Entscheidungsstichwort (Thema)
Massezugehörigkeit von Lohnbestandteilen. Zuständigkeit
Leitsatz (amtlich)
Über die Massezugehörigkeit von Lohnbestandteilen hat das Prozessgericht zu entscheiden, wenn deutsche Gerichte für die Einzelzwangsvollstreckung nicht zuständig sind.
Normenkette
InsO § 36 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 S. 1, § 148 Abs. 2; ZPO § 850 f Abs. 1
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Beschluss vom 13.01.2010; Aktenzeichen 3 T 494/09) |
AG Chemnitz (Entscheidung vom 16.06.2009; Aktenzeichen 1109 IN 1811/08) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Chemnitz vom 13.1.2010 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf (12x 1.134,82 EUR =) 13.617,84 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Auf Eigenantrag eröffnete das AG am 1.7.2008 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, der im Oktober 2008 zur Arbeitsaufnahme in die Schweiz verzog. In den Jahren 2009 und 2010 verdiente er dort monatlich netto 5.338,80 Schweizer Franken. Am 6.5.2009 beantragte der Schuldner, den Pfändungsfreibetrag wegen der hohen Lebenshaltungskosten in der Schweiz auf 5.070 Schweizer Franken zu erhöhen.
Rz. 2
Das AG hat den Antrag des Schuldners abgelehnt. Seine Beschwerde hatte teilweise Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen ursprünglichen Antrag weiter.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 793 ZPO statthaft, weil sie vom LG zugelassen worden ist (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Das Insolvenzgericht hat bei der Prüfung der § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850 f Abs. 1 ZPO als besonderes Vollstreckungsgericht nach § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO entschieden, so dass sich der Rechtsmittelzug nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften bestimmt (vgl. BGH, Beschl. v. 16.6.2011 - IX ZB 166/11, WuM 2011, 486 Rz. 4). Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen (§ 575 Abs. 1 bis 3 ZPO) zulässig, sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat zur Bestimmung der Masse nach den §§ 35, 36 Abs. 1 Satz 2, 335 InsO, §§ 850c, 850e, 850 f Abs. 1 ZPO deutsches Recht angewendet. Es hat ausgeführt: Ob pfändbares Vermögen zur Masse gehöre und welche Gegenstände ggf. unpfändbar seien, entscheide sich nach dem Insolvenzrecht des Landes, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Das Insolvenzverfahren erfasse auch den Neuerwerb im Ausland, sofern er nach § 36 Abs. 1 InsO und den in Bezug genommenen Vorschriften der Zivilprozessordnung der Zwangsvollstreckung unterliege. Der Schuldner habe die Voraussetzungen des § 850 f Abs. 1 Buchstabe a ZPO nicht dargelegt; nur die ihm entstandenen Beerdigungskosten seien nach § 850 f Abs. 1 Buchstabe b ZPO zu berücksichtigen.
Rz. 5
2. Die in den Grenzen seiner Beschwer vom Schuldner angegriffene Entscheidung des Beschwerdegerichts ist im Ergebnis richtig; jedoch ist der Antrag auf Erhöhung des Pfändungsfreibetrags vor dem Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht bereits unzulässig.
Rz. 6
a) Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach § 36 Abs. 4 InsO folgt noch nicht aus der Anwendung der in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO genannten vollstreckungsrechtlichen Beurteilungsnormen. Der Streit zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner über die Massezugehörigkeit von Lohnbestandteilen kann nur im Wege des Rechtsstreits vor dem Prozessgericht entschieden werden, wenn er - wie vorliegend - keine Vollstreckungshandlung und keine Anordnung des Vollstreckungsgerichts betrifft. Ob das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht gem. § 36 Abs. 4 InsO oder das Prozessgericht in einem Rechtsstreit entscheidet, hängt davon ab, ob die Auseinandersetzung zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner um die Massezugehörigkeit als solcher geführt wird - dann gehört der Rechtsstreit vor das Prozessgericht - oder ob über die Zulässigkeit der Vollstreckung gestritten wird - dann entscheidet das Insolvenzgericht im Rahmen des § 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 InsO als Vollstreckungsgericht (vgl. BGH, Urt. v. 25.10.1984 - IX ZR 110/83, BGHZ 92, 339 [340]; v. 10.1.2008 - IX ZR 94/06, NZI 2008, 244 Rz. 7; Beschl. v. 11.5.2010 - IX ZB 268/09, NZI 2010, 584 Rz. 2; vgl. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 35 Rz. 169; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 35 Rz. 126; § 36 Rz. 54; Berkowsky, NZI 2010, 855; Vosberg/Klawa, EWiR 2011, 57; vgl. für Vollstreckungshandlungen in Deutschland BGH, Beschl. v. 26.4.2012 - IX ZB 273/11, Rz. 5, ZIP 2012, 1096).
