich geändert worden ist, auch keine widerstreitende Steuerfestsetzung vor (vgl. amtliche Überschrift des § 174 AO 1977).
b) Entsprechendes folgt aus § 100 Abs.1 Satz 1 FGO. Danach darf ein FG nur solche Bescheide aufheben, die rechtswidrig sind (nicht: werden). Rechtswidrig ist ein Steuerbescheid, in dem ein älterer Bilanzierungsfehler korrigiert wird, aber nur, wenn --zumindest-- die Möglichkeit einer früheren Korrektur besteht (vgl. z.B. BFH in BFHE 155, 532, BStBl II 1989, 407; BFH in BFHE 153, 26, BStBl II 1988, 825, m.w.N.). Dabei ist nach der Rechtsprechung des BFH entweder auf die Rechtssituation im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung (so BFHE 155, 532, BStBl II 1989, 407) oder im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (so wohl BFH in BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 1044; s. zum Problem auch Tipke/Kruse, a.a.O., § 100 FGO Tz.5; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 100 Rdnr.9) abzustellen. In keinem der genannten Zeitpunkte ist im Ausgangsfall ein fehlerhafter Steuerbescheid bereits aufgehoben worden. Die Aufhebung findet in Fällen der vorliegenden Art erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung im Urteil statt. Besonders deutlich wird die zeitliche Diskrepanz, wenn das Urteil erst mit der Zustellung wirksam wird (§ 104 Abs.2 und 3 FGO).
c) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH muß das FA einen Bilanzierungsfehler in der letzten noch offenen Schlußbilanz korrigieren (vgl. z.B. BFH in BFHE 155, 532, BStBl II 1989, 407; BFHE 153, 26, BStBl II 1988, 825; BFH-Urteil vom 4. November 1986 VIII R 322/83, BFHE 148, 513, BStBl II 1987, 333). Das war im Vorlagefall die Bilanz zum 31. Dezember 1985. Verfährt das FA im Sinne dieser Rechtsprechung, könnte der Bescheid gleichwohl nach der Rechtsprechung des IV.Senats aufgrund des § 174 Abs.4 AO 1977 keinen Bestand haben. Damit wären die o.g. Rechtsprechung und der Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs ausgehebelt. Wohl auch aus diesem Grund ist in den genannten Urteilen die Anwendbarkeit des § 174 Abs.4 AO 1977 nicht einmal erwogen worden. Dies geschah erst in der späteren Entscheidung des X.Senats in BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 1044. Auch der IV.Senat hat die besonderen Verjährungsvorschriften des § 174 Abs.4 Sätze 3 und 4 AO 1977 nicht geprüft (vgl. BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381).
d) Das Ergebnis der Vorentscheidung ist auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht unbefriedigend. Es stellt sich nämlich die Frage, ob im Streitjahr 1985 oder in einem früheren Veranlagungszeitraum über den materiell-rechtlichen Bestand zum 31. Dezember 1984 bzw. 1. Januar 1985 zu entscheiden ist. In vergleichbaren Entscheidungen (vgl. BFH in BFHE 148, 513, BStBl II 1987, 333; BFHE 155, 532, BStBl II 1989, 407; BFHE 153, 26, BStBl II 1988, 825; BFH-Urteil vom 14. Dezember 1982 VIII R 53/81, BFHE 137, 339, BStBl II 1983, 303) wurde entweder die Sache zur Prüfung der Korrekturmöglichkeit zurückverwiesen oder die Korrektur im Streitjahr als rechtmäßig beurteilt. Der X.Senat (BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 1044) hat die Aussetzung des streitgegenständlichen Verfahrens gemäß § 74 FGO vorgeschlagen, um im Sinne des formellen Bilanzzusammenhangs zu einer Übereinstimmung von Schluß- und Anfangsbilanz zu gelangen. Nach bisheriger Rechtsprechung jedenfalls besteht bei Erlaß des Änderungsbescheides keine Bindung an die im vorausgegangenen Verfahren vertretene Rechtsauffassung (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1993 IV R 42/93, BFHE 173, 285, BStBl II 1994, 385).
e) Der Senat sieht keine Abweichung zur Rechtsprechung des X.Senats (BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 1044). Der X.Senat hat zwar die Anwendbarkeit des § 174 Abs.4 AO 1977 für Fälle der Bilanzkorrektur grundsätzlich bejaht, die Anwendung des § 174 Abs.4 AO 1977 im konkreten Fall aber wegen besonderer Verjährungsregelungen verneint. Die vorgelegte Frage war damit nicht entscheidungserheblich. Im übrigen bestreitet der I.Senat keineswegs, daß § 174 Abs.4 AO 1977 auch bei unrichtiger Bilanzierung angewendet werden kann (vgl. auch z.B. BFH-Urteil vom 24. März 1981 VIII R 85/80, BFHE 134, 1, BStBl II 1981, 778; Beispiele bei Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO 1977 Tz.15; oder Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5.Aufl., § 174 Anm.9). Dies setzt allerdings voraus, daß die Tatbestandsmerkmale des § 174 Abs.4 AO 1977 nicht erst durch den Urteilsspruch erfüllt werden. Eine uneingeschränkte Korrektur von Bilanzfehlern läßt § 174 Abs.4 AO 1977 nicht zu (von Beckerath, Deutsche Juristische Gesellschaft, Bd.14, Probleme des Steuerbilanzrechts, 1991, 65, 102).
Fundstellen
Haufe-Index 421309 |
BStBl II 1996, 417 |
BFHE 180, 8 |
BB 1996, 1271-1272 (LT) |
DB 1996, 1261-1263 (LT) |
DStR 1996, 919-920 (K) |
DStZ 1997, 92 (K) |
HFR 1996, 561-563 (L) |
StE 1996, 394 (K) |