Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an ein Urteil wegen Steuerhinterziehung
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO 1977 ist es grundsätzlich erforderlich, dass das Urteil erkennen lässt, welches steuerlich erhebliche Verhalten des Angeklagten im Rahmen welcher Abgabenart und in welchem Besteuerungszeitraum zu einer Steuerverkürzung geführt hat und welche innere Einstellung der Angeklagte dazu hatte. Dabei ist zunächst darzustellen, wann der Angeklagte welche Steuererklärungen abgegeben hat, und dann zu erörtern, welche Umsätze oder Einkünfte er etwa verschwiegen oder welche unberechtigten Vorsteuerabzüge oder Betriebsausgaben er etwa geltend gemacht hat. Der Tatrichter hat für jede Steuerart und jeden Besteuerungszeitraum unter Schuldgesichtspunkten so klare Feststellungen zu treffen, dass sowohl die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen als auch die Berechnung der verkürzten Steuern der Höhe nach erkennbar werden. Eine ins Einzelne gehende Berechnungsdarstellung ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn ein sachkundiger Angeklagter ein Geständnis abgelegt hat.
2. Die Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO 1977 ist ein Erklärungsdelikt; die bloße Nichtzahlung einer Steuer erfüllt den Tatbestand nicht (vgl. zur Strafbarkeit der Nichtentrichtung der Umsatzsteuer § 26c UStG).
Normenkette
AO 1977 § 370 Abs. 1; StPO § 267
Verfahrensgang
LG Wuppertal (Urteil vom 11.03.2005; Aktenzeichen 26 KLs 20 Js 367/04 - 16/05 IV) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 11. März 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; davon ausgenommen sind die Feststellungen zur unbeschränkten Steuerpflicht des Angeklagten im Tatzeitraum, diese bleiben aufrechterhalten.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen Steuerhinterziehung in elf Fällen, davon in zwei Fällen im Versuch”, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte – der ab Ende der 1980er Jahre versucht hatte, in der Schweiz unternehmerisch tätig zu werden – seinen Lebensmittelpunkt spätestens ab 1996 wieder in Solingen. In den Jahren 1996 und 1999 bis 2002 erwirtschaftete der Angeklagte – vom Landgericht im Einzelnen festgestellte – Umsätze und Gewinne aus seinen unternehmerischen Aktivitäten, die er nicht den Finanzbehörden offenbarte; hierdurch hinterzog er mehr als eine Millionen DM Steuern. Die Rechnungsstellung erfolgte „in vielen Fällen” über die noch existierenden schweizer (Domizil-)Gesellschaften des Angeklagten, „obwohl er persönlich Auftragnehmer war und die Leistungen weitgehend selbst erbrachte”.
Das Landgericht geht in seiner rechtlichen Würdigung von elf Fällen der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO aus, wobei es in zwei Fällen beim Versuch blieb. Der Angeklagte habe für die Jahre 1996, 2000, 2001 und 2002 unzutreffende Umsatzsteuerjahreserklärungen und für die Jahre 1996, 1999, 2000, 2001 und 2002 unzutreffende Einkommensteuererklärungen abgegeben sowie die Abgabe der für die Jahre 2000 und 2001 erforderlichen Gewerbesteuererklärungen unterlassen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verurteilung des Angeklagten kann keinen Bestand haben, weil das angefochtene Urteil lückenhaft ist und an durchgreifenden Darstellungsmängeln leidet, so dass eine revisionsgerichtliche Nachprüfung nicht möglich ist.
1. Für die Darstellung einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO ist es grundsätzlich erforderlich, dass das Urteil erkennen lässt, welches steuerlich erhebliche Verhalten des Angeklagten im Rahmen welcher Abgabenart und in welchem Besteuerungszeitraum zu einer Steuerverkürzung geführt hat und welche innere Einstellung der Angeklagte dazu hatte (BGH NStZ 2001, 200 m.w.N.). Dabei ist regelmäßig zunächst darzustellen, wann der Angeklagte welche Steuererklärungen abgegeben hat, und dann zu erörtern, welche Umsätze oder Einkünfte er etwa verschwiegen oder welche unberechtigten Vorsteuerabzüge oder Betriebsausgaben er etwa geltend gemacht hat (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 3). Der Tatrichter hat für jede Steuerart und jeden Besteuerungszeitraum unter Schuldgesichtspunkten so klare Feststellungen zu treffen, dass sowohl die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen als auch die Berechnung der verkürzten Steuern der Höhe nach erkennbar werden. Eine ins Einzelne gehende Berechnungsdarstellung ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn ein sachkundiger Angeklagter ein Geständnis abgelegt hat (st. Rspr., vgl. nur BGH wistra 2005, 307 m.w.N.).
