Verfahrensgang
LG Wuppertal (Entscheidung vom 09.05.2022; Aktenzeichen 30 KLs 3/22) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 9. Mai 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Beleidigung sowie wegen Körperverletzung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es zwei Monate der verhängten Strafe wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt erklärt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge Erfolg, der Vorsitzende habe in der Hauptverhandlung nicht im Sinne des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO den wesentlichen Inhalt von auf eine Verständigung gerichteten Erörterungen mitgeteilt.
Rz. 2
1. Der den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Beanstandung liegt im Wesentlichen das folgende Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Rz. 3
Vor Eröffnung des Hauptverfahrens rief der Vorsitzende der Strafkammer den Verteidiger an und thematisierte, ob das Verfahren durch eine Verständigung und ein Geständnis des Angeklagten abgekürzt werden könne. Die Tatvorwürfe lägen etliche Jahre zurück, das Verfahren sei verzögert worden. Die Beweiswürdigung sei nicht unproblematisch, die Nebenklägerin „schwierig“. Nach weiteren Ausführungen legte der Vorsitzende dar, dass aus seiner Sicht das Verfahren auf den Vorwurf der Vergewaltigung beschränkt werden und der - damals noch - Angeschuldigte bei einem Geständnis zu einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe verurteilt werden könne. Nachdem der Verteidiger den Vorschlag des Vorsitzenden mit seinem Mandanten abschließend erörtert hatte, informierte er den Vorsitzenden mehrere Wochen später telefonisch darüber, dass der Angeklagte eine Verständigung ablehne und er kein Geständnis ablegen werde.
Rz. 4
Am ersten Verhandlungstag teilte der Vorsitzende mit, dass im Vorfeld der Hauptverhandlung mit den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit erörtert worden sei, das Verfahren auf den Vorwurf der Vergewaltigung zu beschränken und die weitergehenden Vorwürfe der Körperverletzung gemäß § 154 StPO einzustellen. Für den Fall eines Geständnisses im Hinblick auf die verbleibende Tat sei die Möglichkeit einer bewährungsfähigen Strafe erörtert worden. Der Angeklagte sei einer dahingehenden Verständigung nicht nähergetreten.
Rz. 5
2. Die Mitteilung des Vorsitzenden genügt nicht den Anforderungen des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, da sie nicht den wesentlichen Inhalt der Erörterungen erfasst.
Rz. 6
a) Nach dieser Vorschrift ist über Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb einer Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Die Mitteilungspflicht dient der Transparenz und Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens. Um dem Transparenzgebot gerecht zu werden, ist nicht nur der Umstand mitzuteilen, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Hierzu gehört regelmäßig, wer an dem Gespräch teilgenommen hat, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden ist, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben und ob diese bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind. Das gilt auch dann, wenn eine Verständigung im Sinne des § 257c Abs. 3 StPO letztlich nicht zustande gekommen ist (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 3. November 2022 - 3 StR 127/22, juris Rn. 19 mwN; BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2020 - 2 BvR 900/19, NJW 2020, 2461 Rn. 26, 28 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 243 Rn. 18d).
Rz. 7
b) Diesen Anforderungen wird die Mitteilung nicht gerecht. So fehlt insbesondere eine Erklärung dazu, dass die Frage einer Verständigung in einem Telefongespräch allein zwischen dem Verteidiger sowie dem Vorsitzenden von diesem aufgeworfen wurde und der Vorsitzende den konkreten Vorschlag unterbreitete. Angesichts dieses Defizits bedarf es keiner weiteren Vertiefung, dass überdies die Darstellung einer in Aussicht gestellten zur Bewährung ausgesetzten Strafe als Angebot einer „bewährungsfähigen“ Strafe nicht unbedenklich erscheint.
Rz. 8
3. Der Verfahrensverstoß hat die Aufhebung des Urteils zur Folge, da das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht.
Rz. 9
a) Bei einem Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO ist bei Zugrundelegung der von der herkömmlichen Dogmatik des Beruhens (§ 337 Abs. 1 StPO) abweichenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Sinne eines um normative Aspekte angereicherten Beruhensbegriffs regelmäßig davon auszugehen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht. Das Beruhen eines Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflicht kann indes ausnahmsweise auch bei Zugrundelegung des normativen Beruhensbegriffs im Einzelfall zu verneinen sein. Dies gilt dann, wenn der Mitteilungsmangel sich nicht in entscheidungserheblicher Weise auf das Prozessverhalten des Angeklagten ausgewirkt haben kann sowie mit Blick auf die Kontrollfunktion der Mitteilungspflicht der Inhalt der geführten Gespräche zweifelsfrei feststeht und sicher ausgeschlossen werden kann, dass diese auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet waren (s. BGH, Urteil vom 3. November 2022 - 3 StR 127/22, juris Rn. 24 f. mwN).
Rz. 10
b) Daran gemessen lässt sich ein normativer Beruhenszusammenhang nicht ablehnen. Unabhängig davon, ob eine ordnungsgemäße Mitteilung ein anderes Prozessverhalten des Angeklagten zur Folge gehabt hätte (vgl. zum Gewicht einer ordnungsgemäßen Mitteilung durch den Vorsitzenden BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2017 - 3 StR 216/16, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 10 Rn. 24 f.; vom 15. Juli 2020 - 2 StR 526/19, NStZ 2021, 506 Rn. 13 mwN), sind die weiteren, die Kontrollfunktion betreffenden Voraussetzungen für eine Ausnahme nicht gegeben. Unter den gegebenen Umständen ist angesichts der in Aussicht gestellten Bewährungsstrafe und des nach § 177 Abs. 2 StGB aF bei dem Regelbeispiel der Vergewaltigung eröffneten Strafrahmens von nicht unter zwei Jahren Freiheitsstrafe eine etwaige gesetzeswidrige Absprache nicht sicher auszuschließen (vgl. zur Strafrahmenverschiebung als Gegenstand einer Verständigung zum einen BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 210 ff.; zum anderen BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 3 StR 216/16, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 10 Rn. 19; zudem KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 9. Aufl., § 257c Rn. 18 ff.).
Rz. 11
4. Da das Urteil bereits auf die dargelegte Verfahrensrüge aufzuheben ist, ist eine Erörterung der weiteren prozessualen und materiellrechtlichen Beanstandungen entbehrlich. Insoweit weist der Senat lediglich vorsorglich darauf hin, dass sich die Erwägung, die Nebenklägerin habe ihre Strafanzeige Ende Oktober 2016 unter anderem wegen des Todes der Mutter des Angeklagten zurücknehmen wollen, nicht mit der anderweitigen Feststellung vereinbaren lässt, die Mutter sei im Mai 2017 verstorben.
Schäfer |
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Hohoff |
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Anstötz |
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Kreicker |
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Voigt |
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Fundstellen
Haufe-Index 15669175 |
NStZ 2023, 8 |
StV 2023, 818 |
StraFo 2023, 236 |