Leitsatz (amtlich)
Bei der Abänderung einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich bleibt ein Anrecht in der Art von Entgeltpunkten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte) außer Betracht, wenn es nicht in die abzuändernde Erstentscheidung einbezogen war.
Normenkette
VersAusglG § 51 Abs. 2; FamFG § 225 Abs. 2; SGB VI § 76g
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 12.09.2022; Aktenzeichen 13 UF 98/21) |
AG Papenburg (Entscheidung vom 10.11.2021; Aktenzeichen 1 F 68/20 VA) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 12. September 2022 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Wert: 1.000 €
Gründe
I.
Rz. 1
Der Antragsteller (im Folgenden: Ehemann) begehrt die Abänderung einer Entscheidung zum Versorgungsausgleich im Wege einer „Totalrevision“ nach § 51 Abs. 1 VersAusglG.
Rz. 2
Seine am 14. April 1965 geschlossene Ehe wurde auf den am 25. Februar 1995 gestellten Antrag mit Urteil des Familiengerichts vom 26. Oktober 1995 rechtskräftig geschieden und der Versorgungsausgleich geregelt.
Rz. 3
Während der Ehezeit (1. April 1965 bis 31. Januar 1995) hatte der Ehemann ein Anrecht in Höhe von monatlich 2.085,26 DM in der gesetzlichen Rentenversicherung und ein betriebliches Anrecht in Höhe von jährlich 728,50 DM erworben. Letzteres hat das Familiengericht mithilfe der Barwertverordnung in eine dynamisierte Rente von monatlich 20,13 DM umgerechnet. Die Ehefrau hatte ein Anrecht von monatlich 130,82 DM in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Das Familiengericht führte den Versorgungsausgleich im Wege des Splittings und des erweiterten Splittings durch, indem es zulasten des Anrechts des Ehemanns in der gesetzlichen Rentenversicherung eine Anwartschaft in Höhe von 987,29 DM monatlich, bezogen auf das Ende der Ehezeit, auf das Versicherungskonto der Ehefrau übertrug. Die Ehefrau verstarb am 3. März 2015.
Rz. 4
Mit Antrag vom 17. März 2020 hat der Ehemann eine Abänderung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich begehrt. Er beruft sich auf eine wesentliche Änderung des Werts der gesetzlichen Rentenversicherung seiner Ehefrau und erstrebt im Hinblick auf deren Vorversterben eine Rückgängigmachung des gesamten Versorgungsausgleichs. Nach Auskunft des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung (Beteiligte zu 1) beträgt der geänderte Ehezeitanteil des Anrechts der Ehefrau 4,6005 Entgeltpunkte bei einem Ausgleichswert von 2,3003 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 11.150,60 €. Das Familiengericht hat den Abänderungsantrag abgelehnt, das Oberlandesgericht die Beschwerde des Ehemanns zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich dessen zugelassene Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 6
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Abänderung nicht gegeben seien, weil keine wesentliche Wertänderung im Sinne der §§ 51 Abs. 2 VersAusglG, 225 Abs. 2 und 3 FamFG vorliege. Hinsichtlich des gesetzlichen Anrechts der Ehefrau betrage die absolute Wesentlichkeitsgrenze, nämlich 1 % des auf das Ende der Ehezeit bezogenen Rentenbetrags, monatlich 40,60 DM. Diese werde durch die zwischenzeitliche Wertveränderung des Anrechts in Höhe von 40,40 DM nicht erreicht.
Rz. 7
Dem Änderungsbetrag seien auch nicht die von der Ehefrau rechnerisch zusätzlich erworbenen 0,1501 Entgeltpunkte für langjährige Versicherung hinzuzurechnen, da diese nicht gleichartig zu den sonstigen Entgeltpunkten seien. Die fehlende Gleichartigkeit der Anrechte zeige sich in der Einkommensanrechnung nach § 97 a SGB VI und ergebe sich auch aus § 120 f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI.
Rz. 8
Ebenso erreiche die Wertänderung der Anrechte des Ehemanns nicht die Wesentlichkeitsgrenze.
Rz. 9
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
Rz. 10
a) Eine Entscheidung über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich nach dem bis zum 31. August 2009 geltenden Recht kann nach § 51 Abs. 1 VersAusglG beim Vorliegen einer wesentlichen Wertänderung abgeändert werden. Wegen der besonderen Voraussetzungen für die Abänderung verweist § 51 Abs. 2 VersAusglG auf die Bestimmungen in § 225 Abs. 2 und 3 FamFG. Danach ist eine Änderung wesentlich, wenn rechtliche oder tatsächliche Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit auf den Ausgleichswert zurückwirken (§ 225 Abs. 2 FamFG) und zu einer Wertänderung führen, die mindestens 5 % des bisherigen Ausgleichswerts beträgt (relative Wesentlichkeitsgrenze: § 225 Abs. 3 Alt. 1 FamFG) und bei einem Rentenbetrag als maßgeblicher Bezugsgröße 1 %, in allen anderen Fällen als Kapitalwert 120 % der am Ende der Ehezeit maßgeblichen monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV übersteigt (absolute Wesentlichkeitsgrenze: § 225 Abs. 3 Alt. 2 FamFG). Dabei genügt nach § 51 Abs. 2 letzter Halbsatz VersAusglG die Wertänderung nur eines Anrechts.
