Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung bei Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten
Leitsatz (amtlich)
Ein anwaltliches Organisationsverschulden liegt vor, wenn ein Rechtsanwalt einen EDV-gestützten Fristenkalender verwendet, aber nicht anordnet, dass die Eingaben in diesen Kalender jeweils durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über einen Drucker kontrolliert werden.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 08.10.2004; Aktenzeichen 24 S 9/04) |
AG Berlin-Schöneberg (Beschluss vom 15.03.2004; Aktenzeichen 6 C 483/03) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 24 des LG Berlin v. 8.10.2004 wird auf Kosten des Beklagten verworfen.
Streitwert: 2.094,31 EUR
Gründe
I. Das AG Schöneberg hat den Beklagten durch Urteil v. 15.3.2004, mit dem ein am 14.1.2004 ergangenes Versäumnisurteil aufrecht erhalten wurde, verurteilt, an die Klägerin 2.094,31 EUR Schadensersatz nebst Zinsen zu zahlen, weil er als Geschäftsführer der P. GmbH die Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung der bei der Klägerin krankenversicherten Arbeitnehmer der GmbH für die Monate Oktober und November 2002 nicht an die Klägerin abgeführt hatte. Gegen das ihm am 14.4.2004 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 28.5.2004 Berufung eingelegt und wegen der Versäumung der Berufungsfrist um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebeten. Das LG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Beklagte die Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und seine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erreichen.
II. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 577 Abs. 1 ZPO unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Entgegen der Ansicht des Beklagten hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.
1. Die Beschwerde wirft die Frage auf, ob ein anwaltliches Organisationsverschulden anzunehmen ist, wenn ein Rechtsanwalt einen EDV-gestützten Fristenkalender verwendet und die dort vorgenommenen Eintragungen nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker kontrolliert werden, sondern durch Schließen und Wiederaufrufen des Datenverarbeitungsprogramms.
Diese Frage hat keine Grundsatzbedeutung, weil sie in der Rechtsprechung des BGH bereits geklärt ist. Ein anwaltliches Organisationsverschulden ist danach darin zu sehen, dass Eingaben in den EDV-Kalender nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker kontrolliert werden (BGH, Beschl. v. 12.10.1998 - II ZB 11/98, CR 1999, 75 = BB 1998, 2603, m.w.N.; BFH, Beschl. v. 6.8.2001 - II R 77/99, BFH/NV 2002, 44). Die Fertigung eines Kontrollausdrucks ist nach der Senatsrechtsprechung erforderlich, um nicht nur Datenverarbeitungsfehler des EDV-Programms, sondern auch Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand zu erkennen und zu beseitigen, zumal der Ausdruck dem Schriftstück, das dem Anwalt vorzulegen ist, beigeheftet werden kann. Dass das Vorgehen des Prozessbevollmächtigten des Beklagten, lediglich das Programm zu schließen und sofort wieder aufzurufen, diesen Anforderungen nicht genügt, muss danach nicht ausdrücklich ausgesprochen werden.
2. Entgegen der Auffassung der Beschwerde liegt auch der Zulassungsgrund des § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO nicht vor. Er setzte voraus, dass der Fall Veranlassung gäbe, Leitsätze für die Gesetzesauslegung aufzuzeigen, Gesetzeslücken zu schließen, oder dass die Fortentwicklung der Rechtspraxis eine Leitentscheidung geboten erscheinen ließe. Das ist ersichtlich nicht der Fall. Die Sache gibt - anders als die Beschwerde meint - auch keinen Anlass für eine Konkretisierung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die eindeutig ist und als Kontrollergebnis stets ein Schriftstück verlangt hat, nämlich entweder einen Ausdruck der Einzelvorgänge oder die Ausgabe eines Fehlerprotokolls durch das Programm (BGH, Beschl. v. 20.2.1997 - IX ZB 111/96, CR 1997, 616 = NJW-RR 1997, 698; v. 23.3.1995 - VII ZB 3/95, BRAK 1995, 175 = MDR 1995, 638 = CR 1995, 656 = WM 1995, 1448 [1449]).
Fundstellen
BB 2006, 464 |
DStZ 2006, 316 |
Inf 2006, 251 |
BGHR 2006, 449 |
EBE/BGH 2006, 51 |
FamRZ 2006, 407 |
NJW-RR 2006, 500 |
CR 2006, 498 |
FA 2006, 84 |
JurBüro 2006, 224 |
ZAP 2006, 381 |
AnwBl 2006, 283 |
MDR 2006, 539 |
MDR 2006, 556 |
VersR 2006, 811 |
WuM 2006, 110 |
GuT 2006, 88 |
RENOpraxis 2006, 75 |
VRR 2006, 123 |
BRAK-Mitt. 2006, 77 |
Mitt. 2006, 142 |
SJ 2006, 42 |