Leitsatz (amtlich)
Eine Aufschlüsselung der Forderung nach Arbeitnehmern ist bei einem Eröffnungsantrag eines Sozialversicherungsträgers zur Darlegung und Glaubhaftmachung der Forderung entbehrlich, wenn von dem Schuldner gefertigte Datensätze (sog. softcopys) vorgelegt werden (Aufgabe von BGH, Beschl. v. 5.2.2004 - IX ZB 29/03, WM 2004, 1686).
Normenkette
InsO § 14 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 28 f Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
LG Koblenz (Beschluss vom 14.10.2013; Aktenzeichen 2 T 511/13) |
AG Montabaur (Entscheidung vom 16.09.2013; Aktenzeichen 14 IN 218/13) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin werden der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Koblenz vom 14.10.2013, berichtigt durch Beschluss vom 14.11.2013, und der Beschluss des AG Montabaur vom 16.9.2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das Insolvenzgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 4.181,50 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Gläubigerin, eine gesetzliche Krankenversicherung, stellte am 12.8.2013 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners, der ein Umzugsunternehmen betreibt. Grundlage des Antrags waren rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus dem Zeitraum vom 1.1.2013 bis zum 6.3.2013i.H.v. insgesamt 4.181,50 EUR einschließlich Säumniszuschlägen und Vollstreckungsgebühren. Hierbei schlüsselte die Gläubigerin die Beitragsforderungen nicht nach Arbeitnehmern, sondern lediglich nach Monaten auf. Zur Glaubhaftmachung der Forderung legte sie Computerausdrucke aus ihrem Datenbestand (sog. softcopys) bei. Diese geben nach dem Vorbringen der Gläubigerin die mittels Datenfernübertragung gem. § 28 f Abs. 3 Satz 3 SGB IV durch den Schuldner im maßgeblichen Zeitraum übermittelten Beitragsnachweise wieder.
Rz. 2
Das Insolvenzgericht hat den Antrag der Gläubigerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Anhörung des Schuldners, der sich nicht geäußert hat, als unzulässig abgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag weiter.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 4 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Insolvenzgericht.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Gläubigerin habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die von ihr behaupteten Forderungen gegen den Schuldner bestünden. Mit Blick auf § 28 f Abs. 3 Satz 3 SGB IV sei es zwar nicht mehr erforderlich, dass Sozialversicherungsträger zur Glaubhaftmachung Leistungsbescheide oder Beitragsnachweise der Arbeitgeber vorlegen müssten, welche die Forderungen der Arbeitgeber nach Monaten und Arbeitnehmern geordnet darstellten. Jedoch könne gleichwohl nicht jedes beliebige von einem öffentlich-rechtlichen Gläubiger gefertigte und als Beitragsnachweis betitelte Schriftstück ausreichen. Beitragsnachweise i.S.v. § 28 f Abs. 3 Satz 3 SGB IV seien nur die von der Einzugsstelle selbst gefertigten Beitragsbescheide, die dem Schuldner zugesandt worden seien, oder Eigenbelege des Schuldners in Form einer Eigenmeldung. Solche habe die Gläubigerin mit den von ihr selbst gefertigten Ausdrucken nicht vorgelegt.
Rz. 5
2. Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 6
a) Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Antrag eines Gläubigers zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Das Beschwerdegericht hat sich bislang lediglich mit der Frage befasst, ob der Antrag, was die Darlegung und Glaubhaftmachung der geltend gemachten Forderung angeht, den Zulässigkeitsvoraussetzungen dieser Bestimmung genügt. Dies kann anhand der bisherigen Feststellungen des Beschwerdegerichts entgegen dessen Ansicht nicht verneint werden.