Rz. 11
b) Bei der Abänderung von Entscheidungen über den Ausgleich von Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem bis 31. August 2009 geltenden Recht ist die Überschreitung der absoluten Wesentlichkeitsgrenze nach § 225 Abs. 3 Alt. 2 FamFG anhand des Rentenbetrags als maßgeblicher Bezugsgröße zu überprüfen (Senatsbeschluss vom 8. November 2017 - XII ZB 105/16 - FamRZ 2018, 176 Rn. 17 ff.).
Rz. 12
c) Die Differenz zwischen der Hälfte des ursprünglichen Ehezeitanteils (33,44 €; entspricht 1/2 x 130,82 DM) und dem nunmehr unter Berücksichtigung von rechtlichen und tatsächlichen Veränderungen als Rentenbetrag auf das Ende der Ehezeit (31. Januar 1995) bezogenen Ausgleichswert (54,10 €; entspricht 2,3003 Entgeltpunkte x 46 DM aktueller Rentenwert am 31. Januar 1995) beträgt 20,66 €. Damit ist zwar die relative Wesentlichkeitsgrenze von 1,67 € (entspricht 5 % von 33,44 €) überschritten, nicht aber die absolute Wesentlichkeitsgrenze in Höhe von 1 % der für das Ende der Ehezeit maßgeblichen Bezugsgröße gemäß § 18 Abs. 1 SGB IV, die umgerechnet 20,76 € beträgt.
Rz. 13
d) Zutreffend hat das Oberlandesgericht die von der Ehefrau rechnerisch inzwischen hinzuerworbenen 0,1501 Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung gemäß § 76 g SGB VI nicht den allgemeinen Entgeltpunkten hinzuaddiert.
Rz. 14
Zwar handelt es sich bei den Entgeltpunkten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte) um ein im Versorgungsausgleich auszugleichendes Anrecht (vgl. Senatsbeschluss vom 1. März 2023 - XII ZB 360/22 - zur Veröffentlichung bestimmt). Sie stellen jedoch ein eigenständiges Anrecht dar, das im Versorgungsausgleich gesondert intern zu teilen ist und deshalb weder den allgemeinen Entgeltpunkten hinzugerechnet noch solchen im Rahmen einer Geringfügigkeitsprüfung nach § 18 Abs. 1 VersAusglG gegenübergestellt werden darf (§ 120 f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI; vgl. Senatsbeschluss vom 1. März 2023 - XII ZB 360/22 - mwN, zur Veröffentlichung bestimmt).
Rz. 15
Da ein Anrecht in der Art von Entgeltpunkten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung jedoch nicht in die abzuändernde Erstentscheidung zum Versorgungsausgleich einbezogen war (vgl. § 51 Abs. 2 VersAusglG iVm § 225 Abs. 2 FamFG), bleibt dieses Anrecht bei der Abänderungsprüfung insgesamt außer Betracht (vgl. Strube NZFam 2022, 717, 721; aA MünchKommBGB/Recknagel 9. Aufl. § 51 VersAusglG Rn. 60).
Rz. 16
Daran ändert auch nichts, dass die ab 1. Januar 2021 neu eingeführten Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (§§ 76 g, 307 e, 307 f SGB VI) rechnerisch aus Anrechten ermittelt werden, die zum Zeitpunkt der Erstentscheidung bereits in der Ehezeit angelegt waren. Denn schon durch die andersartige Finanzierung des Anrechts (aus Steuermitteln anstatt durch Umlage) einerseits und aufgrund der Einkommensanrechnung in der Leistungsphase (§ 97 a SGB VI) andererseits handelt es sich um ein von den übrigen Entgeltpunktearten losgelöstes Anrecht, das folgerichtig auch der Gesetzgeber ausdrücklich als nicht gleichartig definiert hat (§ 120 f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI). Kehrseite der Trennung der Entgeltpunktearten ist, dass diese jeweils eigenständige Versorgungsanrechte mit eigener Bezugsgröße darstellen und infolgedessen nur solche Entgeltpunktearten in das Abänderungsverfahren einbezogen werden können, die auch bereits in die Ausgangsentscheidung einbezogen waren.
Rz. 17
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch nicht aus § 32 VersAusglG, dass bei der Prüfung der Abänderungsvoraussetzungen alle Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung einheitlich in einer Summe zu betrachten wären.
Rz. 18
e) Soweit es Wertänderungen von Anrechten des Ehemanns betrifft, sind Rechtsfehler weder gerügt noch erkennbar.
Guhling |
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Klinkhammer |
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Günter |
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Nedden-Boeger |
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Pernice |
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Fundstellen
Haufe-Index 15669228 |
NJW 2023, 1808 |
FuR 2023, 3 |
FuR 2023, 334 |
BetrAV 2023, 224 |
ZAP 2023, 427 |
JZ 2023, 313 |
MDR 2023, 705 |
FF 2023, 214 |
FamRB 2023, 230 |
NJW-Spezial 2023, 356 |
NZFam 2023, 513 |