Rz. 7
Allerdings bestimmt vielfach das als Vollstreckungsgericht handelnde Insolvenzgericht (vgl. Hirte, a.a.O., § 36 Rz. 55) den Pfändungsfreibetrag nach § 850 f Abs. 1 ZPO, § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, wenn der Arbeitgeber des Schuldners seinen Sitz in Deutschland hat. Dann ergeht die Anordnung des Insolvenzgerichts regelmäßig im Rahmen der Vollstreckung. Anders liegt es jedoch, wenn die Einzelvollstreckung im Ausland erforderlich wird, weil der Schuldner und sein Arbeitgeber sich im Ausland befinden. Das deutsche Vollstreckungsgericht ist dann für die im Ausland erforderlich werdende Einzelzwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses international nicht zuständig. Durch Gerichte der Bundesrepublik Deutschland angeordnete Vollstreckungsmaßnahmen können nicht in die Hoheitsgewalt eines anderen Staats eingreifen (BGH, Beschl. v. 13.8.2009 - I ZB 43/08, WM 2010, 520 Rz. 11 m.w.N.). Für das Insolvenzverfahren gilt nichts anderes, sofern im Ausland belegene Massebestandteile betroffen sind (vgl. etwa Art. 18 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union; vgl. auch Hirte, a.a.O., § 35 Rz. 130; vgl. auch BGH, Urt. v. 10.12.1976 - V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 [17 f.]; v. 13.7.1983 - VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 [150 f.]).
Rz. 8
b) Im vorliegenden Fall hat der Insolvenzverwalter im Wege der Vollstreckungshilfe Schweizer Gerichte Lohnbestandteile zur Masse gezogen. Mithin streiten die Verfahrensbeteiligten nicht über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung in der Schweiz außerhalb der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte, sondern allein über die Massezugehörigkeit der Lohnbestandteile als solcher. Der Schuldner hätte deshalb den Insolvenzverwalter vor dem Prozessgericht (§ 19a ZPO) auf Feststellung verklagen können, dass nur ein über 5.070 Schweizer Franken hinausgehender Betrag seines monatlichen Arbeitslohns als Neuerwerb in die Insolvenzmasse fällt. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse wäre gegeben. Das Prozessgericht hätte dann für Insolvenzverwalter und Schuldner verbindlich über die Zugehörigkeit des Arbeitseinkommens zur Insolvenzmasse zu befinden gehabt.
Rz. 9
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Der durch das Insolvenz- und das Beschwerdegericht zu Unrecht sachlich beschiedene Antrag des Schuldners auf Erhöhung des Pfändungsfreibetrags ist deswegen in dem Umfang als unzulässig abzulehnen, wie die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und der Antrag des Schuldners als unbegründet abgewiesen worden ist. Insoweit steht das Verschlechterungsverbot nicht entgegen (vgl. BGH, Urt. v. 5.3.2009 - IX ZR 141/07, NJW 2009, 1671 Rz. 15; Hk-ZPO/Kayser, 4. Aufl., § 563 Rz. 17).
Fundstellen
Haufe-Index 3092961 |
DB 2012, 1567 |
EBE/BGH 2012 |
NJW-RR 2012, 1396 |
WM 2012, 1444 |
ZIP 2012, 1371 |
DZWir 2012, 394 |
MDR 2012, 935 |
NZI 2012, 647 |
NZI 2012, 672 |
RIW 2012, 570 |
Rpfleger 2012, 646 |
ZInsO 2012, 1260 |
InsbürO 2012, 359 |
ZVI 2012, 305 |