2. Den dargelegten Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
a) Rechtlich bedenklich ist bereits die vom Landgericht wiederholt verwendete Formulierung, der Angeklagte habe bestimmte Umsatz- und Gewerbesteuerbeträge „nicht abgeführt”. Die Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO ist ein Erklärungsdelikt; die bloße Nichtzahlung einer Steuer erfüllt den Tatbestand nicht (vgl. zur Strafbarkeit der Nichtentrichtung der Umsatzsteuer § 26c UStG).
b) In den Urteilsgründen fehlt jegliche Feststellung dazu, wann und für welchen Steuerpflichtigen der Angeklagte welche Steuererklärungen abgegeben hat, in denen er nach Auffassung des Landgerichts bestimmte Umsätze und Einnahmen verschwiegen hat; auch wird nicht mitgeteilt, ob und gegebenenfalls welche Steuerfestsetzungen aufgrund der falschen Angaben des Angeklagten erfolgt sind. Diese Feststellungen waren schon deshalb unentbehrlich, weil jede Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung grundsätzlich als selbständige Tat im Sinne des § 53 StGB zu werten ist (vgl. BGH wistra 2005, 30; 56); zudem bilden die Steuererklärungen die Grundlage für die Bestimmung der prozessualen Tat im Sinne von § 264 StPO (vgl. aber zum Verhältnis vom Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung des nämlichen Jahres BGHSt 49, 359).
Vorliegend ist aus dem Urteil schon nicht erkennbar, welche konkreten Erklärungspflichten der Angeklagte nach Ansicht des Landgerichts verletzt hat. In Betracht kommt einerseits, dass der Angeklagte als Geschäftführer für seine inländischen Gesellschaften (jeweils) falsche Angaben über steuerpflichtige Umsätze und Einnahmen gemacht hat, die diesen Gesellschaften zuzuordnen sind. Es liegt aber – insbesondere bezüglich der Vermittlung von Titeln – ebenso nicht fern, dass der Angeklagte verpflichtet war, Umsätze und Einnahmen als selbständiger Einzelunternehmer offen zu legen und seine Angaben insoweit falsch waren.
In Bezug auf die Einkommensteuer kommt hinzu, dass das Landgericht zwar ausführt, es habe sich auf die vom Angeklagten abgegebenen Einkommensteuererklärungen gestützt und lediglich die Berechnungen um die zusätzlichen Einnahmen ergänzt. Mangels Mitteilung, welche Angaben der Angeklagte in diesen Steuererklärungen gemacht hat und welche Steuerfestsetzungen daraufhin erfolgt sind, lässt sich jedoch nicht überprüfen, ob die Annahme des Landgerichts zutrifft, dass die – sich aus seiner Berechnung ergebende – Zahllast mit dem tatbestandlichen Steuerschaden identisch ist.
c) Darüber hinaus hat der Angeklagte nach den Urteilsgründen bestimmte von ihm erbrachte Leistungen seinen Auftraggebern in Rechnung gestellt. Ausführungen dazu, dass die Rechnungen auch beglichen wurden, fehlen jedoch. Solche Feststellungen wären aber jedenfalls in den Fällen notwendig gewesen, in denen das Landgericht die Rechnungssummen einkommensteuerlich als verdeckte Gewinnausschüttungen wertet (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 5, § 8 Abs. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG; Schmidt, EStG 24. Aufl. § 20 Rdn. 61). Der Umstand, dass der im Fall 3 der Urteilsgründe der Firma S in Rechnung gestellte Betrag in Höhe von 17.241 DM ersichtlich keinen Eingang in die Berechnung der hinterzogenen Einkommensteuer gefunden hat, beschwert den Angeklagten nicht.
3. Nach alledem kann das Urteil keinen Bestand haben. Allerdings hat das Landgericht die Feststellungen zur Steuerpflicht des Angeklagten in Deutschland im Tatzeitraum rechtsfehlerfrei getroffen; diese können daher aufrechterhalten bleiben.
Das Landgericht hat mit einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung belegt, dass der Angeklagte seinen Lebensmittelpunkt „spätestens ab 1996” wieder in Deutschland hatte und hier auch unternehmerisch tätig wurde. Anders als die Revision meint, ist dem Urteil damit hinreichend zu entnehmen, dass der Angeklagte bereits von Beginn des Jahres 1996 wieder in Deutschland wohnhaft war. Somit unterlag er ab dem Steuerjahr 1996 (wieder) der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht in Deutschland (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG). Er war ab diesem Zeitpunkt auch verpflichtet, eine Gewerbesteuererklärung (§ 14a GewStG) abzugeben und hatte die auf den erwirtschafteten Gewerbeertrag (§ 7 GewStG) entfallende Gewerbesteuer zu entrichten, soweit er mit seinen deutschen Gewerbebetrieben (§ 2 GewStG) tätig geworden war.
Unterschriften
Harms, Häger, Gerhardt, Raum, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 1463193 |
BFH/NV Beilage 2006, 378 |
HFR 2006, 515 |
Inf 2006, 51 |
NWB 2008, 960 |
wistra 2006, 66 |
NStZ-RR 2006, 177 |
PStR 2006, 2 |
GuT 2006, 45 |
StV 2006, 419 |
StraFo 2006, 37 |
BFH/NV-Beilage 2006, 378 |