Leitsatz (amtlich)
Bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen, die den Tatbestand des § 266a Abs. 2 erfüllen, wirkt die Unmöglichkeit der Beitragsentrichtung – anders als im originären Anwendungsbereich des § 266a Abs. 1 StGB (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 28. Mai 2002 – 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318) – regelmäßig nicht tatbestandsausschließend.
Normenkette
StGB § 266a Abs. 2
Verfahrensgang
LG Coburg (Urteil vom 16.02.2011) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 16. Februar 2011 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen waren die in den „Drückerkolonnen” des Angeklagten beschäftigten Personen vollständig in den Betrieb des Unternehmens des Angeklagten eingegliedert und dessen Weisungen unterworfen. Diese Feststellungen tragen die rechtliche Wertung des Landgerichts, dass der Angeklagte Arbeitgeber der in seinem Unternehmen beschäftigten Personen war. Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich. Liegt danach ein Arbeitsverhältnis vor, können die Vertragsparteien die sich hieraus ergebenden Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2009 – 1 StR 478/09, NStZ 2010, 337 mwN). Dem steht auch die von der Revision angeführte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2010 (5 AZR 332/09, NJW 2010, 2455) nicht entgegen. Danach ist bei der Gesamtwürdigung eines Sachverhaltes zur Klärung der Frage, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt „zudem die Vertragstypenwahl der Parteien zu berücksichtigen”. Lediglich dann, „wenn die tatsächliche Handhabung nicht zwingend für ein Arbeitsverhältnis spricht, müssen sich die Parteien an dem von ihnen gewählten Vertragstypus festhalten lassen” (BAG aaO 2457). Vorliegend sind indes auf Grundlage der getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen eines Arbeitsverhältnisses zweifelsfrei gegeben.
2. Das Landgericht hat der Verurteilung auch keine zu hohen Schwarzlohnsummen zu Grunde gelegt. Soweit die Revision in diesem Zusammenhang geltend macht, die Einbeziehung der Zahlungen des Angeklagten für Verpflegung und Unterkunft der Arbeitnehmer sei zu Unrecht erfolgt, verkennt sie, dass die Zahlungen nicht zusätzlich, sondern anstatt des Gehaltes gezahlt worden sind. Bereits aus diesem Grund greift die Einschränkung des § 1 ArEV bzw. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 – 1 StR 150/09, NStZ-RR 2009, 339).
3. Angesichts der Tatsache, dass das Landgericht sowohl die Höhe der an die Arbeitnehmer gezahlten Schwarzlöhne als auch die Beitragssätze der zuständigen Krankenkassen rechtsfehlerfrei festgestellt hat, ist dem Senat auch ohne weiteres die Überprüfung der durch die Taten verursachten Schäden möglich. Die auf Grundlage der getroffenen Feststellungen vorzunehmende Hochrechnung der Schwarzlöhne nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV und die sich daran anschließende Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ist Rechtsanwendung. Insoweit gilt ebenso wie bei der Berechnungsdarstellung im Falle der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, dass das Tatgericht nicht gehalten ist, den eigentlichen Berechnungsvorgang als Teil der Subsumtion im Urteil darzustellen, sofern dieser vom Revisionsgericht selbst durchgeführt werden kann. Freilich empfiehlt sich eine solche Berechnungsdarstellung auch bei der Verurteilung wegen Taten nach § 266a StGB, weil sie die Nachvollziehbarkeit des Urteils erleichtert. Zudem bietet die Berechnungsdarstellung die Möglichkeit zu kontrollieren, ob die im konkreten Fall erheblichen Tatsachen im angefochtenen Urteil festgestellt sind (vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639).
4. Dass – wie von der Revision behauptet – dem Angeklagten die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge unmöglich gewesen wäre, ergibt sich – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend feststellt – aus den Urteilsgründen nicht. Anhaltspunkte, die weitere Feststellungen der Strafkammer zur Zahlungsfähigkeit geboten hätten, sind nicht ersichtlich. Auch die Revision trägt insoweit keine Umstände von Gewicht vor.
Dessen ungeachtet wirkt in Fällen der vorliegenden Art – d.h. bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen – die Unmöglichkeit der Beitragsentrichtung – anders als im originären Anwendungsbereich des § 266a Abs. 1 StGB (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 28. Mai 2002 – 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318) – regelmäßig nicht tatbestandsausschließend.
Anders als im Rahmen von § 266a Abs. 1 StGB besteht vorliegend die Tathandlung nicht im Vorenthalten – also dem schlichten Nichtzahlen – der Sozialversicherungsbeiträge. Hier ist das Vorenthalten vielmehr Folge der in § 266a Abs. 2 StGB definierten Tathandlungen. Bei dem Tatbestand des § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB handelt es sich dabei um ein Erfolgsdelikt, das an einem aktiven Tun anknüpft. Lediglich im Rahmen des Tatbestands des § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB ist ein echtes Unterlassungsdelikt gegeben (Fischer, StGB 58. Aufl., § 266a Rn. 21). Anders als § 266a Abs. 1 StGB enthält der Tatbestand des § 266a Abs. 2 StGB mithin über die Nichtzahlung hinausgehende Unrechtselemente (vgl. Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Aufl. 2011, § 266a Rn. 64: „Die Pflichtverletzungen des Arbeitgebers nach Nr. 1 und 2 verkörpern ein erhöhtes Unrecht und eine typische Gefahrerhöhung im Hinblick auf die eintretende Beitragsvorenthaltung”).
