Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 20.01.2003) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20. Januar 2003 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer Kosten des Revisionsverfahrens aufzuerlegen, er trägt indes die durch seine Revision den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
Die Revision des Angeklagten gegen seine Verurteilung zu zehn Jahren Jugendstrafe wegen Totschlags in zwei Fällen ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Zu den Verfahrensrügen ergänzt der Senat die Ausführungen des Generalbundesanwalts wie folgt:
1. Die Rüge der Verletzung des Verteidigerkonsultationsrechts nach § 137 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO bleibt erfolglos. Die Revision beanstandet die Verwertung von Angaben des Angeklagten im Rahmen einer Beschuldigtenbefragung gegenüber dem Kriminalbeamten B. am 2. Mai 2001.
a) An diesem Tag war der Angeklagte nach einer (bedenklicherweise, indes unbeanstandet) noch zeugenschaftlich geführten Vernehmung gegen 14.30 Uhr festgenommen worden. Er wurde über seine Beschuldigtenrechte belehrt, machte – abgesehen von einem pauschalen Bestreiten der Tat – keine weiteren Angaben und begehrte, „seine Familie und seinen Anwalt anrufen zu dürfen”. Wegen einer als vordringlich erachteten Durchsuchung wurde ihm dies zunächst verwehrt. Gegen 19.00 Uhr wurde er erneut vorgeführt, über den gegen ihn bestehenden Tatverdacht unterrichtet, nochmals über sein Schweigerecht und sein Verteidigerkonsultationsrecht belehrt und anschließend befragt. Die Verwertung dieser Befragung ist Gegenstand der verfahrensrechtlichen Beanstandung. Als die Angaben des Angeklagten protokolliert werden sollten, lehnte dieser das ab. Er teilte nunmehr erneut mit, er wolle einen Rechtsanwalt sprechen. Auf die Frage, ob er einen bestimmten Rechtsanwalt oder eine Vermittlung über den anwaltlichen Notdienst wünsche, benannte er Rechtsanwalt A., der gegen 21.30 Uhr nicht mehr erreichbar war. Der Angeklagte wurde daraufhin in die Verwahrzelle zurückgeführt.
b) Zutreffend nimmt der Generalbundesanwalt an, daß die Rüge nicht zulässig ist, weil ein Widerspruch gegen die Zeugenvernehmung des Kriminalbeamten B fehlt (BGHSt 42, 15, 22 ff. m.w.N.). Der Widerspruch, den der Verteidiger in der Hauptverhandlung an einem vorangegangenen Sitzungstag gegen die an jenem Tag durchgeführte Zeugenvernehmung des weiteren Vernehmungsbeamten O zum Inhalt derselben polizeilichen Vernehmung des Angeklagten erhoben hatte, erfaßte jene Beweiserhebung nicht. Grundsätzlich ist jede Zeugenvernehmung eines Vernehmungsbeamten bezüglich ihrer Verwertbarkeit für sich zu betrachten (vgl. BGHSt 39, 349, 352). Aus diesem Grundsatz ist nicht etwa nur abzuleiten, daß der Verteidiger sich den spätestens zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt zu erhebenden Widerspruch nicht bis zum Abschluß des letzten zu einer Beschuldigtenbefragung zeugenschaftlich vernommenen Vernehmungsbeamten aufsparen darf. Auch jenseits davon bedarf es des Widerspruchs bezogen auf jeden einzelnen zeugenschaftlich vernommenen Vernehmungsbeamten.
Freilich kann ein solcher Widerspruch auch umfassend vorab erklärt werden. In diesem Fall muß ihn der Verteidiger dann nicht noch einmal nach Abschluß der Zeugenvernehmung eines weiteren Vernehmungsbeamten ausdrücklich wiederholen. Einen solchen – von der Revision als „beweisthemenbezogenen Verwertungswiderspruch” bezeichneten – generellen Widerspruch hat der an der Hauptverhandlung mitwirkende Verteidiger Rechtsanwalt A indes nicht erhoben. Da nach dem eindeutigen Wortlaut seiner Erklärung – es werde „der Verwertung der Angaben des Zeugen O zum Inhalt der polizeilichen Vernehmung (Bl. 369 ff. d.A.) des Angeklagten widersprochen” – lediglich ein „beweismittelbezogener Verwertungswiderspruch” vorlag, war das Tatgericht auch nicht etwa gehalten, anläßlich der Zeugenvernehmung des Kriminalbeamten B nachzufragen, ob etwa ein weitergehender, auch auf diese Vernehmung bezogener Widerspruch gemeint gewesen sei.