Rz. 7
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats ist regelmäßig beim Eröffnungsantrag eines Sozialversicherungsträgers für die schlüssige Darlegung der Forderungen der Einzugsstelle eine Aufschlüsselung nicht nur nach Monat, sondern auch nach Arbeitnehmern erforderlich (BGH, Beschl. v. 5.2.2004 - IX ZB 29/03, WM 2004, 1686, 1687; v. 13.6.2006 - IX ZB 214/05, WM 2006, 1629 Rz. 8; ferner LG Hamburg, ZInsO 2010, 1842, 1843; Vallender/Undritz/Laroche, Praxis des Insolvenzrechts, S. 57; Mitter in Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, 2012, § 14 Rz. 31). An dem letztgenannten Erfordernis hält der Senat im Hinblick auf die Neufassung von § 28 f Abs. 3 Satz 3 SGB IV durch Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes über den Ausgleich von Arbeitgeberforderungen vom 22.12.2005 (BGBl. I, 3686) nicht mehr fest. Nach dieser Bestimmung gilt der durch den Arbeitgeber der Einzugsstelle durch Datenübertragung zu übermittelnde Beitragsnachweis nicht nur für die Vollstreckung als Leistungsbescheid, sondern auch im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderung der Einzugsstelle, obwohl dieser die fällige Beitragsschuld in einer Summe und ohne Bezug zum einzelnen Arbeitnehmer ausweist (vgl. Roßbach in Kreikebohm/Spellenbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl., § 28 f SGB IV Rz. 16). Nach der Gesetzesbegründung soll hierdurch eine nach einzelnen Arbeitnehmern aufgeschlüsselte Aufstellung der Forderungen entbehrlich sein, weil diese in dem gesetzlich vorgesehenen Melde- und Beitragsnachweisverfahren nicht darstellbar und nicht notwendig sei (BT-Drucks., 16/39, S. 15). Die Umgestaltung des Melde- und Beitragsnachweisverfahrens führt dazu, dass eine Aufschlüsselung nach Arbeitnehmern im Rahmen der Antragstellung nach § 13 InsO nicht mehr geboten ist (vgl. LG Frankenthal, NZI 2010, 960; Kirchhof in HK/InsO, 7. Aufl., § 14 Rz. 9; Schmahl, NZI 2007, 20, 21 Fn. 2).
Rz. 8
b) Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, dass die von der Gläubigerin geltend gemachten Forderungen schlüssig dargelegt sind, aber die vorgelegten Bildschirmauszüge als Mittel der Glaubhaftmachung nicht geeignet seien.
Rz. 9
aa) Der Begriff der Glaubhaftmachung in § 14 Abs. 1 InsO entspricht dem des § 294 ZPO (vgl. BGH, Beschl. v. 11.9.2003 - IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139, 142; v. 13.6.2006 - IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rz. 5; v. 23.10.2008 - IX ZB 7/08, WuM 2009, 144 Rz. 3; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 14 Rz. 4; Kirchhof in HK/InsO, a.a.O., Rz. 12). Danach ist hinsichtlich der den Antrag stützenden Forderung deren schlüssige Darlegung und die überwiegende Wahrscheinlichkeit ihres Bestehens erforderlich (vgl. BGH, Beschl. v. 5.2.2004 - IX ZB 29/03, WM 2004, 1686, 1687). Daher muss der Gläubiger wie auch sonst bei § 294 ZPO die tatsächlichen Voraussetzungen nicht glaubhaft machen, wenn sie unstreitig sind (vgl. BGH, Beschl. v. 9.7.2009 - IX ZB 86/09, ZInsO 2009, 1533 Rz. 3; v. 21.7.2011 - IX ZB 256/10, ZInsO 2011, 1614 Rz. 4; v. 12.7.2012 - IX ZB 264/11, ZInsO 2012, 1418 Rz. 7; Kirchhof in HK/InsO, a.a.O.; vgl. auch BGH, Beschl. v. 5.2.2009 - IX ZB 185/08, WM 2009, 619 Rz. 7).
Rz. 10
bb) Hiernach konnte das Beschwerdegericht, das die Darlegungen der Gläubigerin zu deren Forderungen gegen den Schuldner als schlüssig angesehen hat, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mit der Begründung ablehnen, die von der Gläubigerin vorgelegten Ausdrucke seien zur Glaubhaftmachung der auf Grundlage der Beitragsnachweise des Schuldners errechneten Gesamtforderung nicht geeignet.