Hierbei ist zwischen den das Unrecht des Tatbestands prägenden Tathandlungen des § 266a Abs. 2 StGB und dem Vorenthalten als deren Folge keine strikte äquivalente Kausalität in dem Sinne erforderlich, dass der Arbeitgeber ohne die Tathandlung – also bei ordnungsgemäßen Angaben – die Beiträge gezahlt haben müsste. Der Zusammenhang ist vielmehr wie im Fall des gleichlautenden § 370 Abs. 1 AO funktional zu verstehen (vgl. Wiedner aaO), was auch der Absicht des Gesetzgebers entspricht, die Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen bei Verletzung von Erklärungspflichten in Anlehnung an § 370 AO unter Strafe zu stellen (BT-Drucks. 15/2573 S. 28).
Die bei Verwirklichung des Tatbestandes des § 266a Abs. 1 StGB als echtem Unterlassensdelikt geltenden allgemeinen Grundsätze, wonach dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar sein müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2002 – 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318, 320), können daher hinsichtlich der Tatbestandsalternative des § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB von vornherein keine Anwendung finden. Lediglich bei dem echten Unterlassungsdelikt des § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB sind sie zu beachten. Möglich und zumutbar muss dann allerdings nur die Erfüllung der Handlungspflichten sein, deren Verletzung im Tatbestand vorausgesetzt wird. Das sind die sozialversicherungsrechtlichen Meldepflichten, namentlich die nach § 28a SGB IV. Demgegenüber gelten sie nicht im Hinblick auf die Folge des Unterlassens, d.h. dem Vorenthalten der Sozialversicherungsbeiträge.
Soweit in Fällen der vorliegenden Art der Tatbestand des § 266a Abs. 1 StGB ebenfalls durch betrugsähnliche, in § 266a Abs. 2 StGB beschriebene Handlungen verwirklicht und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung vorenthalten werden, finden die für echte Unterlassensdelikte geltenden allgemeinen Grundsätze aufgrund der vorstehenden Erwägungen ebenfalls keine Anwendung. Denn der Gesetzgeber beabsichtigte insoweit eine einheitliche Anwendung beider Absätze in der Praxis (BT-Drucks. 15/2573 S. 28), die im Hinblick auf den über das schlichte Nichtzahlen der angemeldeten Sozialversicherungsbeiträge hinausgehenden Unrechtsgehalt der Taten auch geboten ist. Hinzu kommt, dass im Hinblick auf eine eventuelle Unmöglichkeit der Zahlung der Arbeitnehmeranteile in Fällen der vorliegenden Art regelmäßig ein schuldhaftes Vorverhalten gegeben ist („omissio libera in causa”, vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 28. Mai 2002 – 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318, 320 ff.), so dass die Unmöglichkeit der Zahlung der Beiträge zum Fälligkeitszeitpunkt ohnehin nicht tatbestandsausschließend wirken würde (vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Mai 1987 – 3 StR 460/86, wistra 1987, 290, 291 f.).
Dem steht auch § 266a Abs. 6 StGB nicht entgegen. Ungeachtet des ohnehin eingeschränkten Anwendungsbereichs, den die Vorschrift bei Taten nach § 266a Abs. 2 StGB hat (vgl. Laitenberger NJW 2004, 2703, 2706; Joecks wistra 2004, 441, 443), bleibt der Strafaufhebungsgrund des § 266a Abs. 6 StGB erhalten, soweit die Tat nach § 266a Abs. 2 StGB begangen wurde, weil eine fristgemäße Zahlung nicht möglich war. In Fällen der vorliegenden Art, bei denen die Tat keine Reaktion auf wirtschaftliche Probleme des Arbeitgebers, sondern vielmehr Folge eines von vornherein auf Umgehung der Beitragszahlungen angelegten Tatplans war, ist demgegenüber für die Anwendung des § 266a Abs. 6 StGB ohnehin kein Raum (vgl. Laitenberger aaO).
Die vorstehende, sich aus Wortlaut und Systematik der Vorschrift ergebende Auslegung wird zudem – neben den bereits angeführten Gesichtspunkten aus der Entstehungsgeschichte des Tatbestands – vom Willen des Gesetzgebers getragen. Mit der Einführung des neuen § 266a Abs. 2 StGB durch das Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I, 1842) sollten die Strafbarkeitslücken geschlossen werden, die bis dahin in Fällen des Beitragsbetrugs gegeben waren (vgl. BT-Drucks. 15/2573 S. 28). Der Tatbestand des § 263 StGB war in Fällen der vorliegenden Art nach zutreffender Auffassung bereits dann erfüllt, wenn die Beitragsforderungen irrtumsbedingt nicht festgesetzt und beigetrieben wurden (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 1983 – 4 StR 477/83, wistra 1984, 66, 67; BGH, Urteil vom 25. Januar 1984 – 3 StR 278/83, BGHSt 32, 236, 240; BGH, Urteil vom 13. Mai 1987 – 3 StR 460/86, wistra 1987, 290, 291 f.; a.A. obiter dictum BGH, Beschluss vom 12. Februar 2003 – 5 StR 165/02, NJW 2003, 1821, 1824). Dass der Gesetzgeber dahinter zurückbleiben wollte, ist nicht ersichtlich.
Der Schriftsatz der Verteidigung vom 8. August 2011 lag dem Senat bei dieser Entscheidung vor.
Unterschriften
Nack, Elf, Graf, RiBGH Prof. Dr. Jäger ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack, Sander
Fundstellen
Haufe-Index 2744554 |
NJW 2011, 3047 |
EBE/BGH 2011 |
GmbH-StB 2011, 328 |
NStZ 2012, 94 |
ZAP 2011, 1192 |
wistra 2011, 426 |
PStR 2011, 273 |
GmbHR 2011, 1098 |
StRR 2011, 367 |
StV 2012, 16 |
ZWH 2012, 5 |
ZWH 2012, 78 |