Eine Beschränkung des Widerspruchs lediglich auf die Verwertung der Angaben des erstvernommenen Kriminalbeamten O war auch nicht etwa offensichtlich widersinnig. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, daß die in Streit stehende Befragung des Angeklagten lediglich in Form eines Vermerks niedergelegt werden konnte. Danach war es möglich, daß der Verteidiger erst der weiteren Vernehmung des Zeugen B als entlastend bewertete Details bei jener Befragung des Angeklagten entnehmen konnte, die er verwertet wissen wollte. Zudem könnte der Verteidiger – worauf das Urteil hindeutet (UA S. 117) – erst durch die Zeugenvernehmung des Kriminalbeamten B Näheres über die dem Angeklagten damals erteilte Beschuldigtenbelehrung erfahren haben, nach denen er möglicherweise keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Verwertung der Befragung mehr hatte. Eine solche Bewertung durch den Instanzverteidiger wäre auch nicht etwa abseitig gewesen: Der Angeklagte hatte seinen vorangegangenen Wunsch nach Verteidigerkonsultation gegenüber einem dritten Kriminalbeamten nicht unmittelbar im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung ausgesprochen. Er hatte dabei auch – anders als erst bei der vorgesehenen Protokollierung der in Streit stehenden späteren Vernehmung, als er freilich erstmals ausdrücklich hiernach gefragt wurde – noch keinen bestimmten Verteidiger benannt, dessen Konsultation er wünschte. Bei dieser Sachlage geht die Wertung der Revision, die Kriminalbeamten hätten mit ihrem Vorgehen „letztlich absichtlich das Verteidigerkonsultationsrecht des Angeklagten ad absurdum” geführt, überaus weit. Ohne daß die Frage der Verwertbarkeit jener Beschuldigtenbefragung abschließend entschieden werden muß, lag jedenfalls eine Beeinträchtigung des Verteidigerkonsultationsrechts des Angeklagten, die so weitgehend gewesen wäre wie in den Fällen, die den Entscheidungen BGHSt 38, 372 und 42, 15 zugrundelagen, hier nicht vor.
b) Selbst wenn die Rüge als zulässig anzusehen gewesen wäre, hätte der vorliegende Fall keine Möglichkeit geboten, eine Klärung zwischen der vom 5. Strafsenat obiter dictu geäußerten sehr weitgehenden Auffassung zur Unverwertbarkeit von Beschuldigtenvernehmungen wegen Verletzung des Verteidigerkonsultationsrechts (BGHSt 42, 15; vgl. indes auch BGHSt 47, 233) und der zu dieser Frage erheblich restriktiveren, seinerzeit tragenden Auffassung des 1. Strafsenats (BGHSt 42, 170; vgl. demgegenüber BGHSt 47, 172; vgl. aber auch – 4. Strafsenat – BGH NStZ 1998, 265, 266) herbeizuführen. Es ist nämlich sicher auszuschließen, daß das angefochtene Urteil auf einer Verwertung der in Frage stehenden Beschuldigtenbefragung zum Nachteil des Angeklagten beruht:
Die im Rahmen der Beweiswürdigung verwerteten maßgeblichen Erkenntnisse zur Bekleidung des Angeklagten bei Tatbegehung waren fraglos auch allein auf als glaubhaft angesehene Zeugenangaben zu stützen (vgl. UA S. 42 f.; vgl. hierzu näher die auf S. 40 f. und 61 der Revisionsbegründung des weiteren Verteidigers, Rechtsanwalt S, zu einer anderen Verfahrensrüge dokumentierten Aussagen des Zeugen C im Ermittlungsverfahren). Daß es zur Beweisführung, insbesondere zur Widerlegung der Angaben des Zeugen P, der Angaben und Skizzen des Angeklagten zu Standorten der Beteiligten am Tatort (UA S. 116 ff.) nicht bedurfte, ergibt sich eindeutig aus dem Zusammenhang der Beweiswürdigung, ist vom Tatgericht im Urteil zudem selbst dokumentiert worden (UA S. 118). Jenseits davon ist nichts dafür ersichtlich, daß die Beweiswürdigung des Tatgerichts – so kompliziert sie in Einzelheiten auch gelagert ist – auf dem geltend gemachten Verfahrensverstoß beruhen könnte.
2. Auf der beanstandeten Erledigung eines Hilfsbeweisantrages im Urteil mit Wahrunterstellung beruht die Verurteilung ebenfalls nicht. Die Bedeutungslosigkeit der in das Wissen des Zeugen D gestellten entlastenden Bekundung des Zeugen C, über die der benannte Zeuge – recht verstanden – lediglich durch Hörensagen von C s Vater Kenntnis haben sollte, ist dem Gesamtzusammenhang der Beweiswürdigung, insbesondere betreffend die Bewertung der Angaben des Zeugen C, eindeutig zu entnehmen. Es kann daher dahinstehen, ob die Revision – was nicht fernliegt – zur Vermittlung eines ausreichenden Verständnisses über eine mögliche Bedeutsamkeit der Beweisbehauptung hätte vortragen müssen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), welche Beweiserkenntnisse zu jener Beweisbehauptung dem Tatgericht hinsichtlich des Vaters des Zeugen C. als der unmittelbaren Beweisquelle zur Verfügung standen.
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2558333 |
NStZ 2004, 389 |
StV 2004, 57 |