Rz. 11
c) Bei den von der Gläubigerin eingeforderten Sozialversicherungsbeiträgen handelt es sich um Forderungen öffentlich-rechtlicher Hoheitsträger. Diese sind bei Ausübung ihrer Tätigkeit an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). An die Darlegung ihrer Forderungen sind daher keine nach dem Zweck des Gesetzes nicht veranlassten formalen Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, Beschl. v. 5.2.2004 - IX ZB 29/03, WM 2004, 1686, 1687). Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Beschl. v. 22.9.2005 - IX ZB 205/04, NZI 2006, 34).
Rz. 12
Ob die von der Gläubigerin eingereichten Datenauszüge (sog. softcopys) nahe legen, dass die abgebildeten Daten vom Arbeitgeber stammen und deshalb den Beitragsnachweis-Datensatz zutreffend abbilden, bedarf der tatrichterlichen Würdigung. Hierbei ist bedeutsam, ob die vorgelegten Abbildungen über einen bloßen Kontoauszug als verwaltungsinterne Arbeitshilfe hinausgehen. Die Erleichterungen bei der Darlegung der Forderung greifen nur ein, wenn die Daten entsprechend den nach § 28b Abs. 2 Satz 1 SGB IV bundeseinheitlich festgelegten "Gemeinsamen Grundsätze zum Aufbau der Datensätze für die Übermittlung von Beitragsnachweisen durch Datenübertragung nach § 28b Abs. 2 SGB IV" ausgerichtet sind. Hierzu sollte ihnen insb. die erforderliche Unterscheidung der in den vorgenannten Grundsätzen genannten Beitragsgruppen nebst den entsprechenden Schlüsselzahlen zu entnehmen sein (vgl. vorgenannte Grundsätze, Seite 6 f.). Auch sollte der Datensatz den Arbeitgeber oder eine von diesem bevollmächtigte Person als Meldenden benennen. Bei der dahingehenden tatrichterlichen Würdigung ist zu berücksichtigen, dass die zur Datenübertragung nach § 28 f Abs. 3 Satz 1 SGB IV genutzten Systeme eine gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung der Meldungen sicherstellen müssen (vgl. § 28c Nr. 4 SGB IV, §§ 1, 16 Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung vom 10.2.1998 (DEÜV)). Damit kann regelmäßig ausgeschlossen werden, dass die im Datenbestand angezeigten Daten von Dritten stammen. Da auch die Einzugsstelle bei der Ausübung ihrer Tätigkeit an Gesetz und Recht gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG), wird im Regelfall kein Anhalt dafür bestehen, dass die angezeigten Daten in Abweichung von einer Arbeitgebermeldung von Mitarbeitern der Einzugsstelle eingegeben wurden.
Rz. 13
d) Die Darlegungen der Gläubigerin zur Beitragsforderung hat der hierzu angehörte Schuldner im Übrigen nicht bestritten, so dass es keiner Glaubhaftmachung mit den Mitteln des § 294 ZPO bedurfte.
III.
Rz. 14
Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich. Die Sache ist deswegen gem. § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zurückzuverweisen, und zwar an das Insolvenzgericht. Das hält der Senat für sachgerecht, weil eine erschöpfende Prüfung der Zulässigkeit des Eröffnungsantrags sowie der Eröffnungsvoraussetzungen bislang noch nicht stattgefunden hat (vgl. BGH, Beschl. v. 22.7.2004 - IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176, 185).
Fundstellen
Haufe-Index 8146621 |
DB 2015, 1835 |
DB 2015, 7 |
EBE/BGH 2015 |
NJW-RR 2015, 1078 |
CR 2016, 19 |
FA 2015, 275 |
KTS 2016, 211 |
WM 2015, 1428 |
ZIP 2015, 1445 |
DZWir 2015, 529 |
JZ 2015, 532 |
KrV 2015, 211 |
MDR 2015, 915 |
NZI 2015, 7 |
NZI 2015, 755 |
NZS 2015, 744 |
ZInsO 2015, 1566 |
InsbürO 2015, 539 |
NJW-Spezial 2015, 662 |
ZVI 2016, 13 |
VIA 2015, 75 |